BGE 111 Ib 233 | |||
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45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. Juli 1985 i.S. Aerni gegen Staat Freiburg und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Immissionen aus dem Betrieb einer Nationalstrasse; Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit. | |
Sachverhalt | |
Kurt Maurer erwarb 1954 die in Kerzers an der Kantonsstrasse Kerzers-Murten liegende Parzelle Nr. 5785 und liess darauf im Jahre 1960 ein Mehrfamilienhaus erstellen. Im Mai 1963 wurde die Liegenschaft von der Tochter Maurers, der heutigen Beschwerdeführerin Marlies Aerni, als Erbvorempfang übernommen.
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Im Rahmen des Nationalstrassenbaus errichtete der Kanton Freiburg unmittelbar südlich der Liegenschaft Aerni ein Anschlusswerk mit Viadukt und Auffahrtsrampen. Zudem wurde im Bereich dieses Werkes die Kantonsstrasse verbreitert und hiefür ein Streifen des Grundstücks Nr. 5785 in Anspruch genommen. Für den abgetretenen Boden erhielt Frau Aerni Realersatz. Da sie zusätzlich eine Entschädigung für die zukünftigen Einwirkungen des Strassenverkehrs verlangte, erklärte sich der Kanton Freiburg bereit, diese Frage zu gegebener Zeit dem Enteignungsrichter zu unterbreiten, und liess im Juni 1977 durch die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 6, ein Enteignungsverfahren eröffnen. Die Schätzungskommission wies das Entschädigungsbegehren am 16. Februar 1978 in erster Linie deshalb ab, weil die Immissionen für die Klägerin voraussehbar gewesen seien. Das Bundesgericht hat diesen Entscheid auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin aufgehoben und die Sache an die Schätzungskommission zurückgewiesen.
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Aus den Erwägungen: | |
2. a) Nach ständiger Praxis des Bundesgerichts gelten die vom Schienen- und Strassenverkehr ausgehenden Immissionen nur dann als übermässig im Sinne von Art. 684 ZGB und lassen den Enteigner nur dann ersatzpflichtig werden, wenn sie für den Grundeigentümer nicht voraussehbar waren, ihn in spezieller Weise treffen und einen schweren Schaden verursachen (BGE 110 Ib 48 E. 4, 346 E. 2). Mit der ersten dieser Voraussetzungen, der Unvorhersehbarkeit der Immissionen, und der an ihr in der Lehre geübten Kritik hat sich das Bundesgericht unlängst im Urteil Buob erneut auseinandergesetzt (BGE 110 Ib 48 ff. E. 4). In diesem Entscheid wird eingeräumt, dass die durch den Ortsgebrauch bestimmte Stellung des Nachbarn zum Gemeinwesen als Eigentümer einer öffentlichen Strasse eine andere, ungünstigere ist als jene zu den benachbarten privaten Grundeigentümern. Diese Ungleichbehandlung rechtfertigt sich jedoch mit Rücksicht darauf, dass das Gemeinwesen beim Bau und bei der Inbetriebnahme einer Strasse eine rechtmässige und im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeit ausübt. Es darf daher verlangen, dass von der Bekanntgabe des Projekts an die Nachbarschaft diesem Rechnung trägt und, in Nachachtung eines für die Enteigneten allgemein geltenden Gebotes, alle zumutbaren Vorkehren unternimmt, um den Schaden nicht zu vergrössern. Der Nachbar einer öffentlichen Strasse hat deshalb grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Immissions-Entschädigung für ein Grundstück, das er erst nach Bekanntwerden der Strassenbau-Pläne gekauft hat, oder für ein Gebäude, das er erst nach diesem Zeitpunkt erstellen liess.
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Die Schätzungskommission hat im vorliegenden Fall bei der Prüfung der Voraussehbarkeit der Immissionen auf den Zeitpunkt der Übernahme der Liegenschaft durch die Beschwerdeführerin abgestellt und dadurch den Erbvorempfang einem obligatorischen Rechtsgeschäft wie dem Kauf gleichgesetzt. Die Beschwerdeführerin rügt dies zu Recht. Es gibt keinen Grund, den Erwerb durch Erbvorempfang im fraglichen Zusammenhang anders zu behandeln als den Erwerb durch Erbgang, stehen doch dem Zuwendungsempfänger gleich wie dem Erben - und im Gegensatz zum Käufer - keine anderen Möglichkeiten zur Schadensverhütung zu als dem früheren Eigentümer. Der "Erbvorempfänger" tritt auch in dieser Beziehung ohne weiteres in die Stellung des Rechtsvorgängers ein und ist daher wie ein Erbe und nicht wie ein Käufer zu behandeln. Entgegen der Meinung der Schätzungskommission ist hier deshalb zu prüfen, ob der Vater und Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin voraussehen konnte, dass seine Liegenschaft später den Einwirkungen des Nationalstrassenverkehrs ausgesetzt sein würde.
