BGE 81 I 26 | |||
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6. Auszug aus dem Urteil vom 26. Januar 1955 i.S. J. Küng & Co. gegen Einwohnergemeinde Interlaken und Regierungsrat des Kantons Bern. | |
Regeste |
Erfordernis der klaren gesetzlichen Grundlage für Vorschriften eines Gemeinde-Baureglementes, die ein bestimmtes Gemeindegebiet als Hotelzone ausscheiden- Sie liegt nicht schon in der Befugnis der bernischen Gemeinde zum Erlass baupolizeilicher Vorschriften. | |
Sachverhalt | |
A.- Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 446 zwischen Aare und Höheweg in Interlaken. Das Grundstück bildet zusammen mit dem östlich anstossenden Hotel Beau-Rivage und den auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse befindlichen Hotels den östlichen Abschluss des am Höheweg gelegenen Hotelquartiers. Auf dem dem Fluss zu gelegenen nördlichen Teil der Liegenschaft befindet sich das ziemlich überalterte Hotel Bavaria mit den direkt an der Aare gelegenen Ökonomiegebäuden; der gegen den Höheweg zu gelegene Teil ist noch unüberbaut und findet teils als Park, teils als Garten Verwendung. Die Eigentümerin beabsichtigte, diesen Teil der Liegenschaft mit Geschäftsgebäuden (Autogarage mit Werkstatt, Ausstell- und Einstellräumlichkeiten sowie Tankstelle) zu überbauen. Die Baubewilligungsbehörden lehnten jedoch das Baugesuch ab, weil die projektierten Bauten das Ortschaftsbild verunstalten müssten. Um die Gefahr einer unerwünschten Entwicklung auch für die Zukunft auszuschliessen, fasste die Gemeinde eine Ergänzung des Baureglementes der Gemeinde vom 6. März/10. April 1923 sowie eine Abänderung der Alignementslinien ins Auge, mit denen erreicht würde, dass das Gebiet zwischen Höheweg und Aare sowie einige kleinere Parzellen in der nähern Umgebung als eigentliche Hotelzone erhalten blieben. In der Sitzung vom 20. Juni 1952 beschloss der Grosse Gemeinderat von Interlaken, das Baureglement, das in Art. 46 unter dem Titel: "Gewerbliche Einrichtungen" schützende Bestimmungen enthält zugunsten von Hotels, Pensionen, von Kirchen, Schul- und Krankenhäusern sowie Villenquartieren, zu ergänzen durch Einfügung eines Art. 46bis mit folgendem Wortlaut:
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Zum Schutze des Fremdenverkehrs wird eine Hotelzone geschaffen. Dieselbe ist im Plan vom 6. Juni 1952 eingezeichnet, der einen Bestandteil des Baureglementes bildet. In den in diesem Plan festgelegten Gebieten dürfen, mit Ausnahme von Verkaufsmagazinen, nur Hotels und Pensionen und mit dem Betrieb derselben zusammenhängende Bauten wie Dependencen, Ökonomiegebäude, Schlafstätten für Besitzer und Personal, Wäschereien, Einstellräume für Autos der Hotelgäste, erstellt werden. Diese Gebäude sind nur auf dem hinter den Hauptgebäuden liegenden Areal zulässig. Verboten sind auf der ganzen Hotelzone gewerbliche Anlagen und Fabrikbetriebe jeder Art. Bestehende Gebäude und Anlagen, die mit diesen Bestimmungen im Widerspruch stehen, dürfen wohl in ihrem Bestande erhalten, dagegen weder erweitert noch erhöht werden. Die vorhandenen Gartenanlagen sind, soweit immer möglich, zu erhalten.
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Gleichzeitig wurde am Höheweg eine neue Vorbautenlinie und eine neue Baulinie gezogen. Die Gemeinde stimmte in der Urnenabstimmung vom 9./10. August 1952 der ihr unterbreiteten Vorlage zu. Der Regierungsrat genehmigte die Ergänzung des Baureglementes mit Beschluss vom 2. März 1954 und wies eine Beschwerde der Firma Küng & Co. als unbegründet ab, mit der geltend gemacht worden war, die Schaffung der Hotelzone mit den neuen Alignementslinien entwerte ihr Grundstück und könne sich nicht auf eine gesetzliche Grundlage stützen. Dagegen wurde mit Beschluss des Regierungsrates vom gleichen Tage die Genehmigung des ebenfalls angefochtenen Alignementsplanes verweigert.
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C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragen die Kommanditgesellschaft Küng & Co. sowie deren Gesellschafter, die Ergänzung des Baureglementes durch Art. 46bis mit zugehörigem Zonenplan aufzuheben, eventuell mit Bezug auf die Parzelle der Beschwerdeführerin.
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D.- Der Regierungsrat des Kantons Bern und die Einwohnergemeinde Interlaken beantragen die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
2. Beschränkungen, die sich aus der das Baureglement ergänzenden Vorschrift von Art. 46bis für das Grundstück der Beschwerdeführer ergeben, stellen eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung im Sinne von Art. 702 ZGB dar. Es ist kein Zweifel darüber möglich, dass sie für ein Grundstück wie dasjenige der Beschwerdeführer, bestehend aus einem veralteten, renovationsbedürftigen Hotel und einem grössern noch unüberbauten Landkomplex an der Strasse, für die künftige wirtschaftliche Benützung des Grundstückes von sehr tiefgreifender Wirkung ist. Sie wirkt sich dahin aus, dass die Beschwerdeführer genötigt wären, entweder das bisherige Hotel, eventuell nach Vornahme eines Umbaues, weiter zu betreiben, wobei ihnen nur gestattet würde, an der Strasse gewisse Vorbauten (Souvenirläden) zu erstellen, oder dass sie nur einen Hotelneubau errichten könnten. In beiden Fällen wären sehr erhebliche Mittel aufzuwenden, zu denen der zu erwartende Ertrag voraussichtlich in keinem richtigen Verhältnis stehen würde. Die bezüglichen Anbringen der Beschwerdeführer über die Baukosten und deren unzureichende Verzinsung sind denn auch nicht bestritten worden und ihr Zutreffen ergibt sich aus den Ausführungen der bundesrätlichen Botschaft vom 10. Dezember 1954 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über rechtliche und finanzielle Massnahmen für das Hotelgewerbe (BBl 1954 II Nr. 50, 1181). Dort ist ausgeführt, dass anhand der Ergebnisse von 600 Revisionen in bestehenden Hotelunternehmungen (d.h. also in zu den früheren Baukosten erstellten Betrieben) noch heute trotz des vermehrten Fremdenzustroms von einer eigentlichen Ertragskrise gesprochen werden müsse.
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Derartige Beschränkungen der Eigentumsfreiheit sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts mit der Eigentumsgarantie, wie Art. 89 bern. KV sie gewährleistet, nur vereinbar, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, d.h. wenn sie insbesondere auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse gelegen sind, und wenn sie, sofern sie in ihren Wirkungen einer Enteignung gleichkommen, gegen Entschädigung erfolgen. Wenn dabei die Eingriffe von besonderer Intensität sind, über dasjenige hinausgehen, was bisher in der Schweiz als öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung gebräuchlich war, so bedarf es dafür einer unzweideutigen gesetzlichen Vorschrift, sollen sie die Eigentumsgarantie nicht verletzen (BGE 74 I 156, BGE 77 I 218, BGE 78 I 427, BGE 79 I 228). Vom Erfordernis einer genügenden gesetzlichen Grundlage gilt auch dann keine Ausnahme, wenn die Beeinträchtigung aus allgemeinen polizeilichen Kompetenzen der Bewilligungsbehörde abgeleitet wird (Urteil vom 10. November 1954 i.S. Aecherli Erw. 1).
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Er ergibt sich vielmehr erst aus den nachfolgenden Bestimmungen, nämlich bezüglich der Alignementspläne aus den §§ 2 ff., bezüglich der baupolizeilichen Vorschriften aus § 18. Hier ist bestimmt, dass die aufzustellenden Bestimmungen baupolizeilichen Charakter haben sollen, und es wird präzisiert, dass sie, soweit nicht bereits kantonale Vorschriften über den betreffenden Gegenstand bestehen, den Bedürfnissen der Verkehrs-, Gesundheits- oder Feuerpolizei oder denjenigen der Bausicherheit zu dienen haben, und dass sie angeordnet werden können, soweit sie zur Verhütung von Verunstaltungen des Orts- oder Landschaftsbildes dienen. Die weitern in Abs. 2 von § 18 den Gemeinden überlassenen Bestimmungen sind hier ohne Bedeutung.
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Die Vorschrift des § 18 AIG ist nicht für sich allein, wohl aber in Verbindung mit einer gemeindlichen Bauordnung die gesetzliche Grundlage für den Erlass von Bauvorschriften, dies dann und soweit, als diese den Rahmen der gesetzlichen Vorschriften nicht sprengen, d.h. also noch baupolizeilichen Charakter haben. Um derartige baupolizeiliche Vorschriften handelt es sich, wenn sie die Frage ordnen, ob offen oder geschlossen gebaut werden soll, wenn sie Bestimmungen enthalten über die Gebäudehöhe, über die Zahl der zulässigen Stockwerke, über das Verhältnis von Grundfläche zu Baukörper, wenn sie das Bauen aus feuerpolizeilichen oder verkehrspolizeilichen Gründen einschränken und schliesslich, nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 18, wenn sie dazu dienen sollen, ein Landschafts-, Orts- oder Strassenbild vor Verunstaltung zu bewahren. In diesen Rahmen baupolizeilicher Vorschriften gehen nach der herrschenden Auffassung auch noch Zonenvorschriften, die bestimmte Bauten für gewisse Quartiere reservieren oder andere davon ausschliessen, die also z.B. Fabrikbauten und gewerbliche Betriebe störender Art von bestimmten Siedlungsbezirken ausschliessen. Denn dafür können Erwägungen baupolizeilicher Art, solche des Verkehrs, der Gesundheit oder der Ästhetik namhaft gemacht werden.
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Eigentliche Planungsmassnahmen, mit denen erreicht werden soll, dass bestimmte Gebiete ohne Rücksicht darauf, ob das Terrain baureif ist oder nicht, überhaupt nicht überbaut werden dürfen (Grünzonen zum Zwecke städtebaulicher Gliederung), oder dass darauf nur ganz bestimmte Bauten, etwa solche für den Bedarf des Landwirts und seiner Familie mit den für einen Landwirtschaftsbetrieb erforderlichen Annexbauten errichtet werden dürfen (Landwirtschaftszonen), lassen sich mit baupolizeilichen Anforderungen und Rücksichten im bisherigen Sinne, und damit auch im Sinne des bernischen Alignementsgesetzes vom Jahre 1894, schlechterdings nicht mehr rechtfertigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es dazu einer sie besonders zulassenden gesetzlichen Vorschrift (BGE 74 I 147, BGE 77 I 217, BGE 78 I 427, BGE 79 I 228). Die von der Gemeinde Interlaken beschlossene Hotelzone ist von grundsätzlich gleicher Art wie jene Zonen. Sie will dem Eigentümer von Grundstücken in einem im übrigen überbauten Quartier verbieten, darauf etwas anderes als ein Hotel, eine Pension, gewisse Verkaufsmagazine und allfällige Annexbauten zu Hotels zu erstellen, und damit die weitere wirtschaftliche Verwertung auf einen sehr engen Kreis von Objekten einschränken. Da sie dabei nicht auf die Tatsache Rücksicht nimmt, dass für solche als zulässig bezeichnete Bauten auf absehbare Zeit praktisch keinerlei Bedarf vorhanden ist, läuft sie jedenfalls in ihrer Wirkung für das Grundstück der Beschwerdeführer auf ein Bauverbot hinaus. Für ein solches Verbot bestehen keine baupolizeilichen Gründe. Die Baubeschränkung wird begründet mit dem Charakter der am Höheweg bereits erstellten Gebäude. Ihre Berücksichtigung könnte aber lediglich unter dem Gesichtspunkt der Verunstaltung des Strassenbildes von Bedeutung sein. Dafür würde nicht genügen, dass das Hinzutreten einer neuen Baute unter Umständen als nicht sehr schön empfunden werden könnte. Es müsste vielmehr eine Verunstaltung entstehen, die Neubaute eine hässliche und ärgerliche Wirkung schaffen (BGE 39 I 556). Es ist jedoch schlechterdings nicht einzusehen, dass ein anderer als ein Hotelneubau notwendigerweise als hässlich oder auch nur unpassend empfunden werden müsste, warum nicht auch ein Wohnhaus, das dem Strassenbild angeglichen würde, oder ein Geschäftshaus, das nicht bloss Souvenirartikel führt, oder ein Gebäude, das ausser einem derartigen Saisonbetrieb andere Räumlichkeiten, Wohnungen oder Praxisräume für Inhaber freier Berufe usw. aufwiese, sollte erstellt werden können, ohne das Strassenbild zu beeinträchtigen oder zu verunstalten. Bloss geringfügige Abweichungen in der Bauart vermöchten eine solche Verunstaltung auch deshalb nicht zu bewirken, weil nach dem Ergebnis des Augenscheins die Gebäude am Höheweg durchaus keinen absolut einheitlichen Charakter besitzen, sodass nicht gesagt werden könnte, das Ortsbild werde durch eine andere als eine Hotelneubaute in seiner bisherigen Wirkung nur ungünstig beeinflusst. Der Gesichtspunkt der Verunstaltung wird also angerufen, um ein Ziel zu erreichen, das bedeutend weiter geht, das eine eigentliche Planung will. Eine solche ist aber nicht ohne eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung der Gemeinde hiezu möglich.
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Art. 46bis enthält freilich nicht bloss eine positive Vorschrift über die in der Zone gestatteten Bauten, sondern auch eine negative, nämlich das Verbot neuer gewerblicher Anlagen und Fabrikbetriebe jeder Art, sowie der Erweiterung bereits bestehender. Er geht damit weiter als Art. 46 Abs. 1 BO, der solche Betriebe nur verbietet, wenn sie mit belästigenden Einflüssen verbunden sind, und geht dieser als neuere, nur für ein bestimmtes Quartier geltende Sondervorschrift offenbar vor. Der baupolizeiliche Charakter lässt sich ihr nicht ohne weiteres absprechen, weil dem Gesichtspunkt der Verunstaltung eine gewisse Berechtigung zukommen kann. Denn gewerbliche Anlagen oder gar eigentliche Fabrikbetriebe können, selbst wenn davon nicht besondere Immissionen auf die Nachbarschaft ausgehen, in der Regel, insbesondere bei der herkömmlichen Bauweise, ohne Willkür als Verunstaltung des Strassen- oder Quartierbildes betrachtet werden. Garagehallen, Einstellräume und Benzintankstellen könnten übrigens wegen der damit verbundenen Einwirkungen auf die Umgebung und der Gefährdung des Verkehrs auf der Promenade am Höheweg schon auf Grund von Art. 46 Abs. 1 BO verboten werden. Die Frage braucht nicht abschliessend entschieden zu werden. Denn es steht nicht mit Sicherheit fest, dass dieser Teil der Vorschrift für sich allein zur Einfügung von Art. 46bis BO Anlass gegeben hätte und ob die Gemeinde es bei Aufhebung der Hotelzone nicht bei der bisherigen Ordnung bewenden lassen will. Nur wenn dies feststünde, würde es sich rechtfertigen, bloss auf teilweise Nichtigkeit der Vorschrift zu erkennen.
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Mit der Behauptung, dass, falls die Befugnis der Gemeinde, ihr Gebiet in Bauzonen einzuteilen, sich nicht aus dem Alignementsgesetz ableiten liesse, sie sich zum mindesten aus einer jahrzehntelangen gewohnheitsrechtlichen Entwicklung ergeben müsste, scheint die gesetzliche Grundlage in einem Gewohnheitsrecht erblickt zu werden. Für die Bildung von Gewohnheitsrecht ist nach allgemeinen Grundsätzen erforderlich, dass eine Regel während längerer Zeit geübt wurde und dass diese Übung auf einer Rechtsüberzeugung, der opinio necessitatis beruht (BGE 56 I 42, nicht veröffentlichte Urteile vom 20. Januar 1949 i.S. Forrer, Erw. 5 lit. b und dortige Zitate, und vom 17. Juni 1953 i.S. Billeter S. 16). Die Gemeinde, die sich auf solche Übung zu berufen scheint, unterlässt es jedoch, darzulegen, dass in der Gemeinde oder im Kanton bisher eine Übung im Sinne der von ihr beschlossenen Ordnung bestanden habe, und seit wann und durch welche Entscheide der zuständigen Behörden sich eine Rechtsüberzeugung von der Zulässigkeit von Hotelzonen entwickelt hätte. Vollends könnte von einem autonomen Gewohnheitsrecht im behaupteten Sinne keine Rede sein.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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