BGE 111 Ib 201 | |||
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40. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. September 1985 i.S. Y. gegen Kantonales Steueramt Nidwalden und Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 106 ff. WStB/BdBSt; kantonale Prozessvorschriften im Wehrsteuerbeschwerdeverfahren. |
2. Ein im kantonalen Prozessrecht vorgesehenes Anwaltsmonopol für Wehrsteuerbeschwerden verstösst nicht gegen das Wehrsteuerrecht (E. 4). | |
Sachverhalt | |
Der als Rechtsberater tätige Dr. iur. X. führte namens seines Klienten Y. beim Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden Beschwerde gegen einen die Wehrsteuerveranlagung der 19. Periode betreffenden Einsprache-Entscheid. Mit Urteil vom 17. Dezember 1984 trat das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht ein, weil gemäss Art. 60 des Nidwaldner Gesetzes über die Organisation und das Verfahren der Gerichte (Gerichtsgesetz) vom 28. April 1968 das Recht zur vertraglichen Vertretung der Parteien vor den Gerichten nur patentierten Rechtsanwälten zustehe, Dr. X. aber keine kantonale Zulassungsbewilligung besitze. Y. führt gegen dieses Urteil Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
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Gegen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Rekurskommissionen und Verwaltungsgerichte in Wehrsteuersachen ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegeben (Art. 112 Abs. 1 WStB). Der Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden vom 17. Dezember 1984 ist daher unabhängig von der Frage, ob die Nichtzulassung von Dr. X. als Vertreter des Beschwerdeführers als Verletzung des Wehrsteuerbeschlusses oder als wegen überspitztem Formalismus verfassungswidrige Anwendung kantonalen Verfahrensrechts gerügt wird, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar. Dies konnte dem rechtskundig vertretenen Beschwerdeführer nicht verborgen bleiben.
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a) Dieser Grundsatz findet heute Ausdruck im Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG) vom 20. Dezember 1968. Dieses Gesetz ist nach Art. 1 Abs. 1 VwVG auf das Verfahren unterer kantonaler Instanzen und letzter kantonaler Instanzen, die endgültig verfügen, überhaupt nicht anwendbar (SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 48. Die kantonalen Instanzen gelten auch nicht als Behörden im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG; vgl. derselbe, a.a.O., S. 46). Auf das Verfahren letzter kantonaler Instanzen, die gestützt auf öffentliches Recht des Bundes nicht endgültig verfügen, finden ausdrücklich nur die Art. 34 bis 38, 61 Abs. 2 und 3 sowie 55 Abs. 2 und 4 VwVG Anwendung (Art. 1 Abs. 3 VwVG). Zwar hat das Bundesgericht die Kantone zur Beachtung weiterer bundesrechtlicher Verfahrensvorschriften, etwa hinsichtlich der Beschwerdelegitimation oder der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, verhalten (BGE 106 Ib 116; BGE 103 Ib 148; vgl. auch GYGI, a.a.O., S. 26; anders noch BGE 102 Ib 225 E. 1). Im übrigen aber sind die Kantone beim ihnen übertragenen Vollzug des (materiellen) Bundesverwaltungsrechts in der Ausgestaltung des Verfahrens frei, soweit dadurch die Verwirklichung des Bundesrechts nicht übermässig erschwert oder verhindert wird.
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b) Abweichend von der vom Bund im allgemeinen geübten Zurückhaltung enthalten gewisse Spezialgesetze - wie z.B. der Wehrsteuerbeschluss - eingehende bundesrechtliche Verfahrensvorschriften, die von den kantonalen Instanzen zu beachten sind. Bei der Auslegung solcher spezieller Verfahrensbestimmungen hat sich aber das Bundesgericht an das im Grundsatz geltende föderalistische Prinzip zu halten. Es ist daher nicht leichthin anzunehmen, dass - gegebenenfalls auch eingehende - bundesrechtliche Bestimmungen das Verfahren vor den kantonalen Instanzen abschliessend regeln und den Kantonen keinen Raum für ergänzende prozessuale Vorschriften belassen.
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Das Bundesgericht hielt bisher mehrfach fest, das Veranlagungs- und Rechtsmittelverfahren richte sich im Wehrsteuerrecht ausschliesslich nach den Bestimmungen des Wehrsteuerbeschlusses und den von den Kantonen erlassenen, vom Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartement (heute: Eidgenössisches Finanzdepartement) zu genehmigenden Vollziehungsvorschriften (Art. 66 WStB; ASA 48, 197 E. 3c; ebenso noch das nicht veröffentlichtes Urteil vom 22. März 1985 i.S. V., S. 6 E. 2). Im Lichte der vorstehenden Erwägungen kann an dieser Auffassung nicht festgehalten werden. Soweit die Kantone im Auftrag des Bundes die Wehrsteuer erheben, besteht kein Grund, ihnen den Erlass und die Anwendung ergänzender Verfahrensvorschriften nicht zu gestatten. Diese dürfen einzig nicht im Widerspruch zu den bundesrechtlichen Verfahrensvorschriften stehen und die Durchführung des materiellen Wehrsteuerrechts weder übermässig erschweren noch verhindern. Ausserdem dürfen ergänzende kantonale Verfahrensvorschriften sowie ihre Anwendung im Einzelfall keine verfassungsmässigen Rechte der Bürger verletzen.
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c) Unter diesen Umständen ist der Kanton Nidwalden grundsätzlich befugt, die in seinem Gerichtsgesetz enthaltenen Verfahrensbestimmungen, zu denen das in Art. 60 verankerte Anwaltsmonopol gehört, auf das Beschwerdeverfahren im Wehrsteuerrecht anwendbar zu erklären, wie er dies in der vom Eidgenössischen Finanzdepartement genehmigten Einführungsverordnung zum Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer Wehrsteuer vom 28. Mai 1979 (Art. 8) getan hat. Im vorliegenden Fall kann sich daher nur fragen, ob Art. 60 des Gerichtsgesetzes, auf den das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden seinen Nichteintretensentscheid stützt, im Widerspruch zu einer bundesrechtlichen Verfahrensvorschrift steht oder ob das Verwaltungsgericht mit der konkreten Anwendung dieser Bestimmung ein verfassungsmässiges Recht des Beschwerdeführers verletzt hat, wie er ausdrücklich rügt.
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a) In der Literatur wurde aus dieser Bestimmung einhellig geschlossen, dass als vertraglicher Vertreter auch eine Person in Frage komme, die nicht im Besitze eines Patentes zur Ausübung des Anwaltsberufes sei (KÄNZIG, Wehrsteuer, 1. Aufl., N. 3 zu Art. 100 WStB; MASSHARDT, Wehrsteuerkommentar, Ausgabe 1980, N. 1 zu Art. 100 WStB, zurückgehend auf PERRET/GROSHEINTZ, Kommentar zur eidgenössischen Wehrsteuer, Zürich 1941, N. 1 zu Art. 100 WStB; I. BLUMENSTEIN, Die allgemeine eidgenössische Wehrsteuer, S. 245; HELDNER, Der Steuerberater in der Schweiz, unter besonderer Berücksichtigung seiner Rechtsstellung im Wehrsteuerrecht und im bernischen Steuerrecht, S. 130; SPORI, Die Stellung des Steuervertreters, in "Der Schweizer Treuhänder" 56 (1982) Nr. 3 S. 26). Kantonale Bestimmungen, die die vertragliche Vertretung auf patentierte Anwälte beschränken, wären demnach im Wehrsteuerrecht nicht anwendbar (KÄNZIG, a.a.O., 1. Aufl., N. 3 zu Art. 100 WStB; HELDNER, a.a.O., S. 130; I. BLUMENSTEIN, a.a.O., S. 245).
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Das Bundesgericht hatte bisher die Frage, ob Art. 100 WStB die Statuierung eines Anwaltsmonopols im Wehrsteuerbeschwerdeverfahren durch die Kantone verbiete, nicht zu entscheiden. Dagegen hielt der Bundesrat im Bereiche der eidgenössischen Krisenabgabe, die eine praktisch gleichlautende Bestimmung wie Art. 100 WStB enthielt (Art. 123 des BRB über die Erhebung der eidgenössischen Krisenabgabe der Jahre 1939 bis 1941 vom 16. Dezember 1938, vgl. AS 54 S. 895), in einem Entscheid vom 11. April 1944 fest, dass als Mandatar auch eine handlungsfähige Person in Frage komme, die nicht im Besitze eines Anwaltspatentes sei, und dass demzufolge das im sanktgallischen Verfahrensrecht damals vorgesehene Anwaltsmonopol durch die derogatorische Kraft des Bundesrechts ausgeschlossen sei (ASA 12, 440 ff.).
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b) Eine Begründung für den aus Art. 100 und 106 Abs. 3 WStB gezogenen Schluss, die Kantone dürften im Wehrsteuerbeschwerdeverfahren kein Anwaltsmonopol statuieren, findet sich in der Literatur nirgends. Der Wortlaut von Art. 100 WStB drängt eine derartige Auslegung nicht auf. Denn es wird darin einzig die vertragliche Vertretung des Wehrsteuerpflichtigen bei der Einsprache, und damit nach Art. 106 Abs. 3 WStB auch im Rekursverfahren, als grundsätzlich zulässig vorausgesetzt, aber keineswegs zum Ausdruck gebracht, dass die Vertretung durch eine beliebige Person möglich sein müsse. Zwar wäre eine solche Ordnung denkbar aus der Überlegung heraus, dass der Steuerpflichtige jede Person, die er bei der Abgabe der Steuererklärung beizieht, auch als Vertreter in den Rechtsmittelverfahren weiter sollte beiziehen können und dass er die eventuellen Nachteile einer von ihm vertraglich veranlassten Vertretung selber zu tragen habe. Sie wäre indessen für das Verfahren vor schweizerischen Gerichten eher ungewöhnlich, kennen doch viele Kantone in verschiedener Hinsicht eine Beschränkung der Zulassung von vertraglichen Vertretern im Steuerjustizverfahren betreffend die kantonalen Abgaben (vgl. dazu ausführlich BGE 105 Ia 75 ff. E. 7a). Hätte der Bundesgesetzgeber wirklich jede (handlungsfähige) Person ohne irgendwelche Einschränkungen als vertraglichen Vertreter im Wehrsteuerjustizverfahren zulassen und so eine vom Verfahrensrecht vieler Kantone abweichende Ordnung schaffen wollen, so hätte er dies im Wortlaut von Art. 100 WStB deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Denn im allgemeinen will der Bundesgesetzgeber nicht so weit gehen. So ist z.B. Art. 11 VwVG, der im Bundesverwaltungsverfahren jede in bürgerlichen Ehren und Rechten stehende Person als vertraglichen Vertreter zulässt, im kantonalen Verfahren gerade nicht anwendbar (Art. 1 Abs. 3 VwVG). Warum im Wehrsteuerverfahren ohne ausdrückliche anderslautende Bestimmung etwas anderes gelten sollte, ist nicht einzusehen.
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Der Bundesrat schlägt denn auch den eidgenössischen Räten in seinem Entwurf zu einem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer einen Art. 122 vor, demzufolge in Zukunft jede handlungsfähige und in bürgerlichen Ehren stehende Person als Vertreter der Steuerpflichtigen zugelassen wäre (vgl. BBl 1983 III 355), wobei er in seiner Botschaft einräumt, dass die vorgeschlagenen Bestimmungen über die Verfahrensrechte teilweise über die geltenden Vorschriften hinausgehen (BBl 1983 III 206).
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c) Art. 60 des Nidwaldner Gerichtsgesetzes verstösst demnach nicht gegen den auch im Wehrsteuerrekursverfahren anwendbaren Art. 100 WStB. Er verletzt auch keine andere Bestimmung des Wehrsteuerrechts und verstösst als solcher nicht gegen eine Norm der Bundesverfassung. Der Kanton Nidwalden ist daher berechtigt, die Vertretung der Steuerpflichtigen im Rekursverfahren vor dem Verwaltungsgericht den patentierten Rechtsanwälten vorzubehalten.
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