BGE 116 Ib 146 | |||
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19. Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1990 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Luzern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 16 f. SVG; Konkurrenz von Führerausweisentzug und Strafvollzug. | |
Sachverhalt | |
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern bestrafte den 1934 geborenen Taxichauffeur X. am 20. Oktober 1989 wegen vollendeten Versuchs der vorsätzlichen Tötung sowie Führens eines Personenwagens in angetrunkenem Zustand mit vier Jahren Gefängnis. Um an den Tatort der von ihm am 22. Dezember 1988 beabsichtigten Tötung seiner Ehefrau zu gelangen, hatte der unter Alkoholeinfluss stehende Verurteilte sein Motorfahrzeug benützt. X., der sich im vorzeitigen Strafvollzug befindet, hat gegen den Entscheid appelliert.
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Am 19. April 1989 entzog ihm das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern den Führerausweis gestützt auf Art. 16 Abs. 3 lit. b und f sowie Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG für die Dauer von sechs Monaten "nach Austritt aus der Strafanstalt". Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Luzern am 31. Oktober 1989 ab; die Behörde bestimmte, der Ausweis sei innert fünf Tagen nach Beendigung des Strafvollzugs zu hinterlegen.
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Dagegen richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und der Beschwerdeführer anzuhalten, den Führerausweis "sofort abzugeben". Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
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Erwägungen: | |
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Im vorliegenden Fall wird nur zur Diskussion gestellt, ob ein Warnungsentzug bei einem Täter, der eine Freiheitsstrafe verbüssen muss, erst auf einen Zeitpunkt wirksam werden soll, in dem sich der Betroffene wieder in Freiheit befindet. Das Bundesgericht hat diese Frage bisher in mehreren Fällen bejaht (unveröffentlichte Entscheide vom 16. Januar 1980 i.S. H. und vom 25. Februar 1982 i.S. P.; vgl. auch BGE vom 3. Februar 1978 i.S. B. E. 4). Die Vorinstanz hat sich ausdrücklich auf diese Rechtsprechung berufen. Es ist zu prüfen, ob daran festgehalten werden kann.
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Andererseits streben aber auch Zuchthaus- und Gefängnisstrafen die Resozialisierung des Straftäters an, indem sie erziehend auf den Gefangenen einwirken und ihn auf den Wiedereintritt in das bürgerliche Leben vorbereiten sollen (Art. 37 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des modernen Strafrechts, die Reintegration des Straftäters nach der Strafverbüssung soweit wie möglich zu erleichtern. Die oben in E. 1 erwähnte Rechtsprechung des Bundesgerichts dürfte jedenfalls bei längeren Freiheitsstrafen mit diesem kriminalpolitischen Konzept des Strafgesetzbuches häufig nicht zu vereinbaren sein. Gerade im Falle des Beschwerdeführers, der von Beruf Taxichauffeur und bereits 55 Jahre alt ist, hat der Führerausweis für die Reintegration ins Berufsleben zweifellos entscheidende Bedeutung.
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Das Bundesgericht stellte in seinem unveröffentlichten Entscheid vom 16. Januar 1980 i.S. H. zu Recht fest, grundsätzlich hätten die Verwaltungsbehörden davon auszugehen, dass die Freiheitsstrafe ihr Resozialisierungsziel erreiche, weshalb man hoffen könne, der Straftäter werde schon durch die Freiheitsstrafe von weiteren Straftaten mit oder ohne Motorfahrzeug abgehalten. Jedenfalls bei längeren Freiheitsstrafen sollte deshalb vermieden werden, dass der Warnungsentzug des Führerausweises, der zwar keine eigentliche Strafe darstellt, wohl aber als solche empfunden wird, noch an die Strafverbüssung angehängt wird. Statt dessen ist aus kriminalpolitischen Überlegungen zu befürworten, dass auch dann, wenn der Betroffene eine Freiheitsstrafe zu verbüssen hat, der Vollzug der Administrativmassnahme sofort nach deren Rechtskraft beginnt. Dies wird die Folge haben, dass dem Entzug bei gleichzeitig vollstreckbarer kurzer Freiheitsstrafe eher selbständige Bedeutung zukommt als bei Konkurrenz der Administrativmassnahme mit einer längeren Freiheitsstrafe. Dieses Ergebnis ist gerechtfertigt, weil gerade eine lange Freiheitsstrafe die Funktion des Entzuges weitgehend übernehmen kann.
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b) Im übrigen ist unbestritten, dass ein Warnungsentzug nach Eintritt der Rechtskraft so schnell wie möglich vollstreckt werden soll, damit er seine präventive und erzieherische Wirkung voll entfalten kann. Dies gilt grundsätzlich auch für einen Fall, in welchem der Täter noch eine Freiheitsstrafe verbüssen muss. Selbst die Vorinstanz geht in ihrer Stellungnahme ans Bundesgericht denn auch davon aus, dass der Vollzug der Administrativmassnahme jedenfalls mit der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug beginnen soll.
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Es ist nun aber nicht zu übersehen, dass die konkrete Durchführung des Strafvollzugs im Einzelfall sehr unterschiedlich sein kann. Einige Beispiele mögen dies belegen. Bei kurzen Freiheitsstrafen kann unter Umständen die ganze Strafe tageweise vollzogen oder nur die Ruhe- und Freizeit in der Anstalt verbracht werden (Art. 4 VStGB 1 und Art. 1 VStGB 3). Gefangene, die einen erheblichen Teil einer längeren Strafe im Normalvollzug verbüsst und sich bewährt haben, können ebenfalls ausserhalb der Strafanstalt beschäftigt werden; diese Erleichterung kann auch schon früher gewährt werden, wenn der Zustand des Gefangenen es erfordert (Art. 37 Ziff. 3 Abs. 2 StGB). Abgesehen von allfälligen Urlauben ist es auch aus anderen wichtigen Gründen jederzeit möglich, dass der Strafvollzug in Anwendung von Art. 40 StGB unterbrochen wird.
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Manchmal verstreicht schon zwischen der Rechtskraft des Strafurteils und dem Beginn des Vollzugs eine gewisse Zeit, weil besondere Umstände zu berücksichtigen sind (so § 23 StVG/ZH) oder sich in den Vollzugsanstalten nicht sogleich ein freier Platz findet. Es ist schliesslich denkbar, dass bereits ein vollstreckbarer Führerausweisentzug verfügt wird, bevor das Strafverfahren abgeschlossen ist.
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In all diesen Fällen ist es nicht ausgeschlossen, dass der Betroffene bereits vor oder während des Strafvollzugs in die Lage kommt, ein Fahrzeug zu lenken, obwohl der Führerausweisentzug rechtskräftig ist. Es wäre mit dem Grundsatz der raschmöglichsten Durchführung der Administrativmassnahme nicht vereinbar und liesse sich sachlich auch sonst nicht vertreten, wenn der Betroffene das Auto zunächst (allenfalls sogar während längerer Zeit) benützen könnte, er den Ausweis aber nach der Entlassung aus dem Strafvollzug nachträglich noch abgeben müsste.
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c) Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die bisherige Praxis, die sich im übrigen nicht auf eine ausdrückliche Anweisung des Gesetzgebers berufen kann, nicht zu befriedigen vermag. Aber auch deren Begründung, der Führerausweisentzug könne keinerlei Wirkung entfalten, wenn sich der Betroffene während des Vollzugs nicht in Freiheit befinde (so sinngemäss Urteil des Bundesgerichts vom 3. Februar 1978 i.S. B. sowie ausdrücklich Urteile vom 16. Januar 1980 i.S. H. S. 5 unten und vom 25. Februar 1982 i.S. P. S. 4 unten), überzeugt in dieser apodiktischen Form nicht. Es kommt nicht selten vor, dass der Betroffene keine oder nur geringe direkte Wirkungen einer Administrativmassnahme verspürt, weil er z.B. während deren Dauer im Militärdienst, in den Ferien oder ohne Auto im Ausland weilt oder weil er krank ist und sich allenfalls sogar im Spital befindet. Der Betroffene hat es bis zu einem gewissen Grad sogar in der Hand, durch die Ausschöpfung und den Rückzug von Rechtsmitteln den Zeitpunkt der Durchführung einer Massnahme selber zu bestimmen. In all diesen Fällen ist die Administrativmassnahme trotzdem nicht nutzlos, sondern kommt ihr eine präventive und erzieherische Wirkung zu; denn sie droht dem Betroffenen unmissverständlich an, dass er im Wiederholungsfall härter angefasst wird und gegebenenfalls sogar mit einem Ausweisentzug von unbestimmter Dauer rechnen muss.
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d) Gesamthaft gesehen wird die Anordnung, der Führerausweis sei "nach Austritt aus der Strafanstalt zu hinterlegen", weder dem Resozialisierungsziel des Sanktionensystems noch der vielfältigen Ausgestaltung des Strafvollzugs gerecht. Man könnte sich überlegen, ob in einem Fall wie dem vorliegenden die Frage des Vollzugs zunächst offengelassen werden könnte und sie in Rücksprache mit den Strafvollzugsbehörden von Fall zu Fall in einem späteren (noch unbestimmten) Zeitpunkt geprüft werden sollte. Eine solche Lösung wäre aber (jedenfalls ohne gesetzliche Grundlage und Ausgestaltung) nicht unbedenklich und jedenfalls bei der derzeit geltenden Rechtslage wohl kaum praktikabel. Befriedigend wird sich das Problem nur durch den Gesetzgeber lösen lassen (z.B. durch die Ausgestaltung des Warnungsentzuges in Fällen der vorliegenden Art als eigentliche Nebenstrafe, die vom Strafrichter unter Berücksichtigung ihrer Notwendigkeit neben der ausgesprochenen Freiheitsstrafe angeordnet werden kann; vgl. auch HANS SCHULTZ, Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils und des Dritten Buches "Einführung und Anwendung des Gesetzes" des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Bern 1987, S. 93 ff., der ein Fahrverbot als Hauptstrafe befürwortet).
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3. Zum heutigen Zeitpunkt muss es dabei sein Bewenden haben, dass auch dann, wenn der Betroffene eine Freiheitsstrafe zu verbüssen hat, der Vollzug der Administrativmassnahme sofort nach deren Rechtskraft (bzw. der Hinterlegung des Ausweises) beginnt. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb gutzuheissen und der angefochtene Entscheid insoweit aufzuheben, als er vorsieht, der Führerausweis sei innert fünf Tagen nach Austritt aus der Strafanstalt zu hinterlegen.
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