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64. Auszug aus dem Beschluss der I. Zivilabteilung vom 8. Dezember 1987 i.S. X. gegen Kanton Zürich (Direktprozess) | |
Regeste |
Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit. Haftungsgesetz des Kantons Zürich vom 14. September 1969 (HG). |
Widerrechtlichkeit. Bejahung der Widerrechtlichkeit unabhängig von einem Verstoss gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, wenn die körperliche Integrität verletzt worden ist. Unterschied zu den Fällen, bei denen nur der Heilerfolg der ärztlichen Behandlung ausgeblieben ist (E. 2). |
Kausalzusammenhang. Anforderungen an den Beweis des natürlichen Kausalzusammenhangs (E. 3). |
Einwilligung des Patienten als Rechtfertigungsgrund (§ 7 HG). Beweislast. Umschreibung der Risiken, die von der Einwilligung erfasst werden können (E. 4). Operationsrisiko und ärztliche Aufklärungspflicht im konkreten Fall (E. 5 und 6). Rechtfertigungsbeweis (E. 7). | |
Sachverhalt | |
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Am 9. Dezember 1983 klagte X. gegen den Kanton Zürich auf Bezahlung von Fr. 3'075'145.10 zuzüglich 5% Verzugszins ab 18. November 1982 auf Fr. 2'990'775.-- und ab 1. Mai 1983 auf Fr. 84'370.10. Das Verfahren wurde zunächst auf die Frage beschränkt, welches Recht anwendbar sei und inwiefern danach der Beklagte oder nur Professor Y. haftbar gemacht werden könne. In einem Zwischenentscheid vom 26. März 1985 erkannte das Bundesgericht, dass der Beklagte für den Vorfall nach dem kantonalen Haftungsgesetz einzustehen habe (BGE 111 II 149).
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In der Folge wurde Professor Dr. A., Chefarzt der Abteilung für Gastroenterologie am Inselspital Bern, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Er erstattete am 27. Dezember 1985 sein Gutachten. Der Beklagte beantragte am 12. März 1986 eine neue Begutachtung, eventuell eine Ergänzung und Erläuterung des Gutachtens. In der Vorbereitungs- und Beweisverhandlung vom 29. Mai 1986 wurden drei Ärzte und zwei Krankenschwestern als Zeugen einvernommen. Am 4. November 1986 ergänzte der Gerichtsexperte sein Gutachten. Er behielt die Befragung von Professor ![]() | 3 |
Das weitere Verfahren wurde im Einvernehmen mit den Parteien auf die Frage beschränkt, ob dem Kläger beim streitigen Eingriff widerrechtlich Schaden zugefügt worden sei und der Beklagte demzufolge grundsätzlich für den geltend gemachten Schaden hafte sowie ob die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Genugtuung gegeben seien.
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An der heutigen Hauptverhandlung hält der Kläger an den am 9. Dezember 1983 gestellten Rechtsbegehren fest. Für den Fall, dass das Bundesgericht den Nachweis der mechanischen Verletzung nicht als erbracht erachte und annehme, es sei auch eine elektrische Verletzung möglich, und es die Haftung des Beklagten deshalb verneine, beantragt er, über diese These noch Beweis abzunehmen. Der Beklagte bestätigt den Antrag auf Abweisung der Klage.
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Das Bundesgericht bejaht grundsätzlich die Schadenersatzpflicht des Beklagten und verneint einen Anspruch auf Genugtuung.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Schadenersatzpflicht setzt demnach im Unterschied zum Anspruch auf Genugtuung kein Verschulden des Beamten voraus. Sie beruht auf einer Kausalhaftung und unterscheidet sich dadurch auch von der Haftung des Arztes aus Vertrag oder aus ![]() | 8 |
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Wird ein Patient bei einem Eingriff über diesen hinaus in der körperlichen Integrität verletzt, so ist demnach die Widerrechtlichkeit von vornherein gegeben. Das unterscheidet solche Fälle namentlich von jenen, bei denen bloss der Heilerfolg der ärztlichen Behandlung ausbleibt. Gemäss dem Operationsbefund vom 18. November 1982 wies die Bauchspeicheldrüse des Klägers nach ![]() | 10 |
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Es ist nicht bestritten, dass der Kläger als Folge des Eingriffs vom 18. November 1982 und der anschliessend notwendigen Nachoperationen heute noch gesundheitlich erheblich geschädigt ist. Der Gerichtsexperte bestätigt, dass namentlich die Entfernung eines grossen Teils der Bauchspeicheldrüse, zudem von Teilen des Magens, Durchfall, Diabetes, Magenbluten und Hepatitis verursachen können, und hält fest, die Lebensqualität des Klägers sei erheblich beeinträchtigt sowie das Geschehen habe zu einer weitgehenden Invalidität des Klägers geführt. Sodann hat der Kläger dargetan, dass bei der Endoskopie das Pankreas beschädigt worden ist und der Eingriff keinen normalen Verlauf genommen hat. Das genügt für die Annahme eines natürlichen wie auch adäquaten Kausalzusammenhangs. Dem Beklagten steht der Nachweis offen, dass dieser Zusammenhang allenfalls unterbrochen worden ist.
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4. Die Verletzung eines Menschen in seiner körperlichen Integrität ist nur dann widerrechtlich, wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt (BGE 101 II 197). Bei ärztlicher Behandlung steht die Rechtfertigung durch die Einwilligung des Patienten oder durch einen Notstand bzw. durch die mutmassliche Einwilligung des Patienten im Vordergrund. Das Haftungsgesetz schliesst diesen Rechtfertigungsgrund nicht aus. Es sieht vielmehr ausdrücklich ![]() | 13 |
Die Beweislast für den Rechtfertigungsgrund trifft den Beklagten. Dieser hat somit die Einwilligung des Patienten zu beweisen sowie nachzuweisen, dass die Schädigung auf berufsinhärente Risiken zurückzuführen und auch bei sorgfältigem Vorgehen nicht zu vermeiden war. Dabei kann sich die Einwilligung nur auf Risiken beziehen, die bei ordnungsgemässer Durchführung des Eingriffs bestehen, nicht auf solche, die auf einen Behandlungsfehler zurück zuführen sind. Ausserdem kann sich der Arzt auf die Einwilligung nur berufen, wenn er seiner Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten nachgekommen ist, insbesondere über die Risiken einer Operation aufgeklärt hat (BGE 108 II 62 E. 3; vgl. auch BGE BGE 113 II 434 Nr. 76). Diesfalls schliesst die Einwilligung die Risiken ein, die selbst bei sorgfältigem Vorgehen bestehen. Wieweit im übrigen die konkrete Behandlungssituation, namentlich die konkreten Schwierigkeiten einer Operation, welche überwiegend zu den subjektiven Elementen ärztlicher Sorgfalt gerechnet werden (GROSS, Haftung für medizinische Behandlung, S. 161 f.; WIEGAND, Der Arztvertrag, insbesondere die Haftung des Arztes, in: Arzt und Recht, Berner Tage für die juristische Praxis 1984, S. 105 f. u. S. 112; KUHN, Ärztliche Kunstfehler, SJZ 83/1987, S. 358; KUHN, Die Entwicklung in der Haftpflicht des Arztes, ZSR 105/1986 II, S. 484 ff.), von der Einwilligung erfasst werden kann, braucht für die zu beurteilende Streitsache nicht untersucht zu werden.
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Der Gerichtsexperte erklärt die therapeutische Endoskopie zur Entfernung des Polypen eindeutig für gerechtfertigt, weil dadurch eine histologische Untersuchung ermöglicht worden sei. Aufgrund des erheblich grösseren statistischen Materials bei Polypen in anderen Darmbereichen und im Magen nennt er ein Blutungsrisiko von 2,7% und ein Perforationsrisiko von 0,3%, eventuell etwas höher. Statistiken mit einer Komplikationsrate von 15% für Duodenalpolypen seien erst nach 1982 bekanntgeworden. Der Experte kommt zum Schluss, der Eingriff sei aus damaliger Sicht mit einem tragbaren Risiko verbunden, aber nicht ohne Risiko gewesen und habe ![]() | 16 |
Das Gutachten überzeugt. Der Vorwurf einer ungenügenden Indikation erweist sich deshalb als unbegründet.
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Die Aufklärungspflicht umfasst die Risiken eines Eingriffs, damit der Patient seine Zustimmung in Kenntnis der Sachlage geben kann (BGE 108 II 61 E. 2). Es ist nicht abschliessend abgeklärt worden, was dem Kläger hinsichtlich der Komplikationsrisiken mitgeteilt wurde. Offenbar sind ihm eher beruhigende Erklärungen abgegeben worden, wie den Aussagen des Zeugen Z. und den Darlegungen des Klägers zu entnehmen ist. Angesichts des damals gering eingeschätzten Risikos durfte auf einen besonderen Hinweis verzichtet werden. Gerade bei einem ängstlichen Patienten wie dem Kläger war Zurückhaltung am Platz. Es erübrigt sich deshalb zu prüfen, ob der Kläger auch bei entsprechender Aufklärung den Eingriff erlaubt hätte (BGE 108 II 63 f.).
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(Dem Beklagten gelingt der Rechtfertigungsbeweis nicht, weshalb die Schadenersatzpflicht bejaht wird.)
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