BGE 119 Ib 417 | |||
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43. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. November 1993 i.S. R. c. Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Aufenthaltsbewilligung, Scheinehe (Art. 7 ANAG). | |
Sachverhalt | |
Der pakistanische Staatsangehörige R. reiste am 26. April 1990 in die Schweiz ein und stellte am folgenden Tag ein Asylgesuch. Am 6. August 1990 heiratete er die Schweizerin B.; das Asylgesuch zog er in der Folge zurück. Am 20. Dezember 1990 wurde ihm von der Fremdenpolizei des Kantons Basel-Stadt eine bis zum 6. August 1991 befristete Aufenthaltsbewilligung ausgestellt.
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Mit Verfügung vom 4. April 1991 widerrief die kantonale Fremdenpolizei die Aufenthaltsbewilligung, mit der Begründung, eine Grundlage für deren Erteilung habe nie bestanden; der erforderliche Aufenthaltszweck sei durch die formelle Eheschliessung mit einer Schweizerin lediglich vorgetäuscht worden. Rekurse an das Polizei- und Militärdepartement sowie an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt blieben erfolglos.
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Die von R. erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Gemäss Art. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20) entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Der Ausländer hat damit grundsätzlich keinen Anspruch auf Erteilung (bzw. Verlängerung) einer Aufenthaltsbewilligung, und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ausgeschlossen, soweit er sich nicht auf eine Norm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen kann, die ihm einen Anspruch auf eine solche Bewilligung einräumt.
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c) Nach Art. 7 Abs. 1 ANAG in der Fassung vom 23. März 1990 hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung; der Anspruch erlischt, wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt. Wie das Bundesgericht in BGE 118 Ib 145 E. 3 dargelegt hat, ist in diesem Zusammenhang einzig darauf abzustellen, ob formell eine eheliche Beziehung besteht; ob die Ehe tatsächlich gelebt wird und intakt ist, ist dagegen nicht massgebend. Es scheint freilich, dass sich das Bundesgericht vorbehalten wollte, anders zu entscheiden, wenn die Ehegatten überhaupt nie zusammengelebt haben (BGE 118 Ib 145 E. 3d S. 151). Die dem Entscheid zugrundeliegende ratio spricht aber zwingend dafür, dass es allein auf den Bestand des formellen Ehebandes ankommen kann. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, den Bewilligungsanspruch vom ehelichen Zusammenleben abhängig zu machen, damit der ausländische Ehegatte nicht der Willkür des schweizerischen ausgeliefert sei. Soll dies sichergestellt werden, darf der Anspruch nicht entgegen dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 ANAG noch von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden.
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d) Im vorliegenden Fall lebt der Beschwerdeführer zwar getrennt von seiner Ehefrau, die gegen ihn die Scheidungsklage eingeleitet hat. Die Scheidung ist aber noch nicht ausgesprochen worden. Der Beschwerdeführer hat daher grundsätzlich Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten. Die Frage, ob die Bewilligung zu verweigern sei, weil einer der in Art. 7 ANAG vorgesehenen Ausnahmetatbestände oder allenfalls ein Verstoss gegen das Rechtsmissbrauchsverbot gegeben ist, betrifft nicht das Eintreten, sondern bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 118 Ib 145 E. 3d S. 151).
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Diese Bestimmung ist dem früheren Art. 120 Ziff. 4 ZGB betreffend die sogenannte Bürgerrechtsehe nachgebildet. Danach war eine Ehe dann nichtig, wenn die Ehefrau nicht eine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Vorschriften über die Einbürgerung umgehen wollte. Mit der am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Revision des Bundesgesetzes vom 23. März 1990 über den Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (SR 141.0) wurde Art. 3 dieses Gesetzes, wonach die Ausländerin durch Heirat mit einem Schweizer automatisch das Schweizer Bürgerrecht erwarb, aufgehoben (AS 1991, 1034). Damit verlor der Tatbestand der Bürgerrechtsehe seine Grundlage, weshalb Art. 120 Ziff. 4 ZGB ebenfalls gestrichen wurde (AS 1991, 1042). Dem ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers wurde aber, wie bereits erwähnt, im revidierten Art. 7 Abs. 1 ANAG ein Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eingeräumt, der übrigens nicht nur der ausländischen Ehefrau eines Schweizers, sondern auch dem ausländischen Ehemann einer Schweizerin zugute kommt.
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Da die Gefahr, diese Vorschrift könnte durch Eingehung einer blossen Scheinehe umgangen werden, in gleicher Weise besteht wie im Falle des früheren Bürgerrechtserwerbs durch Heirat, wurde für solche "Aufenthalts-" bzw. "Niederlassungsehen" in Art. 7 Abs. 2 ANAG ein ähnlicher Missbrauchstatbestand geschaffen, wie er in Art. 120 Ziff. 4 ZGB für die klassischen Bürgerrechtsehen vorgesehen war (Amtl.Bull. 1988 S 208 und 1990 S 125 (Jagmetti), 1989 N 1459 (Humbel)).
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b) Dass Ehegatten mit der Heirat nicht eine eheliche Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern umgehen wollen, entzieht sich in der Regel dem direkten Beweis und kann wie bei der Bürgerrechtsehe (vgl. dazu BGE 98 II 1) nur durch Indizien nachgewiesen werden. Solche Indizien können namentlich darin erblickt werden, dass dem Ausländer die Wegweisung droht, etwa weil seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert oder sein Asylgesuch abgewiesen worden ist bzw. er mit dessen Abweisung rechnen muss. Für das Vorliegen einer Ausländerrechtsehe können sodann die Umstände und die Dauer der Bekanntschaft sprechen sowie insbesondere die Tatsache, dass die Ehegatten eine Wohngemeinschaft gar nie aufgenommen haben. Dass die Begründung einer wirklichen Lebensgemeinschaft gewollt war, kann umgekehrt nicht schon daraus abgeleitet werden, dass die Ehegatten während einer gewissen Zeit zusammenlebten und intime Beziehungen unterhielten; ein derartiges Verhalten kann auch nur vorgespiegelt sein, um die Behörden zu täuschen (vgl. BGE 98 II 1 E. 2c; PETER KOTTUSCH, Scheinehen aus fremdenpolizeilicher Sicht, ZBl 84/1983 S. 432 f.).
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c) Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten folgendes: Der aus Pakistan stammende Beschwerdeführer reiste am 26. April 1990 in die Schweiz ein. Am folgenden Tag stellte er ein Asylgesuch. Er verfügte somit nicht über ein gesichertes Anwesenheitsrecht in der Schweiz. Schon am 6. August 1990 erfolgte die Heirat mit einer Schweizerin. Über die Umstände der Bekanntschaft ist nichts bekannt. Auf jeden Fall war deren Dauer sehr kurz, zumal in Rechnung zu stellen ist, dass der Trauung das amtliche Verkündverfahren vorauszugehen hatte. Die Heirat als solche verschaffte dem Beschwerdeführer nach den damals geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen des ANAG zwar keinen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung; dennoch verbesserte sich sein fremdenpolizeilicher Status erheblich, denn auch aufgrund der in Art. 8 EMRK verankerten Garantie des Familienlebens war die Fremdenpolizei grundsätzlich verpflichtet, ihm eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Wohl hing die Erteilung einer Bewilligung nach der Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK davon ab, dass die Ehe auch tatsächlich gelebt würde. Praktisch lässt sich aber regelmässig erst nach einer gewissen Zeit feststellen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist. Die Fremdenpolizei hat denn dem Beschwerdeführer vorerst auch eine Aufenthaltsbewilligung erteilt.
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Die Ehegatten nahmen jedoch in der Folge das Zusammenleben nicht auf. Bei der von ihnen damals genannten Adresse handelte es sich um die Wohnung der Mutter der Ehefrau, welche aber am 5. September 1990 gegenüber der Polizei erklärte, dass zwar ihre Tochter weiterhin bei ihr wohne, nicht aber der Beschwerdeführer. Sie sei der Meinung, der Beschwerdeführer habe ihre Tochter "nur der Bewilligung wegen" geheiratet. Am 4. Januar 1991 sprach die Ehefrau beim Eheschutzrichter vor und verlangte das Getrenntleben mit der Begründung, sie sehe ihren Mann nie und wisse nicht, wo er sich aufhalte. Am 28. Januar 1991 gab sie gegenüber der Polizei zu Protokoll, sie habe sich von ihrem Mann gerichtlich trennen lassen und wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben; er habe sie darum gebeten, ihn zu heiraten, damit er die Papiere erhalte, um hier in der Schweiz bleiben zu können; sie habe gewusst, dass er hätte abreisen sollen, und habe daher Bedauern mit ihm gehabt. Eine gemeinsame Wohnung hätten sie nie gehabt. Weder vor noch nach der Eheschliessung hätten sie jemals geschlechtlich miteinander verkehrt.
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Gestützt auf diese Erklärung widerrief die Fremdenpolizei am 4. April 1991 die Aufenthaltsbewilligung. Nur wenige Tage später, nämlich am 11. April 1991, erklärte die Ehefrau dem Eheschutzrichter freilich, sie lebe wieder mit ihrem Ehemann zusammen, und zwar in der ehelichen Wohnung in Basel. Am 14. Dezember 1992 gab sie jedoch zu Protokoll, sie habe diese Aussage nur gemacht, damit ihr Ehemann die Schweiz nicht verlassen müsste. In Wirklichkeit habe sie nie mit ihm in Ehegemeinschaft gelebt. Im Eheschutz- bzw. Scheidungsverfahren hatte der Gerichtspräsident in seiner Verfügung vom 19. Februar 1992 seinerseits festgehalten, dass die Parteien "mindestens seit dem 4. Juli 1991" getrennt seien.
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d) Diese Umstände lassen in ihrer Gesamtheit keinen anderen Schluss zu, als dass der Beschwerdeführer nicht eine wirkliche Ehe führen wollte, sondern dass es ihm bei seiner Heirat nur darum ging, sich ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz zu verschaffen, zumal er nicht mit der Gutheissung seines Asylgesuchs rechnen konnte. Der Beschwerdeführer behauptet freilich, er habe seine Frau aus Liebe und Zuneigung geheiratet, und nicht etwa, um sich den Aufenthalt in der Schweiz zu ermöglichen; Tatsache sei, dass die Ehefrau ihn im Frühjahr 1991 verlassen habe; da sie sich in der Folge immer wieder zu anderen Männern hingezogen gefühlt habe, sei es bisweilen wieder zu Trennungen gekommen; offiziell sei die Ehefrau aber immer an derselben Adresse wie er polizeilich gemeldet gewesen.
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Diese Ausführungen sind indessen angesichts des soeben geschilderten Ablaufs der Dinge nicht glaubhaft. Auf die polizeilichen Meldeverhältnisse kann es dabei zum vornherein nicht ankommen. Die Ehefrau hat den Beschwerdeführer sodann nicht erst im Frühling 1991 verlassen. Vielmehr muss aufgrund der Erklärung der Mutter der Ehefrau vom September 1990 und deren eigener Aussagen vor dem Eheschutzrichter und der Polizei vom Januar 1991 angenommen werden, dass ein eigentliches Eheleben bis zu jenem Zeitpunkt gar nicht aufgenommen worden war. Dass es dennoch zu Kontakten zwischen den Eheleuten kam und diese möglicherweise eine gewisse Zeit lang auch zusammengelebt haben mochten, ist nach dem Gesagten nicht von entscheidender Bedeutung. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, wie es sich mit der - später wieder widerrufenen - Erklärung der Ehefrau vom 11. April 1992 verhält, wonach sie wieder mit dem Ehemann zusammenlebe. Auf jeden Fall dauerte das Zusammenleben nur kurze Zeit.
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Im übrigen fällt auf, dass die erwähnte Erklärung nur wenige Tage nach dem Widerruf der Aufenthaltsbewilligung abgegeben worden ist. Das lässt es als glaubhaft erscheinen, dass die Ehefrau diese Aussage nur deswegen machte, um die Wegweisung des Beschwerdeführers zu verhindern. Offenbar hatte sie Mitleid mit ihm. Die Annahme, der Beschwerdeführer habe diese Gefühle ausgenützt, indem er seine Ehefrau dazu bewog, ihn zu heiraten, um ihm den Aufenthalt in der Schweiz zu ermöglichen, ohne dass er je die Absicht hatte, mit ihr eine wirkliche Ehe zu führen, drängt sich unter diesen Umständen geradezu auf. Dieser Schluss lässt sich um so weniger in Zweifel ziehen, wenn berücksichtigt wird, dass die Ehefrau vom Vertreter des Beschwerdeführers selber als "geistig etwas behindert" geschildert wird.
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