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53. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. November 1994 i.S. Basler Appell gegen Gentechnologie und Mitbeteiligte gegen Ciba-Geigy AG und Appellationsgericht des Kantons Basel Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 22 und 33 Abs. 3 lit. a RPG sowie Art. 103 lit. a OG; Pflicht zur Durchführung eines ordentlichen Baubewilligungsverfahrens; Legitimation zur Beschwerde gegen Umbauprojekt an biotechnischer Anlage; Anspruch auf rechtliches Gehör. |
Publikationspflicht von bewilligungspflichtigen Umbauvorhaben zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör von allfälligen Beschwerdelegitimierten (E. 3). |
Legitimation zur Beschwerde gegen den Umbau einer Anlage, welche der Herstellung eines Medikamentes mittels gentechnisch veränderter Mikroorganismen dient, von der gewisse Emissionen ausgehen und die die Umgebung erhöhten Gefahren aussetzt (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Mit Bauentscheid vom 25. November 1992 erteilte das Bauinspektorat von Basel-Stadt die nachgesuchte Bewilligung unter Vorbehalt diverser Bedingungen und Auflagen. Gleichzeitig teilte es Advokat X., der sich zuvor namens des Basler Appells gegen Gentechnologie und weiterer Personen mit dem Ersuchen um Durchführung eines "ordentlichen Bewilligungsverfahrens" an das Bauinspektorat gewandt hatte, in Form einer Verfügung mit, es werde gemäss § 12 Abs. 2 der Bauverordnung des Kantons Basel-Stadt vom 27. Januar 1976 (BauV) auf eine Publikation des Baubegehrens verzichtet, weil keine Veränderung der bestehenden Emissionssituation eintreten werde, und wies demgemäss das zuvor gestellte Ersuchen ab.
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Gegen den abschlägigen Entscheid des Bauinspektorats rekurrierten der Basler Appell gegen Gentechnologie sowie weitere natürliche und juristische Personen an die Baurekurskommission. Diese trat mit Entscheid vom 29. Januar 1993 gestützt auf § 37 BauV mangels Legitimation der Rekurrenten auf den Rekurs nicht ein.
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Gegen diesen Entscheid der Baurekurskommission gelangten die unterlegenen Rekurrenten erfolglos an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt.
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Am 21. Januar 1994 erhoben der Basler Appell gegen Gentechnologie und Mitbeteiligte gegen den Entscheid des Appellationsgerichtes staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht behandelt die Beschwerde im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und heisst sie gut, soweit es darauf eintrat.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Gemäss Art. 97 OG i.V.m. Art. 5 VwVG (SR 172.021) ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen. Gleiches gilt für gemischte Verfügungen, d.h. solche, die sowohl auf kantonalem als auch auf Bundesrecht beruhen, falls und soweit die Verletzung von unmittelbar anwendbarem Bundesrecht in Frage steht (BGE 120 Ib 27 E. 2a, ![]() | 8 |
c) Im vorliegenden Fall geht es um die Bewilligung von baulichen Veränderungen an einer Anlage, auf welche gemäss Verfügung des Bauinspektorats Basel-Stadt vom 25. November 1992 die Verordnung vom 27. Februar 1991 über den Schutz vor Störfällen (Störfallverordnung, StFV; SR 814.012) anwendbar ist. Auch hat die Gesuchstellerin laut Entscheid der Baurekurskommission gestützt auf Art. 46 des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz (USG; SR 814.01) und Art. 12 der Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 1985 (LRV; SR 814.318.142.1) eine Emissionserklärung eingereicht. Der materielle Baubewilligungsentscheid des Bauinspektorats stützte sich somit - zumindest auch - auf Umweltschutzrecht des Bundes. Grundlage für eine oberinstanzliche Überprüfung dieses Entscheids wäre demnach ebenfalls öffentliches Recht des Bundes gewesen. Der Nichteintretensentscheid der Baurekurskommission und das diesen Entscheid bestätigende Urteil des Appellationsgerichts, mit welchen den Beschwerdeführern die Befugnis zur Teilnahme am Baubewilligungsverfahren abgesprochen worden ist, waren somit geeignet, die korrekte Anwendung von Bundesrecht zu vereiteln. Dies kann nach dem Gesagten beim Bundesgericht ![]() | 9 |
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b) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Seine Verletzung führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides (BGE 119 Ia 136 E. 2b, BGE 118 Ia 17 E. 1a, BGE 117 Ia 5 E. 1a, BGE 115 Ia 8 E. 2a mit Hinweisen). Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 119 Ia 136 E. 2d, BGE 118 Ia 17 E. 1c, BGE 117 Ia 262 E. 4b S. 268, BGE 116 Ia 94 E. 3b S. 99, BGE 115 Ia 8 E. 2b mit Hinweisen).
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c) Nach Art. 22 RPG (SR 700) dürfen Bauten und Anlagen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert werden. Das kantonale Recht darf den Kreis der nach dieser Bestimmung bewilligungspflichtigen Bauten und Anlagen nicht einschränken. Der bundesrechtliche Begriff "Bauten und Anlagen" ist vom Gesetzgeber nicht näher umschrieben worden. Nach der Rechtsprechung ![]() | 12 |
d) Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG verlangt, dass das Beschwerderecht Dritter (Nachbarn, Mieter, Pächter, Umweltschutzorganisationen) gegenüber einer in Anwendung - oder zu Unrecht erfolgten Nichtanwendung - des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes erteilten Baubewilligung tatsächlich gewährleistet ist. Voraussetzung für die Gewährleistung des Beschwerderechts Dritter ist, dass die Beschwerdeberechtigten über ein Bauvorhaben, für welches um Bewilligung nachgesucht wird, in Kenntnis gesetzt werden. Dies geschieht im Kanton Basel-Stadt wie in anderen Kantonen in der Regel durch Ausschreibung des Bauvorhabens in einem amtlichen Publikationsorgan und durch öffentliche Auflage der Pläne (Art. 12 Abs. 1 und 3 BauV). Wird ein Entscheid für ein ausschreibungspflichtiges Bauvorhaben ohne die erforderliche Ausschreibung getroffen, wird der nach Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG vorgeschriebene Rechtsschutz nicht gewährleistet und diese Vorschrift verletzt (BGE 120 Ib 48 E. 2b mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts vom 9. September 1992 in ZBl 95/1994 S. 69 f. E. 2b). Dies kommt einer Verweigerung des verfassungsrechtlich durch Art. 4 BV geschützten rechtlichen Gehörs gleich.
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e) Ein vereinfachtes Bewilligungsverfahren ohne Ausschreibung des Baugesuches nach kantonalem Recht ist nach dem Gesagten im Lichte von Art. 22 RPG nur für kleine Bauvorhaben wie minimale Innenumbauten, bei denen Auswirkungen auf die Nachbarschaft ausgeschlossen sind, zulässig. Um ein solches Bauvorhaben handelt es sich vorliegend jedoch offensichtlich nicht: Die umstrittene Anlage untersteht der Störfallverordnung und bewirkt unbestrittenermassen gewisse Emissionen. Die daran geplanten baulichen und ![]() | 14 |
Die Bewilligung des hier umstrittenen Bauvorhabens ohne dessen vorgängige Publikation verstösst daher insofern gegen Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG, als allfälligen Legitimierten, welche vom Bauvorhaben keine rechtzeitige Kenntnis erlangten, verwehrt wurde, am Bewilligungsverfahren teilzunehmen und vor dem Entscheid ihre Betroffenheit und ihre Einwendungen darzulegen. Darin liegt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs.
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a) Das Appellationsgericht hat festgestellt, dass sich die Legitimationsvorschrift von § 37 BauV mit denjenigen im Bundesrecht (Art. 48 VwVG, Art. 103 lit. a OG) deckt. Dies trifft zu, doch hat das kantonale ![]() | 17 |
b) Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Dieses Interesse kann rechtlicher oder auch bloss tatsächlicher Natur sein und braucht mit dem Interesse, das durch die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Normen geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid stärker als jedermann betroffen ist und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Diese Anforderungen sollen die Popularbeschwerde ausschliessen. Ihnen kommt deshalb dann eine ganz besondere Bedeutung zu, wenn nicht der Verfügungsadressat im materiellen Sinn, sondern ein Dritter den Entscheid anficht. Ist auch in einem solchen Fall ein unmittelbares Berührtsein, eine spezifische Beziehungsnähe gegeben, so hat der ![]() | 18 |
c) Die für die Legitimation erforderliche Beziehungsnähe zur Streitsache ist in erster Linie dann gegeben, wenn der Bau oder Betrieb der projektierten Anlage mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit zu Immissionen führt und die Einsprecher durch diese - seien es Lärm-, Staub-, Erschütterungs-, Licht- oder andere Einwirkungen - betroffen werden. Sind solche Beeinträchtigungen zu erwarten, ändert auch der Umstand, dass eine grosse Anzahl von Personen betroffen ist, nichts an der Einsprache- und Beschwerdebefugnis. So hat das Bundesgericht schon erkannt, dass bei grossflächigen Immissionen ein sehr weiter Kreis Betroffener zur Beschwerdeführung legitimiert sein kann, zum Beispiel die Anwohner eines Flughafens einschliesslich jener, die in der Verlängerung der Flugplatzpisten wohnen (d.h. im Bereich der An- und Abflugschneisen; BGE 104 Ib 307 E. 3b S. 318), oder all jene Personen, die von Schiesslärm betroffen sind, wenn sie den Lärm deutlich hören können und dadurch in ihrer Ruhe gestört werden (im konkreten Fall bejaht bei einer Distanz von 1,3 km zur Lärmquelle: BGE vom 9. Juni 1992 i.S. K. gegen Gemeinde Reinach, in URP 1992 S. 624 ff.; ferner BGE 110 Ib 99). In dicht besiedelten Gebieten kann somit grundsätzlich sehr vielen Personen die Beschwerdelegitimation zukommen, ohne dass von einer Popularbeschwerde gesprochen werden müsste (BGE 110 Ib 99 E. 1c S. 102). Auch das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau kam zum Schluss, es sei nicht einzusehen, weshalb der Rechtsschutz des einzelnen bei Grossanlagen, von deren Auswirkungen besonders viele Personen betroffen sein könnten, weniger weit gehen sollte als bei Kleinanlagen (ZBl 82/1981 S. 235: Verbrennungsanlage für Industrieabfälle mit grösster zu erwartender Immissionskonzentration bei normaler Wetterlage in 6 km Entfernung). Und das Verwaltungsgericht des Kantons Schaffhausen redete im Zusammenhang mit einem Projekt für eine grossindustrielle Flachglasfabrik mit Hinweis auf GEORG MÜLLER (Legitimation und Kognition in der Verwaltungsrechtsprechung, ![]() | 19 |
d) Die Betroffenheit Dritter kann im weiteren auch dann nicht ausgeschlossen werden, wenn von einer Anlage zwar bei Normalbetrieb keine Emissionen ausgehen, mit dieser aber ein besonderer Gefahrenherd geschaffen wird und sich die Anwohner einem erhöhten Risiko ausgesetzt sehen. Dementsprechend hat der Bundesrat in seiner Rechtsprechung über die Teilnahme am Bewilligungsverfahren für Kernkraftwerke ausgeführt, legitimiert seien auch all jene, die den spezifischen Risiken von atomaren Anlagen - Freisetzung von radioaktiven Stoffen bei kleineren oder grösseren Betriebsunfällen oder gar den unmittelbaren Gefahren einer eigentlichen Katastrophe im Werk - in höherem Masse preisgegeben seien als die Allgemeinheit. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit sei auszugehen vom Gefährdungspotential als dem Risiko, das theoretisch mit einer solchen Anlage verbunden sei. Jedermann, der innerhalb eines Bereiches lebe, in dem dieses Gefährdungspotential besonders hoch einzuschätzen sei, habe ein schützenswertes Interesse daran, dass der Eigenart und der Grösse der Gefahr angemessene und geeignete Schutzmassnahmen ergriffen würden, weshalb er zur Teilnahme am Verfahren befugt sei. Dieses Recht finde indessen eine Schranke an der Unzulässigkeit der Popularbeschwerde. Erstrecke sich die Gefährdung auf einen so weiten Raum, dass ein grosser Teil der Bevölkerung einer ganzen Landesgegend davon betroffen sei, so könne der einzelne nur noch dann ein besonderes Interesse geltend machen, wenn er stärker exponiert sei als die übrigen Einwohner. Es seien daher rund um die Kraftwerke Zonen abzugrenzen, in denen von einer erkennbar stärkeren Gefährdung der Bewohner und daher von deren Beschwerderecht auszugehen sei, während ausserhalb dieser Zonen Wohnende ihre besondere Gefährdung nachzuweisen hätten (VPB 42/1978 Nr. 96 S. 429 ff., 46/1982 Nr. 54, 44/1980 Nr. 89).
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e) Es besteht im vorliegenden Fall kein Grund, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Für die Frage der Beschwerdebefugnis ist demnach ausschlaggebend, dass bereits heute von der umzubauenden Anlage Emissionen ausgehen und anzunehmen ist, dass auch weiterhin solche verursacht werden. Namentlich sind Auswirkungen der geplanten Lüftungs- und Abwasserbehandlungsanlagen auf die Umwelt vorauszusehen. Weiter geht es hier um eine Anlage, die für die Anwohner ein gewisses Risiko mit sich ![]() | 21 |
Es kann nicht Sache des Bundesgerichts sein, anstelle der Vorinstanzen im einzelnen abzuklären, welche der Beschwerdeführer als betroffen gelten könnten. Nach deren unbestritten gebliebenen Ausführungen wohnen sie zum Teil "wenige hundert Meter um die Anlage herum". Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass zumindest einige der Beschwerdeführer in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur streitigen Anlage stehen und von deren Umbau stärker als jedermann betroffen werden könnten. Ihnen die Rekurslegitimation abzusprechen bedeutet nach dem Gesagten eine Verletzung von Bundesrecht und eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Die Beschwerde ist daher begründet und gutzuheissen. Dabei kann wie erwähnt offenbleiben, ob die Legitimation auch bezüglich weiterer Mitbeteiligter, insbesondere des Vereins Basler Appell gegen Gentechnologie und der "Hausgemeinschaft B." sowie weiterer Beschwerdeführer zu bejahen wäre. Nach der Praxis der Baurekurskommission zu Kollektivrekursen genügt es für das Eintreten auf einen Rekurs, wenn mindestens einer der Kollektivrekurrenten die Legitimationsvoraussetzungen gemäss §§ 37 ff. BauV erfüllt.
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