BGE 81 I 274 - Expropriationsstreitigkeiten | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
44. Urteil der staatsrechtlichen Abteilung vom 6. Juli 1955 i.S. Büchel gegen Kanton St. Gallen. | |
Regeste |
Art. 42 Abs. 2 OG. | |
Sachverhalt | |
A.- Der Kläger Heinrich Büchel ist Eigentümer der Parzelle Nr. 1774 des Grundbuches Buchs mit Wohn- und Geschäftshaus. Im Zusammenhang mit der Planung einer Bahn- Unter- oder Überführung anstelle eines Niveauüberganges und der Überbauung des Mühleäuli-Quartiers in Buchs brachte der Gemeinderat gestützt auf die Art. 1 ff. des Baureglementes für die Politische Gemeinde Buchs vom 10. Februar 1913 im März 1933 einen Überbauungsplan für dieses Quartier zur öffentlichen Auflage.
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Danach fiel die Liegenschaft des Klägers zum grösseren Teil in das Gebiet einer projektierten Strasse und wurde demgemäss mit Baulinien belastet, was die in Art. 40 des Baureglementes umschriebene Baubeschränkung zur Folge hatte. Der Kläger erhob Einsprache gegen diesen Überbauungsplan, wurde damit aber durch Rekursentscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 30. Juni 1933 abgewiesen. Der Regierungsrat stellte sich auf den Standpunkt, es handle sich beim angefochtenen Überbauungsplan um die zeichnerische Festlegung öffentlich-rechtlicher Baubeschränkungen, die in Anwendung von Art. 702 ZGB und Art. 148 st. gallisches EG z. ZGB von den Gemeinden aufgestellt werden dürfen; Heinrich Büchel werde in der Verfügung über sein Eigentum dadurch nicht erheblich eingeschränkt.
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Am 20. August 1935 reichte der Gemeinderat von Buchs dem Regierungsrat den bereinigten Überbauungsplan für das Gebiet "Mühle-Äule" zur Genehmigung ein. Der Regierungsrat erteilte die Genehmigung am 21. September 1935. Es ist nicht bestritten, dass dieser Überbauungsplan eine über den bestehenden Zustand hinausgehende bauliche Verwertung der Parzelle des Klägers nicht mehr ermöglichte. Eine vom Gemeinderat beschlossene kleine Abänderung, die den Kläger indessen nicht berührte, wurde vom Regierungsrat am 18. April 1944 genehmigt.
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Da die Ausführung der Bahnunterführung und der geplanten Strasse, welche die Liegenschaft des Klägers beansprucht hätte, auf sich warten liess, wurden Heinrich Büchel bzw. seine Anwälte wiederholt beim Gemeinderat Buchs und beim kantonalen Baudepartement vorstellig und drängten auf eine endgültige Lösung. Mit Brief vom 23. Dezember 1937 antwortete das Baudepartement, das Projekt einer Bahnunterführung bedürfe wegen der Kostenfrage noch weiterer Abklärung, so dass auf den Überbauungsplan, der die Ausführbarkeit der Unterführung sichere, vorläufig nicht verzichtet werden könne.
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Am 25. August 1947 hob der Regierungsrat auf Antrag des Gemeinderates Buchs den Überbauungsplan Mühleäuli auf und genehmigte den neuen Überbauungsplan für das "Kappeli- (und Mühleäuli-)quartier". Es ist unbestritten, dass dieser neue Überbauungsplan auf den Strassenzug, der nach dem früheren Plan die Parzelle des Klägers erfasst hätte, verzichtet und keine Baubeschränkung mehr zu Lasten dieser Parzelle vorsieht.
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Nachdem sich der Kläger wiederum über die Baubeschränkung wegen der geplanten Bahnunterführung beschwert hatte, antwortete ihm das Baudepartement am 22. Februar 1949, es seien nun vier verschiedene Projekte vorhanden, von denen nur eines seine Liegenschaft erfasse, so dass es möglich sei, dass diese Liegenschaft bald "aus jeder Baubeschränkung" entlassen werden könne, zur Zeit könne indessen unmöglich eine verbindliche Zusicherung hierüber gegeben werden. Auf eine weitere Intervention des Klägers antwortete das Baudepartement am 1. Oktober 1949, es tue sein Möglichstes, um die Sache zu fördern, es sei aber schwer, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen, das Departement könne daher im jetzigen Stadium noch nicht abschliessend Stellung nehmen. Mit Schreiben vom 24. Oktober 1950 berichtete es dem Kläger, es sei bis jetzt leider noch nicht gelungen, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu erzielen; einerseits wolle man den Kläger nicht weiterhin entschädigungslos in der Verwertung seiner Liegenschaft einschränken, anderseits werde aber seine Liegenschaft voraussichtlich für die Verwirklichung der Unter- oder Überführung doch benötigt, der Kanton sei daher nicht abgeneigt, durch den Kauf der Liegenschaft zu einem angemessenen Preis eine Lösung herbeizuführen.
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Mit Eingabe vom 12. Mai 1951 stellte der Kläger beim Baudepartement das Begehren, entweder die Bausperre aufzuheben und ihm für den entstandenen Schaden angemessenen Ersatz zu leisten, oder dann solle der Staat die Liegenschaft kaufen oder gegen volle Entschädigung expropriieren.
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Mit Schreiben vom 26. April 1952 meldete der Kläger beim Baudepartement Schadenersatzansprüche wegen der während 18 Jahren bestandenen Bausperre an.
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Am 16. Juli 1952 teilte das Baudepartement dem Kläger mit, dass der Überbauungsplan "Mühleäuli" der Gemeinde Buchs, der eine bauliche Veränderung der Liegenschaft des Klägers über den bestehenden Zustand hinaus fast völlig ausgeschlossen habe, am 25. August 1947 aufgehoben worden sei. "Vom Gesichtspunkte der Staatsstrasse" komme noch hinzu, "dass die Schweizerischen Bundesbahnen nun vorgesehen haben, den internationalen Güterbahnhof talabwärts zu verlegen, so dass der bestehende Niveauübergang wesentlich entlastet wird. Wir haben daher keine Veranlassung, ein Projekt über eine Über- oder Unterführung in Aussicht zu nehmen". Auf Grund dieser rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse sei das Baudepartement der Auffassung, dass Heinrich Büchel keinen Rechtsgrund habe, vom Kanton irgend eine Entschädigung zu verlangen.
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B.- Am 27. August 1954 reichte Heinrich Büchel gestützt auf Art. 42 OG eine direkte Klage beim Bundesgericht gegen den Kanton St. Gallen ein, mit der er Schadenersatz im Betrage von Fr. 50'000.-- nebst 5% Zinsen seit 3. Dezember 1952 geltend macht. Diese Klage begründet er im wesentlichen damit, dass ihn schon vor der Aufhebung des ersten Überbauungsplanes vom Jahre 1935 der Kanton St. Gallen selbständig auf die Baubeschränkung verpflichtet und auch nachher bis zum 3. Dezember 1951 daran festgehalten habe. Diese Bausperre, die sich schliesslich als überflüssig und nutzlos erwiesen habe, habe ihm während 18 Jahren verunmöglicht, seine Liegenschaft baulich auszuwerten, und stelle eine materielle Enteignung dar. Für den ihm hieraus entstandenen Schaden hafte der Kanton. In rechtlicher Beziehung wird auf ein Privatgutachten von Prof. Ruck vom 27. Juni 1953 verwiesen.
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C.- Der Kanton St. Gallen beantragt in erster Linie, auf die Klage wegen Unzuständigkeit des Bundesgerichts nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Zur Unzuständigkeitseinrede wird ausgeführt, aus dem Gutachten Ruck sei zu schliessen, dass der Kläger seine Klage offenbar auf eine analoge Anwendung von Art. 8 Ziff. 3 und Art. 12 des kantonalen Expropriationsgesetzes stützen wolle, dass er also eine Entschädigung für den sogenannten Expropriationsbann geltend machen wolle. Es handle sich somit um eine Expropriationsstreitigkeit. Nach dem Recht des Kantons St. Gallen stehe sowohl im formellen Expropriationsverfahren wie auch im Falle einer materiellen Enteignung der kantonale Rechtsweg ohne weiteres offen (Art. 55 Ziff. 7 lit. a Zivilrechtspflegegesetz in der Fassung von Art. 221 des kantonalen Organisationsgesetzes vom 29. Dezember 1947). Auf Grund von Art. 42 Abs. 2 OG sei daher auf die Klage nicht einzutreten.
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D.- In der Replik und Duplik halten die Parteien an ihren Anträgen und Standpunkten fest. Der Kläger bestreitet die Unzuständigkeitseinrede und macht hiezu geltend, es liege keine "eigentliche Expropriationsstreitigkeit vor, obwohl die Bestimmungen über den Enteignungsbann analog anzuwenden sind". Unwesentlich sei, dass nicht nur im formellen Expropriationsverfahren, sondern auch im Falle einer materiellen Enteignung der kantonale Rechtsweg offen stehe. Art. 42 Abs. 2 OG habe nur dann die direkte Klage beim Bundesgericht ausschliessen wollen, wenn es sich um eine formelle Expropriation handle, für die das kantonale Recht ein besonderes Enteignungsverfahren vorsehe.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 42 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen einem Kanton einerseits und Privaten oder Korporationen anderseits, wenn eine Partei es rechtzeitig verlangt und der Streitwert wenigstens Fr. 4000.-- beträgt, ohne Unterschied, ob die Streitigkeiten nach der kantonalen Gesetzgebung im ordentlichen Prozessverfahren oder in einem besonderen Verfahren vor besonderen Behörden auszutragen wären.
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Der Beklagte bestreitet mit Recht nicht, dass die vorliegende Klage eine Zivilstreitigkeit im Sinne dieser Gesetzesbestimmung zum Gegenstand hat. Die streitige Forderung wird, wie sich aus dem Gutachten Ruck, auf das der Kläger zur rechtlichen Begründung verweist, und aus der Replik unzweideutig ergibt, zwar darauf gestützt, dass die dem Kläger auferlegte Baubeschränkung eine materielle Enteignung darstelle, für die er Anspruch auf Entschädigung habe, und stellt daher nach heutiger Rechtsauffassung zweifellos einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch dar. Art. 42 OG geht aber bei der Abgrenzung zwischen zivilrechtlichen und öffentlichrechtlichen Ansprüchen nicht von der innern Natur des Rechtsverhältnisses und der Rechtsnorm aus, von denen es beherrscht wird, sondern von einer historischen Auslegung des Begriffes der Zivilrechtsstreitigkeit. Zivilrechtlich im Sinne dieser Vorschrift ist, was nach der Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Recht, wie sie bei Erlass von Art. 110 BV, den Art. 42 OG ausführt, galt, als zivilrechtlich betrachtet wurde (BGE 71 II 173,BGE 78 I 380,BGE 78 II 26,BGE 79 II 432, BGE 80 I 245; BIRCHMEIER, Organisation der Bundesrechtspflege, S. 66, 68 ff.). Als zivilrechtlich galt zwar damals nicht der Streit über die Abtretungspflicht, wohl aber der Anspruch auf Enteignungsentschädigung, sowohl bei der formellen wie bei der materiellen Enteignung (BGE 31 II 552). Die streitige Forderung hat daher als zivilrechtlich im Sinne von Art. 42 OG zu gelten.
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2. Art. 42 Abs. 1 OG gilt nach Abs. 2 jedoch nicht für "Expropriationsstreitigkeiten". Nach der Entstehungsgeschichte wurde diese Ausnahmebestimmung in den damaligen Art. 48 Ziff. 4 Abs. 2 OG von 1893 aufgenommen im Hinblick auf die bisherige Praxis des Bundesgerichtes, wonach unter zivilrechtlichen Streitigkeiten, die direkt vor das Bundesgericht gebracht werden können, nur solche Rechtssachen verstanden wurden, die nach Massgabe der einschlägigen kantonalen Gesetzgebung im ordentlichen Prozessweg auszutragen sind, nicht aber auch solche, für die das kantonale Recht ein besonderes Verfahren vorsieht. Diese als zu eng empfundene Auslegung wurde zwar in Art. 48 Ziff. 4 Abs. 1 OG von 1893 durch den Zusatz "ohne Unterschied, ob die Streitigkeiten nach der kantonalen Gesetzgebung im ordentlichen Prozessverfahren auszutragen sind oder ob dafür ein besonderes Verfahren vor besonderen Behörden vorgeschrieben ist" ausgeschlossen. Anderseits beschloss jedoch die vorberatende Expertenkommission entgegen dem Vorschlage des Verfassers des Revisionsentwurfes, des Bundesrichters Hafner, und des Bundesrates, Expropriationsstreitigkeiten von der direkten Klage an das Bundesgericht auszunehmen, "weil sie in den Kantonen nach einem besonderen Verfahren erledigt werden". Dieser Ausschluss von Expropriationsstreitigkeiten wurde Gesetzesinhalt (Botschaft des Bundesrates zum OG von 1893, BBl 1892 II S. 300 Ziff. 2 und S. 303; SCHURTER und FRITZSCHE, Das Zivilprozessrecht des Bundes I S. 275, BIRCHMEIER, a.a.O., S. 582/3). Man hielt also offenbar die direkte Klage angesichts der besonderen Ausgestaltung des Expropriationsverfahrens durch die Kantone für entbehrlich und wollte wohl auch noch drohender Überlastung des Bundesgerichtes vorbeugen (HAUSER, Das Expropriationsverfahren nach zürcherischem und eidgenössischem Recht, S. 102 f.). Nach der von jener Expertenkommission geäusserten Meinung würde somit eine Expropriationsstreitigkeit im Sinne von Art. 48 Ziff. 4 Abs. 2 OG von 1893 nur dann vorliegen, wenn das kantonale Recht dafür ein besonderes, formelles Expropriationsverfahren kennt. Diese Bestimmung ging inhaltlich unverändert in Art. 42 Abs. 2 des geltenden OG von 1943 über (Botschaft des Bundesrates, BBl 1943 II S. 117 oben).
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Im Hinblick auf diese Entstehungsgeschichte erklärte das Bundesgericht, Art. 48 Ziff. 4 OG von 1893 schliesse "eigentliche" Expropriationsstreitigkeiten ausdrücklich aus, "nicht etwa, weil Zweifel über deren zivilrechtlichen Charakter bestanden hätten, sondern weil und soweit in den Kantonen hiefür ein besonderes Verfahren besteht, neben welchem eine konkurrierende Kompetenz des Bundesgerichts als unzweckmässig und entbehrlich erschien"; das Bundesgericht wäre daher nur dann unzuständig, "wenn es sich nicht bloss um eine ihrer rechtlichen Natur nach dem Entschädigungsanspruch des Expropriaten verwandte, sondern um eine eigentliche Expropriationsstreitigkeit, d.h. um eine nach positivem kantonalem Recht im besonderen Expropriationsverfahren zu erledigende Streitigkeit handeln würde" (BGE 31 II 553). Fehlt ein solches besonderes Verfahren oder umfasst es nur einen ganz bestimmten, eng begrenzten Kreis von Eingriffen in das Privateigentum, z.B. nicht auch enteignungsähnliche Tatbestände (sog. materielle Enteignung), so sind nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts die Voraussetzungen für die Einschränkung der direkten Klage an das Bundesgericht nicht erfüllt (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 584; Urteile vom 13. November 1935 i.S. Felder E. 1, S. 10, vom 10. Oktober 1946 i.S. von Schulthess E. 5, und vom 20. März 1947 i.S. Reformierte Teilkirchgemeinde Möriken E. 6, S. 14; BOSSHARDT, Die Eigentumsgarantie, S. 89; HAUSER, a.a.O., S. 102 f.). Wie bereits ausgeführt, gründet sich die vorliegende Schadenersatzklage ausschliesslich auf eine angebliche materielle Enteignung. Ein anderer Haftungsgrund, etwa aus Verantwortlichkeit für widerrechtliches Handeln der Behörden, wird nicht geltend gemacht. Nach der Klageantwort des Regierungsrates stellt der Kanton St. Gallen das besondere (formelle) Enteignungsverfahren vor der Schätzungskommission nur für klassische Expropriationen zur Verfügung (Art. 1 und 13 Expropriationsgesetz vom 24. Mai 1898), während Ansprüche aus materieller Enteignung im ordentlichen Prozessverfahren geltend zu machen sind (Art. 55 Ziff. 7 lit. a des Gesetzes über die Zivilrechtspflege in der Fassung von Art. 221 des kantonalen Organisationsgesetzes vom 29. Dezember 1947). Bei Festhalten an der bisherigen Auslegung der die direkte Klage beim Bundesgericht ausschliessenden Expropriationsstreitigkeiten im Sinne von Art. 42 Abs. 2 OG wäre daher die vorliegende Klage zulässig. Indessen ist zu prüfen, ob an dieser Rechtsprechung weiterhin festgehalten werden könne.
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Unter den Wortlaut des Art. 42 Abs. 2 OG lassen sich zwanglos alle Streitigkeiten subsumieren, welche die Entschädigung für die Entziehung oder Minderung von Eigentumsrechten zu Gunsten öffentlicher Unternehmungen durch das Gemeinwesen zum Gegenstand haben, also sowohl Ansprüche aus der formellen wie aus materieller Enteignung und ohne Rücksicht darauf, ob der betreffende Kanton dafür ein besonderes formelles Verfahren (vor einer Schätzungskommission mit der Weiterzugsmöglichkeit an das Gericht) oder nur den ordentlichen Prozessweg zur Verfügung stellt. Der Wortlaut des Gesetzes zwingt umso weniger zur bisherigen einschränkenden Auslegung des Begriffes "Expropriationsstreitigkeiten" in dem Sinne, dass darunter nur die in einem besonderen kantonalen Expropriationsverfahren zu erledigenden Streitigkeiten zu verstehen seien, als Abs. 1 des Art. 42 eine derartige Unterscheidung mit Bezug auf die Art des kantonalen Verfahrens ausdrücklich ausschliesst und Abs. 2 in dieser Beziehung nichts Gegenteiliges bestimmt. Abgesehen davon vermag die historische Begründung, dass nur insoweit, als die Kantone ein besonderes Expropriationsverfahren aufgestellt haben, eine konkurrierende Kompetenz des Bundesgerichts als unzweckmässig und entbehrlich erscheine, deswegen sachlich nicht zu befriedigen, weil sie für die Bestimmung des Begriffs der Expropriationsstreitigkeit entscheidend auf ein rein äusserliches, mit der Rechtsnatur des streitigen Anspruches nicht in notwendigem Zusammenhang stehendes, formelles Element abstellt, nämlich auf die Ausgestaltung des zur Austragung des Streites zur Verfügung stehenden kantonalen Verfahrens. Von der Art dieses Verfahrens, das die Kantone frei regeln können (Art. 64 Abs. 3 BV) und das daher von Kanton zu Kanton verschieden sein kann (vgl. HAUSER, a.a.O., S. 88 unten; IMBODEN, Der Schutz der Eigentumsgarantie, in Festschrift für Fritzsche, S. 57 N. 34), hängt es nach der bisherigen Rechtsprechung ab, ob die direkte Klage an das Bundesgericht möglich sei oder nicht. Konsequent durchgedacht führt diese Auslegung dazu, dass nicht einmal streitige Entschädigungsansprüche aus einer formellen Enteignung unter die Expropriationsstreitigkeiten des Art. 42 Abs. 2 OG fallen, wenn der betreffende Kanton dafür kein besonderes Verfahren, sondern nur den ordentlichen Prozessweg zur Verfügung stellt. Anderseits können in Kantonen, die nicht nur Ansprüche aus formeller, sondern auch solche aus materieller Enteignung in ein besonderes Verfahren verweisen, bei konsequenter Durchführung der bisherigen Rechtsprechung auch diese nicht direkt vor das Bundesgericht gebracht werden, während dies in Kantonen, die solche Streitigkeiten vor den ordentlichen Richter verweisen, möglich ist. Es besteht also zweierlei Recht für die Angehörigen von Kantonen mit und solcher ohne besonderes Verfahren für die Beurteilung der Enteignungsentschädigung (vgl. HAUSER, a.a. O., S. 103 N. 19). Diese sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichheiten in der Möglichkeit der direkten Anrufung des Bundesgerichts, die sich aus der bisherigen Auslegung des Art. 42 Abs. 2 OG ergeben, sind umso stossender, als sie ausserdem eine unterschiedliche Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts je nach der Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens nach sich ziehen. Wenn nämlich der Kanton kein besonderes formelles Verfahren aufstellt und die direkte Klage an das Bundesgericht möglich ist, dann steht diesem eine freie Überprüfungsbefugnis zu. Ist aber ein besonderes Verfahren vorgesehen, dann ist die direkte Anrufung des Bundesgerichts ausgeschlossen; vielmehr muss das kantonale Verfahren durchgeführt werden, wobei gegen die letztinstanzliche kantonale Entscheidung nur die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie und willkürlicher Anwendung der kantonalen Gesetze an das Bundesgericht offen steht. Dabei fällt praktisch die erste dieser beiden Rügen meistens mit der zweiten zusammen, so dass dem Bundesgericht insoweit keine freie, sondern nur eine Überprüfung unter dem beschränkten Winkel der Willkür zusteht.
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Angesichts dieser Konsequenzen der bisherigen Gesetzesauslegung drängt es sich auf, sie aufzugeben, zumal sie im Gesetzestext keine Stütze findet. Die genannten stossenden Rechtsungleichheiten lassen sich vermeiden, wenn der Begriff "Expropriationsstreitigkeiten" nicht im Hinblick auf das gerade in Frage stehende kantonale Verfahren, sondern nach der innern Natur dieser Streitigkeiten ausgelegt wird. Dabei wäre es aber auch unbefriedigend, wenn nur Entschädigungsansprüche aus formeller Enteignung darunter verstanden würden. Solche aus materieller Enteignung könnten dann auf dem Wege der direkten Klage gemäss Art. 42 OG vor das Bundesgericht gebracht und von ihm in jedem Falle frei überprüft werden, während Ansprüche aus normalen formellen Enteignungsfällen lediglich auf dem Wege der staatsrechtlichen Beschwerde mit der in der Regel beschränkten Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts an dieses weiterziehbar wären, so dass also für jene ein besserer Rechtsschutz bestünde als für den Normalfall der formellen Enteignung. Dieses Ergebnis wäre umso unbefriedigender, als die Grenze zwischen formeller und materieller Enteignung oft schwer zu ziehen und fliessend ist (HAAB, Privateigentum und materielle Enteignung, S. 17 ff., insbesondere S. 19/20). Das alles lässt sich vermeiden, wenn der Ausdruck "Expropriationsstreitigkeiten" in Art. 42 Abs. 2 OG nicht auf Enteignungsansprüche aus formellen Enteignungsverfahren beschränkt, sondern, wie es der Wortlaut ohne weiteres zulässt, weiter ausgelegt wird und darunter auch Streitigkeiten über Entschädigungsansprüche aus materieller Enteignung verstanden werden. Auf dem Boden dieser weiteren Auslegung steht offensichtlich auch IMBODEN, a.a.O., S. 57, wo er ausführt: "Auszuschliessen ist aber auch die Geltendmachung des Entschädigungsanspruches (gemeint ist derjenige aus materieller Enteignung) durch direkte zivilrechtliche Klage beim Bundesgericht." Zur Begründung führt er ebenda in N. 36 aus, die Zulassung der direkten Klage beim Bundesgericht würde eine vom Gesetzgeber in diesem Fall gewiss nicht gewollte Konkurrenz mit der staatsrechtlichen Beschwerde schaffen.
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Darin, dass bei Abs. 2 des Art. 42 OG die bisherige historische Auslegung aufgegeben, sie aber mit Bezug auf den Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeiten in Abs. 1 angewendet wird, liegt keine Inkonsequenz. Abs. 1 ist - im Unterschied zu Abs. 2 - einfach die Ausführung von Art. 110 Ziff. 4 BV, und im Zeitpunkt des Erlasses der Verfassung galt der Anspruch auf Entschädigung aus der formellen und materiellen Enteignung allgemein als zivilrechtlich. Die bisherige einschränkende Auslegung von Abs. 2 des Art. 42 OG dagegen stützt sich nicht darauf, was im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes allgemein als Expropriationsstreitigkeit betrachtet wurde, sondern auf ein Unterscheidungsmerkmal, das weder in der Verfassung noch im Gesetzestext eine Stütze findet.
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Auf Grund dieser Erwägungen ist auf die vorliegende Klage nicht einzutreten.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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