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9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. Januar 1988 i.S. X. und Mitbeteiligte gegen den zuständigen Gerichtspräsidenten des Kantons Y. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Abgabe- bzw. Steuerbetrug, Art. 3 Abs. 3 IRSG. | |
Sachverhalt | |
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Mit Eingabe vom 16. Juni 1986 und Ergänzung hiezu vom 27. August 1986 reichte der leitende Oberstaatsanwalt in Koblenz beim Bundesamt für Polizeiwesen ein neues Rechtshilfegesuch ein. Das Bundesamt überwies dieses Gesuch nach erfolgter Vorprüfung gemäss Art. 78 Abs. 1 IRSG an das zuständige Verhöramt zum Entscheid darüber, ob Rechtshilfe zu gewähren sei oder nicht. Mit Verfügung vom 13. November 1986 entsprach das Verhöramt dem Rechtshilfegesuch.
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Die Firma X., V. und W. erhoben gegen diese Verfügung Rekurs beim zuständigen kantonalen Gerichtspräsidenten und beantragten, das Verhöramt sei anzuweisen, ihnen Akteneinsicht zu gewähren und Gelegenheit zu geben, die Rekursbegründung hernach zu ergänzen. Zudem verlangten sie, es seien die Rechtshilfegesuche abzuweisen, und es sei die entsprechende Rechtshilfeverfügung des Verhöramtes vom 13. November 1986 aufzuheben; ferner seien sämtliche Akten vollständig und unbeschwert der Firma X. zurückzugeben.
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Der Gerichtspräsident gewährte den Rekurrenten eine beschränkte Akteneinsicht. Er stellte ihnen hiezu Fotokopien des Rechtshilfegesuches vom 16. Juni 1986 und der Ergänzung vom ![]() | 4 |
Mit Entscheid vom 29. Juni 1987 wies der Gerichtspräsident den Rekurs ab. Er bezeichnete die Verfügung des Verhöramtes vom 13. November 1986, mit welcher dem Rechtshilfegesuch entsprochen wurde, als rechtmässig. Zudem gestattete er dem Verhöramt, die gemäss Rechtshilfeverfügung vom 13. November 1986 beschlagnahmten und versiegelten Akten zu durchsuchen sowie der Oberstaatsanwaltschaft in Koblenz die verlangten Akten herauszugeben.
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Gegen diesen Entscheid vom 29. Juni 1987 führen die Firma X., V. und W. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag, die Rechtshilfegesuche seien abzuweisen; die Rechtshilfeverfügung des Verhöramtes vom 13. November 1986 sei aufzuheben, und alle beschlagnahmten Akten seien der Firma X. zurückzugeben.
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Bundesgericht habe im Urteil vom 27. November 1985 klargestellt, dass Rechtshilfe nur dann gewährt werden könne, wenn Abgabebetrug vorliege. Von Abgabebetrug könne nur gesprochen werden, wenn die behauptete Differenz zwischen dem von der Firma X. angegebenen Fakturabetrag und dem Handelswert ![]() | 8 |
b) In den Erwägungen seines Urteils vom 27. November 1985 äusserte sich das Bundesgericht eingehend zu den Voraussetzungen für das Vorliegen eines Abgabebetruges, der hier in Form des Steuerbetruges zur Diskussion steht. So wäre es nach den damaligen bundesgerichtlichen Ausführungen erforderlich gewesen, dass der C. GmbH von der Firma X. vereinbarungsgemäss für Fabrikate einer Drittfirma wesentlich überhöhte Rechnungen gestellt worden wären, und die Differenz zwischen dem Fakturabetrag und dem wahren Handelswert hätte in der Folge in der einen oder