BGE 119 Ib 202 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Oktober 1993 i.S. Kotb c. Bundesamt für Flüchtlinge (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Internierung eines Ausländers. |
2. Vereinbarkeit mit Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK (E. 3). | |
Sachverhalt | |
Der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren ist gegenüber den Behörden unter verschiedenen Namen aufgetreten. So nannte er sich Samir Kotb, Hassan Ali, Ali Aboucharaf und Mohamed Aboucharaf. Auch über das Datum seiner Geburt - er soll am 7. September 1967, 1968, 1970 oder 1972 geboren sein - und über seine Herkunft machte er unterschiedliche Angaben. So gab er an, palästinensischer Herkunft zu sein, bezeichnete sich aber auch als libanesischen oder dann wieder als marokkanischen Staatsangehörigen. Seine wahre Identität steht bis heute nicht fest.
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Der Beschwerdeführer wurde am 4. Juni 1990 von der Kantonspolizei Genf mittellos und ohne Identitätsausweis aufgegriffen. Mit Urteil vom 22. Juni 1990 wurde er wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu 5 Tagen Gefängnis und 3 Jahren Landesverweisung verurteilt. Eine weitere Verurteilung zu 7 Tagen Gefängnis wegen Ladendiebstahls erfolgte am 25. Juli 1990. Da eine Ausschaffung vorläufig nicht möglich war, wurde er am 9. August 1990 auf Antrag der Behörden des Kantons Genf durch Verfügung des Bundesamtes für Flüchtlinge vorläufig aufgenommen. Am 14. Februar 1991 sowie am 6. August 1991 reichte er unter zwei verschiedenen, zuvor nicht benutzten Namen Asylgesuche ein, wobei er beide Male dem Kanton Zürich zugewiesen wurde. Das Bundesamt für Flüchtlinge trat mit Verfügung vom 7. August 1992 auf die beiden Gesuche nicht ein und wies den Ausländer an, unverzüglich in den Kanton Genf zurückzukehren, wo er vorläufig aufgenommen worden war.
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Sowohl vor wie auch nach Erlass dieser Verfügung wurde der Beschwerdeführer immer wieder in der Zürcher Drogenszene aufgegriffen. Mehrfach wurde er der Fremdenpolizei des Kantons Genf zugeführt, kehrte aber jeweils umgehend wieder nach Zürich zurück. Mit Strafbefehl der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 22. Dezember 1992 wurde er wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 30 Tagen Gefängnis bedingt verurteilt. Wegen Diebstahlversuchs und Nichtanzeigens eines Fundes wurde er mit Strafbefehl vom 12. Januar 1993 erneut mit 30 Tagen Gefängnis bedingt bestraft. Am 20. März 1993 erfolgte eine weitere Verzeigung wegen Konsums und Vermittlung von Heroin. Ein Strafurteil liegt diesbezüglich nicht bei den Akten.
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Mit einer weiteren Verfügung vom 27. September 1993 verlängerte das Bundesamt für Flüchtlinge die Internierung um sechs Monate bis zum 15. April 1994.
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Das Bundesgericht weist die gegen diese Verfügung gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
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Die Internierung stellt nach dieser Regelung eine Ersatzmassnahme für den Fall dar, dass der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung undurchführbar ist. Sie setzt damit voraus, dass der Ausländer zur Ausreise verpflichtet ist, dies aber zwangsweise (vorläufig) nicht durchgesetzt werden kann. Zudem muss von der weiteren Anwesenheit des Ausländers eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgehen.
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b) In seiner ersten Internierungsverfügung führte das Bundesamt für Flüchtlinge aus, der Beschwerdeführer sei von der Fremdenpolizei des Kantons Genf weggewiesen worden. Ob dies zutrifft, lässt sich den vom Bundesamt eingereichten Akten nicht entnehmen.
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Hingegen ist aktenkundig, dass gegen den Beschwerdeführer eine strafrechtliche Landesverweisung vorliegt. Diese verpflichtet den Ausländer, das Land zu verlassen und es für die angeordnete Dauer nicht mehr zu betreten. Sie ist insoweit der fremdenpolizeilichen Ausweisung gleichzusetzen. Ist ihre zwangsweise Vollstreckung nicht durchführbar, so kommt die vorläufige Aufnahme und - sofern der Ausländer die öffentliche Ordnung schwer gefährdet - die Internierung in Betracht.
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Die Identität des Beschwerdeführers ist bis heute nicht geklärt. Er verfügt über keine Papiere, benutzte verschiedene Namen und machte unterschiedliche Angaben zu seiner Herkunft. Er war bisher nicht bereit, Angaben zu seiner Person zu machen, welche es erlaubt hätten, die erforderlichen Papiere zu beschaffen. Die Vollstreckung der Landesverweisung ist damit vorläufig unmöglich. Insoweit ging das Bundesamt für Flüchtlinge zutreffend davon aus, dass nichts anderes verbleibt, als die weitere Anwesenheit des Beschwerdeführers durch vorläufige Aufnahme oder Internierung zu regeln.
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c) Es stellt sich damit die Frage, ob der Beschwerdeführer, wie das Bundesamt annimmt, im Sinne von Art. 14d Abs. 2 ANAG die öffentliche Ordnung schwer gefährdet. Nur wenn dies der Fall ist, kann an die Stelle der vorläufigen Aufnahme die Internierung treten.
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Die gegen den Beschwerdeführer bisher ausgefällten Strafen erscheinen als solche nicht von erheblichem Gewicht. Die erste gegen ihn verhängte Strafe von 5 Tagen Gefängnis geht darauf zurück, dass er unter Verletzung der Bestimmungen des ANAG in die Schweiz einreiste. Die zweite Strafe von 7 Tagen Gefängnis erfolgte wegen Ladendiebstahls. Sodann wurde mit 30 Tagen Gefängnis geahndet, dass der Beschwerdeführer erfolglos versucht hatte, mit zwei gefundenen Bancomatkarten an einem Automaten Bargeld zu beziehen. Schliesslich wurde der Beschwerdeführer ebenfalls mit 30 Tagen Gefängnis bestraft, weil er in der Zeit zwischen November 1991 und November 1992 täglich in der Zürcher Drogenszene eine Portion Heroin bezogen, diese konsumiert und weil er zusätzlich zwischen dem 27. Oktober und dem 1. November 1992 insgesamt an fünf kaufwillige Konsumenten Betäubungsmittel vermittelt hatte. Diese deliktische Tätigkeit gefährdet zwar die öffentliche Ordnung. Das Gesetz verlangt für die Anordnung der Internierung aber, dass die Anwesenheit des Ausländers die öffentliche Ordnung schwer gefährdet.
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Bei isolierter Betrachtung der vom Beschwerdeführer begangenen Delikte lässt sich kaum auf eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung schliessen. Das gilt nicht nur für den Ladendiebstahl und den (dilettantisch begangenen) Diebstahlsversuch mit Bancomatkarten. Auch die Betäubungsmitteldelikte des süchtigen Beschwerdeführers sind eher untergeordneter Natur. Indessen ist in die Beurteilung auch die besondere Problematik der offenen Zürcher Drogenszene miteinzubeziehen, deren Auswirkungen die Wohnbevölkerung im Zürcher Stadtkreis 5 in ausserordentlich schwerwiegender Weise belasten. Der Beschwerdeführer ist nicht nur wegen Betäubungsmittelkonsums, sondern auch wegen Vermittlung von Heroin verurteilt worden. Die strafrechtliche Verurteilung konnte ihn nicht davon abhalten, weiter zu konsumieren und andere Drogensüchtige an Händler zu vermitteln, wie sich dem Einvernahmeprotokoll der Stadtpolizei Zürich vom 19. März 1993 entnehmen lässt. Mit seinem Verhalten hat der Beschwerdeführer aktiv zum Funktionieren der offenen Drogenszene beigetragen. Mag sein Anteil auch gering erscheinen, so muss doch in Rechnung gestellt werden, dass es das gehäufte Auftreten untergeordneter Drogendelinquenz ist, welches, zusammen genommen, die spezifische Problematik der offenen Zürcher Drogenszene ausmacht. Unter diesen konkreten Umständen und angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Rückführung in den Kanton Genf, wo ihm vorläufige Aufnahme gewährt worden war, immer wieder nach Zürich zurückkehrte, ist die Internierung mit den Anforderungen des Gesetzes vereinbar. Die schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung, welche von dieser Szene ausgeht, ist auch dem Beschwerdeführer zuzurechnen.
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3. a) Zu prüfen bleibt, ob die angefochtene Internierung menschenrechtskonform ist. Nach Art. 5 Ziff. 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den in der Bestimmung (lit. a-f) genannten Fällen entzogen werden. In Betracht fällt vorliegend Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK. Danach kann einem Menschen die Freiheit entzogen werden, wenn er rechtmässig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist. Nicht anwendbar ist vorliegend die Tatbestandsvariante des unberechtigten Eindringens in das Staatsgebiet. Wohl wird hievon nicht nur der Ausländer erfasst, der sich anschickt, in das Land unberechtigt einzudringen, sondern auch derjenige, der bereits illegal eingereist ist (BGE 110 Ib 8). Dem Beschwerdeführer ist aber die vorläufige Aufnahme gewährt worden, so dass seine Internierung nicht mehr auf die illegale Einreise gestützt werden kann. Sie lässt sich folglich nur damit begründen, dass ein Ausweisungsverfahren hängig sei.
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Die Internierung setzt zwar nach Art. 14a ANAG voraus, dass der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist. Das braucht aber nicht zwingend auf längere Zeit oder gar dauernd der Fall zu sein. Vielmehr genügt für die Internierung bereits, dass der Vollzug vorläufig undurchführbar ist. Solange sich die Behörden darum bemühen, die angeordnete Aus- oder Wegweisung zu vollziehen, liegt im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK ein hängiges Ausweisungsverfahren vor, welches den Entzug der Freiheit grundsätzlich zu rechtfertigen vermag.
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b) Mit einem hängigen Ausweisungsverfahren könnte die Internierung allerdings nicht begründet werden, wenn feststeht, dass der Vollzug in absehbarer Zeit nicht durchführbar ist oder wenn die Behörden den Vollzug der Massnahme nicht mit der nötigen Beförderung vorantreiben würden.
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Diesbezüglich fällt in Betracht, dass der Beschwerdeführer bereits seit sechs Monaten interniert ist und das Bundesamt für Flüchtlinge mit der angefochtenen Verfügung die Internierung um weitere sechs Monate verlängert hat. Diese lange Internierungsdauer ist jedoch weitgehend auf das Verhalten des Beschwerdeführers selbst zurückzuführen, der sich beharrlich weigert, sachdienliche Angaben zu seiner Herkunft zu machen. Den Akten lässt sich im übrigen entnehmen, dass sich die Behörden intensiv darum bemühen, die Identität des Beschwerdeführers zu klären. In der Zwischenzeit (Mitte September) ist es ihnen gelungen, die marokkanische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers festzustellen; die marokkanische Botschaft anerkennt dies, verlangt aber für die Ausstellung von Papieren weitere Angaben. Angesichts dieser Bemühungen lässt sich nicht sagen, das Verfahren werde nicht mit der nötigen Beförderung vorangetrieben. Die weitere Internierung des Beschwerdeführers ist damit mit Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK vereinbar.
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