BGE 81 I 385 | |||
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61. Urteil vom 16. Dezember 1955 i.S. Gass und von Graffenried gegen eidg. Justiz- und Polizeidepartement. | |
Regeste |
Kautionen im Auslieferungsrecht. |
2. Zulässigkeit des Vollzugs der Auslieferungshaft in einer Klinik gegen Leistung einer Kaution. Verfall der Kaution infolge Flucht des Häftlings. | |
Sachverhalt | |
A.- Stoyan Redjoff wurde im September 1952 in Zürich auf Begehren Belgiens in Auslieferungshaft gesetzt. Seine Anwälte Dr. von Graffenried, Bern, und Dr. Gass, Zürich, ersuchten die Polizeiabteilung des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, seine vorläufige Freilassung anzuordnen. Da Redjoff leidend war, erschien als zweifelhaft, ob er den Aufenthalt im Gefängnis ertragen könne. Die Ärzte waren darüber nicht einig. Der Verhaftete war bereit, eine Kaution zu leisten. Die Polizeiabteilung lehnte jenes Gesuch ab, erklärte sich aber damit einverstanden, dass Redjoff in die Klinik Hirslanden in Zürich verlegt werde, wobei sie vorschrieb, dass gewisse Massnahmen zur Verhinderung einer Flucht ergriffen würden. Der Verhaftete wurde in die Klinik aufgenommen. Der die Verlegung überwachende Offizier der Zürcher Kantonspolizei stellte jedoch fest, dass die von der Bundesbehörde vorgesehenen Sicherheitsmassnahmen sich nicht durchführen liessen; die Leitung der Klinik lehnte jede Verantwortung für eine allfällige Flucht des Patienten ab. Darauf ordnete der Polizeioffizier die Sicherheitsvorkehren an, die er für durchführbar hielt. Insbesondere empfahl er den Anwälten Redjoffs, dafür zu sorgen, dass ihr Klient keinen unerlaubten Besuch erhalte. Dr. Gass und sein Mitarbeiter teilten dem Beamten mit, sie nähmen davon Kenntnis, dass Redjoff in der Klinik verhaftet bleibe, und sie würden alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Weisungen der Polizei Nachachtung zu verschaffen. Der Polizeioffizier verlangte auch, dass eine Summe von Fr. 10'000.-- als Sicherheit für den Fall der Flucht hinterlegt werde. Der Betrag wurde von Dr. Nedkoff, einem Bekannten Redjoffs, zur Verfügung gestellt und dem Polizeioffizier ausgehändigt. Die eidg. Polizeiabteilung genehmigte alle diese Massnahmen. Am 4. März 1953, dem Tage, an dem das Bundesgericht die Auslieferung Redjoffs bewilligte, entfloh dieser. Die eidg. Polizeiabteilung erklärte darauf die Kaution als der Eidgenossenschaft verfallen.
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Dr. Gass und Dr. von Graffenried liessen die Kautionssumme bis zum Betrage von Fr. 7500.-- für ihre Honorarforderungen gegenüber Redjoff mit Arrest belegen und sodann pfänden. Sie behaupteten, ihr Schuldner Redjoff besitze gegenüber der Eidgenossenschaft einen Anspruch auf Rückerstattung dieser Summe, und machten diesen Anspruch auf Grund einer Abtretung nach Art. 131 Abs. 2 SchKG geltend. Die eidg. Polizeiabteilung lehnte die Auszahlung ab. Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement, an das die Anwälte darauf gelangten, bestätigte mit Schreiben vom 13. April 1955 die Stellungnahme der Polizeiabteilung. Es führte aus, infolge der Flucht Redjoffs sei die geleistete Kaution verfallen und könne nur zurückgegeben werden, wenn er sich innerhalb der Verjährungsfrist stelle; für die Deckung der Honorarforderungen seiner Anwälte könne sie nicht herangezogen werden.
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B.- Mit verwaltungsgerichtlicher Beschwerde beantragen Dr. Gass und Dr. von Graffenried, den Entscheid des Departements aufzuheben und die zuständige Instanz anzuweisen, ihnen einen Betrag auszuzahlen, der zur Deckung ihrer Honorarforderungen von Fr. 5514.50 nebst Zins und Kosten ausreiche. Sie machen unter Berufung auf ein Gutachten von Prof. Schultz geltend, die Entgegennahme der streitigen Kaution durch die Behörde ermangle der gesetzlichen Grundlage und die Verweigerung der Rückerstattung verletze Bundesrecht. Nach schweizerischem Auslieferungsrecht könne eine Kaution in Geld höchstens im Falle der provisorischen Freilassung gefordert werden, nicht aber, wenn die Haft, sei es auch anders als in der üblichen Form, aufrecht erhalten werde.
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C.- Die Beschwerdeführer haben auch Beschwerde beim Bundesrat erhoben. Im Meinungsaustausch sind Bundesrat und Bundesgericht zur Auffassung gelangt, dass dieses zuständig sei.
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D.- Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 98 OG, auf den die Beschwerdeführer sich stützen, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Entscheide der Bundesverwaltung über Ansprüche auf Leistung oder Rückerstattung öffentlichrechtlicher Kautionen. Ist diese Bestimmung anwendbar und handelt es sich um einen Entscheid einer eidg. Amtsstelle in einer ihr zur selbständigen Erledigung übertragenen Sache (Art. 102 lit. a OG), so ist das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz zuständig. Gegebenenfalls wäre die Streitigkeit vom Bundesgericht als einziger Instanz nach Art. 110 OG zu beurteilen, wenn der Weg der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeschlossen wäre (Art. 113 lit. a OG).
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3. Die streitige Kaution ist nach den Akten geleistet worden als Sicherheit zuhanden der Eidgenossenschaft dafür, dass Redjoff sich der Auslieferung nicht durch Flucht entziehe. Es steht auch fest, dass die Bestellung der Kaution durch die eidg. Polizeiabteilung genehmigt worden ist. Die Beschwerdeführer behaupten, die Sicherheitsleistung sei mangels gesetzlicher Grundlage ungültig, so dass der hinterlegte Betrag zurückzuerstatten sei. Prof. Schultz wendet in seinem Gutachten ferner ein, der Entscheid darüber, ob die Sicherheit infolge der Flucht Redjoffs verfallen sei, wäre nicht Sache der Bundesverwaltung, sondern des Bundesgerichts gewesen, bei dem der Auslieferungsfall am Tage der Flucht hängig gewesen sei. Diese Frage stellt sich indessen nicht; denn es ist nicht bestritten und kann nicht bestritten werden, dass die Kaution, wenn sie gültig bestellt worden ist, infolge des Entweichens Redjoffs der Eidgenossenschaft verfallen ist und verfallen bleibt, sofern Redjoff sich nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist stellt und so die Auslieferung doch noch ermöglicht. Der Streit dreht sich darum, ob die von der Polizeiabteilung genehmigte Kautionsstellung gültig sei. Diese Behörde und ihr folgend das vorgesetzte Departement haben anerkannt, dass diese Frage auch noch anlässlich der Beurteilung des von den Beschwerdeführern gestellten Rückerstattungsbegehren geprüft werden könne. Den Bescheid des Departements über dieses Begehren haben die Beschwerdeführer binnen der gesetzlichen Frist mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestützt auf Art. 98 OG angefochten. Das Bundesgericht hat daher zu prüfen, ob die Sicherheitsbestellung auf einem - nicht an den Bundesrat weiterziehbaren - Entscheid der Bundesverwaltung beruhe, ob dieser Entscheid die Leistung einer öffentlichrechtlichen Kaution im Sinne des Art. 98 OG betreffe und ob er mit dem Bundesrecht übereinstimme.
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Der Auffassung des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, die Verlegung Redjoffs in die Klinik sei praktisch auf eine provisorische Freilassung hinausgelaufen, kann indessen nicht gefolgt werden. Vielmehr wurde die Haft nach der Verlegung aufrecht erhalten, wenn auch in anderer Form, indem die Einschliessung im Gefängnis ersetzt wurde durch eine mit gewissen Sicherungsvorkehren verbundene Verwahrung in der Krankenanstalt.
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Der Vollzug der Auslieferungshaft ist Sache der kantonalen Behörden und richtet sich nach den Vorschriften der kantonalen Gesetzgebung, soweit nicht das Bundesgesetz besondere Vorschriften darüber aufstellt (Art. 18 Abs. 2 AG; nicht veröffentlichtes Urteil vom 14. September 1909 i.S. Ellensohn, Erw. 3, s. BURCKHARDT, Bundesrecht Nr. 1769 I, SCHULTZ, a.a.O. S. 197 N. 190). Dagegen sind die Voraussetzungen der Verhaftung und der Freilassung der Person, deren Auslieferung verlangt wird, ausschliesslich durch das Bundesrecht geregelt, und die Anordnung (oder Genehmigung) dieser Massnahmen ist den Bundesbehörden vorbehalten (Art. 15 ff., insbesondere Art. 16 Abs. 3, 4, Art. 17, 18 Abs. 1, 3, Art. 19, 20, 25, 26 Abs. 2, Art. 28 AG). Ebenfalls Sache des Bundesrechts und der Bundesbehörden ist die Ordnung der Fragen, ob die Einschliessung im Gefängnis durch eine Verwahrung an einem anderen Orte, insbesondere in einer Krankenanstalt, ersetzt werden kann, und welche Sicherungsmassnahmen in diesem Falle vorzukehren sind. Das Auslieferungsgesetz enthält freilich auch hierüber keine Bestimmung. Aber es verpflichtet die Bundesbehörden, dafür zu sorgen, dass die Person, die ausgeliefert werden muss oder mit deren Auslieferung jedenfalls ernsthaft zu rechnen ist, unter allen Umständen - abgesehen vom Fall der provisorischen Freilassung - verhaftet wird und es bis zum ordnungsgemässen Vollzug (oder bis zur Verweigerung) der Auslieferung auch bleibt, weil nur dann Gewähr dafür besteht, dass die Auslieferungspflicht erfüllt werden kann. Anderseits ist zu beachten, dass das Gesetz ungerechtfertigte Beschränkungen der persönlichen Freiheit vermeiden will, wie die Bestimmungen über die (vorläufige oder endgültige) Entlassung aus der Haft zeigen (Art. 17 Abs. 2, Art. 19 Abs. 3, Art. 20 Abs. 2, Art. 25, 26 Abs. 2, Art. 28 AG). Wenn im einzelnen Fall die Einschliessung im Gefängnis sich, wegen des Gesundheitszustandes des Beschuldigten oder aus anderen triftigen Gründen, als undurchführbar erweist und die Voraussetzungen der provisorischen Freilassung fehlen, so müssen daher die Bundesbehörden Massnahmen anordnen können, die den Vollzug der unumgänglichen Haft auf andere geeignete Weise ermöglichen. Wäre es anders, so müsste in vielen Fällen die an sich mögliche Auslieferung daran scheitern, dass die Haft auf die gewöhnliche Art nicht vollstreckbar ist, was nicht der Sinn des Auslieferungsgesetzes, das den Vollzug der Auslieferung auch für solche Verhältnisse sicherstellen will, sein kann. In Betracht kommen Ersatzmassnahmen, wie sie im Strafprozessrecht mitunter durch ausdrückliche Gesetzesvorschrift vorgesehen sind (SANDMEYER, Die Untersuchungshaft im schweiz. Strafprozessrecht, S. 166 ff.) oder nach einer verbreiteten Lehrmeinung (LÖWE-ROSENBERG, Komm. der deutschen StPO, 19. Aufl., N. 1a zu § 112, N. 2 a zu § 118) auch beim Fehlen einer solchen Bestimmung als zulässig gelten (Belassung in der Wohnung oder Einweisung in eine Krankenanstalt unter entsprechenden Sicherheitsmassnahmen usw.).
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Da Redjoff mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand in eine Klinik verlegt werden musste und dort nicht genügend beaufsichtigt werden konnte, lag es nahe, zur Sicherheit - wie es im Falle der provisorischen Freilassung des Auslieferungshäftlings nach feststehender Praxis zulässig und üblich ist - die Leistung einer Kaution zu fordern. Diese Massnahme war unter den gegebenen Umständen geeignet, die Fortdauer der Auslieferungshaft zu gewährleisten. Die Bundesbehörde durfte daher die Kaution verlangen und entgegennehmen; sie verstiess damit nicht gegen die gesetzliche Ordnung.
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5. Nach dem Auslieferungsgesetz ist zur Anordnung der Verhaftung der Bundesrat zuständig, ebenso zur Bewilligung der provisorischen Freilassung, solange der Fall nicht beim Bundesgericht hängig ist (Art. 25 Abs. 2). Die gleichen Behörden haben auch darüber zu befinden, ob die gewöhnliche Haft durch einen Zwangsaufenthalt in einer Krankenanstalt mit entsprechenden Sicherheitsmassnahmen zu ersetzen sei. Indessen hat der Bundesrat die ihm im Auslieferungsgesetz zugewiesenen Geschäfte an die Polizeiabteilung des eidg. Justiz- und Polizeidepartements zur selbständigen Erledigung delegiert, mit Ausnahme der grundsätzlichen Entscheide, die dem Departement vorbehalten worden sind (Art. 17 Abs. 1 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 12 Ziff. 7 des gestützt auf Art. 23 BG vom 26. März 1914 über die Organisation der Bundesverwaltung erlassenen BRB vom 17. November 1914, BS 1, 289). (Wenn das Bundesgericht zur Beurteilung der Streitigkeit zuständig ist, so war es offenbar nicht notwendig, zunächst Beschwerde beim Departement zu führen: Art. 23 Abs. 2 BG über die Organisation der Bundesverwaltung und Art. 102 lit. a OG; immerhin schadet die Begrüssung des Departements den Beschwerdeführern nicht; vgl. Art. 86 Abs. 3 OG). Daher ist der Beschluss der Polizeiabteilung, die Bestellung einer Kaution für Redjoff anzuordnen (oder zu genehmigen), ein Entscheid der zuständigen eidg. Verwaltungsbehörde.
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Dieser Entscheid betrifft die Leistung einer öffentlichrechtlichen Kaution im Sinne des Art. 98 OG. Dass unter diese Bestimmung auch Kautionen zur Sicherstellung der Auslieferung wie überhaupt der Strafverfolgung fallen, bestätigt Abs. 2 daselbst, der als Beispiele u.a. die Kautionen gemäss den gesetzlichen Bestimmungen über das Verfahren bei Übertretung fiskalischer Bundesgesetze nennt.
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Das Bundesgericht ist mithin befugt, im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu prüfen, ob jener Entscheid der Polizeiabteilung gesetzmässig sei. Die Frage ist nach dem Ausgeführten zu bejahen.
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6. Selbst wenn anzunehmen wäre, das Auslieferungsgesetz verbiete, den Häftling im Falle der Überführung in eine Klinik zur Stellung einer Kaution zu zwingen, so wäre die Behörde doch berechtigt gewesen, das gewünschte Ergebnis durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zu erreichen. Tatsächlich hat sich ein zugunsten Redjoffs einspringender Dritter, wenn nicht Redjoff selbst, freiwillig anerboten, eine Kaution dafür zu leisten, dass dieser sich dem Vollzug der Haft in der Klinik nicht entziehe, und die Bundesverwaltung hat dieses Angebot angenommen, nachdem gewisse von ihr zunächst vorgesehene Massnahmen sich als undurchführbar erwiesen hatten. Die so zustande gekommene Vereinbarung wäre als zulässig anzusehen (vgl. BGE 78 II 27 Erw. 5). Sie stände im Einklang mit dem System der gesetzlichen Ordnung, die einerseits den Vollzug der Auslieferung gewährleisten, anderseits aber zu weit gehende Eingriffe in die persönliche Freiheit vermeiden will.
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Hätte man es mit einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zu tun, so wäre die Bundesverwaltung, als Partei, nicht befugt gewesen, in einer Streitigkeit über dessen Ausführung einen eigentlichen Entscheid zu fällen. Dazu wäre einzig das Bundesgericht im direkten verwaltungsrechtlichen Prozess nach Art. 110 OG zuständig. Aber auch wenn es den Anstand unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen hätte, könnte seine Entscheidung nicht anders ausfallen. Der von den Beschwerdeführern geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung ist auf jeden Fall unbegründet.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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