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30. Urteil vom 3. März 1954 i.S. Kanton Thurgau gegen Kanton St. Gallen. | |
Regeste |
Der Steuerwohnsitz des unselbständig erwerbstätigen Minderjährigen befindet sich, sofern nicht intensivere persönliche oder familiäre Beziehungen zu einem andern Ort bestehen, am Arbeitsort (Anderung der Rechtsprechung). | |
Sachverhalt | |
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B.- Mit staatsrechtlicher Klage vom 14. Juli 1953 beantragt der Kanton Thurgau, das Bundesgericht wolle feststellen, dass Fritz Indermauer in Aadorf steuerpflichtig sei. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts im Falle Schüpbach befinde sich der Steuerwohnsitz des unselbständig erwerbenden Minderjährigen am Wohnort des Inhabers der elterlichen Gewalt. Der Kläger beantrage, diese Praxis zu überprüfen und für die unmündigen Kinder, welche selbständig oder unselbständig erwerbstätig seien und sich ausserhalb des Wohnsitzes des Gewaltinhabers befänden, ein selbständiges Steuerdomizil anzuerkennen. Denn wirtschaftlich könne zwischen selbständig und unselbständig erwerbenden Kindern mit Bezug auf ihre Selbständigkeit oder Unselbständigkeit gegenüber dem Inhaber der elterlichen Gewalt ein massgeblicher Unterschied nicht anerkannt werden. Die Erfahrung zeige, dass in unselbständiger Stellung tätige Kinder gegenüber den Eltern oft unabhängiger seien als selbständig erwerbende. Dazu kämen Schwierigkeiten in der Veranlagung und im Bezug ![]() | 2 |
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D.- Das Bundesgericht hat bei sämtlichen Kantonen eine Umfrage durchgeführt, auf die sich alle mit Ausnahme der Kantone Schwyz, Nidwalden und Glarus geäussert haben, die Kantone Zürich, Obwalden, Aargau, Waadt und Wallis im Sinne der Beibehaltung der bisherigen Praxis, die übrigen im Sinne des Zurückkommens darauf und der Anerkennung des Steuerwohnsitzes des Arbeitsortes für Minderjährige in unselbständiger Stellung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts bestimmt sich der Steuerwohnsitz der natürlichen Person für den Regelfall nach dem zivilrechtlichen Wohnsitz, d.h. danach, wo sich der Pflichtige mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (Art. 23 ZGB). Dieser zivilrechtliche Wohnsitz wird für bestimmte Personen vom Gesetz selbst festgelegt. So gilt der Wohnsitz des Ehemannes auch als Wohnsitz der Ehefrau und der unter seiner Gewalt stehenden Kinder, der Wohnsitz der Vormundschaftsbehörde als der Wohnsitz der unter Vormundschaft stehenden Person (Art. 25 ebenda). Die Ehefrau kann jedoch einen selbständigen Wohnsitz haben (Art. 25 Abs. 2). Unmündige Kinder, die ausserhalb des elterlichen ![]() | 6 |
Bei der Bestimmung des Steuerwohnsitzes dieser Personen mit gesetzlichem Wohnsitz hat freilich das Bundesgericht in Einzelfällen nicht auf die zivilrechtliche Ordnung abgestellt. So hat es die Regel des Art. 24 Abs. 1 ZGB, wonach der einmal begründete Wohnsitz einer Person bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes bestehen bleibe, als für das interkantonale Steuerrecht nicht anwendbar bezeichnet (BGE 52 I 23, BGE 53 I 279, BGE 59 I 213, BGE 67 I 103, BGE 77 I 25 Erw. 2 und die dortigen Zitate), dies deshalb, weil die Gründe, die für das fiktive Weiterbestehen des früheren Wohnsitzes in zivilrechtlicher Beziehung sprechen, für die steuerrechtlichen Domizilwirkungen nicht gelten, das Steuerrecht auf den tatsächlichen Mittelpunkt der persönlichen Beziehungen abstellt. Weitere Ausnahmen bestehen, wenn eine vom Wohnsitz des Familienhauptes getrennte, auf die Dauer berechnete Familienniederlassung besteht (BGE 40 I 227, BGE 47 I 66, BGE 57 I 415 Erw. 2), sodann bei Saisonangestellten. Das Urteil i.S. Schüpbach stellt für die Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes unselbständig erwerbender minderjähriger Personen auf die zivilrechtliche Ordnung ab, indem es den zivilrechtlichen Wohnsitz des Kindes auch für die Besteuerung als massgeblich bezeichnet. Die mit der Klage beantragte Änderung würde also den Anwendungsbereich der vorhandenen Ausnahmen um eine vermehren und für die steuerrechtliche Entscheidung dem wirklichen vor dem gesetzlichen Wohnsitz den Vorzug geben.
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Systematisch gesehen kann die bisherige Ordnung den Vorzug der Klarheit und bessern Übersichtlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Sie hält sich an den zivilrechtlichen ![]() | 8 |
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Keinesfalls würde die Substitution oder die Haftung des Gewaltinhabers aus der Rechtsprechung i.S. Schüpbach abgeleitet werden können. Denn die Regeln, die das Bundesgericht in Doppelbesteuerungsfällen aufstellt, setzen lediglich die Grenzen der kantonalen Steuerhoheit fest, und sie beanspruchen Geltung nur insoweit, als dies zur Durchsetzung des Doppelbesteuerungsverbotes notwendig ist. Sie stehen dagegen einer Ordnung nicht entgegen, wonach der minderjährige Erwerbstätige bezüglich der Besteuerung für den Arbeitserwerb als selbständiges Steuersubjekt betrachtet wird.
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Indes darf nicht ausser acht bleiben, dass die überwiegende Mehrheit der kantonalen Steuergesetze davon ausgeht, das unselbständig erwerbstätige Kind sei eigenes Steuersubjekt, und dass in diesem Falle die Besteuerung auf praktische Schwierigkeiten stösst, die einer sachlich richtigen Besteuerung im Wege stehen oder sie doch erschweren. Diese Unzukömmlichkeiten bestehen nach den Erklärungen der Finanzdirektoren darin, dass der Wohnsitzkanton des Gewaltinhabers oft nicht einmal davon in Kenntnis gesetzt wird, dass ein Minderjähriger zum Zwecke des Unterhaltserwerbs in einen andern Kanton gezogen ist, dass der neue Aufenthaltskanton des Kindes oft sogar den Eltern nicht bekannt ist, oder dass es ihnen doch Schwierigkeiten verursachen kann, vom Minderjährigen die für die Steuerveranlagung erforderlichen Unterlagen zu erhalten, dass das Meldewesen unter den Kantonen zuverlässige Auskünfte darüber nicht gewährleistet und die Änderung der Steuerhoheit auf den Zeitpunkt des Eintrittes der Volljährigkeit weitere Schwierigkeiten schafft. Übrigens muss darauf hingewiesen werden, dass die Besteuerung dieser Personen am Tätigkeitsort auch denjenigen Kantonen möglich ist, welche, wie es beim Kanton Aargau zutrifft, den Inhaber der elterlichen ![]() | 12 |
Verhält es sich aber so, dass die grosse Mehrzahl der Kantone, wenn sie ihr Steuersystem beibehalten wollen, unbestreitbare praktische Unzukömmlichkeiten in Kauf nehmen müssten, wenn sie auf den gesetzlichen Wohnsitz des Minderjährigen abzustellen gezwungen wären, dass sie also an der Besteuerung am Aufenthaltsort ein erhebliches Interesse haben, während die wenigen andern Kantone, die auf Grund ihrer Gesetzgebung am Steuerort des gesetzlichen Wohnsitzes festzuhalten wünschen, erheblichen Schwierigkeiten nicht begegnen, so rechtfertigt es sich, die mit dem Urteil Schüpbach eingeleitete Rechtsprechung zugunsten derjenigen aufzugeben, welche die Steuerpflicht des unselbständig erwerbenden Minderjährigen am Ort des tatsächlichen Aufenthaltes fixiert.
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Die Einwendungen, die gegen diese Lösung der Frage aus dem Gesichtspunkt einer möglichst gerechten Verteilung der Steuerhoheit der Kantone erhoben werden, fallen dabei schon deshalb nicht entscheidend ins Gewicht, weil es bei den Steuererträgen aus den Einkünften Minderjähriger nicht um grössere Beträge geht, allfällig sich ergebende Differenzen zugunsten oder zu Ungunsten einzelner Kantone von durchaus untergeordneter Bedeutung wären. Viel gewichtiger ist demgegenüber, wie ausgeführt, die Forderung, dass die Regeln, die der Abgrenzung der Steuerhoheit und der Vermeidung von Doppelbesteuerung dienen sollen, bei ihrer Anwendung keine übermässigen Schwierigkeiten zur Folge haben sollen. Ihre Berücksichtigung rechtfertigt es aber, für die Besteuerung des Kindes in unselbständiger Stellung nicht auf den gesetzlichen Wohnsitz, sondern den tatsächlichen Aufenthalt abzustellen. Auch die übrigen Einwendungen gegen die Massgeblichkeit des tatsächlichen Aufenthaltes für die Anknüpfung der Steuerhoheit vermögen nicht zu überzeugen. Die Notwendigkeit, im Einzelfall prüfen zu müssen, ob der Aufenthalt des Pflichtigen nach den Grundsätzen, die ![]() | 14 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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