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35. Urteil vom 5. Dezember 1956 i.S. Naumann gegen Naumann und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft. | |
Regeste |
Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz. | |
Sachverhalt | |
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Der Beschwerdeführer appellierte hiegegen an das Obergericht des Kantons Baselland und legte diesem einen Beschluss des Amtsgerichtes Hannover vom 9. Mai 1956 vor, nach welchem die Zwangsvollstreckung aus den beiden erwähnten Urteilen gegen Sicherheitsleistung in der Höhe der fälligen Unterhaltsbeiträge einstweilen eingestellt und der Beschwerdeführer aufgefordert wurde, innerhalb einer Woche zu erklären, ob er die Klage aus § 323 oder diejenige aus § 767 deutscher ZPO (dZPO) erheben wolle. Infolge dieses Beschlusses seien die als Rechtsöffnungstitel vorgelegten Urteile nicht mehr rechtskräftig und vollstreckbar und sei daher das Rechtsöffnungsgesuch abzuweisen.
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Mit Urteil vom 17. Juli 1956 bestätigte das Obergericht den erstinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheid, indem es inbezug auf den geltend gemachten neuen Sachverhalt ausführte: Die Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Amtsgericht Hannover könne nur auf Grund von § 769 dZPO ergangen sein, sei also eine rein vollstreckungsrechtliche Massnahme, die nichts an der Rechtskraft der gefällten Urteile ändere. Für die Zwangsvollstreckung seien aber seit der Wohnsitznahme des Beschwerdeführers in Pratteln nicht mehr die deutschen, sondern die schweizerischen Betreibungsbehörden und Gerichte zuständig und sei ausschliesslich schweizerisches Recht als lex fori anwendbar. Die deutschen Gerichte seien somit nicht mehr zuständig, die Zwangsvollstreckung gegen den Beschwerdeführer einzustellen, und auf das vorliegende Betreibungsverfahren sei nicht die dZPO, sondern das SchKG nebst dem deutsch-schweizerischen Vollstreckungsabkommen anzuwenden. Der Einstellungsbeschluss des ![]() | 3 |
B.- Gegen dieses Urteil des Obergerichtes hat Ewald Naumann staatsrechtliche Beschwerde nach Art. 84 lit. a, eventuell lit. c OG erhoben mit dem Antrag, es aufzuheben und das streitige Begehren um definitive Rechtsöffnung abzuweisen. Zur Begründung wird geltend gemacht, das angefochtene Urteil verstosse gegen Sinn und Zweck des schweizerisch-deutschen Vollstreckungsabkommens vom 2. November 1929 (im Folgenden kurz Abkommen genannt). Ausserdem wird dem Obergericht Willkür vorgeworfen.
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C.- Das Obergericht hat sich nicht vernehmen lassen. Die Beschwerdegegnerinnen beantragen die Abweisung der Beschwerde, berufen sich im wesentlichen auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheides und erklären, dass das Amtsgericht Hannover seinen Einstellungsbeschluss vom 9. Mai 1956 am 4. August 1956 aufgehoben habe, soweit es sich um Unterhaltsbeiträge handle, die bis zum 15. Mai 1956 fällig geworden seien. In weiteren Eingaben teilen sie mit, dass ihnen die Gerichtskasse Hannover DM 4421.35 = Fr. 4598.20 aus der Hinterlage des Beschwerdeführers ausgerichtet habe, so dass das Fortsetzungsbegehren nur noch für Fr. 4439.75 gestellt werde.
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D.- In der Replik hält der Beschwerdeführer an der Beschwerde fest und bringt neu vor, dass er die Vollstreckungsgegenklage gemäss § 767 dZPO, die nach der Auffassung des Amtsgerichtes Hannover beim Prozessgericht erster Instanz, also beim Amtsgericht Düsseldorf, hätte eingereicht werden müssen, nunmehr dort eingeleitet ![]() | 6 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Nach Art. 1 und 7 Ziff. 1 des Abkommens setzt die Vollstreckbarerklärung eines Urteils, über die im Falle der ![]() ![]() | 9 |
b) Durch den vom Beschwerdeführer dem Obergericht vorgelegten Beschluss des Amtsgerichtes Hannover vom 9. Mai 1956 ist die Vollstreckbarkeit jenes Urteils einstweilen eingestellt worden. Das Obergericht geht davon aus, dass dieser Beschluss nur auf Grund von § 769 dZPO ergangen sein könne, was von keiner Seite bestritten wird. Es ist jedoch der Auffassung, dieser Beschluss sei deswegen unbeachtlich, weil er eine rein vollstreckungsrechtliche Massnahme darstelle, die an der Rechtskraft des Urteils nichts ändere und zu deren Erlass das Amtsgericht Hannover nicht zuständig gewesen sei. Dem kann jedoch nicht beigepflichtet werden.
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Anordnungen nach § 769 dZPO sind vorsorgliche Massnahmen, die im Hinblick auf die Erhebung einer sog. Vollstreckungsgegenklage im Sinne von § 767 erlassen werden können. Diese Klage ist allerdings im 8. Buch der dZPO geregelt, das den Titel "Zwangsvollstreckung" trägt. Sie richtet sich aber nicht gegen bestimmte Massnahmen im Zwangsvollstreckungsverfahren, sondern ist eine prozessrechtliche Klage auf Vernichtung der Vollstreckbarkeit eines rechtskräftigen Urteils nach Wegfall ihrer Voraussetzung und wird im ordentlichen Verfahren durchgeführt. Ihr Ziel ist zwar nicht die Aufhebung des Urteils, aber auch nicht die Aufhebung einer unzulässigen Vollstreckungsmassnahme, sondern die allgemeine Anordnung, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil fortan unzulässig sei. Sie richtet sich gegen den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst. Mit ihr kann insbesondere bei Dauerrechtsverhältnissen wie Unterhaltsforderungen nach Massgabe des materiellen Rechts die Veränderung der Umstände geltend gemacht werden (STEIN-JONAS, Komm. zur dZPO 17./18. Aufl. § 767 I 1 und 2, II 1; ROSENBERG, Lehrbuch des dZPR 4. Aufl. S. 881). Die Einleitung und Gutheissung einer solchen Klage setzt keineswegs voraus, ![]() | 11 |
Da der Beschluss des Amtsgerichtes Hannover lediglich die Vollstreckbarkeit des Urteils an sich vorläufig einstellte, ohne in ein konkretes Vollstreckungsverfahren einzugreifen oder ein solches auch nur vorauszusetzen, kann keine Rede davon sein, dass es als deutsches Gericht zum Erlass dieser Massnahme in Anwendung von deutschem Recht nicht zuständig gewesen sei angesichts der in der Schweiz eingeleiteten Betreibung. Dadurch hat das deutsche Gericht nicht in schweizerische Zwangsvollstreckungsmassnahmen eingegriffen, sondern lediglich die nach deutschem Recht zu beurteilende Frage der Vollstreckbarkeit eines deutschen Urteils im Sinne der einstweiligen ![]() | 12 |
c) Das Obergericht hat dem Beschluss des Amtsgerichtes Hannover vom 9 Mai 1956 auch deswegen keine Beachtung geschenkt, weil nach § 769 dZPO der Erlass einer solchen Massnahme dem Prozessgericht oder in dringenden Fällen dem Vollstreckungsgericht zustehe, das Amtsgericht Hannover aber weder das eine noch das andere sei. Dem Obergericht steht zwar auf Grund von Art. 1 und 2 des Abkommens die Befugnis zu, die Zuständigkeit des deutschen Gerichts, das den zu vollziehenden Entscheid ausgefällt hat, unter den dort genannten Gesichtspunkten zu prüfen. Es ist dies eine namentlich zum Schutze des Schuldners getroffene Regelung. Dagegen enthält das Abkommen keine Bestimmung, wonach der Richter im Vollstreckungsstaate auch befugt wäre, die Zuständigkeit derjenigen Behörde im Urteilsstaate zu überprüfen, welche die Vollstreckbarkeit des Urteils ganz oder teilweise wieder aufgehoben hat. Es muss vielmehr dem Gläubiger überlassen bleiben, mit den im Urteilsstaate zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln die Beseitigung einer solchen von einer unzuständigen Behörde erlassenen Massnahme zu erwirken; der über die Vollstreckbarkeit entscheidende Richter im Vollstreckungsstaate hat hierüber nicht zu entscheiden. Und ebensowenig hat der schweizerische ![]() | 13 |
3. Der angefochtene Entscheid ist demnach gemäss Antrag des Beschwerdeführers aufzuheben. Dagegen könnte seinem weitergehenden Antrag um Abweisung des Begehrens der Beschwerdegegnerinnen um Bewilligung der definitiven Rechtsöffnung nur entsprochen werden, wenn die Rechtslage klar wäre (BGE 72 I 96). Das ist jedoch nicht der Fall, da seit Erlass des angefochtenen Entscheides neue Tatsachen eingetreten sind, indem das Amtsgericht Hannover seinen Einstellungsbeschluss vom 9. Mai 1956 am 4. August 1956 aufgehoben und dafür das Amtsgericht Düsseldorf am 1. August 1956 einen neuen Einstellungsbeschluss erlassen hat, nachdem der Beschwerdeführer am 31. Juli bei diesem Gericht eine Vollstreckungsgegenklage eingeleitet hat. Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die wie diejenigen wegen Verletzung von Staatsverträgen nicht die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges voraussetzen, sind zwar auch neue Vorbringen zulässig (BGE 78 I 116), jedoch, ausgenommen bei Beschwerden wegen Verletzung eines sog. unverzichtbaren und unverwirkbaren Rechts wie der Niederlassungsfreiheit (BGE 71 I 248), nur insoweit, als diese neuen Vorbringen Tatsachen zum Gegenstand haben, die vor dem angefochtenen Entscheid eingetreten sind. Das Bundesgericht hat daher die vorliegende Beschwerde auf Grund der Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheides, in dem der Beschluss des Amtsgerichtes Hannover vom 9. Mai 1956 noch in Kraft war, zu beurteilen. Dagegen wird das Obergericht bei Ausfällung seines neuen Entscheides darüber zu befinden haben, welchen Einfluss die erwähnten neuen Beschlüsse der deutschen Gerichte, die seitherige Einleitung der Vollstreckungsgegenklage durch den Beschwerdeführer sowie die teilweise Überweisung des beim Amtsgericht Hannover hinterlegten Betrages an die Beschwerdegegnerinnen ![]() | 14 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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