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74. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Dezember 1992 i.S. Gemeinde Weggis gegen A. und EDI (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 1 Abs. 2 FPolV, Art. 103 lit. a und c OG und Art. 12 NHG; Waldfeststellung; Weidwälder, bestockte Weiden und aufgelöste Bestockungen an der oberen Waldgrenze. |
2. Voraussetzungen für die Annahme einer bestockten Weide oder eines Weidwaldes verneint (E. 4). |
3. Die Gesamtfläche der umstrittenen Parzelle stellt weder eine aufgelöste Bestockung an der oberen Waldgrenze dar, noch erfüllt sie die Waldqualifikation aus anderen Gründen (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Am 15. Juni 1989 erliess das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) eine Waldfeststellungsverfügung.
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Dagegen erhob die Gemeinde Weggis am 11. Juli 1989 Beschwerde an das Eidgenössische Departement des Innern (EDI). Sie verlangte, es sei festzustellen, dass die als Nichtwald bezeichneten Teilflächen der Parzelle Nr. 1735 - mit Ausnahme des Werkhofgeländes - bewaldet seien. Am 7. Juni 1991 wies das EDI die Beschwerde der Gemeinde ab.
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Die Gemeinde Weggis führt gegen diesen Entscheid des EDI Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Am 5. Juni 1992 führte eine Delegation des Bundesgerichts einen Augenschein durch.
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Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
1. b) Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist berechtigt, wer durch ![]() | 7 |
Dieses allgemeine Beschwerderecht ist grundsätzlich auf Privatpersonen zugeschnitten. Gemeinwesen können es für sich in Anspruch nehmen, wenn sie durch die angefochtene Verfügung gleich oder ähnlich wie Private betroffen werden (BGE 112 Ib 130 E. 2 mit Hinweisen). So kann zum Beispiel eine Gemeinde Beschwerde gegen Eingriffe in ihr Finanz- oder ihr Verwaltungsvermögen erheben, insbesondere gegen eine Verfügung, die ihr eine Enteignungsentschädigung auferlegt (BGE 105 Ib 358 f. E. 5a mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch die angefochtene Waldfeststellung in einer Lage, die sie gleich wie eine Privatperson betroffen macht. Bei der seinerzeitigen Zuweisung der Parzelle Nr. 1735 in eine Bauzone sei die Gemeinde fälschlicherweise von der Annahme ausgegangen, das Grundstück habe nicht als bewaldet zu gelten. Die Einzonung sei nur mit geringem Stimmenunterschied gegen starken Widerstand von der Gemeindeversammlung beschlossen worden. Offenbar habe das Argument, eine wirtschaftlich tragbare Führung der Hotellerie Rigi-Kaltbad sei auf die Möglichkeit angewiesen, die Parzelle Nr. 1735 überbauen zu können, den Ausschlag gegeben. Es sei damals nicht bekannt gewesen, dass das Grundstück wenige Tage vor der Gemeindeversammlung A. verkauft worden sei.
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Die Gemeinde Weggis hat die seinerzeitige Einzonung wiederaufgehoben, wobei dieser Entscheid nach der bestehenden Aktenlage noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Die Gemeinde ist daran interessiert, auch auf dem Wege der Waldfeststellung ein Überbauen des Grundstückes zu verunmöglichen. Da die vorliegende Waldfeststellungsfrage Auswirkungen auf eine allfällige Entschädigungspflicht der Gemeinde haben könnte, fragt es sich, ob der Beschwerdeführerin dadurch nicht die Beschwerdelegitimation nach Art. 103 lit. a OG zukommt. Diese Frage kann indessen offenbleiben, da die Beschwerdeführerin gemäss Art. 103 lit. c OG in Verbindung mit Art. 12 NHG zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert ist (vgl. nachfolgende E. 1c).
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c) Nach der Rechtsprechung kann eine Gemeinde, die nicht Eigentümerin eines Waldgrundstückes ist, gestützt auf Art. 12 NHG in Verbindung mit Art. 103 lit. c OG gegen die Erteilung einer Rodungsbewilligung Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben (BGE 109 Ib 342 f. E. 2b mit Hinweisen). Bestrebungen, auf dem Gemeindegebiet das Waldareal zu erhalten, dienen dem in Art. 1 lit. a NHG ![]() | 10 |
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a) Art. 1 FPolV umschreibt den Begriff des Waldes. Danach gilt als Wald, ungeachtet der Entstehung, Nutzungsart und Bezeichnung im Grundbuch, jede mit Waldbäumen oder -sträuchern bestockte Fläche, die, unabhängig von der Grösse des Ertrages, Holz erzeugt oder geeignet ist, Schutz- oder Wohlfahrtswirkung auszuüben (Abs. 1). Als Wald gelten u.a. auch Weidwälder, bestockte Weiden (Wytweiden), aufgelöste Bestockungen an der oberen Waldgrenze und Parkwälder (Abs. 2). Nicht als Wald gelten u.a. Einzelbäume sowie Gebüsche und Lebhäge inmitten von landwirtschaftlichem Kulturland, Alleen sowie auf früherem offenem Land angelegte Christbaumkulturen, Garten- und Parkanlagen (Abs. 3). Das Bundesgericht hat diese Begriffsumschreibung des Waldareals als gesetzmässig anerkannt (BGE 113 Ib 359 E. 2a, BGE 107 Ib 356 E. 2c).
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Bei der Prüfung, ob eine Bestockung Wald ist, sind in der Regel der im Zeitpunkt des Entscheids tatsächliche Wuchs und dessen Funktion massgebend; ausnahmsweise ist trotz ganzen oder teilweisen Fehlens einer Bestockung Wald anzunehmen, wenn Flächen ohne Bewilligung gerodet worden sind (BGE 113 Ib 359 E. 2b, BGE 111 Ib 302 E. 2, je mit Hinweisen). Welche Ursache die Bewaldung hat, ist nicht ![]() | 13 |
b) Unter Weidwaldungen sind gleichmässig bestockte Waldflächen zu verstehen, die mit einem Weiderecht belastet sind. In der Regel ist die Weidenutzung von untergeordneter Bedeutung. Bestockte Weiden sind grössere Weideflächen, auf denen in lockerer Form einzelne Bäume oder Baumgruppen wachsen. Sie dienen dauernd einer Mischwirtschaft, nämlich der landwirtschaftlichen Weidenutzung und der forstwirtschaftlichen Holzerzeugung. Die bestockte Weide gilt in ihrer gesamten Fläche und nicht nur im bestockten Teil als Wald (AEMISEGGER/WETZEL, a.a.O., S. 11; BLOETZER/MUNZ, Walderhaltungsgebot und Rodungsbewilligung, in ZBl 73/1972 S. 435; Richtlinien für die Waldfeststellung im Kanton Graubünden (Bündner Richtlinien), Ziffer 7 S. 23). Die Abgrenzung zwischen bestockter und offener Weide ist heikel. Es kommt auf den Bestockungsgrad beziehungsweise die Bestockungsdichte an. Nach den Bündner Richtlinien - auf welche sich die Vorinstanz im Zusammenhang mit dem Begriff des Weidwaldes beruft - verliert die Fläche den Waldcharakter, wenn der Abstand von Baum zu Baum beziehungsweise von Baumstrunk zu Baumstrunk mehr als ca. zwei Baumlängen beträgt (Ziff. 7.2. und Fig. 16). Derartige Richtlinien stellen zwar keine Rechtssätze dar und sind für das Bundesgericht nicht verbindlich. Doch sind sie in der Regel Ausdruck des Wissens und der Erfahrung bewährter Fachstellen und in diesem Sinn beachtlich (BGE 107 Ib 51 f. E. 3c).
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c) Im vorliegenden Fall scheidet Weidwald von vornherein aus. Es mangelt am Erfordernis der gleichmässigen Bestockung. Hingegen stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen einer bestockten Weide gegeben sind. Gemäss den Feststellungen des bundesgerichtlichen Experten weist die Parzelle eine Bestockungsdichte ![]() | 15 |
d) Die Beschwerdeführerin anerkennt, dass die Parzelle heute nicht mehr beweidet wird. Sie ist jedoch der Auffassung, dass dies früher der Fall war. Die frühere Weidenutzung sei durch eine andere landwirtschaftliche Nutzung (Grasen, Heuen) ersetzt worden. Dadurch sei der Waldcharakter der Parzelle eben nicht verlorengegangen.
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Bestockte Weiden sind Wald im Sinn der eidgenössischen Forstgesetzgebung. Ihre Flächen unterstehen dem allgemeinen Walderhaltungsgebot von Art. 31 Abs. 1 FPolG. Gemäss Art. 24 Abs. 2 FPolV darf die Gesamtfläche der Bestockung von Weidwäldern und Wytweiden nicht vermindert werden, wobei Veränderungen in der örtlichen Verteilung der Bestockung zulässig sind. Aus dieser gesetzlichen Ordnung ergibt sich, dass die Fläche einer bestockten Weide grundsätzlich die Waldqualität auch dann behält, wenn das Beweiden durch eine andere landwirtschaftliche Nutzung ersetzt wird oder wegfällt. Es fragt sich daher, ob die Parzelle früher die Voraussetzungen einer bestockten Weide erfüllte.
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Die heutige touristische Nutzung, welche den Charakter der Parzelle prägt, besteht seit Jahrzehnten. Das zerfallene Schwimmbecken stammt aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Die Minigolfanlage wurde in den sechziger Jahren erstellt. Der bundesgerichtliche Experte konnte im Gelände keine Spuren (Trittspuren von Rindern, Läger, Tränke) ausfindig machen, die auf eine frühere Weidenutzung hinweisen würden. Ebenfalls auf den in den Akten befindlichen Luftaufnahmen von 1951 fehlen solche Spuren. Freilich erklärte der Experte, dass "ganz früher" die Parzelle wahrscheinlich beweidet wurde. Ebenso hielt der im vorinstanzlichen Verfahren beigezogene Experte eine ursprüngliche Mischnutzung Weide/Holzproduktion für wahrscheinlich. Diese Hinweise begründen indessen bloss eine Wahrscheinlichkeit, dass die Parzelle vor Jahrzehnten der landwirtschaftlichen Weidenutzung und forstwirtschaftlichen ![]() | 18 |
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b) Wie der bundesgerichtliche Experte feststellte, besteht hauptsächlich in den Randzonen der Parzelle ein Wuchszusammenhang zwischen einzelnen Baumgruppen und dem angrenzenden geschlossenen Wald. Im mittleren Teil der Parzelle ist indessen kein genereller Wuchszusammenhang gegeben. Damit fehlt ein die ganze Parzelle umfassender Wuchszusammenhang. Es sind bestockungsfreie Flächen vorhanden, die nicht Wald sind. Daran vermag auch die von der Beschwerdeführerin geforderte Gesamtbeurteilung ![]() | 20 |
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