BGE 113 Ib 72 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Januar 1987 i.S. X. AG gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (RVUS). |
2. Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Zwangsmassnahmen; Art. 4 Ziff. 2 und 4 RVUS. Die Qualifikation der Tat, für die um Rechtshilfe ersucht wird, richtet sich ausschliesslich nach dem Recht des ersuchten Staates und muss nicht nach beiden Rechtssystemen unter praktisch identische Normen fallen. Zwangsmassnahmen sind daher auch zulässig, wenn die Verletzung des amerikanischen Insider-Tatbestands nach schweizerischem Recht als eine solche des Anwaltsgeheimnisses (Art. 321 StGB) erscheint (E. 4a und b). |
3. Art. 4 Ziff. 3 RVUS. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei der Frage, ob die Bedeutung der Tat Zwangsmassnahmen rechtfertige (E. 4c). | |
Sachverhalt | |
Am 28. Januar 1986 stellte das Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) beim Bundesamt für Polizeiwesen als der mit der Durchführung des Rechtshilfevertrages zwischen der Schweiz und den USA vom 2. Mai 1973 (RVUS, SR 0.351.933.6) und des im Zusammenhang mit diesem Staatsvertrag erlassenen Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1975 (BG-RVUS, SR 351.93) zuständigen Zentralstelle ein Rechtshilfeersuchen. Auf Rückfragen des Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) hin wurde dieses Ersuchen durch ein solches vom 24. März 1986 ersetzt. Der Grund des Rechtshilfebegehrens liegt in einem Verfahren der Securities and Exchange Commission (SEC). Diese führt ein Ermittlungsverfahren betreffend die schweizerische Finanzgesellschaft X. AG, die sich mit Vermögensverwaltungen und insbesondere mit dem An- und Verkauf amerikanischer Wertpapiere befasst. Die SEC gelangte aufgrund von umfangreichen Erhebungen in den USA zum Schlusse, die X. AG habe für Kunden bei einer grossen Anzahl sogenannter Insider-Geschäfte mitgewirkt. Sie hält dafür, eine grössere Anzahl unbekannter, im Stadtteil Brooklyn von New York ansässiger Personen hätten bei der X. AG jeweils etwa gleichzeitig Wertpapiere gekauft, und zwar Aktien oder Optionen von Firmen, die gerade vertrauliche Gespräche über Fusionen, Übernahmen oder andere Veränderungen in der Firmenkontrolle geführt hätten. Die SEC ist der Auffassung, diese gruppenweise gehäuften Kaufgeschäfte von Wertpapieren könnten nicht auf einem Zufall beruhen. Sie glaubt, die Quelle der Informationen, die zu den Geschäften Anlass gegeben hätten, liege bei einem Anwalt des Büros, das mit der Durchführung der jeweiligen Verhandlungen betraut gewesen sei. Die Weitergabe solcher Informationen sei jedoch nach dem Recht der USA verboten.
| 1 |
Im Rechtshilfebegehren werden die schweizerischen Behörden ersucht, bei der X. AG sämtliche Dokumente über die fraglichen Geschäfte zu erheben und die massgebenden Personen der Firma als Zeugen über alle wesentlichen Umstände hinsichtlich Anbahnung und Durchführung der Transaktionen zu ersuchen; dabei wird die Zulassung von Vertretern der Behörden der USA zu den Vernehmungen gewünscht.
| 2 |
Am 6. August 1986 übermittelte das BAP der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich das Rechtshilfeersuchen sowie die beiden erwähnten Ergänzungen nebst Übersetzungen ins Deutsche. Im Begleitschreiben brachte das BAP die Auffassung zum Ausdruck, das Ersuchen entspreche den Formerfordernissen gemäss Rechtshilfevertrag und es erscheine auch nicht aus anderen Gründen als offensichtlich unzulässig, weshalb die gewünschten Rechtshilfehandlungen zu vollziehen seien. Daraufhin erhob die X. AG mit Eingabe vom 20. August 1986 Einsprache mit dem Hauptantrag, es sei dem Rechtshilfeersuchen nicht zu entsprechen, und mit verschiedenen Eventualanträgen.
| 3 |
Mit Zwischenverfügung vom 22. August 1986 entzog das BAP in der Folge der Einsprache der X. AG teilweise die aufschiebende Wirkung.
| 4 |
Eine dagegen gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.
| 5 |
Aus den Erwägungen: | |
3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, es gehe nicht an, dass durch die angefochtene Zwischenverfügung Zwangsmassnahmen angeordnet worden seien, bevor über die Zulässigkeit der Rechtshilfe dem Grundsatz nach entschieden worden sei. Die Unrichtigkeit dieser Auffassung ergibt sich indessen bereits aus dem Gesetzestext. Die Zulässigkeit der Rechtshilfe ist auf Einsprache (Art. 16 BG-RVUS) hin vom BAP und allenfalls auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Art. 17 BG-RVUS) hin vom Bundesgericht zu prüfen (BGE 110 Ib 90 E. 2a). Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS sieht aber ausdrücklich vor, dass einer Einsprache die aufschiebende Wirkung bei Gefahr im Verzuge oder im Falle, dass der vom Einsprecher geltend gemachte Nachteil erst infolge der Übermittlung der Vollzugsakten an die amerikanischen Behörden eintreten kann, abgeht. Mit der angefochtenen Zwischenverfügung stellte das BAP lediglich fest, dass der genannte Ausnahmefall hier vorliege. Über die Zulässigkeit der Rechtshilfe im Grundsatz hatte es sich in diesem Verfahrensstadium noch nicht auszusprechen. Aus diesem Grund geht auch die Rüge der Beschwerdeführerin, das BAP sei nicht auf alle ihre Einwendungen in der Einsprache vom 20. August 1986 eingegangen, zum vornherein fehl.
| 6 |
Wenn auch das BAP nach dem Gesagten beim Erlass seiner Zwischenverfügung nicht zu einer umfassenden Prüfung der Frage, ob die Rechtshilfe grundsätzlich zulässig sei, gehalten war, hat es sie doch zu Recht nicht völlig ausser acht gelassen. Es hat sich dazu zumindest summarisch im Sinne einer Vorbemerkung geäussert. Es rechtfertigt sich daher, auch die gegen die entsprechenden Erwägungen vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin zu behandeln.
| 7 |
8 | |
a) Das Bundesgericht hat sich in seinem Urteil BGE 109 Ib 47 ff. einlässlich mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen Rechtshilfe wegen des in den USA verbotenen, in der Schweiz jedoch als solchem nicht strafbaren Tatbestandes des Effektenhandels durch Insider zu leisten sei. Es gelangte zum Schluss, die gemäss Art. 4 Ziff. 4 RVUS Voraussetzung der Anwendung von Zwangsmassnahmen bildende Strafbarkeit in der Schweiz lasse sich aus Art. 162 StGB (Verletzung des Geschäftsgeheimnisses) ableiten. Nach jenen Ausführungen, auf die verwiesen werden kann, ist die Strafbarkeit nach schweizerischem Recht dann nicht gegeben, wenn der Insider sein besonderes Wissen nur zu seinem persönlichen Vorteil einsetzt. Hingegen lässt sich sein Verhalten unter Art. 162 Abs. 1 StGB subsumieren, wenn er die Information, die geheimzuhalten er verpflichtet wäre, an einen Dritten weitergibt, und dieser Dritte seinerseits fällt unter die Strafnorm von Art. 162 Abs. 2 StGB, wenn er die ihm unter Bruch einer Geheimhaltungspflicht zugekommene Information zu seinem Vorteil verwendet. Diese Rechtsprechung wurde seither in mehreren nicht veröffentlichten Entscheiden bestätigt (Urteile vom 16. Mai 1984 in Sachen S. sowie vom 3. Oktober 1985 in Sachen Ch. und R.).
| 9 |
b) In ihrer Ergänzungseingabe vom 7. November 1986 will die Beschwerdeführerin einen entscheidenden Unterschied zwischen den vorstehend zitierten Urteilen und dem hier zu entscheidenden Fall darin erblicken, dass hier nicht die Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses, sondern diejenige eines Anwaltsgeheimnisses am Anfang der Kausalreihe stehe. Es sei nicht völlig abgeklärt, ob eine solche Verletzung im Staate New York strafbar sei; jedenfalls liege nach schweizerischem Recht der Tatbestand des Art. 162 StGB nicht vor.
| 10 |
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die Qualifikation der Tat, für die um Rechtshilfe ersucht wird, richtet sich gemäss Art. 4 Ziff. 4 RVUS ausschliesslich nach dem Recht des ersuchten Staates (vgl. dazu auch BGE 110 Ib 84 E. 4a; 109 Ib 53 E. 4b; 105 Ib 426 E. 5). Es kann keine Rede davon sein, dass die Tat nach beiden Rechtssystemen unter praktisch identische Normen fallen müsste. Nach dem Recht der USA bedeutet die Verletzung eines anvertrauten Geheimnisses zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil Dritter eine Verletzung des Insider-Tatbestandes, gleichgültig, ob sie durch einen Anwalt oder durch eine Drittperson begangen werde (vgl. auch die bereits erwähnten Urteile vom 3. Oktober 1985 in Sachen Ch. und R., denen eine Geheimnisverletzung durch den Bürochef einer Anwaltskanzlei zugrunde lag); nach schweizerischem Recht wäre das nämliche Verhalten entweder als Verletzung des Anwaltsgeheimnisses nach Art. 321 StGB oder aber - jedenfalls wenn der Anwalt ausserhalb seiner engeren beruflichen Sphäre im Geschäftsleben tätig geworden ist - als Verletzung des Geschäftsgeheimnisses nach Art. 162 Abs. 1 StGB strafbar. Wenn auch der Beschwerdeführerin darin beizupflichten ist, dass die Ausnützung einer Verletzung des Anwaltsgeheimnisses in der Schweiz nicht strafbar ist, so bleibt somit im vorliegenden Falle immer noch die dem Anwalt selbst in den Vereinigten Staaten zur Last gelegte gesetzwidrige Handlung. Die Notwendigkeit, durch Rückwärtsverfolgung des Weges der Informationen von der Beschwerdeführerin in die Vereinigten Staaten den Sachverhalt näher zu klären, rechtfertigt für sich allein schon die Rechtshilfe und die Anwendung von Zwangsmassnahmen. Bei dieser Sachlage kann offengelassen werden, ob ein Verstoss gegen Art. 162 Abs. 1 StGB nicht auch im Verhalten eines Rechtsanwalts im Zusammenhang mit seiner berufsspezifischen Tätigkeit liegen kann, so dass auch insoweit die Ausnützung eines Verrats durch Dritte strafbar wäre (Art. 162 Abs. 2 StGB).
| 11 |
c) Da die Verwertung von Insiderwissen keinen in der zum RVUS gehörenden Liste aufgeführten Tatbestand darstellt, stellt sich gemäss Art. 4 Ziff. 3 die Frage, ob die Bedeutung der Tat Zwangsmassnahmen rechtfertige. Das Bundesgericht erkennt dem BAP als Zentralstelle in diesem Bereich einen erheblichen Ermessensspielraum zu (BGE 110 Ib 88 mit Hinweisen). Im vorliegenden Falle kann im Hinblick auf den im Rechtshilfeersuchen und den Ergänzungen dazu geschilderten aussergewöhnlichen Umfang des einer Anzahl von Kunden der Beschwerdeführerin zur Last gelegten unerlaubten Insider-Handels mit Wertpapieren kein vernünftiger Zweifel daran herrschen, dass das BAP sein Ermessen weder missbraucht noch überschritten hat, wenn es zum Schlusse gelangte, die Bedeutung der Tat rechtfertige es, beim Vollzug der Rechtshilfe Zwangsmassnahmen einzusetzen.
| 12 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |