![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
![]() | ![]() |
44. Urteil der staatsrechtlichen Abteilung vom 6. Juli 1955 i.S. Büchel gegen Kanton St. Gallen. | |
Regeste |
Art. 42 Abs. 2 OG. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Danach fiel die Liegenschaft des Klägers zum grösseren ![]() | 2 |
Am 20. August 1935 reichte der Gemeinderat von Buchs dem Regierungsrat den bereinigten Überbauungsplan für das Gebiet "Mühle-Äule" zur Genehmigung ein. Der Regierungsrat erteilte die Genehmigung am 21. September 1935. Es ist nicht bestritten, dass dieser Überbauungsplan eine über den bestehenden Zustand hinausgehende bauliche Verwertung der Parzelle des Klägers nicht mehr ermöglichte. Eine vom Gemeinderat beschlossene kleine Abänderung, die den Kläger indessen nicht berührte, wurde vom Regierungsrat am 18. April 1944 genehmigt.
| 3 |
Da die Ausführung der Bahnunterführung und der geplanten Strasse, welche die Liegenschaft des Klägers beansprucht hätte, auf sich warten liess, wurden Heinrich Büchel bzw. seine Anwälte wiederholt beim Gemeinderat Buchs und beim kantonalen Baudepartement vorstellig und drängten auf eine endgültige Lösung. Mit Brief vom 23. Dezember 1937 antwortete das Baudepartement, das Projekt einer Bahnunterführung bedürfe wegen der Kostenfrage noch weiterer Abklärung, so dass auf den Überbauungsplan, der die Ausführbarkeit der Unterführung sichere, vorläufig nicht verzichtet werden könne.
| 4 |
Am 25. August 1947 hob der Regierungsrat auf Antrag ![]() | 5 |
Nachdem sich der Kläger wiederum über die Baubeschränkung wegen der geplanten Bahnunterführung beschwert hatte, antwortete ihm das Baudepartement am 22. Februar 1949, es seien nun vier verschiedene Projekte vorhanden, von denen nur eines seine Liegenschaft erfasse, so dass es möglich sei, dass diese Liegenschaft bald "aus jeder Baubeschränkung" entlassen werden könne, zur Zeit könne indessen unmöglich eine verbindliche Zusicherung hierüber gegeben werden. Auf eine weitere Intervention des Klägers antwortete das Baudepartement am 1. Oktober 1949, es tue sein Möglichstes, um die Sache zu fördern, es sei aber schwer, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen, das Departement könne daher im jetzigen Stadium noch nicht abschliessend Stellung nehmen. Mit Schreiben vom 24. Oktober 1950 berichtete es dem Kläger, es sei bis jetzt leider noch nicht gelungen, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu erzielen; einerseits wolle man den Kläger nicht weiterhin entschädigungslos in der Verwertung seiner Liegenschaft einschränken, anderseits werde aber seine Liegenschaft voraussichtlich für die Verwirklichung der Unter- oder Überführung doch benötigt, der Kanton sei daher nicht abgeneigt, durch den Kauf der Liegenschaft zu einem angemessenen Preis eine Lösung herbeizuführen.
| 6 |
Mit Eingabe vom 12. Mai 1951 stellte der Kläger beim Baudepartement das Begehren, entweder die Bausperre aufzuheben und ihm für den entstandenen Schaden angemessenen Ersatz zu leisten, oder dann solle der Staat die Liegenschaft kaufen oder gegen volle Entschädigung expropriieren.
| 7 |
8 | |
Mit Schreiben vom 26. April 1952 meldete der Kläger beim Baudepartement Schadenersatzansprüche wegen der während 18 Jahren bestandenen Bausperre an.
| 9 |
Am 16. Juli 1952 teilte das Baudepartement dem Kläger mit, dass der Überbauungsplan "Mühleäuli" der Gemeinde Buchs, der eine bauliche Veränderung der Liegenschaft des Klägers über den bestehenden Zustand hinaus fast völlig ausgeschlossen habe, am 25. August 1947 aufgehoben worden sei. "Vom Gesichtspunkte der Staatsstrasse" komme noch hinzu, "dass die Schweizerischen Bundesbahnen nun vorgesehen haben, den internationalen Güterbahnhof talabwärts zu verlegen, so dass der bestehende Niveauübergang wesentlich entlastet wird. Wir haben daher keine Veranlassung, ein Projekt über eine Über- oder Unterführung in Aussicht zu nehmen". Auf Grund dieser rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse sei das Baudepartement der Auffassung, dass Heinrich Büchel keinen Rechtsgrund habe, vom Kanton irgend eine Entschädigung zu verlangen.
| 10 |
B.- Am 27. August 1954 reichte Heinrich Büchel gestützt auf Art. 42 OG eine direkte Klage beim Bundesgericht gegen den Kanton St. Gallen ein, mit der er Schadenersatz im Betrage von Fr. 50'000.-- nebst 5% Zinsen seit 3. Dezember 1952 geltend macht. Diese Klage begründet er im wesentlichen damit, dass ihn schon vor der Aufhebung des ersten Überbauungsplanes vom Jahre 1935 der Kanton St. Gallen selbständig auf die Baubeschränkung verpflichtet und auch nachher bis zum 3. Dezember 1951 daran festgehalten habe. Diese Bausperre, die sich schliesslich als überflüssig und nutzlos erwiesen habe, habe ihm während 18 Jahren verunmöglicht, seine Liegenschaft baulich auszuwerten, und stelle eine materielle Enteignung dar. Für den ihm hieraus entstandenen Schaden hafte der Kanton. In rechtlicher Beziehung wird auf ![]() | 11 |
C.- Der Kanton St. Gallen beantragt in erster Linie, auf die Klage wegen Unzuständigkeit des Bundesgerichts nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Zur Unzuständigkeitseinrede wird ausgeführt, aus dem Gutachten Ruck sei zu schliessen, dass der Kläger seine Klage offenbar auf eine analoge Anwendung von Art. 8 Ziff. 3 und Art. 12 des kantonalen Expropriationsgesetzes stützen wolle, dass er also eine Entschädigung für den sogenannten Expropriationsbann geltend machen wolle. Es handle sich somit um eine Expropriationsstreitigkeit. Nach dem Recht des Kantons St. Gallen stehe sowohl im formellen Expropriationsverfahren wie auch im Falle einer materiellen Enteignung der kantonale Rechtsweg ohne weiteres offen (Art. 55 Ziff. 7 lit. a Zivilrechtspflegegesetz in der Fassung von Art. 221 des kantonalen Organisationsgesetzes vom 29. Dezember 1947). Auf Grund von Art. 42 Abs. 2 OG sei daher auf die Klage nicht einzutreten.
| 12 |
D.- In der Replik und Duplik halten die Parteien an ihren Anträgen und Standpunkten fest. Der Kläger bestreitet die Unzuständigkeitseinrede und macht hiezu geltend, es liege keine "eigentliche Expropriationsstreitigkeit vor, obwohl die Bestimmungen über den Enteignungsbann analog anzuwenden sind". Unwesentlich sei, dass nicht nur im formellen Expropriationsverfahren, sondern auch im Falle einer materiellen Enteignung der kantonale Rechtsweg offen stehe. Art. 42 Abs. 2 OG habe nur dann die direkte Klage beim Bundesgericht ausschliessen wollen, wenn es sich um eine formelle Expropriation handle, für die das kantonale Recht ein besonderes Enteignungsverfahren vorsehe.
| 13 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 42 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen einem Kanton einerseits und Privaten oder ![]() | 14 |
Der Beklagte bestreitet mit Recht nicht, dass die vorliegende Klage eine Zivilstreitigkeit im Sinne dieser Gesetzesbestimmung zum Gegenstand hat. Die streitige Forderung wird, wie sich aus dem Gutachten Ruck, auf das der Kläger zur rechtlichen Begründung verweist, und aus der Replik unzweideutig ergibt, zwar darauf gestützt, dass die dem Kläger auferlegte Baubeschränkung eine materielle Enteignung darstelle, für die er Anspruch auf Entschädigung habe, und stellt daher nach heutiger Rechtsauffassung zweifellos einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch dar. Art. 42 OG geht aber bei der Abgrenzung zwischen zivilrechtlichen und öffentlichrechtlichen Ansprüchen nicht von der innern Natur des Rechtsverhältnisses und der Rechtsnorm aus, von denen es beherrscht wird, sondern von einer historischen Auslegung des Begriffes der Zivilrechtsstreitigkeit. Zivilrechtlich im Sinne dieser Vorschrift ist, was nach der Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Recht, wie sie bei Erlass von Art. 110 BV, den Art. 42 OG ausführt, galt, als zivilrechtlich betrachtet wurde (BGE 71 II 173,BGE 78 I 380,BGE 78 II 26,BGE 79 II 432, BGE 80 I 245; BIRCHMEIER, Organisation der Bundesrechtspflege, S. 66, 68 ff.). Als zivilrechtlich galt zwar damals nicht der Streit über die Abtretungspflicht, wohl aber der Anspruch auf Enteignungsentschädigung, sowohl bei der formellen wie bei der materiellen Enteignung (BGE 31 II 552). Die streitige Forderung hat daher als zivilrechtlich im Sinne von Art. 42 OG zu gelten.
| 15 |
2. Art. 42 Abs. 1 OG gilt nach Abs. 2 jedoch nicht für "Expropriationsstreitigkeiten". Nach der Entstehungsgeschichte wurde diese Ausnahmebestimmung in den ![]() ![]() | 16 |
Im Hinblick auf diese Entstehungsgeschichte erklärte das Bundesgericht, Art. 48 Ziff. 4 OG von 1893 schliesse "eigentliche" Expropriationsstreitigkeiten ausdrücklich aus, "nicht etwa, weil Zweifel über deren zivilrechtlichen Charakter bestanden hätten, sondern weil und soweit in den Kantonen hiefür ein besonderes Verfahren besteht, neben welchem eine konkurrierende Kompetenz des Bundesgerichts als unzweckmässig und entbehrlich erschien"; das Bundesgericht wäre daher nur dann unzuständig, "wenn es sich nicht bloss um eine ihrer rechtlichen Natur nach dem Entschädigungsanspruch des Expropriaten verwandte, sondern um eine eigentliche Expropriationsstreitigkeit, d.h. um eine nach positivem kantonalem Recht im besonderen Expropriationsverfahren zu erledigende Streitigkeit handeln würde" (BGE 31 II 553). Fehlt ein solches besonderes Verfahren oder umfasst es nur einen ganz bestimmten, eng begrenzten Kreis von Eingriffen in das Privateigentum, z.B. nicht auch enteignungsähnliche Tatbestände (sog. materielle Enteignung), so sind nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts die Voraussetzungen für die Einschränkung der direkten Klage an das Bundesgericht nicht erfüllt (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 584; Urteile vom 13. November 1935 i.S. Felder E. 1, S. 10, vom 10. Oktober 1946 i.S. von Schulthess E. 5, und vom 20. März 1947 i.S. Reformierte Teilkirchgemeinde Möriken E. 6, S. 14; BOSSHARDT, Die Eigentumsgarantie, S. 89; HAUSER, a.a.O., S. 102 f.). Wie bereits ausgeführt, gründet sich die vorliegende Schadenersatzklage ausschliesslich auf eine angebliche materielle Enteignung. Ein anderer Haftungsgrund, etwa aus Verantwortlichkeit für widerrechtliches Handeln der Behörden, wird nicht geltend gemacht. Nach der Klageantwort des Regierungsrates stellt der Kanton St. Gallen das besondere (formelle) Enteignungsverfahren vor der Schätzungskommission nur für klassische Expropriationen ![]() | 17 |
18 | |
Unter den Wortlaut des Art. 42 Abs. 2 OG lassen sich zwanglos alle Streitigkeiten subsumieren, welche die Entschädigung für die Entziehung oder Minderung von Eigentumsrechten zu Gunsten öffentlicher Unternehmungen durch das Gemeinwesen zum Gegenstand haben, also sowohl Ansprüche aus der formellen wie aus materieller Enteignung und ohne Rücksicht darauf, ob der betreffende Kanton dafür ein besonderes formelles Verfahren (vor einer Schätzungskommission mit der Weiterzugsmöglichkeit an das Gericht) oder nur den ordentlichen Prozessweg zur Verfügung stellt. Der Wortlaut des Gesetzes zwingt umso weniger zur bisherigen einschränkenden Auslegung des Begriffes "Expropriationsstreitigkeiten" in dem Sinne, dass darunter nur die in einem besonderen kantonalen Expropriationsverfahren zu erledigenden Streitigkeiten zu ![]() ![]() | 19 |
Angesichts dieser Konsequenzen der bisherigen Gesetzesauslegung drängt es sich auf, sie aufzugeben, zumal sie im Gesetzestext keine Stütze findet. Die genannten stossenden Rechtsungleichheiten lassen sich vermeiden, wenn der Begriff "Expropriationsstreitigkeiten" nicht im Hinblick auf das gerade in Frage stehende kantonale Verfahren, sondern nach der innern Natur dieser Streitigkeiten ausgelegt wird. Dabei wäre es aber auch unbefriedigend, wenn nur Entschädigungsansprüche aus formeller Enteignung darunter verstanden würden. Solche aus materieller Enteignung könnten dann auf dem Wege der direkten Klage gemäss Art. 42 OG vor das Bundesgericht gebracht und von ihm in jedem Falle frei überprüft werden, während Ansprüche aus normalen formellen Enteignungsfällen lediglich auf dem Wege der staatsrechtlichen ![]() | 20 |
Darin, dass bei Abs. 2 des Art. 42 OG die bisherige historische Auslegung aufgegeben, sie aber mit Bezug auf den Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeiten in Abs. 1 angewendet wird, liegt keine Inkonsequenz. Abs. 1 ist - im Unterschied zu Abs. 2 - einfach die Ausführung von Art. 110 Ziff. 4 BV, und im Zeitpunkt des Erlasses der Verfassung galt der Anspruch auf Entschädigung aus der formellen und materiellen Enteignung allgemein als zivilrechtlich. Die bisherige einschränkende Auslegung von Abs. 2 des Art. 42 OG dagegen stützt sich nicht darauf, was im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes allgemein als Expropriationsstreitigkeit betrachtet wurde, sondern auf ![]() | 21 |
Auf Grund dieser Erwägungen ist auf die vorliegende Klage nicht einzutreten.
| 22 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 23 |
24 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |