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78. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. September 1986 i.S. Einwohnergemeinde Grindelwald gegen A. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Enteignung eines baurechtsbelasteten Grundstücks; Bemessung der dem Grundeigentümer zustehenden Entschädigung. |
Entschädigungsbemessung anhand des subjektiven Schadens anstelle einer Verkehrswertermittlung (E. 2). Der Eigentümer einer Baurechtsliegenschaft hat grundsätzlich Anspruch auf den Barwert der für die Restvertragsdauer geschuldeten Baurechtszinse sowie auf den diskontierten Wert des nach Ablauf des Baurechts freiwerdenden Grundstücks. Allerdings muss dem Umstand, dass der Baurechtszins an eine für den Eigentümer ungünstige Anpassungsklausel gebunden ist, angemessen Rechnung getragen werden (E. 3-6). | |
Sachverhalt | |
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Mit Entscheid vom 17. September 1984 setzte das Verwaltungsgericht die Enteignungsentschädigungen für den Eigentümer neu auf Fr. 1'795'455.-- für das abzutretende Land (Ziff. 1a) und auf Fr. 9'949.-- für Inkonvenienzen (Ziff. 1b) fest und erhöhte die an die Genossenschaft Migros Bern auszurichtende Inkonvenienzentschädigung auf Fr. 162'456.--. Im weiteren wurde der Beginn des Zinsenlaufes auf den 15. August 1980, den Zeitpunkt der Einreichung des Enteignungsgesuches, verschoben.
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Bei der Bestimmung der dem Eigentümer zustehenden Entschädigung - die vor Bundesgericht allein noch umstritten ist ![]() | 3 |
Die Einwohnergemeinde Grindelwald hat gegen den Entscheid des Berner Verwaltungsgerichtes Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben und den Antrag gestellt, Ziffer 1a des angefochtenen Urteils und das anteilige Kostendispositiv seien aufzuheben und es sei die Entschädigung für das abzutretende Land höchstens auf Fr. 1'000'000.-- festzusetzen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. a) Gemäss Art. 34 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Entschädigungen als Folge von Eigentumsbeschränkungen im Sinne von Art. 5 dieses Gesetzes. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch gegeben, wenn sich die Frage, welche Entschädigung für die Eigentumsbeschränkung oder für die Übernahme eines Grundstücks geschuldet wird, im Rahmen eines von seiten des Gemeinwesens oder vom Privaten verlangten formellen Enteignungsverfahrens stellt, sofern eine Planungsmassnahme im Sinne des Raumplanungsgesetzes zu diesem Begehren Anlass gab (BGE 110 Ib 257 f., BGE 109 Ib 261, BGE 108 Ib 338 E. 4b und nicht publizierte E. 1). Nun ist hier das Baugrundstück Nr. 3060 der Zone für öffentliche Bauten zugewiesen worden, was zu einer materiellen Enteignung führte, und hat die Gemeinde anschliessend um die Einleitung eines formellen Expropriationsverfahrens ersucht, um die Parzelle übernehmen und die vorgesehenen kommunalen Bauten erstellen zu können. Damit sind entgegen der Meinung des Beschwerdegegners die Voraussetzungen für die Anfechtung ![]() | 5 |
b) Die Sachverhalts-Feststellungen des als Vorinstanz entscheidenden Verwaltungsgerichtes binden das Bundesgericht, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig oder unvollständig sind oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen zustandegekommen sind (Art. 104 lit. b, Art. 105 Abs. 2 OG). Allerdings sind die Fragen, ob eine Entschädigungspflicht bestehe und die Entschädigungshöhe richtig ermittelt worden sei, keine Sachverhalts-Feststellungen, sondern frei überprüfbare, anhand der vom Bundesgericht aufgestellten Kriterien zu beurteilende Rechtsfragen (BGE 109 Ib 115).
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Im weiteren gehen die Äusserungen der Beschwerdeführerin, wonach sie befürchte, der Entschädigungs-Entscheid des Verwaltungsgerichtes werde sich auf zukünftige Enteignungsfälle ungünstig auswirken, an der Sache vorbei. Zwar ist nicht von vornherein unzulässig, zur Verkehrswertermittlung im Rahmen der Vergleichsmethode neben den auf dem freien Markt erzielten ![]() | 8 |
Das bedeutet nun allerdings nicht, dass ein erheblicher Unterschied zwischen der Höhe des nach den üblichen Methoden festgesetzten Verkehrswertes einerseits und dem Betrag des subjektiven Schadens andererseits nicht ein Indiz dafür sein könnte, dass sich bei der Wahl der der Berechnung zugrundeliegenden Annahmen oder von Zinssätzen und Kapitalisierungsfaktoren Fehler eingeschlichen hätten. Liegt ein solcher Unterschied vor, sollten daher die Rechnungen erneut untersucht und der Differenzbetrag, der ja dem "weiteren Nachteil" entsprechen muss, einer kritischen Untersuchung unterzogen werden. Das Auseinanderklaffen der beiden Werte beweist aber entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin allein noch nicht, dass falsch gerechnet worden sei, können doch Inkonvenienzentschädigungen erfahrungsgemäss einen beträchtlichen Anteil der Gesamtvergütung ausmachen.
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Im übrigen kann offengelassen werden, ob die Feststellung des Verwaltungsgerichtes, eine auf längere Zeit baurechtsbelastete Parzelle habe zumindest bei Beginn der Baurechtsdauer keinen ![]() | 10 |
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b) Inwieweit die Prognose des Verwaltungsgerichtes über das Verhalten der Migros-Genossenschaft zur Feststellung des Tatbestandes gehört oder in den Bereich der Rechtsanwendung fällt - eine wie stets bei Abschätzung zukünftiger Entwicklungen heikle Frage (vgl. Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, S. 273) -, braucht nicht näher untersucht zu werden. Jedenfalls hat das Verwaltungsgericht mit seinen Erwägungen keine offensichtlich falschen, unrichtig zustandegekommenen oder unvollständigen Sachverhalts-Feststellungen getroffen (Art. 105 Abs. 2 OG), noch Schlüsse gezogen, durch welche der ihm zustehende Beurteilungsspielraum überschritten und dadurch Recht verletzt worden wäre. Im einzelnen ist festzuhalten, dass im Baurechtsvertrag ![]() | 12 |
4. Nach dem Baurechtsvertrag hat die Bauberechtigte dem Grundeigentümer folgende jährliche Grundrente zu bezahlen: Fr. 50'000.-- bis zum 31. Dezember 1978 (oder insgesamt Fr. 80'000.-- für die Periode vom 21. Mai 1977 bis 31. Dezember 1978), Fr. 90'000.-- für die nächsten fünf Jahre (bis 31. Dezember 1983) und schliesslich Fr. 99'000.-- bis zum Ablauf des Baurechtes. Diese Baurechtszinse stellen Minimalbeträge dar, die bei den - nur alle fünf Jahre möglichen - Anpassungen nicht unterschritten werden können. Das Verwaltungsgericht hat aus ihnen die jährliche Durchschnittsrente berechnet, auf die der Grundeigentümer vom massgebenden Stichtag an (28. Mai 1980) bis zum Ablauf des Baurechtes in 96,5 Jahren (recte: 96 Jahren und 5 Monaten) Anspruch gehabt hätte, und den ermittelten Betrag von Fr. 98'750.-- als jährlich nachschüssig zahlbare Rente zu 5,5%, das heisst unter Anwendung des Faktors 100/5,5 = 18,181818 kapitalisiert (vgl. STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 3. Auflage, S. 92 Ziff. 1b). Es gelangte dadurch zum Entschädigungsbetrag ![]() | 13 |
Zur Berechnungsweise des Verwaltungsgerichtes ist folgendes zu bemerken:
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a) Bei der Enteignung einer Baurechtsliegenschaft hat der Grundeigentümer in der Regel Anspruch auf den Barwert der für die Restvertragsdauer geschuldeten Baurechtszinse sowie auf den diskontierten Wert des ihm nach Ablauf des Baurechts wieder zur Verfügung stehenden Grundstücks, wobei einer allenfalls dem Bauberechtigten für die Bauten zu leistenden Entschädigung angemessen Rechnung zu tragen ist. Nun wird im angefochtenen Entscheid der Grundstückswert nach Untergang des Baurechts nicht erwähnt. Zudem hat das Verwaltungsgericht, obschon der Baurechtsvertrag im massgebenden Zeitpunkt nur noch 96,5 Jahre lief, die Grundrente nicht nach den Regeln über die Zeitrente (vgl. STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O., S. 185 Beispiel 61), sondern als ewige Rente kapitalisiert. Das Gericht ist damit von der Annahme ausgegangen, das Grundstück werde zeitlich unbeschränkt eine jährliche Rendite von Fr. 98'750.-- abwerfen. Mit anderen Worten ist eine Ertragswertberechnung angestellt worden, wobei es wohl logischer gewesen wäre, dieser anstelle der nur auf die Restvertragsdauer bezogene die über die ganze Vertragsdauer berechnete niedrige Durchschnittsrente zugrundezulegen. Ausserdem ist mit der Ermittlung einer Durchschnittsrente der Umstand vernachlässigt worden, dass die Baurechtszinse gemäss Vertrag während der ersten Jahre periodisch ansteigen; darauf hätte durch Berechnung einer aufgeschobenen bzw. einer ansteigenden Zeitrente Rücksicht genommen werden können (vgl. STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O., S. 147 Ziff. 4, S. 188 Beispiel 69). Schliesslich hat das Verwaltungsgericht übersehen, dass die Zinsen aufgrund der Vertragsbestimmungen nicht nachschüssig, sondern (bis 31. Dezember 1978 jährlich, danach zweimonatlich) vorschüssig zu bezahlen sind.
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Allerdings ist einzuräumen, dass eine Korrektur in diesen Punkten im vorliegenden Fall am Ergebnis wenig ändert, da aufgrund der langen Restvertragsdauer der auf den Zeitpunkt des Vertragsablaufs diskontierte Grundstückswert nur gering ist und sich der Barwert der Zeitrente jenem der ewigen Rente nähert. Hinzu kommt, dass sich die Änderungen teils zu Gunsten des Enteigneten, teils zu Gunsten der Enteignerin auswirken und sich gegenseitig aufheben. Wie sich zeigen wird, kann von einer solchen Korrektur auch aus anderen Gründen abgesehen werden.
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Was den angewendeten Zinssatz von 5 3/4% anbelangt, so ist dieser als eher hoch und für den Grundeigentümer vorteilhaft zu betrachten, da die Zinserträge des in Boden angelegten Geldes im Gegensatz zu Kapital, das in Bauten investiert wird, weder durch Unterhalts- und Verwaltungskosten noch durch Amortisationsraten geschmälert werden. Zudem fällt nach Ablauf der Baurechtsdauer das Grundstück in der Regel mit real höherem oder zumindest mit dem gleichen Wert an den Eigentümer zurück, während der Darlehensgeber den Inflationsverlust zu tragen hat. Deshalb können auch Baurechtszinse noch als angemessen gelten, die erheblich niedriger als die Hypothekarzinse sind, was häufig der Fall ist, wenn die öffentliche Hand Baurechte für den sozialen Wohnungsbau verleiht (vgl. VIKTOR MÜLLER, Der Baurechtszins und seine grundpfandrechtliche Sicherung, Diss. Zürich 1968, S. 21 ff., RIEMER, Das Baurecht (Baurechtsdienstbarkeit) des Zivilgesetzbuches und seine Behandlung im Steuerrecht, Diss. Zürich 1968, S. 267, NAEGELI, Handbuch des Liegenschaftenschätzers, 2. Auflage, S. 256; siehe auch ISLER, Der Baurechtsvertrag und seine Ausgestaltung, Diss. Zürich 1973, S. 134). Werden allerdings wie hier Privatgrundstücke für gewinnversprechende Unternehmen zur Verfügung gestellt, wird die Grundrente üblicherweise höher angesetzt oder sogar direkt am Geschäftserfolg des Bauberechtigten bemessen (vgl. ISLER, a.a.O., S. 138, VIKTOR MÜLLER, a.a.O., S. 11 und N. 33). Übrigens haben die Experten des Verwaltungsgerichtes selbst ausgeführt, dass die im vorliegenden Fall vertraglich festgelegte Grundrente im Hinblick auf die voraussichtlichen Umsatzzahlen des in Frage stehenden ![]() | 18 |
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a) Da der Baurechtszins nur alle fünf Jahre und nicht schon bei wesentlicher Veränderung des Lebenskostenindexes oder des Hypothekarzinssatzes angepasst werden kann, hat der Grundeigentümer in Zeiten starker Inflation auch grössere Einbussen während der fünfjährigen Periode selbst zu tragen. Allerdings ist einzuräumen, dass dieser Zeitraum relativ kurz ist.
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b) Angesichts der heutigen starken Schwankungen des Hypothekarzinssatzes erscheint es als unzweckmässig, für die Neufestsetzung der Grundrente auf den Zinssatz abzustellen, der zufällig am Ende einer fünfjährigen Periode gerade gilt: damit wird ein rein aleatorisches Element zur Bezugsgrösse gemacht. Zwar wird die Höhe des Zinssatzes durch die momentane Inflation mitbestimmt, doch findet die bereits eingetretene Geldentwertung keine Berücksichtigung mehr (zum Verhältnis zwischen Zinssatz und Inflation vgl. HELBLING, Unternehmensbewertung und Steuern, 4. Auflage, S. 327 f. mit N. 8).
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c) Weiter wirkt sich nachteilig für den Grundeigentümer aus, dass bei den Anpassungen der Grundrente der Landesindex für Konsumentenpreise nur zur Hälfte berücksichtigt wird und damit die allgemeine Teuerung nur halb ausgeglichen werden kann. Die Bedeutung dieser Beschränkung wird klar, wenn in Betracht gezogen wird, dass der Landesindex in den Jahren 1950 bis 1984 um nicht weniger als 140% angestiegen ist. Die Halbierung des Lebenskostenindexes hat aller Wahrscheinlichkeit nach zur Folge, dass die Grundrente im Lauf der Jahre zunehmend real an Wert einbüsst. Dass die Verbindung des Indexes mit dem Hypothekarzinssatz nicht geeignet ist, diese Entwertung aufzufangen, ergibt sich aus dem bereits Gesagten.
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d) Schliesslich sieht der Vertrag keinerlei Möglichkeit vor, den Baurechtszins unabhängig von der Geldentwertung beim Ansteigen der Grundstückspreise zu erhöhen (für Beispiele von "gleitenden Bodenzinsen" vgl. BGE 52 II 27 ff. und BGE 85 I 277; siehe auch KUTTLER, Die Bodenverteuerung als Rechtsproblem, ZSR 83/1964 II S. 142, SIEBER, Über die Grundrente, ZBGR 46/1965 S. 328). Zwar scheint es nach der Lehre kaum vertretbar zu sein, den Baurechtszins mit dem Verkehrswert unüberbauter Grundstücke (sogenannter absoluter Landwert) zu verknüpfen, da dies zu einer übermässigen Belastung des Bauberechtigten führen würde. Selbst wenn aber die Grundrente nur dem sogenannten relativen Landwert angeglichen werden kann, der auf die Verbindung von Boden und Bauten und auf deren Entwertung Rücksicht nimmt (vgl. NAEGELI, a.a.O., S. 257 f., ISLER, a.a.O., S. 134 mit N. 10), wirkt sich das Fehlen einer solchen Anpassungsklausel offensichtlich zu ![]() | 24 |
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Diesem Umstand hätte das Verwaltungsgericht bei der Bemessung des subjektiven Schadens mit einem Abzug Rechnung tragen müssen. Zwar darf die Enteignungsentschädigung nicht aufgrund ![]() | 26 |
In welchem Umfang die Enteignungsentschädigung zu kürzen sei, ist nicht leicht zu sagen und liegt weitgehend im Ermessen. Der Abzug kann nicht allzu gross sein, da die Vertragspartner mit der Festsetzung des Bodenwertes auf Fr. 1'700.--/m2 offenbar der kommenden Wertsteigerung, die später nicht mehr ausgeglichen werden kann, bereits teilweise Rechnung getragen haben. Wird vom vereinbarten Bodenpreis ausgegangen - was der gewählten subjektiven Methode wohl am besten entspricht -, so erscheint ein Abzug in der Höhe von 10-20%, gemittelt 15%, als angemessen und mit dem Grundsatz der vollen Entschädigung vereinbar. Die vom Verwaltungsgericht für das Grundstück Nr. 3060 zugesprochene Entschädigung von Fr. 1'795'455.-- oder rund Fr. 1'767.--/m2 ist daher auf Fr. 1'468'120.-- oder Fr. 1'445.--/m2 zu reduzieren. Die übrigen Entschädigungsposten, die nicht angefochten wurden, bleiben unverändert.
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