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45. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. November 1994 i.S. X. gegen Polizeidirektion des Kantons Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Entzug eines Kollektiv-Fahrzeugausweises (Art. 23a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 und Anhang 4 der Verkehrsversicherungsverordnung vom 20. November 1959 in der Fassung vom 1. Juli 1992 (nVVV). |
Voraussetzungen für die Erteilung und den Entzug von Kollektiv-Fahrzeugausweisen (E. 3). Es ist willkürlich und rechtsungleich, von einem auf die Revision und Reparatur von Motoren spezialisierten Zylinderschleifwerk zu verlangen, dass es über sämtliche Einrichtungen einer allgemeinen Reparaturwerkstätte verfüge, wenn vergleichbare andere spezialisierte Betriebe lediglich im Besitz der für ihre spezifische Funktion erforderlichen Einrichtungen sein müssen (E. 4 u. 5). Mögliche Wege zur Behebung der Verfassungswidrigkeit der geltenden Verordnungsregelung (E. 6b). | |
Sachverhalt | |
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Am 21. Januar 1991 entzog das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons Bern X. die Kollektiv-Fahrzeugausweise BE 0000-U sowie BE 111-U und die dazugehörenden Händlerschilder für Motorwagen und Motorräder. Dieser Entscheid wurde nach Einsprache am 5. August 1991 von der Abteilung Recht des Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamtes bestätigt.
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Die Polizeidirektion des Kantons Bern hiess die hiergegen erhobene Beschwerde am 15. Juli 1992 teilweise gut. Der Kollektiv-Fahrzeugausweis BE 0000-U wurde dem Beschwerdeführer - auf Fahrten mit Dieselfahrzeugen beschränkt - belassen; im übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen. Die Polizeidirektion ging davon aus, dass X. die Voraussetzungen für die Belassung des Kollektiv-Fahrzeugausweises als Dieselspezialist erfülle, aber nicht über die zur Prüfung von Benzinmotoren und Motorrädern zusätzlich erforderlichen Einrichtungen verfüge.
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X. führt am 18. Dezember 1992 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welcher vom Abteilungspräsidenten aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt die Entscheide des Verwaltungsgerichts, der Polizeidirektion sowie des Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamtes auf.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Die Rechtmässigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes ist grundsätzlich nach der Rechtslage zur Zeit seines Erlasses zu beurteilen. Eine Ausnahme ist dann zu machen, wenn zwingende Gründe dafür bestehen, ![]() | 7 |
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"Kollektiv-Fahrzeugausweise sind zu entziehen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung nicht mehr erfüllt sind."
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 106 Ib 252 E. 2b S. 255) begründet der Kollektiv-Fahrzeugausweis keine subjektiven Rechte. Auch dem Umstand, dass von der Bewilligung bereits Gebrauch gemacht worden ist, kommt keine entscheidende Bedeutung zu, weil mit dieser Bewilligung eine dauernde Tätigkeit gestattet wird. Dem öffentlichen Interesse an der gleichmässigen Anwendung und rechtsgleichen Durchsetzung des objektiven Rechts kommt der Vorrang vor dem Interesse der bisherigen Inhaber an der Weiterbelassung des Kollektiv-Fahrzeugausweises zu.
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b) Die Voraussetzungen der Erteilung, auf die Art. 23a Abs. 1 nVVV Bezug nimmt, ergeben sich aus Art. 23 nVVV. Dieser lautet:
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a. über die für die Art des Betriebes erforderlichen Bewilligungen verfügen;
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b. Gewähr für eine einwandfreie Verwendung des Kollektiv-Fahrzeugausweises bieten und
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c. soweit es sich um Unternehmen des Motorfahrzeuggewerbes handelt, die in Artikel 71 Abs. 2 SVG vorgeschriebene Versicherung abgeschlossen haben."
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Anhang 4 der Verordnung zählt jeweils für 20 verschiedene Betriebsarten die Mindestanforderungen an Fachkenntnisse und Erfahrungen des Gesuchstellers oder einer anderen im Betrieb verantwortlichen Person, Umfang des Betriebes, Räumlichkeiten und Betriebseinrichtungen auf. Art. 22 bis 26 nVVV in Verbindung mit Anhang 4 werden ergänzt durch Weisungen und Erläuterungen, die das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement am 2. Juli 1993 aufgrund von Art. 76a nVVV erlassen hat.
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b) In erster Linie macht der Beschwerdeführer geltend, ihm sei der Kollektiv-Fahrzeugausweis als Zylinderschleifwerkstätte zu erteilen: Er sei auf die Revision und Reparatur von Motoren spezialisiert und besitze alle hierfür erforderlichen Räumlichkeiten und Betriebseinrichtungen. Seine Werkstätte sei damit ein Hilfsbetrieb des Motorfahrzeuggewerbes, vergleichbar einer Karosseriewerkstatt, einer Autospenglerei, einem Autospritzwerk oder einer Autosattlerei (vgl. Ziff. 9 - 12 Anhang 4 nVVV). Es sei realitätsfremd zu verlangen, dass er auch über Maschinen zur Montage von Pneus, über ein Radauswuchtgerät, ein Lenkgeometrie-Prüfgerät und ähnliche Geräte verfügen müsse, obwohl er keine allgemeine Reparaturwerkstätte betreibe, sondern ausschliesslich Motoren repariere.
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b) Das Bundesgericht hat mehrfach zum Begriff der "erforderlichen Betriebseinrichtungen" nach Art. 23 Abs. 1 lit. b VVV a.F. Stellung genommen. Es hat diesen unbestimmten Rechtsbegriff unter Rückgriff auf Art. 29 SVG ausgelegt, wonach Strassenfahrzeuge nur in betriebssicherem und vorschriftsmässigem Zustand verkehren dürfen. Dass das Fahrzeug tatsächlich den Vorschriften entspreche und betriebssicher sei, werde in der Regel durch die amtliche Prüfung nach Art. 13 SVG sichergestellt. Ein Kollektiv-Fahrzeugausweis gebe seinem Inhaber das Recht, auch Fahrzeuge im Verkehr zu verwenden, welche nicht amtlich geprüft seien (Art. 25 Abs. 2 lit. d SVG; Art. 22 Abs. 3 VVV; vgl. jetzt Art. 24 nVVV). Der Dispens von der Prüfpflicht bedeute aber nicht, dass auch die generelle gesetzliche Verpflichtung, die einschlägigen Bau- und Ausrüstungsvorschriften einzuhalten, entfalle. Dies komme in der geltenden Regelung dadurch zum Ausdruck, dass der Kollektiv-Fahrzeugausweis nur an Personen und Unternehmungen abgegeben werde, welche die erforderlichen Fachkenntnisse und Einrichtungen besitzen, um selbst beurteilen zu können, ob das Fahrzeug den Vorschriften entspreche und betriebssicher sei (BGE 115 IV 144 E. 2b S. 146; vgl. jetzt Art. 24 Abs. 2 nVVV). Wer einen Kollektiv-Fahrzeugausweis benütze, müsse deshalb selbst oder durch eine im Betrieb tätige Person beurteilen können, ob das Fahrzeug den Vorschriften entspreche und betriebssicher sei. Das setze voraus, dass er auch die dazu notwendigen Werkzeuge und Geräte besitze (vgl. nicht veröffentlichte Urteile in Sachen H. vom 15. März 1991 E. 3a und b, in Sachen B. vom 25. November 1988, E. 2b und c; in Sachen G. vom 16. August 1982, E. 2a mit Hinweisen).
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c) Anhang 4 nVVV differenziert zwischen allgemeinen und spezialisierten Reparaturwerkstätten. Während erstere sämtliche für die Beurteilung der ![]() | 21 |
d) Allerdings war der Verordnungsgeber nicht verpflichtet, sämtliche Betriebe, die auch nur entfernt mit dem Motorfahrzeuggewerbe verbunden sind, als Spezialbetriebe im Sinne der Verordnung anzuerkennen. Nach dem System des Strassenverkehrsgesetzes und der Verkehrsversicherungsverordnung beziehen sich der Fahrzeugausweis und das entsprechende Kontrollschild grundsätzlich auf ein bestimmtes, amtlich geprüftes und zugelassenes Fahrzeug. Durch die Abgabe von Kollektiv-Fahrzeugausweisen und ![]() | 22 |
aa) In Anwendung dieser Grundsätze entschied das Bundesgericht, dass eine Person oder eine Unternehmung, die Fahrzeuge lediglich mit einem Zubehörgerät ausstatte, das für das Fahrzeug als solches ohne weiteres entbehrlich sei und nur den Komfort des Fahrers erhöhe (Einbau von Radio- und Kassettengeräten), nicht notwendigerweise auf Fahrten mit ungeprüften Fahrzeugen angewiesen sei (unveröffentlichter Entscheid i.S. G. vom 8. Mai 1984, E. 3). Der Beschwerdeführer arbeitet dagegen am Motor und damit an einem wesentlichen Fahrzeugteil, das Betriebsbereitschaft und -sicherheit der Fahrzeuge tangiert.
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bb) Nicht zum eigentlichen Motorfahrzeuggewerbe gehören ferner Unternehmen, die nur gelegentlich Arbeiten an Fahrzeugen vornehmen, deren eigentlicher Tätigkeitsschwerpunkt jedoch auf anderem Bereich liegt. Das ist beim Beschwerdeführer jedoch nicht der Fall: Dieser betreibt ein Zylinderschleifwerk, das, wie von allen kantonalen Vorinstanzen anerkannt wurde, auf Fahrzeugmotoren spezialisiert ist. Im Protokoll des Augenscheins des Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamtes des Kantons Bern im Betrieb des Beschwerdeführers vom 11. Juni 1991 heisst es hierzu:
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"Die Arbeiten der Zylinderschleifwerke haben sich im Gegensatz zu früher sehr verändert. Es fand eine Spezialisierung der Unternehmungen auf Reparaturen, Bau und Verkauf von Motoren statt. Teile für andere Maschinen werden heute nur noch sehr selten hergestellt. Die Arbeiten haben nicht mehr viel mit denjenigen der herkömmlichen Zylinderschleifwerke zu tun."
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b) Es wird Aufgabe des Verordnungsgebers sein, entweder eine neue Ziffer speziell für Zylinderschleifwerke in Anhang 4 nVVV aufzunehmen oder eine Generalklausel einzuführen, wonach ausnahmsweise auch anderen Gewerben ein Kollektiv-Fahrzeugausweis erteilt werden kann, die den genannten Spezialbetrieben vergleichbare Arbeiten am Fahrzeug verrichten und über die für ihre Branche erforderlichen Fachkenntnisse und Erfahrungen, Räumlichkeiten und Betriebseinrichtungen verfügen und einen gewissen Mindestumfang aufweisen. Dabei verfügt der Verordnungsgeber, was die Anforderungen im einzelnen angeht, über einen gewissen Ermessensspielraum. Bis zur Änderung der Verordnung steht deshalb noch nicht endgültig fest, dass der Beschwerdeführer die Anforderungen für den Erwerb der Kollektiv-Fahrzeugausweise erfüllt und diese auch in Zukunft behalten kann.
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