BGE 116 Ib 119 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6. Juni 1990 i.S. WWF Schweiz gegen X. und Staatsrat des Kantons Freiburg (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 12 NHG und Art. 55 USG, Art. 24 RPG; Beschwerderecht der gesamtschweizerischen Umweltschutzorganisationen, Publikation von Ausnahmebewilligungen. |
2. Zulässigkeit der Rüge, eine Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 24 RPG verstosse gegen die gemäss Art. 24sexies BV und NHG notwendige Rücksichtnahme auf Natur und Heimat. Das kantonale Recht hat den Beschwerdeberechtigten die gleichen Parteirechte zu gewähren wie das Bundesrecht. Soweit Veranlassung besteht, haben sich die gesamtschweizerischen ideellen Vereinigungen jedenfalls am letztinstanzlichen kantonalen Verfahren als Partei zu beteiligen, um zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht berechtigt zu sein (E. 2b, c). |
3. Pflicht zur Publikation von Ausnahmebewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG (E. 2c, d). |
4. Besonderheiten der Verfahrensordnung im Kanton Freiburg betreffend Ausnahmebewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG (E. 3). | |
Sachverhalt | |
Im Amtsblatt des Kantons Freiburg vom 31. März 1989 wurde ein Baugesuch von X. für eine Geflügelmasthalle "Optigal" in der Haala 53, Gemeinde Bösingen, veröffentlicht. Der Ausschreibung konnte nicht entnommen werden, dass die Baute auf einem ausserhalb der Bauzone gelegenen Grundstück vorgesehen ist. Gegen das Bauvorhaben erhoben verschiedene Nachbarn Einsprache (Art. 172 des Raumplanungs- und Baugesetzes des Kantons Freiburg vom 9. Mai 1983 (RPBG)). Die Einsprachen wurden nach einer Einigungsverhandlung aufrechterhalten. Die Gemeinde Bösingen begutachtete das Verfahren negativ und übergab die Akten dem Bau- und Raumplanungsamt des Kantons Freiburg. Am 22. Juni 1989 erteilte die kantonale Baudirektion eine "Sonderbewilligung" für den Bau der Geflügelmasthalle ausserhalb der Bauzone. Die Sonderbewilligung wurde im Amtsblatt vom 30. Juni 1989 veröffentlicht mit dem Hinweis, das Dossier könne beim Bau- und Raumplanungsamt während 20 Tagen von dieser Veröffentlichung an eingesehen werden.
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Gegen diese Sonderbewilligung reichte der WWF Sektion Freiburg, handelnd in eigenem Namen und in Vertretung des WWF Schweiz, beim Staatsrat des Kantons Freiburg Verwaltungsbeschwerde ein. Dieser lehnte es mit Beschluss vom 20. November 1989 ab, auf die Beschwerde einzutreten. Er sprach dem WWF die Legitimation ab, weil er, ohne eine Einsprache gegen das Baugesuch erhoben zu haben, direkt mit einer Verwaltungsbeschwerde in das Verfahren eingegriffen habe. Ein solches Vorgehen sei nach Art. 59 RPBG nicht zulässig.
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Gegen diesen Entscheid des Staatsrats führt der WWF Schweiz Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht und beantragt dessen Aufhebung. Zudem ersucht er das Bundesgericht, den Staatsrat anzuweisen, auf die Verwaltungsbeschwerde gegen die Erteilung der Sonderbewilligung einzutreten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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b) Nach der Praxis des Bundesgerichts sind die gesamtschweizerischen ideellen Vereinigungen des Natur- und Heimatschutzes gestützt auf Art. 12 NHG berechtigt, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht zu rügen, eine in Anwendung von Art. 24 RPG erteilte Baubewilligung verstosse gegen die nach Art. 24sexies BV und nach den Vorschriften des NHG notwendige Rücksichtnahme auf Natur und Heimat (BGE 112 Ib 70 ff.). Das kantonale Recht hat sodann den gemäss Art. 103 lit. a und c OG Beschwerdeberechtigten dieselben Parteirechte wie das Bundesrecht zu gewähren (BGE 112 Ib 71 mit Hinweisen). In BGE 109 Ib 216 E. 2b führte das Bundesgericht aus, Art. 12 NHG schreibe nicht vor, dass die dort genannten Beschwerdeberechtigten den Instanzenzug im kantonalen Verfahren einzuhalten hätten. Diese Vorschrift verlange in Verbindung mit Art. 98 lit. g OG nur die Letztinstanzlichkeit des angefochtenen kantonalen Entscheids. Wer in einem solchen Fall den kantonalen Instanzenzug durchlaufen habe, sei bei der Sonderregelung von Art. 12 NHG nicht entscheidend. Im Urteil vom 25. April 1990 i.S. Associazione svizzera del traffico und Mitbeteiligte c. Gemeinde Medeglia hat das Bundesgericht jedoch in Anwendung von Art. 55 Abs. 3 USG entschieden, die in dieser Vorschrift geregelte Berechtigung der Umweltschutzorganisationen, von den Rechtsmitteln im kantonalen Bereich Gebrauch zu machen, bedeute für diese zugleich auch eine Obliegenheit, sich am kantonalen Verfahren als Partei zu beteiligen. Ein Verzicht auf das Ergreifen desjenigen Rechtsmittels, das zum letztinstanzlichen kantonalen Entscheid führe, schliesse die grundsätzlich beschwerdeberechtigten Organisationen von der Beschwerdeführung im Bund aus. Das Bundesgericht hat u.a. erwogen, das für die Bundesrechtspflege grundlegende Gebot der Beteiligung am kantonalen Verfahren diene auch den Anliegen, für deren Respektierung sich die rekursberechtigten Organisationen einsetzten. Das Bundesgericht hatte im erwähnten Entscheid jedoch nicht zu beurteilen, ob von Bundesrechts wegen eine Pflicht der Umweltschutzorganisationen zur Einspracheerhebung oder Beschwerdeführung vor den unteren kantonalen oder kommunalen Vorinstanzen bestehe, damit sie ihr bundesrechtlich gewährleistetes Beschwerderecht nicht verwirkten. Der erwähnte Entscheid betreffend die Gemeinde Medeglia weist in dieser Hinsicht die Besonderheit auf, dass nach dem Strassenrecht des Kantons Tessin die Einsprache gegen Kantonsstrassenprojekte an den Staatsrat das einzige kantonale Rechtsmittel darstellt, welches somit direkt den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid herbeiführt; dieses Rechtsmittel hätte die Beschwerdeführerin freilich ergreifen müssen (Urteil des Bundesgerichts vom 25. April 1990 i.S. Associazione svizzera del traffico und Mitbeteiligte c. Gemeinde Medeglia).
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Die genannten Überlegungen zur Beschwerdeberechtigung nach Art. 55 USG gelten ebenso für die Anwendung von Art. 12 NHG. Auch bei gestützt auf diese Vorschrift erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerden muss die Beteiligung der gesamtschweizerischen ideellen Vereinigungen am letztinstanzlichen kantonalen Verfahren (formelle Beschwer) verlangt werden (vgl. H. R. TRÜEB, Rechtsschutz gegen Luftverunreinigungen und Lärm, Zürich 1990, S. 166 ff.; E. RIVA, Die Beschwerdebefugnis der Natur- und Heimatschutzvereinigungen im schweizerischen Recht, Bern 1980, S. 104 ff.; F. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 155). Es kann indessen auch im vorliegenden Fall offengelassen werden, ob eine Pflicht der ideellen Vereinigungen zur Einspracheerhebung oder Beschwerdeführung vor den unteren kantonalen Vorinstanzen angenommen werden kann (vgl. hinten E. 2d). In diesem Zusammenhang ist immerhin zu beachten, dass bei der generellen Forderung nach der Pflicht zur Beteiligung der gesamtschweizerischen ideellen Organisationen am baurechtlichen Einspracheverfahren, wie sie der Staatsrat im hier angefochtenen Entscheid zu erheben scheint, je nach den Umständen des konkreten Falles die Gefahr der Vereitelung von Bundesrecht (Art. 12 NHG und Art. 55 USG) besteht.
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c) Voraussetzung für die Beteiligung der beschwerdeberechtigten Organisationen am kantonalen Rechtsmittelverfahren ist, dass sie von den Vorhaben, die eine Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 24 RPG erfordern, überhaupt rechtzeitig Kenntnis erhalten. Die entsprechenden Bauvorhaben müssen daher in einer Weise publiziert werden, dass sofort klar ersichtlich ist, dass es sich dabei um Ausnahmebewilligungsprojekte im Sinne von Art. 24 RPG handelt. Im vorliegenden Fall ist das erst mit der Publikation der Sonderbewilligung im Amtsblatt vom 30. Juni 1989 geschehen. Wie der Beschwerdeführer zutreffend darlegt, wurde in der Publikation des Baugesuchs im Amtsblatt vom 31. März 1989 mit keinem Wort erwähnt, dass die geplante Baute ausserhalb der Bauzone zu stehen komme. Der WWF erfuhr somit erstmals mit der Publikation der Sonderbewilligung der Baudirektion vom 22. Juni 1989 im Amtsblatt vom 30. Juni 1989, dass zur Bewilligung des am 31. März 1989 ausgeschriebenen Bauvorhabens eine Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 24 RPG notwendig war.
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Der WWF kann gestützt auf Art. 12 NHG von Bundesrechts wegen nur Ausnahmebewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG anfechten; nicht auch baurechtliche Bewilligungen im Sinne von Art. 22 RPG (Art. 34 RPG i.V.m. Art. 12 NHG). Erst die Publikation vom 30. Juni 1989 konnte ihn deshalb veranlassen, gegen das Projekt vorzugehen. Er hat sich gegen die Sonderbewilligung der Baudirektion vom 22. Juni 1989 mit Verwaltungsbeschwerde vom 19. Juli 1989 rechtzeitig an die im Verfahren betreffend Ausnahmebewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG einzige kantonale Rechtsmittelinstanz, nämlich den Staatsrat gewendet, was in dieser Situation das in jeder Hinsicht zutreffende Vorgehen war. Der Staatsrat hätte daher auf die Verwaltungsbeschwerde des WWF eintreten müssen. Mit seinem Nichteintretensentscheid hat er Bundesrecht (Art. 12 NHG i.V.m. Art. 24 und 34 RPG) verletzt (Art. 104 lit. a OG). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit gutzuheissen, und die Sache ist zur materiellen Beurteilung an den Staatsrat zurückzuweisen.
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d) Der Beschwerdeführer und das Bundesamt für Raumplanung kommen zum gleichen Schluss unter Hinweis auf Art. 16 Abs. 2 der Verordnung über die Raumplanung vom 26. März 1986 (RPV), wonach die Kantone die Ausnahmebewilligung im kantonalen Publikationsorgan gesondert anzeigen. Diese Bestimmung ist inzwischen durch den gleichlautenden Art. 25 Abs. 2 der Verordnung über die Raumplanung vom 2. Oktober 1989 ersetzt worden. Der WWF und das Bundesamt für Raumplanung gehen davon aus, die Publikation der Sonderbewilligung der kantonalen Baudirektion im Sinne von Art. 24 RPG im kantonalen Amtsblatt stelle im Hinblick auf diese bundesrechtliche Verordnungsvorschrift die für die ideellen Organisationen massgebliche Mitteilung dar, mit welcher für sie die Frist zur Anfechtung einer solchen Ausnahmebewilligung im kantonalen Verfahren zu laufen beginne. Deshalb seien diese Organisationen von der Teilnahme am kantonalen Einspracheverfahren befreit. Die Kantone könnten die gesamtschweizerischen ideellen Vereinigungen mit dem kantonalen Verfahrensrecht zu einer solchen Teilnahme auch nicht zwingen. Eine entsprechende Pflicht sei unzumutbar und komme einer Vereitelung von Bundesrecht gleich. Da im vorliegenden Fall ohnehin eine Verletzung von Bundesrecht vorliegt (vorne E. 2c), kann hier offengelassen werden, inwieweit das kantonale Recht ohne Bundesrechtsverletzung die gesamtschweizerischen ideellen Vereinigungen im Sinne von Art. 12 NHG und Art. 55 USG verpflichten kann, sich schon im baurechtlichen Einspracheverfahren oder im kantonalen Beschwerdeverfahren vor einer unteren Instanz gegen ein Bauvorhaben zu wehren, damit sie ihr bundesrechtlich gewährleistetes Beschwerderecht nicht verwirken.
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4. Zusammenfassend ergibt sich, dass der Staatsrat zu Unrecht auf die Verwaltungsbeschwerde des WWF nicht eingetreten ist. Er hat dadurch Bundesrecht verletzt, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid vom 20. November 1989 aufzuheben ist. Die Sache ist zur materiellen Beurteilung an den Staatsrat zurückzuweisen.
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