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b) Es ist unbestritten, dass im Jahre 1954, als Kurt Maurer die Parzelle Nr. 5785 erwarb, der Bau des Anschlusswerkes an die Nationalstrasse N 1 nicht voraussehbar war. Massgebend ist hier jedoch der Zeitpunkt der Erstellung des Hauses bzw. der Erteilung der Baubewilligung (2. Mai 1960), da die umstrittene Entschädigung vor allem für die Entwertung des Gebäudes verlangt wird. Nun wurde damals gerade die Botschaft des Bundesrates über das Nationalstrassennetz vom 5. Februar 1960 veröffentlicht (vgl. BBl 1960 I 617 ff.), aus der sich ergab, dass die Nationalstrasse N 1 zwischen Yverdon und Bern als Nationalstrasse zweiter Klasse erstellt werden und südlich von Kerzers vorbeiführen sollte. Offensichtlich konnte aber Kurt Maurer aufgrund dieses generell gehaltenen Strassennetz-Planes nicht ahnen, dass in nächster Nähe seiner Liegenschaft ein Anschlusswerk errichtet würde. Aus den Akten geht denn auch hervor, dass der Gemeinde Kerzers erst im Juli 1962 ein Detail-Plan mit der Linienführung der Nationalstrasse und der Lage des Anschlusspunktes zuging. Wird schliesslich in Betracht gezogen, dass das Generelle Projekt im Sinne von Art. 12 NSG erst im November 1969 und das Ausführungsprojekt im Juni 1972 publiziert worden ist, so kann jedenfalls nicht gesagt werden, Kurt Maurer hätte schon aufgrund der Projektierungsarbeiten im Jahre 1960 die mit dem Nationalstrassenverkehr verbundenen lästigen Einwirkungen voraussehen müssen.
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Das allein genügt allerdings noch nicht, um die Unvorhersehbarkeit zu bejahen. Wie das Bundesgericht bereits im Urteil Werren festgehalten hat (BGE BGE 94 I 287 lit. A, 302 E. 9b), muss der Nachbar einer Bahn- oder Strassenanlage darauf gefasst sein, dass sich mit dem normalerweise anwachsenden Verkehr in der Regel auch der Lärm vermehrt. Im Entscheid Lanz unterstrich das Gericht im weiteren (BGE 98 Ib 332 E. 2), jeder Eigentümer eines Hauses im Bereiche einer grösseren Agglomeration habe unabhängig vom Autobahnbau damit zu rechnen, dass in seiner Nähe Strassen verlegt, verbessert oder vergrössert würden; die sich hieraus ergebenden Beeinträchtigungen seien voraussehbar. Die gleichen Überlegungen wurden im Fall Keller (BGE 102 Ib 273 E. 2a) angestellt und führten in den Entscheiden H. Balmer vom 12. November 1980 (BGE 106 Ib 393, nicht publ. E. 2) und Borer vom 25. April 1984 (nicht publ.) zur Abweisung von Entschädigungsbegehren, die für die Verlegung einer Durchgangsstrasse und deren Ausbau zur Nationalstrasse gestellt worden waren. In all diesen Fällen ging es um Grundstücke, die in Nähe einer grösseren Stadt (im Falle Lanz: Lausanne), an einer Hauptverkehrsader und/oder in einer Ortschaft lagen, durch die der Verkehr aufgrund der topographischen Situation notwendigerweise hindurchführen muss (in den genannten Fällen: Twann bzw. Stein AG). Hier handelt es sich aber um eine Liegenschaft, die sich weder bei einer grösseren Agglomeration noch an einer Hauptverkehrsader oder an einem Engpass befindet. Die Annahme rechtfertigt sich deshalb nicht, die Beschwerdeführerin oder ihr Rechtsvorgänger hätte schon aufgrund der Lage des fraglichen Grundstücks ein Anwachsen der Immissionen voraussehen und in Kauf nehmen müssen. Würde die erwähnte Praxis auch auf Fälle wie den vorliegenden ausgedehnt, so führte dies zum unhaltbaren Ergebnis, dass praktisch alle Entschädigungsbegehren für Immissionen an der Bedingung der Unvorhersehbarkeit scheiterten und die nachbarlichen Abwehrrechte entgegen der gesetzlichen Regelung (vgl. Art. 5 EntG) kaum noch als Enteignungsobjekte in Betracht fielen. Die Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit ist hier deshalb als erfüllt zu betrachten und die Beschwerde in diesem Punkte gutzuheissen.
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