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26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. September 1991 i.S. X. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Auslieferung an die BRD; Art. 7 Ziff. 1 EAÜ, Art. 35-37 IRSG; Art. 3, Art. 8 und Art. 12 EMRK, Art. 54 BV. |
2. Weder aus der EMRK noch aus Art. 54 BV lässt sich ein grundsätzlicher Anspruch entnehmen, nicht ausgeliefert zu werden (E. 3b/cc). | |
Sachverhalt | |
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Im Rahmen eines auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Kassel/BRD eingeleiteten Rechtshilfeverfahrens wurde X. im November 1990 in Zürich angehalten und inhaftiert.
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Am 2. April 1991 ersuchte das Hessische Ministerium für Justiz in Wiesbaden die zuständigen schweizerischen Behörden, X. sei wegen der im Haftbefehl des Amtsgerichts Korbach/BRD vom 7. Februar 1991 aufgelisteten mindestens 308 Betrugsfälle an die BRD auszuliefern.
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Mit Entscheid vom 11. Juni 1991 bewilligte das BAP die Auslieferung von X. an die BRD zur Verfolgung der ihm im genannten Haftbefehl zur Last gelegten Straftaten.
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Gegen den Auslieferungsentscheid hat X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht weist diese ab.
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Aus den Erwägungen: | |
3. a) Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend, dass bei Richtigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein wesentlicher Teil der Straftaten in der Schweiz oder von der Schweiz aus begangen worden wäre und daher die Zuständigkeit der schweizerischen Strafverfolgungsbehörden entgegen der Auffassung des BAP gegeben sei. Entsprechend könne die Auslieferung in Anwendung von Art. 7 Ziff. 1 EAÜ verweigert werden. Zudem könne die Schweiz das Strafverfahren nach Art. 37 IRSG übernehmen, was im Hinblick auf die soziale Wiedereingliederung des Verfolgten angezeigt erscheine. Zwar treffe zu, dass er seit seiner Geburt ![]() | 6 |
b) aa) Gemäss Art. 7 Ziff. 1 EAÜ kann der ersuchte Staat die Auslieferung ablehnen, wenn die Tat ganz oder zum Teil auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde. Eine solche Ablehnung richtet sich nach Art. 35 Abs. 1 lit. b und Art. 36 IRSG. Zudem kann eine Ablehnung unter bestimmten Voraussetzungen nach Art. 37 IRSG erfolgen. Beim Entscheid darüber steht den Auslieferungsbehörden ein gewisser Ermessensspielraum zu. Art. 104 OG entsprechend greift das Bundesgericht nur im Falle von Ermessensüberschreitung bzw. -missbrauch ein; über die Angemessenheit des von den Vollzugsbehörden getroffenen Entscheides spricht es sich nicht aus (s. nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 25. August 1989 i.S. G., vom 17. September 1985 i.S. M. und nicht publ. E. 5c von BGE 109 Ib 60).
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bb) Das Bundesgericht hat schon wiederholt betont, dass soweit möglich durch Auslieferung eine Gesamtbeurteilung des Verfolgten am Schwerpunkt des deliktischen Verhaltens erfolgen soll (s. BGE 112 Ib 150 E. 5a, BGE 108 Ib 537 E. 7a und nicht publ. Urteil vom 19. Februar 1991 i.S. S.).
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Zum selben Ergebnis führt die Auslegung von Art. 36 IRSG. Die Bestimmung sieht vor, dass es in Ausnahmefällen zulässig ist, einen Angeschuldigten auszuliefern, obschon er auch in der Schweiz verfolgt werden könnte, wenn besondere Umstände, namentlich die Möglichkeit einer besseren sozialen Wiedereingliederung, dies rechtfertigen. Die entsprechende gesetzliche ![]() | 9 |
Nach Art. 37 Abs. 1 IRSG kann die Auslieferung abgelehnt werden, "wenn die Schweiz die Verfolgung der Tat übernehmen kann und dies im Hinblick auf die soziale Wiedereingliederung des Verfolgten angezeigt erscheint". Diese Bestimmung ist, wie sich auch aus der bundesrätlichen Botschaft ergibt, im Zusammenhang mit Art. 36 IRSG zu sehen. Die gleichen Gründe, die ausnahmsweise bei gegebener schweizerischer Gerichtsbarkeit eine Auslieferung ermöglichen, insbesondere der Aspekt der sozialen Wiedereingliederung, sollen nämlich nach dieser Quelle umgekehrt auch zur (fakultativen) Ablehnung der Auslieferung führen, wenn die Ahndung der Tat in der Schweiz möglich ist (vgl. Art. 32 Abs. 1 und Art. 33 des bundesrätlichen Entwurfes, BBl 1976 II 462). Im Rahmen des dem BAP in Art. 37 Abs. 1 IRSG eingeräumten Ermessens können deshalb neben dem Aspekt der sozialen Wiedereingliederung auch gemäss Rechtsprechung zu Art. 36 Abs. 1 IRSG relevante Gründe in die Interessenabwägung miteinfliessen (nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 19. Februar 1991 i.S. S.).
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cc) Nach Art. 7 Abs. 1 StGB gilt ein Verbrechen oder ein Vergehen sowohl dort als verübt, wo es ausgeführt worden ist, als auch dort, wo der Erfolg eingetreten ist. Beim Betrug ist sowohl der Ort, wo die beabsichtigte Bereicherung eingetreten ist (der Beendigungserfolg; s. BGE 109 IV 3 f.), als auch der Ort der schädigenden Vermögensverfügung (SJ 1976 S. 375) der Erfolgs- und damit Begehungsort im Sinne von Art. 7 StGB (STEFAN TRECHSEL, Kurzkommentar, N 6 zu Art. 7 StGB).
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Gestützt auf das Auslieferungsersuchen und die Stellungnahme der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 7. Mai 1991 ist festzustellen, dass zumindest für einen nicht unerheblichen Teil der dem Beschwerdeführer angelasteten Straftaten keine schweizerische Strafhoheit vorliegt (Auslandstaten eines Ausländers; Art. 2 ff. StGB). Mit Bezug auf diese Taten könnte die Schweiz die Verfolgung nur dann übernehmen, wenn der Tatortstaat sie ausdrücklich darum ![]() | 12 |
Dem vermögen angeblich enge familiäre Bindungen des Beschwerdeführers in der Schweiz, wo er seit rund vier Jahren mit einer Schweizerin verheiratet ist und zwei schulpflichtige Stiefkinder hat, nicht entgegenzustehen. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang keine Rechtsnorm als verletzt rügt, ist festzustellen, dass sich weder aus der EMRK noch aus Art. 54 BV ein Anspruch entnehmen lässt, nicht ausgewiesen oder nicht ausgeliefert zu werden (s. nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juli 1991 i.S. K. und nicht publ. E. 8 von BGE 114 Ib 254 ff.). Bei drohender Ausweisung oder Auslieferung könnte zwar allenfalls die Anwendbarkeit von Art. 3 oder 8 EMRK in Frage kommen, dies aber in der Regel auch nur dann, wenn Gefahr besteht, dass der Betroffene im Empfangsstaat misshandelt wird oder dass die Massnahme eine Familie geradezu auseinanderreisst (s. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl/Strassburg/Arlington 1985, N 18 ff. zu Art. 3 und N 80 zu Art. 5 EMRK). Im vorliegenden Fall fehlen jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Auslieferungsfalle misshandelt bzw. dass seine Ehe mit einer Schweizerin wegen der Auslieferung auseinanderfallen würde. In Auslieferungsfällen, in denen Art. 8 EMRK angerufen wurde, hat sich die ![]() | 13 |
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