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74. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Dezember 1986 i.S. A. gegen Fremdenpolizei und Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG; Widerruf einer Niederlassungsbewilligung, die die Ehefrau eines niedergelassenen Ausländers gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ANAG erworben hat. |
Die Niederlassungsbewilligung kann nicht in jedem Fall widerrufen werden, wenn die Bedingungen von Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG erfüllt sind; die Behörde hat nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden (E. 4). In casu ist das Ermessen nicht pflichtgemäss ausgeübt worden (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Nachdem sich A. im August 1984 in einem Brief an die Fremdenpolizei des Kantons Zürich über das Verhalten ihres Ehemannes beklagt hatte, ergaben Nachforschungen, dass überhaupt nie ein gemeinsamer Haushalt aufgenommen worden war, sondern dass vielmehr der Ehemann seit Jahren in einem Konkubinatsverhältnis mit seiner türkischen Freundin, einer Cousine, lebte. Mit Verfügung vom 1. Februar 1985 widerrief daher die Fremdenpolizei die Niederlassungsbewilligung von A. Einen dagegen erhobenen Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 4. Juni 1986 ab. Hiegegen erhob A. am 28. Juli 1986 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Gemäss Art. 17 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG) hat die Ehefrau eines Ausländers mit Niederlassungsbewilligung Anspruch darauf, in die Bewilligung des Ehemannes einbezogen zu werden, sofern sie mit ihm in gemeinsamem Haushalte leben wird. Das Einbezugsrecht ist selber keine Bewilligung, sondern verschafft ![]() | 3 |
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Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Widerruf gemäss Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG setze voraus, dass der Ausländer wissentlich falsche Angaben mache oder wesentliche Tatsachen verschweige, in der Absicht, gerade gestützt darauf die Niederlassungsbewilligung zu erhalten; erforderlich sei ein verwerfliches und dem Ausländer vorwerfbares Verhalten. Die Erziehungsdirektion scheint in ihrer Vernehmlassung der Ansicht zuzuneigen, auf die Täuschungsabsicht des Ausländers komme es nicht an; entscheidend sei, dass die Niederlassungsbewilligung bei Kenntnis des wahren Sachverhalts nicht erteilt worden wäre.
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b) Der Wortlaut der fraglichen Widerrufsbestimmung lässt keinen Zweifel daran, dass ein Widerruf nur zulässig sein kann, wenn die Bewilligungsbehörde mit Absicht getäuscht worden ist. Zwar wird nur für das Verschweigen wesentlicher Tatsachen verlangt, dass dies wissentlich geschehe; damit sollte (wohl) ein Widerruf der ![]() | 6 |
c) Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin am 15. November 1983 das Formular "Gesuch um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung" unterschrieben hat, auf dem als Aufenthaltszweck angegeben ist, sie werde als Hausfrau beim Gatten verbleiben. Diese Angabe war offensichtlich falsch, wohnte doch der Ehemann in einer anderen Wohnung als auf dem Formular angegeben, und zwar mit seiner Freundin und den ausserehelichen Kindern, die er mit ihr zusammen hat. Dies wusste die am 28. Oktober 1983 eingereiste Beschwerdeführerin zu jenem Zeitpunkt zweifellos bereits. Indessen ist zu vermuten, dass sie damit rechnete und darauf hoffte, in Zukunft mit ihrem Mann zusammenzuleben. Nicht umstritten ist dagegen, dass ihr Mann von vornherein ein künftiges Zusammenleben ausschloss. Er hat das von der Beschwerdeführerin unterschriebene Formular selber ausgefüllt und dabei wider besseres Wissen über einen entscheidenden Punkt, nämlich die Aufnahme des ehelichen Zusammenlebens, falsche Angaben gemacht. Ohne diese Täuschung hätte die Beschwerdeführerin mit Sicherheit keine Niederlassungsbewilligung erhalten. Es stellt sich die Frage, ob diese Täuschungsabsicht des Ehemannes der Beschwerdeführerin angerechnet werden kann, selbst wenn sie guten Glaubens gewesen sein mag und auf die Aufnahme einer ehelichen Wohngemeinschaft gehofft haben sollte.
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d) Wie gesehen (E. 2) erwirbt die Ehefrau eines Ausländers mit Niederlassungsbewilligung gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ANAG selbständig eine Niederlassungsbewilligung. Voraussetzung ist jedoch, dass eine wirkliche Ehegemeinschaft besteht und die Ehegatten in gemeinsamem Haushalte leben werden. Einzig diese enge Beziehung zum Ehemann erlaubt die Erteilung der ![]() | 8 |
War für die Bewilligungserteilung die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrem hier niedergelassenen Ehemann massgebend bzw. konnte sie nur durch ihn zur Niederlassungsbewilligung kommen, so spricht dies dafür, dass sein Verhalten anlässlich des Bewilligungsverfahrens ihr zugerechnet wird. Sie muss sich dies jedenfalls dann gefallen lassen, wenn sie - für die zuständige Behörde erkennbar - auch das Gesuchsformular durch ihren Ehemann ausfüllen liess. Es ginge nicht an, dass die Behörde zwar die offensichtlich allein vom Ehemann abgegebene Begründung für die Gewährung der Niederlassungsbewilligung zu Gunsten der Gesuchstellerin entgegenzunehmen und gestützt darauf die Bewilligung zu erteilen hätte, es ihr andererseits aber verwehrt sein sollte, zu Ungunsten der Ausländerin auf das Verhalten des Ehemannes abzustellen. Damit ist davon auszugehen, dass die Zürcher Behörden zu Recht angenommen haben, angesichts der täuschenden Angaben des Ehemannes sei gegenüber der Beschwerdeführerin der Widerrufsgrund von Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG wegen Erschleichens der Niederlassungsbewilligung erfüllt.
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Art. 9 Abs. 4 ANAG wird im deutschen Text eingeleitet mit dem Satz: "Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen werden." Ebenso lautet die entsprechende italienische Formel: "Il permesso di domicilio può essere revocato." Dagegen heisst es im französischen Gesetzestext: "L'autorisation d'établissement est révoquée." Während die Ausdrücke "kann" bzw. "può" darauf hinweisen, dass der Widerrufsbehörde ein Ermessensspielraum eingeräumt wird, vermittelt der französische Text den Eindruck, als wäre die Niederlassungsbewilligung, wenn sie erschlichen worden ist, in jedem Fall zu widerrufen. Genausowenig aber wie das ![]() | 11 |
Art. 9 Abs. 3 ANAG nennt die Gründe, die zum Erlöschen, Abs. 4 diejenigen, die zum Widerruf der Niederlassungsbewilligung führen. Müsste die Niederlassungsbewilligung in jedem Fall widerrufen werden, wenn sie erschlichen worden ist, käme dieser Widerrufsgrund einem Erlöschensgrund nahe, hätte doch die zuständige Behörde praktisch nur festzustellen, dass die Bewilligung erschlichen worden ist, genauso wie sie für den Erlöschensgrund von Abs. 3 lit. c festzustellen hat, ob der Ausländer sich während sechs Monaten tatsächlich im Ausland aufgehalten hat. Die schliesslich vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung spricht dafür, dass die Behörde beim Widerruf ihr Ermessen ausüben kann. Ebenso spricht dafür der Umstand, dass die Behörde eine Ausweisung nur bei Angemessenheit verfügen soll (Art. 11 Abs. 3 ANAG), und zwar auch bei der Verurteilung wegen eines Verbrechens (Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG), selbst wenn die Strafe mehrere Jahre Zuchthaus beträgt (BGE 105 Ib 165 ff.). Dafür, dass es sich beim Widerruf der Niederlassungsbewilligung anders verhalten sollte, gibt es keine einleuchtenden Gründe. Jedenfalls soll die Behörde den besonderen Gegebenheiten eines Falles Rechnung ![]() | 12 |
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b) Wiewohl täuschende Angaben des Ehemannes grundsätzlich der Beschwerdeführerin zuzurechnen sind (vorne E. 3d), ist bei der Prüfung der Frage, ob der Ermessensrahmen eingehalten sei, mitzuberücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin selber möglicherweise nicht mit Täuschungsabsicht handelte. Zwar wird sie anlässlich der Gesuchseinreichung vom Konkubinatsverhältnis ihres Mannes gewusst haben, nachdem sie schon mehr als zwei Wochen in der Schweiz weilte und ihr Sohn D. schon seit 1981 im Haushalt des Vaters und dessen Freundin gewohnt hatte. Die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich räumt in ihrer Vernehmlassung aber selber ein, dass die Beschwerdeführerin letztlich ebenso getäuscht worden sein dürfte wie die Fremdenpolizei. Jedenfalls spricht ihr Brief vom August 1984 an die kantonale Fremdenpolizei dafür, dass sie sich das Verhalten ihres Ehemannes ihr gegenüber anders vorgestellt hatte, als sie sich bereit erklärte, in die Schweiz zu kommen. Unter diesen Umständen durfte nicht einfach davon ausgegangen werden, die Beschwerdeführerin hätte nicht an die Wiederaufnahme eines gemeinsamen Haushaltes gedacht.
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c) Aus den Akten ergibt sich diesbezüglich folgendes: Der Ehemann der Beschwerdeführerin liess diese vor allem in der Absicht in die Schweiz kommen, auch seiner Tochter C. eine angemessene Ausbildung zu ermöglichen (vgl. Beschluss der I. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 1. November 1985, S. 5). Als seine Frau schliesslich in der Schweiz war, unterstützte er sie in keiner Weise. Er bezahlte bloss die zwei ersten Monatsmieten für ihre Wohnung und liess sie dann im Stich. Ihre Anwesenheit in der Schweiz betrachtete er als angenehme und billige Lösung, solange er sich nicht um sie kümmern musste und sie ihm die Erziehung der Kinder - auch des Sohnes D. - und die Fürsorge für diese abnahm.
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Vom Moment an, als die Beschwerdeführerin den Zwecken ihres Ehemannes nicht mehr dienlich sein konnte, wollte er sie denn auch endgültig loswerden, nachdem er schon damals, als er sie in die Schweiz kommen liess, offenbar gehofft hatte, in der Schweiz ![]() | 16 |
Er unterstützte seine Frau auch dann nicht, als sie schwer erkrankte und während längerer Zeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen konnte. Dass sie unter diesen Umständen übrigens nicht bedeutendere Fürsorgeleistungen beanspruchte, ist bemerkenswert. Hinsichtlich dieser Fürsorgeleistungen ist zu beachten, dass die Beschwerdeführerin selber bloss einen Betrag von Fr. 661.15 erhielt. Den restlichen Betrag von fast Fr. 12'000.-- wendete das Gemeinwesen auf für den Sohn D., und zwar für dessen Heimaufenthalte. Dass diese Fürsorgeleistungen der Beschwerdeführerin zur Last gelegt werden, geht nicht an, nachdem der Vater sich seiner Verantwortung für den Sohn vorübergehend einfach entzogen hat.
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d) Erst nach einer gewissen Zeit muss auch der Beschwerdeführerin aufgegangen sein, dass ihr Mann sie bloss zu seinem eigenen Vorteil in die Schweiz gelotst hatte, ohne je mit ihr zusammenleben zu wollen. Hätte sie alles vorausgesehen, wäre sie kaum freien Willens in die Schweiz gekommen; jedenfalls handelte sie ganz nach den Wünschen ihres Mannes, die ihren Interessen in keiner Weise entsprechen sollten. Sollte ihr die Niederlassungsbewilligung nun entzogen werden, käme dies wiederum ihrem Ehemann gelegen, nachdem sie ihm heute nur noch zur Last fällt und er sie offensichtlich auch von den Kindern fernzuhalten trachtet.
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Es kann zwar nicht Aufgabe der für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung zuständigen Behörde sein, auf einen an sich möglichen Bewilligungswiderruf zu verzichten, um so eine Drittperson für moralisch verwerfliches Verhalten zu treffen. Indessen stellte es eine krasse Verletzung des Gerechtigkeitsgedankens dar, wollte man der Beschwerdeführerin die Niederlassungsbewilligung wegen einer Situation entziehen, in die sie ausschliesslich durch gröbste Verletzung der ehelichen Pflichten ihres Ehemannes geraten ist, während er selber hier weiterhin die Niederlassungsbewilligung hat und auch die gemeinsamen Kinder bei sich behält. Dass die Bedingungen für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung an die Beschwerdeführerin gemäss Art. 17 Abs. 2 ANAG nie erfüllt ![]() | 19 |
e) Im übrigen spricht auch die notwendige und offensichtlich hier besser gewährleistete Behandlung der noch nicht vollständig überstandenen Krankheit der Beschwerdeführerin gegen ihre Entfernung aus der Schweiz. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Beschwerdeführerin mit einer Ausreise in die Türkei die Kontaktmöglichkeiten zu ihren Kindern vollständig abgeschnitten würden, dürfte doch ihr Ehemann nach allem bei seinen Kindern kaum eine positive Einstellung ihrer Mutter gegenüber fördern wollen.
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f) Sollte die Beschwerdeführerin tatsächlich später wiederum die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen müssen, wie die Vorinstanz befürchtet, wofür aber keine Anhaltspunkte bestehen, hätten die Behörden nicht nur ihr, sondern auch ihrem Ehemann gegenüber fremdenpolizeiliche Massnahmen zu erwägen; er hat ihr gegenüber die eheliche Beistandspflicht, die ihm weiterhin obliegen wird, da er in absehbarer Zeit kaum einen Scheidungsanspruch haben dürfte.
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