anderen Form an die C. GmbH zurückgeflossen sein müssen. Hätte es sich derart verhalten, so läge eine künstliche Verminderung des Geschäftsgewinnes der C. GmbH zum Nachteil des deutschen Fiskus vor, die unter Verwendung inhaltlich falscher Rechnungen herbeigeführt worden wäre und somit arglistig erschiene. Diesfalls wären die Voraussetzungen eines Steuerbetruges erfüllt. Im übrigen kann hier auf die Ausführungen im bundesgerichtlichen Urteil vom 27. November 1987 verwiesen werden (BGE 111 Ib 248 ff. E. 5); die damals für das Vorhandensein eines Abgabe- bzw. Steuerbetruges genannten Voraussetzungen gelten auch im vorliegenden Fall. Von der ersuchenden Behörde ist nicht ein strikter Beweis dieses Tatbestandes zu verlangen, doch muss sie hinreichende Verdachtsmomente für dessen Vorliegen darlegen, damit ihrem Gesuch entsprochen werden kann (BGE 111 Ib 250 f. E. 5c). Mit diesem Erfordernis wird von der Regel abgewichen, wonach die schweizerische Behörde sich beim Entscheid über ein Rechtshilfebegehren nicht über das Bestehen der angeführten Tatsachen auszusprechen hat, sondern an die Darstellung des Sachverhaltes im Begehren des ersuchenden Staates gebunden ist, soweit diese nicht offensichtliche Fehler, Lücken oder Widersprüche enthält (BGE 110 Ib 180 E. 4d mit Hinweisen). Für eine solche ![]() | 9 |
c) Die Beschwerdeführer machten bereits im vorinstanzlichen Verfahren geltend, dass zwischen der C. GmbH und der spanischen Firma E. bis 1978 überhaupt keine direkten geschäftlichen Beziehungen bestanden hätten. In ihrer Beschwerdeschrift im nunmehrigen bundesgerichtlichen Verfahren wiederholen sie diesen Standpunkt, und sie führen dort weiter aus, solche Beziehungen habe es nur mit der spanischen Firma F. gegeben. Die C. GmbH habe an diese Firma Rohteile zur Verarbeitung geschickt, und die Firma F. habe diese Teile nach Veredelung und unter Beifügung eigener Teile an die Firma X. bzw. die C. GmbH geliefert. In einem späteren Zeitpunkt habe die C. GmbH bemerkt, dass die Firma F. die Produkte nicht selbst hergestellt habe, sondern von der Firma E. habe anfertigen lassen. An einer Fachmesse im Jahre 1967 in Paris sei festgestellt worden, dass ein damaliger Geschäftsführer der Firma F. Nachbauten einer Kippvorrichtung der C. GmbH ausgestellt habe. Um bei ihm einen Verzicht auf Produktion und Vertrieb jeglicher Nachbauten von Kippvorrichtungen zu erreichen, sei zwischen der Firma F. und der C. GmbH eine Vereinbarung getroffen worden. Gestützt darauf habe der Geschäftsführer der Firma F. auf Nachbauten verzichtet. Die C. GmbH habe sich dafür verpflichtet, Aufträge für die Teillieferung von Kippvorrichtungen sicherzustellen. Auf Wunsch des genannten Geschäftsführers sei aber keine Direktlieferung erfolgt. Die Geschäfte seien vielmehr über die schweizerische Gesellschaft X. abgewickelt worden. Dadurch habe der Geschäftsführer der Firma F. erreicht, dass die Zahlungen in schweizerischer Währung erfolgt seien, was angesichts des Zerfalls der Peseta für die spanischen Produzenten von grosser Bedeutung gewesen sei. Der genannte Geschäftsführer habe die bestellten Teile allerdings nicht durch die Firma F. fertigen lassen, sondern als Subunternehmer die Firma E. beigezogen. Für die Fertigung dieser Produkte hätten natürlich zwischen den Vertretern der Firma E. und der C. GmbH Kontakte stattgefunden.
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In diesem Zusammenhang wurde im angefochtenen Entscheid ausgeführt, aus dem Rechtshilfegesuch vom 16. Juni 1986 und der Ergänzung hiezu vom 27. August 1986 sowie aus den diesen beiden Eingaben beigelegten Unterlagen ergebe sich, dass die C. GmbH selber schon seit ungefähr Mitte 1969 der Firma E. direkt Maschinenteile-Lieferaufträge erteilt und mit ihr ohne jegliche Beteiligung der Firma X. auch die Preise ausgehandelt habe. Die Verhandlungen habe der von der Staatsanwaltschaft in Koblenz als Zeuge befragte Produktionsleiter der C. GmbH geführt. Entsprechend diesen Verhandlungen sei zum Beispiel der Liefervertrag 70/1395 (also aus dem Jahre 1970) abgeschlossen worden, in welchem die zu fertigenden Teile, die Menge und der jeweilige Einzelpreis je Stück verbindlich festgelegt seien (Anlage 1 zum Rechtshilfegesuch). Aus den Anlagen 1 bis 4 der Ergänzung zum Rechtshilfegesuch ergebe sich, dass dieser Vertrag zwischen der Firma E. und der C. GmbH abgeschlossen und in der Folge auch verwirklicht worden sei. Solche Lieferaufträge habe die C. GmbH mit der Firma E. offenbar auch in der Nachfolgezeit vereinbart. Dies belege ein von der Staatsanwaltschaft in Koblenz sichergestellter Lieferplan sowie ein Brief der C. GmbH an die Firma E. vom 9. Januar 1978 (Anlage 5 der Ergänzung zum Rechtshilfegesuch), die sich auf einen Auftrag mit der Nr. 76/4200 (also aus dem Jahre 1976) bezögen. Im genannten Brief werde darauf hingewiesen, dass dieser Auftrag in der ersten Jahreshälfte 1978 zur Auslieferung kommen solle. Im weiteren werde darin bereits ein Termin für die Vorbereitungen für den "Anschlussauftrag" vorgeschlagen und angekündigt, dass der genannte Produktionsleiter zu diesem Zwecke die Firma E. in Spanien besuchen werde. Aus diesen Unterlagen ergäben sich beachtliche Beweisanzeichen dafür, dass weiterhin Lieferaufträge direkt mit der Firma E. vereinbart worden seien, auch wenn für diese Zeitspanne entsprechende schriftliche Lieferverträge von der Staatsanwaltschaft in Koblenz bisher nicht hätten sichergestellt werden können.
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Der zuständige kantonale Gerichtspräsident entnimmt den dem Rechtshilfegesuch vom 16. Juni und der Ergänzung vom 27. August 1986 beigefügten Unterlagen fast nur Hinweise, die für die im Rechtshilfegesuch vertretene Version des beschriebenen ![]() ![]() ![]() | 13 |
Der Direktor der Firma F. hat zwar als Zeuge bestätigt, dass nicht seine Firma die Mitarbeit der Firma X. verlangt habe, sondern dass diese von Frau A. eingeschaltet worden sei. Der Wert dieses Zeugnisses ist allerdings nicht allzu hoch einzustufen; der Direktor der Firma F. war offenbar ein ernstzunehmender geschäftlicher Widersacher der C. GmbH, wäre er doch sonst nicht neben Frau A. an der Gründung der Firma C. Espagnola mitbeteiligt gewesen. Diese wurde - wie der Direktor der Firma F. selbst festgestellt hat - wegen Nichterfüllung der ausgemachten Verträge im Jahre 1973 aufgelöst. Eingeschaltet wurde die Firma X. offenbar, weil die Firma F. ihren Zahlungsverpflichtungen der von ihr beigezogenen Firma E. gegenüber nicht mehr nachkam. Dass die C. GmbH unter diesen Umständen die Firma X. zur Wahrung ihrer Interessen bei der Geschäftsabwicklung mit den Firmen E. und F. beizog, ist verständlich, und dass dieser Beizug der Firma F. gegenüber mit Vorteilen währungspolitischer Art erklärt wurde, ist naheliegend. Ob die Aussage des Direktors des Firma F., die Firma X. habe sich über die C. GmbH selbst eingeschaltet, zutreffend ist, oder ob es sich so verhielt, dass dieses Vorgehen zwar von der C. GmbH vorgeschlagen, aber schliesslich doch von der Firma F. allenfalls auch gewünscht wurde, kann letztlich offenbleiben. Entscheidend ist einzig, dass auf Grund der vorhandenen Unterlagen nicht gesagt werden kann, die Firma X. habe bei der ganzen Geschäftsabwicklung nur eine reine Strohmann-Funktion wahrgenommen und eine Verpflichtung zur Vornahme von Abwehrzahlungen ![]() | 14 |
Die Vorinstanz erwähnt im weiteren einen vom 2. Juli 1968 datierten Vertrag zwischen der Firma F. und der X. Holding AG, Zürich, in welchem die letztgenannte Firma einerseits die Rechte der C. GmbH wahrgenommen habe und anderseits durch Frau A. vertreten worden sei (diese habe die betreffende Vereinbarung denn auch eigenhändig unterzeichnet). Aus der für die X. Holding AG und die C. GmbH günstigen Abfassung dieses Vertrages schliesst sie, es hätte kein Anlass für Abwehrzahlungen der C. GmbH der Firma F. gegenüber bestanden. Dieser Schluss darf indes angesichts der sehr komplizierten und undurchsichtigen Geschäftsbeziehungen zwischen der C. GmbH und den Firmen E., F. und X. nicht gezogen werden, bestehen doch zu wenig konkrete Anhaltspunkte für eine solche Interpretation dieses Vertrages.
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Dass der Produktionsleiter der C. GmbH bei den Preisverhandlungen zwischen den Firmen E. und F. anwesend war und zugleich die Auftragsbestätigungen an die Firma X. ausstellte, auf welchen höhere Preise figurierten, als zwischen E. und F. ausgehandelt worden waren, dürfte seinen Grund in den von den Beschwerdeführern erwähnten Abwehrzahlungen gehabt haben. Jedenfalls erscheint dies nicht als ausgeschlossen.
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Schliesslich legt die Vorinstanz dar, die C. GmbH bzw. die Beschuldigten A. und D. seien offenbar mit der Firma X. wirtschaftlich verbunden. Eine solche Verbindung dürfte zwar durchaus vorliegen. Das berechtigt aber noch nicht zur Annahme, dass von der Firma X. Geld an die C. GmbH oder an die genannten Beschuldigten zurückgeflossen sei. Die Folgerung des Gerichtspräsidenten, aus den tatsächlichen Feststellungen sowie den personellen und wirtschaftlichen Verflechtungen ergäben sich genügend hinreichende Beweisanzeichen dafür, dass die durch Überfakturierungen verlagerten Gewinne und Vermögenswerte der C. GmbH letztlich über eine Bank in der Schweiz den von der Staatsanwaltschaft in Koblenz Beschuldigten A. und D. zugeflossen seien, kann nicht geteilt werden. Es gibt vielmehr - wie die Beschwerdeführer zu Recht darlegen - keinerlei konkrete Anhaltspunkte für einen solchen Kapitalrückfluss. Der Umstand allein, dass die Beschuldigten geschäftlich mit der Firma X. verbunden sind, lässt eine solche Annahme jedenfalls nicht zu. Auch dass die von der Firma X. der C. GmbH zugestellten Rechnungen blosse Pro-forma-Rechnungen ![]() | 17 |
d) Zusammenfassend ergibt sich somit, dass auch das neue Rechtshilfe-Ersuchen vom 16. Juni 1986 und dessen Ergänzung vom 27. August 1986 mit Einschluss der dazugehörigen Unterlagen keine hinreichenden Verdachtsmomente für das Vorliegen eines Steuerbetruges enthalten. Die gestützt auf eine blosse Vermutung aufgestellte Behauptung der deutschen Behörden allein, es liege Abgabe- bzw. Steuerbetrug vor, genügt - wie ausgeführt - für die Gewährung der Rechtshilfe nach Art. 3 Abs. 3 IRSG nicht. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher gutzuheissen, und dem genannten Rechtshilfegesuch ist keine Folge zu geben. Unter diesen Umständen ist das von den Beschwerdeführern gestellte Gesuch, es sei ihnen gemäss Art. 79 Abs. 3 IRSG in sämtliche dem Ersuchen zugrunde liegenden Unterlagen Einsicht zu gewähren, gegenstandslos, wie auch die Frage, ob der behauptete Steuerbetrug bereits verjährt sei, nicht weiter erörtert zu werden braucht. Über die Rechtshilfegesuche vom 21. November und 19. Dezember 1983 wurde mit Urteil des Bundesgerichts vom 27. November 1985 bereits entschieden. Sie sind daher - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu behandeln.
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