![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
39. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Dezember 1985 i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft gegen X. (verwaltungsrechtliche Klage) | |
Regeste |
Regress des Bundes gegen Angehörige der Armee (Art. 25 des Bundesgesetzes über die Militärorganisation). |
2. Begriff der groben Fahrlässigkeit nach Art. 25 MO (E. 3 und 4). |
3. Berechnung des Regressbetrages (E. 5). | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Die gewählte Methode führte zum beabsichtigten Einsturz der beiden Stahlgusssäulen. Anderseits hatte die Sprengung eine grosse Splitterwirkung zur Folge. Teile der geborstenen Säulen schlugen in die Fassade der Wäscherei; zwei Splitter durchdrangen die geschlossenen Fenster. Ein 83,5 g schweres Gusseisenstück traf die an einer Maschine (Tumbler) tätige 38jährige italienische Arbeiterin M. und zerschmetterte ihr das Gesicht, worauf es auch die Maschine leicht beschädigte. M. erlitt schwere Fleischwunden, Schädelzertrümmerungen sowie Verletzungen des rechten Auges, das erblindete. Trotz zahlreicher chirurgischer Eingriffe, die bereits stattfanden und noch durchgeführt werden müssen, bleiben schlimme Entstellungen und dauernde Schäden zurück. Frau M. ist durch diese Verletzungen derart schwer behindert, dass sie zu 100% arbeitsunfähig ist und bleibt.
| 2 |
3 | |
Für die finanziellen Folgen des Unfalls haftet die Schweizerische Eidgenossenschaft gestützt auf Art. 22 ff. des Bundesgesetzes über die Militärorganisation (MO, SR 510.10). Der Schaden besteht in erster Linie aus Ansprüchen der verletzten M. Dazu kommt ein verhältnismässig geringer Sachschaden der V. AG von ca. Fr. 9000.--. Die vom eidgenössischen Militärdepartement anerkannten Forderungen von Frau M. belaufen sich auf Fr. 922'572.95. Hinzu kommen weitere Heilungskosten, deren Höhe sich noch nicht bestimmen lässt. Auch hinsichtlich der Genugtuungssumme konnte mit Frau M. noch keine Einigung erzielt werden. Die Direktion der Eidgenössischen Militärverwaltung rechnet mit einem Gesamtschaden von rund Fr. 1 Mio.
| 4 |
Mit verwaltungsrechtlicher Klage vom 21. Mai 1984 erhebt die Direktion der Eidgenössischen Militärverwaltung gegen X. eine Rückgriffsforderung in Höhe von Fr. 70'000.-- nebst Zins zu 5% seit Klageeinreichung.
| 5 |
Der Beklagte lässt in seiner Antwort beantragen, es sei auf die Klage nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen oder - subeventuell - der Rückgriff nach richterlichem Ermessen stark herabzusetzen.
| 6 |
Das Bundesgericht heisst die Klage teilweise gut.
| 7 |
Aus den Erwägungen: | |
8 | |
Es trifft zwar zu, dass im genannten Entscheid ausgeführt wurde, die Militärverwaltung müsse ihre Regressforderung mittels Verfügung geltend machen, die gemäss Art. 97 in Verbindung mit Art. 98 lit. e OG letztinstanzlich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden könne. Diese Feststellung bezog sich allerdings auf einen Sachverhalt, bei dem die Rückgriffsforderung gegen den Urheber einer Verletzung einer Militärperson beurteilt werden musste. Es bestand damals kein Anlass, auf die ![]() | 9 |
10 | |
Nach den erwähnten Bestimmungen setzt der Rückgriff voraus, dass der Bund gemäss Art. 22 zu Schadenersatzleistungen verpflichtet war, wobei die Ersatzpflicht die adäquate Folge der widerrechtlichen Handlung des Wehrmanns gewesen sein muss. Sodann ist der Regress nur zulässig, wenn das Verschulden des Wehrmanns als vorsätzlich oder grobfahrlässig einzustufen ist.
| 11 |
a) Unbestritten ist, dass der Bund verpflichtet war und ist, für den beim Sprengunfall vom 29. Mai 1978 entstandenen Schaden in Höhe von ca. Fr. 1 Mio. aufzukommen, hat doch Oblt X. im Rahmen eines dienstlichen Auftrags die Sprengladung gezündet, welche durch ihre Splitterwirkung M. schwer verletzte und an Gebäuden und Maschinen der V. AG Sachschaden anrichtete. Damit stehen aber auch die adäquate Kausalität (vgl. zu diesem Begriff BGE 107 II 243 ff.) und die Widerrechtlichkeit der schädigenden Handlung (vgl. zum Begriff der Widerrechtlichkeit: R. BINSWANGER, Die Haftungsverhältnisse bei Militärschäden, Diss. ZH 1969, S. 314 f.) ausser Frage: Einerseits war die ohne zureichende Splitterabdeckung vorgenommene Sprengung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen ![]() | 12 |
b) Strittig ist dagegen die Frage des Verschuldensgrades. Während sich die Militärverwaltung auf den Standpunkt stellt, Oblt X. habe grobfahrlässig gehandelt, vermag dieser in seinem Verhalten kein rechtserhebliches Verschulden im Sinne von Art. 25 MO zu erkennen.
| 13 |
14 | |
Dieser Auffassung des Beklagten kann nicht gefolgt werden. Es trifft zwar zu, dass Bundesrat (vgl. Botschaft vom 19. September 1966 in BBl 1966 II 423) und Parlament, welches den Vorschlägen des Bundesrates diskussionslos folgte, mit der MO-Revision keine Änderung der Haftungsgrundsätze herbeiführen wollten. Dies wäre auch kaum angezeigt gewesen, denn der Regress auf den Wehrmann war eben erst neu geregelt worden: Mit Änderung vom 15. Oktober 1965 (AS 1965, 890) ist in Art. 115 BBVers der Grundsatz eingefügt worden, dass ein Rückgriff nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit erfolgen darf. Diese Eingrenzung drängte sich auf, weil die damals gültige Fassung von Art. 29 MO einen Rückgriff bei jeglichem Verschulden, also auch bei leichter Fahrlässigkeit vorsah. Mit der Neufassung des BBVers sollte die Regelung der entsprechenden Bestimmung des Verantwortlichkeitsgesetzes (SR 170.32; Art. 7) übernommen werden (Botschaft des Bundesrates in BBl 1965 II 340; vgl. dazu BINSWANGER, a.a.O. S. 93 ff.). Nichts deutet darauf hin, dass mit dieser Änderung von herkömmlichen Begriff der groben Fahrlässigkeit abgewichen werden sollte. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber, der nur zwei Jahre später den neuen Art. 25 MO beschloss, an diesem Begriff festhalten wollte.
| 15 |
![]() | 16 |
17 | |
a) Oblt X. war beauftragt, nach einer Methode zur Sprengung der auf dem Fabrikareal stehenden Stahlträger zu suchen. Es handelte sich um keine leichte Aufgabe, denn die Zerstörung von Stahl- und Eisenkonstruktionen gilt - verglichen mit der Zerstörung anderer Materialien - als besonders heikel und gefahrvoll. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass mit der Erschütterung praktisch keine Wirkung erzielt wird, so dass in der Regel relativ grosse Mengen Sprengstoff eingesetzt werden müssen, was zu starken und weitreichenden Druckwellen führt. Zur besonderen Gefahr wird die Sprengung von Stahl jedoch wegen des ausgeprägten Splitterwurfs. Dem Beklagten, der vor dem Unfall bereits in mehreren Truppenkursen als Sprengoffizier eingesetzt worden war und der die nötigen Fachprüfungen bestanden hatte, musste diese Besonderheit bekannt sein. Er macht nun allerdings geltend, er habe das Reglement 57.12, welches die zu beachtenden Sicherheitsvorschriften ![]() | 18 |
b) Die Frage, ob und inwiefern der Beklagte vom Inhalt des Reglements 57.12 Kenntnis hatte, braucht indessen nicht weiter geprüft zu werden, weil sich seine Verantwortlichkeit bereits aus der Tatsache ergibt, dass er eine Gefahrenquelle schuf, weshalb er auch ohne besondere Vorschrift zur Abwendung oder Begrenzung der Gefahr verpflichtet war (vgl. BGE 81 II 569). Wegen der bei Eisensprengungen und namentlich bei Verwendung verdämmter Hohlladungen zu erwartenden direkten und indirekten Splitterwirkung hätte Oblt X. seinen Versuch nur durchführen dürfen, wenn er Vorkehren zur Abschirmung der Sprengherde getroffen hätte. Einen wirksamen Schutz hätten beispielsweise bereits mit Stroh abgedichtete Bretterverschläge oder Autoreifen gebracht, die rund um die Sprengpunkte gelegt worden wären. Oblt X. hat keine derartigen Massnahmen getroffen, weil er sich der Gefährlichkeit seines Vorgehens offensichtlich nicht ausreichend bewusst war. Gerade diese Fehleinschätzung muss ihm - dem ausgebildeten und erfahrenen Sprengoffizier - in besonderem Masse angelastet werden. Aufgrund seines Irrtums unterliess er ebenfalls die Orientierung der im Gefahrenbereich arbeitenden Angestellten der benachbarten Grosswäscherei. Seiner diesbezüglichen Pflicht genügte er weder mit der am Vormittag des Unfalltages erfolgten unbestimmten Mitteilung an den technischen Leiter des Betriebes noch ![]() | 19 |
Dem Beklagten ist in erster Linie vorzuwerfen, dass er sich keine Rechenschaft über die Gefährlichkeit seines Vorgehens gab. Ein vernünftiger Sprengoffizier hätte unter den gleichen Umständen - und ungeachtet der Vorschriften des Reglements 57.12 - entweder eine weniger gefährliche Methode gewählt oder aber die im Gefahrenbereich befindlichen Personen gewarnt und für einen wirksamen Splitterschutz gesorgt. Falls er zum Schluss gelangt wäre, der vom Rgt Kdt erteilte Auftrag lasse sich aus Sicherheitsgründen nicht verantworten, hätte er sich ausserdem weigern dürfen, die Sprengversuche durchzuführen. Da Oblt X. all dies unterliess, kann ihm der Vorwurf der Grobfahrlässigkeit nicht erspart bleiben.
| 20 |
21 | |
a) Ausgangspunkt der Berechnung des Rückgriffsanspruchs des Bundes bildet das den Schädiger treffende Verschulden. Hat er vorsätzlich gehandelt, so darf von ihm voller Ersatz gefordert werden. In den übrigen Fällen bemisst sich der Betrag primär nach dem Grad der groben Fahrlässigkeit. Eine eigentliche Skala lässt sich jedoch deshalb nicht erstellen, weil auch die neben dem Verschulden zu berücksichtigenden Faktoren das Resultat entscheidend zu beeinflussen vermögen. So wird man sich vor allem in Fällen, in denen sehr hohe Schäden entstanden sind, selbst bei besonders grober ![]() | 22 |
Käme es im vorliegenden Fall einzig auf das Verschulden an, so wäre die geforderte Summe von Fr. 70'000.-- angesichts der besonders groben, fast unbegreiflichen Fahrlässigkeit sicher angemessen. Aufgrund der finanziellen Verhältnisse des Beklagten muss der Regressbetrag indessen wesentlich tiefer angesetzt werden. Die eingeklagte Summe macht rund vier Fünftel eines Jahreseinkommens des Beklagten aus, der im übrigen über kein nennenswertes Vermögen verfügt. Sie hätte für ihn und seine Familie - X. ist verheiratet und Vater zweier Kinder, deren Berufsausbildung noch bevorsteht - eine ausserordentliche und schwere Belastung zur Folge und wäre daher mit den Leitgedanken von Art. 25 und 27 Abs. 2 MO nicht vereinbar. Auch die tadellose militärische Führung des Beklagten - er wurde trotz des von ihm verursachten Unfalls noch befördert - rechtfertigt eine erhebliche Ermässigung des Rückgriffs. Unter Berücksichtigung dieser Umstände gelangt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Klage lediglich im Umfang von Fr. 20'000.-- gutgeheissen werden kann.
| 23 |
b) Die Klägerin will bei der Regressnahme auch die Tatsache berücksichtigen, dass der Beklagte privat gegen Haftpflichtansprüche Dritter versichert ist. Dazu besteht jedoch nach der Praxis keine Veranlassung. Bei dem von der Klägerin zitierten Entscheid (BGE 104 II 184 ff. insbesondere 188) wurde die von einem neunjährigen, aus bescheidenen sozialen Verhältnissen stammenden Knaben zu tragende Schadensquote von 1/3 auf 1/4 reduziert, weil der im gleichen Ausmass mitschuldige Spielgefährte eine Haftpflichtversicherung hatte. Dieser Gesichtspunkt kann jedoch im vorliegenden Fall schon deshalb keine Rolle spielen, weil die Klägerin von ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit her nicht auf die Inanspruchnahme eines privaten Haftpflichtversicherers angewiesen ist.
| 24 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |