BGE 117 Ib 53 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Februar 1991 i.S. Bundesamt für Polizeiwesen gegen S. und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. | |
Sachverhalt | |
Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg/BRD führt gegen S. und eine grosse Zahl weiterer Beschuldigter ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der (teilweise) gemeinschaftlichen sowie tateinheitlichen und fortgesetzten Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall gemäss § 370 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 der deutschen Abgabeordnung (AO) in Verbindung mit § 25 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 78 Abs. 3 Nr. 4 des deutschen Strafgesetzbuches (dStGB).
| 1 |
Im Rahmen des die Anschuldigungen betreffenden Ermittlungsverfahrens ersuchte der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg am 19. Juli 1990 die schweizerischen Behörden um rechtshilfeweise Durchsuchungen und Vernehmungen in der Schweiz. Mit Stellungnahme vom 13. August 1990 erklärte die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) zuhanden des Bundesamtes für Polizeiwesen (BAP), die objektiven Tatbestandsmerkmale des Abgabebetruges (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 IRSG) als erfüllt zu erachten. Mit Schreiben vom 16. August 1990 übermittelte das BAP das Begehren zum Entscheid und Vollzug an die Behörden des Kantons Zürich (Art. 79 IRSG). Im selben Schreiben beauftragte das BAP die Zürcher Behörden mit der Leitung des Vollzugs im Sinne von Art. 80 IRSG, was den weiteren durch das deutsche Ersuchen betroffenen Kantonen mitgeteilt wurde. Mit Verfügung vom 20. August 1990 überwies die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich das Begehren an die Bezirksanwaltschaft Zürich zur Prüfung und weiteren Veranlassung.
| 2 |
Mit Verfügung vom 24. August 1990 entsprach die Bezirksanwaltschaft Zürich dem Rechtshilfeersuchen und ordnete die erforderlichen Vollzugshandlungen an.
| 3 |
Dagegen erhob S. am 5. November 1990 Rekurs bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, mit dem er - soweit hier wesentlich - beantragte, die Verfügung sei aufzuheben; dem deutschen Rechtshilfeersuchen sei nicht zu entsprechen, und die bereits durchgeführten Rechtshilfehandlungen (Beschlagnahmen, Zeugeneinvernahmen) seien als nichtig bzw. ungültig zu erklären.
| 4 |
Am 12. Dezember 1990 entschied die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich soweit hier wesentlich, die Rechtshilfe sei für die weiter als 7 1/2 Jahre zurückliegenden Taten wegen absoluter Verjährung zu verweigern (Dispositiv Ziff. 1a/aa).
| 5 |
Gegen diesen Entscheid erhob das Bundesamt für Polizeiwesen am 16. Januar 1991 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit folgenden Anträgen:
| 6 |
"1. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei gutzuheissen.
| 7 |
2. Punkt 1.a)aa) des angefochtenen Entscheides der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 12. Dezember 1990 sei aufzuheben, soweit er die Rechtshilfe für Taten, die weiter als 7 1/2 Jahre zurückliegen, verweigert.
| 8 |
3. Die Rechtshilfe sei für den gesamten Zeitraum vom 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1988 im Sinne der Verfügung vom 24. August 1990 des Bezirksanwaltes von Zürich und in Aufhebung von Punkt 1.a)aa) des Rekursentscheides der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 12. Dezember 1990 zu bewilligen."
| 9 |
Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und hebt den angefochtenen Entscheid antragsgemäss auf.
| 10 |
Aus den Erwägungen: | |
1. a) Für die Rechtshilfe zwischen der BRD und der Schweiz sind in erster Linie die Bestimmungen des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (EÜR, SR 0.351.1), dem die beiden Staaten beigetreten sind, und der zwischen ihnen hiezu abgeschlossene ergänzende Vertrag vom 13. November 1969 (Zusatzvertrag, SR 0.351.913.61) massgebend. Soweit diese Verträge bestimmte Fragen nicht regeln, gelangt das Landesrecht, d.h. das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG, SR 351.1) und die dazugehörende Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV, SR 351.11), zur Anwendung (vgl. Art. 1 Abs. 1 IRSG). Dies gilt auch, soweit die Rechtshilfevoraussetzungen im Landesrecht günstiger geregelt sind als im Vertragsrecht (s. BGE 106 Ib 341 ff., nicht publ. E. 1c von BGE 115 Ib 68 ff. und nicht publ. E. 2 von BGE 115 Ib 193 ff., nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 7. Februar 1989 i.S. D.).
| 11 |
b) Beim angefochtenen Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich handelt es sich um einen solchen der letzten kantonalen Instanz (§ 402 ff. StPO/ZH). Gemäss Art. 25 Abs. 3 IRSG ist das BAP zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen solchen Entscheid legitimiert. Auch die übrigen Prozessvoraussetzungen sind erfüllt, so dass auf die Beschwerde einzutreten ist.
| 12 |
c) Das Bundesgericht ist aufgrund von Art. 25 Abs. 6 IRSG, der als Spezialbestimmung der allgemeinen Vorschrift von Art. 114 Abs. 1 OG vorgeht, nicht an die Begehren der Parteien gebunden (BGE 113 Ib 266 E. 3d). Es hat daher die Möglichkeit, den angefochtenen Entscheid gegebenenfalls zugunsten oder auch zuungunsten des Beschwerdeführers zu ändern (BGE 112 Ib 585 f. E. 3). Als Rechtsmittelinstanz überprüft es die bei ihm im Verwaltungsgerichtsverfahren erhobenen Rügen grundsätzlich mit freier Kognition (s. etwa BGE 113 Ib 181 E. 7a, BGE 109 Ib 167 E. 4). Da es aber in Rechtshilfesachen nicht Aufsichtsbehörde ist, darf die Prüfung des angefochtenen Entscheides den Rahmen des Streitgegenstandes nicht sprengen (BGE 112 Ib 585 f. E. 3, nicht publ. E. 1a von BGE 115 Ib 517 ff.).
| 13 |
2. a) Die vom BAP erhobene Beschwerde richtet sich einzig gegen Ziff. 1a/aa des Entscheides der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, wonach die Rechtshilfeleistung für Taten, die weiter als 7 1/2 Jahre zurückliegen, wegen Eintritts der absoluten Verfolgungsverjährung in Anwendung von Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG verweigert wird. Die übrigen Punkte, die Gegenstand des zürcherischen Rekursverfahrens bildeten, sind daher hier nicht nochmals zu prüfen. Festzustellen ist einzig, dass sich nach Durchsicht der Akten ergibt, dass die Staatsanwaltschaft gestützt auf das deutsche Ersuchen hinreichende Verdachtsmomente für das Vorliegen eines Abgabebetruges im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 IRSG und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hiezu (s. BGE 116 Ib 103, BGE 115 Ib 71 ff., insb. 74 ff., mit Hinweisen) zu Recht bejaht hat und entsprechend die anbegehrte Rechtshilfeleistung grundsätzlich zu Recht bewilligt worden ist.
| 14 |
b) Die Staatsanwaltschaft erwog soweit hier wesentlich, es sei zu berücksichtigen, dass gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG einem Ersuchen nicht entsprochen werde, soweit die Strafverfolgung nach schweizerischem Recht wegen absoluter Verjährung ausgeschlossen wäre, wogegen die schweizerischen Rechtshilfebehörden die Frage der relativen Verjährung nach schweizerischem Recht oder der Verjährung nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht zu prüfen hätten. Für die Verfolgung von Abgabebetrug der in Frage stehenden Art betrage die absolute Verjährungsfrist nach schweizerischem Recht 7 1/2 Jahre. Bei den im vorliegenden Fall gegebenen Verhältnissen sei somit Rechtshilfe für weiter als 7 1/2 Jahre zurückliegende Taten ausgeschlossen. Insoweit die Zulässigkeit der Rechtshilfe gemäss Verfügung der Bezirksanwaltschaft nicht auf Taten innert der letzten 7 1/2 Jahre beschränkt werde, sei daher der Rekurs gutzuheissen.
| 15 |
Das BAP weist zur Hauptsache darauf hin, das im vorliegenden Fall anwendbare EÜR enthalte keine Bestimmung, welche die Unzulässigkeit der Rechtshilfe für den Fall der Verjährung vorsehe. Ebenso sei eine solche Bestimmung auch im Zusatzvertrag nicht enthalten. Es frage sich daher, ob hier eine Lücke vorliege, die gemäss bisheriger Rechtsprechung und allgemeinen Auslegungsprinzipien durch das dem Völkerrecht untergeordnete Landesrecht zu füllen sei, oder ob es sich gar nicht um eine Lücke handle. Bei der Abklärung dieser Frage sei zu berücksichtigen, dass das Völkervertragsrecht vorgehe und die Anwendung des IRSG nicht zu Ergebnissen führen dürfe, die dem Sinn und Zweck des EÜR zuwiderliefen (BGE 112 Ib 584 E. 2, BGE 108 Ib 530 E. 2a). Demgemäss dürfe die Anwendung des IRSG nicht zu einer weiteren Einschränkung der Rechtshilfeleistung führen, so dass die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG mehr als fraglich sei, denn beim Fehlen einer Bestimmung zur Verjährung im EÜR handle es sich eher um ein qualifiziertes Schweigen als um eine ausfüllungsbedürftige Lücke. Zudem gehe das Völkerrecht dem in Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG formulierten Verjährungsvorbehalt vor, selbst wenn dieser, was allerdings nicht eindeutig feststehe, zum schweizerischen Ordre public gehören würde. Die Frage der Verjährung nach schweizerischem Recht sei daher in einem wie hier nach dem EÜR abzuwickelnden Rechtshilfeverfahren gar nicht zu prüfen. Und selbst wenn die Frage der Verjährung bei der Prüfung der beidseitigen Strafbarkeit miteinbezogen werden müsste, was allerdings abzulehnen sei, so dürfte sie, als blosse Prozessvoraussetzung, nicht zur Verweigerung der Rechtshilfe führen, da für die Zulässigkeit der Rechtshilfeleistung nur die objektiven Tatbestandselemente zu prüfen seien, während die subjektiven (Schuldfragen) und die Prozessvoraussetzungen vom Sachrichter im ersuchenden Staat zu prüfen seien.
| 16 |
Die Bezirksanwaltschaft Zürich hat sich den die Verjährungsfrage betreffenden Ausführungen des BAP grundsätzlich angeschlossen. Sie hält dafür, für diese Frage sollten im Geltungsbereich des EÜR einzig das Recht und der Richter des ersuchenden Staates massgebend sein. Allerdings sei zusätzlich zu berücksichtigen, dass es im vorliegenden Fall um Abgabebetrug gehe. Bei Fiskaldelikten könne gemäss Art. 2 lit. a EÜR die Rechtshilfe verweigert werden. In welchen Fällen die Schweiz dennoch Rechtshilfe leiste, bestimme sich nach dem IRSG. Es stelle sich deshalb die Frage, ob hier nicht eben doch Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG gelte.
| 17 |
In ihrer im bundesgerichtlichen Verfahren erstatteten Vernehmlassung weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG stütze sich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung gemäss BGE 112 Ib 602 E. 13b. Abschliessend bestätigt sie die Erwägungen des angefochtenen Entscheides.
| 18 |
19 | |
Im Hinblick auf die Beurteilung dieser Frage ist zunächst auf den Stand der Argumentation gemäss der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu verweisen. Wie bereits etwa im erwähnten Urteil vom 17. Januar 1990 (E. 7a) ist von folgendem auszugehen: Das EÜR sieht in Art. 5 vor, dass die Vertragsparteien die Erledigung von Rechtshilfeersuchen um Durchsuchung oder Beschlagnahme von Gegenständen einer oder mehreren der drei in Ziff. 1 lit. a-c der genannten Bestimmung vorgesehenen Bedingungen unterwerfen können. Die Schweiz hat bei der Unterzeichnung des Abkommens die Erklärung abgegeben, die Vollziehung eines Rechtshilfeersuchens, das die Anwendung von Zwangsmassnahmen erfordere, von der in Art. 5 Ziff. 1 lit. a EÜR erwähnten Bedingung abhängig zu machen. Die Vollziehung eines derartigen Ersuchens setzt gemäss dieser Erklärung voraus, dass die ihm zugrundeliegende strafbare Handlung sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates als auch nach dem des ersuchten Staates strafbar ist (vgl. hiezu BGE 112 Ib 591 f. E. 11a; BGE 99 Ia 88 f. E. 5a). In Verbindung mit der Annahme, dass auch die Verjährung als Strafhinderungs- oder Strafaufhebungsgrund ein Institut des materiellen Strafrechts sei (so HANS SCHULTZ, Das Schweizerische Auslieferungsrecht, Basel 1953, S. 341 f., und Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Band I, 4. Aufl. Bern 1982, S. 24 f. und 251; offengelassen in BGE 105 IV 9 E. 1a), würde dieses in Art. 5 Ziff. 1 lit. a EÜR aufgestellte Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit auch die Prüfung der Verjährung mitumfassen. Einem Rechtshilfeersuchen, dessen Vollzug die Anwendung von Zwangsmassnahmen bedingt, könnte demnach insoweit nicht entsprochen werden, als für die in Frage stehenden Delikte nach schweizerischem Recht oder auch nach dem Recht des ersuchenden Staates die Verjährung eingetreten wäre. Ob eine solch weitgehende Berücksichtigung der Verjährung auch im Bereich der "kleinen" Rechtshilfe angezeigt ist, erscheint aber insbesondere mit Blick auf die von der Schweiz im Rahmen von Art. 5 Ziff. 1 EÜR getroffene Wahl (lit. a anstatt lit. b oder c) sowie auf die Regelung im Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (SR 0.353.1) - Regelung der Verjährung unabhängig von der Regelung der beidseitigen Strafbarkeit - zweifelhaft, wie das Bundesgericht im genannten Urteil vom 10. Januar 1989 erwogen hat (E. 2b; zur Überprüfung des ausländischen Rechts im allgemeinen vgl. auch BGE 112 Ib 593 f. E. 11b/ba). Übrigens ist - wie regelmässig in den bilateralen Auslieferungsübereinkommen - auch in dem zwischen den USA und der Schweiz abgeschlossenen neuen, am 14. November 1990 unterzeichneten Auslieferungsvertrag die Verjährungsfrage (Art. 5 des Vertrages) unabhängig von der Frage der beidseitigen Strafbarkeit (Art. 2 des Vertrages) geregelt worden (BBl 1991 I 84ff., insb. 94 und 96).
| 20 |
Wie Art. 5 Ziff. 1 lit. a EÜR, so enthält auch die für Zwangsmassnahmen die beidseitige Strafbarkeit voraussetzende Bestimmung von Art. 4 Ziff. 2 des zwischen der Schweiz und den USA über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen abgeschlossenen Übereinkommens vom 25. Mai 1973 (RVUS, SR 0.351.933.6) keinen Hinweis auf die Verjährung, während das IRSG - wie erwähnt - Zwangsmassnahmen ausschliesst, wenn nach schweizerischem Recht die absolute Verjährung der Strafverfolgung oder -vollstreckung eingetreten ist (Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG). CURT MARKEES (Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, SJK 423, S. 22) hält - allerdings ganz allgemein, ohne ausdrückliche Erwähnung der Verjährungsregelung gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG - dafür, dass die Verbote des IRSG "im Hinblick auf ihre zwingende Natur" auch gegenüber amerikanischen Rechtshilfebegehren gelten sollen. Entsprechend vertritt LIONEL FREI (Der Rechtshilfevertrag mit den USA und die Aufhebung geschützter Geheimnisse, SJK 67, S. 32) die Auffassung, die Verjährung könne "in der Tat" als Teil des schweizerischen Ordre public angesehen werden (s. auch Botschaft des Bundesrates zum IRSG, BBl 1976 II 475, allerdings nicht in bezug auf die "kleine" Rechtshilfe, sondern im Zusammenhang mit der die Vollstreckung fremder Strafentscheide betreffenden Regelung (Art. 94 ff. IRSG)), weshalb die Rechtshilfe mit Zwangsmassnahmen gestützt auf Art. 3 Ziff. 1 RVUS verweigert werden dürfe, wenn nach schweizerischem Recht die absolute Verjährung erfolgt sei; das Rechtshilfegesetz diene hier der Konkretisierung des Rechtshilfevertrages. Gleiches liesse sich somit in Anbetracht von Art. 2 lit. b EÜR auch in bezug auf die von der Schweiz für den Fall der Anwendung von Zwangsmassnahmen gewählte Regelung des Art. 5 Ziff. 1 lit. a EÜR sagen. Denn jedenfalls gemäss Art. 2 lit. b EÜR kann der ersuchte Staat die Rechtshilfe verweigern, wenn er der Ansicht ist, die Erledigung des Ersuchens sei geeignet, "die öffentliche Ordnung (Ordre public) oder andere wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen", womit - mangels Unterscheidung - nebst dem internationalen wohl auch der nationale Ordre public gemeint ist (s. VOGLER/WALTER/WILKITZKI, Kommentar zum IRG, 2. Aufl. Heidelberg 1989, Teil III 2 (EÜR), S. 25 N. 8). Ob die Verjährung aber tatsächlich dem (internationalen oder nationalen) Ordre public zuzurechnen ist, ist zweifelhaft, wie auch das BAP festhält. Einerseits ist der schweizerischen Rechtsordnung selber in verschiedenen Bereichen Unverjährbarkeit nicht fremd, so zum Beispiel im Gebiete des Strafrechts (Art. 75bis StGB) oder auch andernorts (s. Art. 149 Abs. 5 SchKG). Anderseits ist mit Blick auf die Rechtsprechung und den Grossteil der Literatur festzustellen, dass diese die elementaren verfassungs- und völkerrechtlichen Gebote des Grundrechts- und Menschenrechtsschutzes bzw. die wesentlichen Grundlagen der innerstaatlichen Rechts- und Gemeinschaftsordnung zum internationalen bzw. nationalen Ordre public zählt, dabei aber die Verjährung nirgends erwähnt wird (s. etwa BGE 115 Ib 87, 113 Ib 273, BGE 112 Ib 346, BGE 76 I 129; SCHULTZ, a.a.O. (Auslieferungsrecht), S. 239, und SCHULTZ, Das neue Schweizer Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, in ZStW 96/1984, S. 600; THEO VOGLER, Auslieferungsrecht und Grundgesetz, Berlin 1970, S. 202 ff.; VOGLER/WALTER/WILKITZKI, a.a.O., Teil I A 2, § 73, S. 1 ff., und Teil III 2, S. 25). Das EAÜ seinerseits und auch der zwischen der Schweiz und der BRD hiezu abgeschlossene Zusatzvertrag vom 13. November 1969 (SR 0.353.913.61) enthalten keinen Vorbehalt des inländischen Ordre public, so dass dieser einer Auslieferung nicht entgegenstehen könnte (BGE 112 Ib 346); wie erwähnt, steht aber gemäss der ausdrücklichen Regelung des Art. 10 EAÜ die Verjährung nach dem Recht sowohl des ersuchenden als auch des ersuchten Staates einer Auslieferung entgegen, wobei Art. IV Abs. 1 des Zusatzvertrages ergänzend bestimmt, dass für die Unterbrechung der Verjährung allein die Vorschriften des ersuchenden Staates massgebend sind.
| 21 |
In Anbetracht all dieser Aspekte gewinnt das Argument an Gewicht, im Umstand, dass im EÜR anders als im EAÜ eine Bestimmung zur Verjährung fehlt, sei eher ein qualifiziertes Schweigen als eine auslegungsbedürftige Lücke zu erblicken. So finden sich auch in der Botschaft u.a. zum EAÜ und EÜR bei den Ausführungen zum letztgenannten Übereinkommen nirgends Hinweise, dass das in Art. 5 Ziff. 1 lit. a EÜR aufgestellte Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit auch die Prüfung der Verjährung mitumfasse, während bei den Ausführungen zum EAÜ klar zwischen den beiden je separat geregelten Fragen der Verjährung und der beidseitigen Strafbarkeit unterschieden wird (s. BBl 1966 I 457 ff., insb. 460, 473 ff., 478 ff.). Die das IRSG betreffende Botschaft ihrerseits fügt bei den Ausführungen zu Art. 2-4 des Entwurfs zu dessen Art. 2 (= Art. 2 des Gesetzes) lediglich bei, es erscheine als selbstverständlich, "dass diese Beschränkungen nicht allein für die Auslieferung, sondern für alle Arten von Zusammenarbeit in Strafsachen von Bedeutung sind" (BBl 1976 II 478 f.); jedoch enthalten diese Erläuterungen keinen Hinweis dafür, dass die genannte Gemeinsamkeit auch die Verjährungsregelung selber, Art. 4 lit. c des Entwurfs (= Art. 5 Abs. 1 lit. c des Gesetzes), betreffen soll. Ebenfalls daraus lässt sich somit nicht der Schluss ziehen, die Verjährungsfrage sei ganz allgemein im Rahmen der "kleinen" Rechtshilfe und damit auch nach dem dem EÜR unterstellten Rechtshilfeverkehr zu berücksichtigen.
| 22 |
Enthält das EÜR aber keine explizite Regelung der Verjährungsfrage und ist eine solche Regelung nach dem Gesagten ganz allgemein im Lichte der Zielsetzungen des EÜR auch auslegungsweise nicht naheliegend, so darf das landesinterne Recht die Rechtshilfevoraussetzungen gegenüber vorrangigem Vertragsrecht nicht erschweren, wohl aber erleichtern (s. BGE 106 Ib 341 ff. und hiezu HANS SCHULTZ in ZBJV 118/1982 S. 52 f.; HANS SCHULTZ, a.a.O., ZStW 96/1984, S. 598; zudem nicht publ. E. 1c von BGE 115 Ib 68 ff. und nicht publ. E. 2 von BGE 115 Ib 193 ff., nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 7. Februar 1989 i.S. D.). Da das EÜR als Völkervertragsrecht dem IRSG vorgeht (vgl. Art. 1 Abs. 1 IRSG), darf die Anwendung des Gesetzes somit nicht zu Ergebnissen führen, die dem Sinn und Zweck des EÜR widersprechen (BGE 112 Ib 584 E. 2, BGE 108 Ib 530 E. 2a).
| 23 |
Die Verjährungsfrage bei der "kleinen" Rechtshilfe jedenfalls gemäss EÜR nicht bereits im Rechtshilfeverfahren selber zu berücksichtigen, sondern erst durch den ausländischen Sachrichter nach dem Recht des ersuchenden Staates prüfen zu lassen, ist im übrigen insbesondere deswegen ohne weiteres vertretbar, weil die "kleine" Rechtshilfe - selbst eine in deren Rahmen zu treffende Zwangsmassnahme - für die Betroffenen regelmässig einen erheblich weniger schwer wiegenden Eingriff bedeutet als die Auslieferung. Vor allem darf auch der Umstand nicht übersehen werden, dass die Rechtshilfeleistung namentlich in komplexen Angelegenheiten, wie sie häufig Gegenstand der "kleinen" Rechtshilfe bilden, vielfach selbst der Entlastung der Betroffenen dienen und daher letztlich auch in deren Interesse liegen kann.
| 24 |
Hinzu kommt, dass in einem wie vorliegend sehr komplexen Fall mit mehreren Teilnehmern bzw. Mittätern und einer über Jahre hinweg erfolgten Delinquenz nur sehr schwierig festgestellt werden kann, welchem Teilnehmer bzw. Mittäter welche Tathandlungen zuzuschreiben sind. Dies gilt um so mehr, wenn sich die betreffenden Ermittlungshandlungen (häufig) erst in einem frühen Stadium befinden. Entsprechend ist es in einem derartigen Fall für den Rechtshilferichter auch nur sehr schwierig festzustellen, für welchen Teilnehmer bzw. Mittäter für welchen Deliktsteil ab welchem Zeitpunkt Verjährung bereits eingetreten ist. Demgegenüber ist bei der Auslieferung regelmässig nur eine Person mit einer bereits detailliert umschriebenen strafbaren Handlung zu beurteilen, so dass sich zumindest dem Rechtshilferichter in einem solchen Fall die Prüfung der Verjährungsfrage wesentlich einfacher darstellt als in den (immer häufiger werdenden) komplexen Fällen von "kleiner" Rechtshilfe.
| 25 |
In solchen Fällen von "kleiner" Rechtshilfe, die immer wieder irgendwelche Teilnahme- oder Mittäterschaftsformen zum Gegenstand haben und die sich oftmals in einem noch frühen Ermittlungsstadium befinden, hängt die Beantwortung der Verjährungsfrage regelmässig von der Beantwortung konkreter Tat- und Schuldfragen ab. Die Beurteilung dieser Fragen obliegt aber nach bisheriger Rechtsprechung nicht dem Rechtshilferichter, sondern dem ausländischen Sachrichter (s. etwa BGE 115 Ib 81 E. 3b/cc; FREI, a.a.O., S. 15). Auch aus dieser Sicht drängt es sich daher auf, bei der Prüfung der beidseitigen Strafbarkeit jedenfalls im Rahmen des nach dem EÜR abzuwickelnden Rechtshilfeverkehrs wie bei der Prüfung der Strafbarkeit gemäss Landesrecht (Art. 64 IRSG) einzig die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einzubeziehen (BGE 112 Ib 593 E. 11b/ba), ohne dabei die besonderen Schuldformen und Strafbarkeitsbedingungen oder eben die Strafhinderungs- und Strafaufhebungsgründe zu prüfen. Dies entspricht übrigens auch der Regelung gemäss dem deutschen Rechtshilfegesetz (s. VOGLER/WALTER/WILKITZKI, a.a.O., Teil I A 2, § 66, S. 9).
| 26 |
Was schliesslich den Standpunkt der Bezirksanwaltschaft Zürich in ihrer im bundesgerichtlichen Verfahren an die Staatsanwaltschaft gerichteten Vernehmlassung anbelangt, ist festzustellen, dass zwar der Hinweis auf Art. 2 lit. a EÜR zutrifft und ein Vertragsstaat die Rechtshilfe u.a. bei Fiskaldelikten verweigern kann. In welchen Fällen die Schweiz insoweit dennoch Rechtshilfe leistet, bestimmt sich nach dem IRSG. Deswegen stellt sich für die Bezirksanwaltschaft die Frage, ob in solchen Fällen nicht eben doch Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG gilt, wonach die Gewährung von Rechtshilfe für absolut verjährte Taten ausgeschlossen ist, sofern Zwangsmassnahmen anbegehrt werden. Art. 2 lit. a EÜR entsprechend verweigert die Schweiz grundsätzlich Rechtshilfe für Fiskaldelikte (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 IRSG). Jedoch kann einem Ersuchen um Rechtshilfe nach dem dritten Teil des Gesetzes entsprochen werden, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Abgabebetrug ist (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 IRSG). Liegen die durch die Rechtsprechung aufgezeigten Voraussetzungen eines Abgabebetruges vor (s. BGE 115 Ib 68 ff. mit Hinweisen), so kann es nicht mehr dem Ermessen der schweizerischen Behörden überlassen sein, ob Rechtshilfe zu gewähren sei oder nicht; der in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 IRSG enthaltene Ausdruck "kann" bedeutet somit die Pflicht zur Rechtshilfeleistung im Falle von Abgabebetrug, falls die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind (BGE 111 Ib 248 E. 4c). Als Abgabebetrug ist nur zu verstehen, was nach schweizerischer Auffassung als solcher gilt (BGE 116 Ib 103, BGE 115 Ib 77 ff. E. 3b und c). Liegt gemäss schweizerischem Recht Abgabebetrug vor, so sind dann aber gegenüber einem Vertragsstaat für die Beurteilung der übrigen Rechtshilfevoraussetzungen wiederum in erster Linie die vertraglichen Bestimmungen massgebend. Dabei Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG einzig bei Abgabebetrug zum Tragen kommen zu lassen, erscheint im Lichte der vorstehenden Ausführungen als nicht gerechtfertigt. Würde im übrigen die Überlegung der Bezirksanwaltschaft konsequent weitergeführt, so wären die von den an das EÜR gebundenen Staaten an die Schweiz gerichteten Gesuche um Rechtshilfe wegen Abgabebetruges durchwegs nur noch nach dem internen Recht und nicht mehr nach dem Vertragsrecht abzuwickeln. Dies würde aber dem Sinn und Zweck des Vertragsrechts widersprechen.
| 27 |
Demnach ergibt sich zusammenfassend, dass dem Verjährungseintritt im Rahmen des dem EÜR unterstellten Rechtshilfeverkehrs (Übermittlung von Beweismitteln) nicht Rechnung zu tragen ist. Diese Lösung gelangt aber dann nicht zur Anwendung, wenn es um Rechtshilfemassnahmen geht, die im EÜR nicht vorgesehen sind (z.B. Herausgabe von Gegenständen, Art. 74 IRSG) und für die daher das IRSG selber massgebend ist (s. oben E. 1a).
| 28 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |