BGE 84 I 119 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
18. Auszug aus dem Urteil vom 11. Juni 1958 i.S. Kreissparkasse Waiblingen gegen Haaker und Obergericht des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland vom 2. November 1929; Art. 493 Abs. 2 OR. |
2. Ist die Vorschrift der öffentlichen Beurkundung bestimmter Bürgschaftserklärungen dem schweizerischen ordre public zuzurechnen? (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
Der in der Schweiz wohnhafte Karl Haaker unterzeichnete am 13. November 1954 in Schorndorf (Bundesrepublik Deutschland) eine Bürgschaftserklärung zugunsten der Kreissparkasse Waiblingen für deren Forderungen an Karl Bächle in Schorndorf bis zum Betrage von 35'000 DM. Gemäss Ziff. 8 der Erklärung gilt für Klagen aus der Bürgschaft "der allgemeine Gerichtsstand der Sparkasse als vereinbarter Gerichtsstand".
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In der Folge anerkannte Haaker, für die Erfüllung der verbürgten Schuld einstehen zu müssen; er leistete zwei Teilzahlungen. Den Restbetrag samt Zinsen klagte die Kreissparkasse beim Landgericht Stuttgart ein. Dieses verpflichtete Haaker mit Versäumnisurteil vom 28. Februar 1957 zur Zahlung von 5623.80 DM nebst Zinsen. Die Kosten, die Haaker gemäss diesem Urteil der Kreissparkasse zu erstatten hat, setzte das Landgericht mit Beschluss vom 7. Juni 1957 auf 434.66 DM fest.
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Die ihr in diesen Entscheidungen zugesprochenen Beträge setzte die Kreissparkasse beim Betreibungsamt Zürich 7 gegen Haaker in Betreibung. Haaker liess Recht vorschlagen mit der Begründung, das Urteil des Landgerichts Stuttgart verstosse "gegen zwingendes schweizerisches Recht und somit gegen unseren ordre public".
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Mit Rekursentscheid vom 28. Januar 1958 hat das Obergericht des Kantons Zürich das Versäumnisurteil sowie den Kostenfestsetzungsbeschluss als nicht vollstreckbar erklärt. Es führt dazu aus, die Vollziehung dieser Entscheidungen scheitere an der in Art. 4 Abs. 1 des schweizerisch- deutschen Vollstreckungsabkommens vorbehaltenen öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates, da die Bürgschaftserklärung, auf die sich das Sachurteil stützt, entgegen der dem schweizerischen ordre public zugehörigen Formvorschrift des Art. 493 Abs. 2 OR nicht öffentlich beurkundet worden sei.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des genannten Staatsvertrags beantragt die Kreissparkasse Waiblingen, es sei ihr für die in Betreibung gesetzte Forderung samt Zinsen und Kosten definitiv das Recht zu öffnen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Fehlen der öffentlichen Beurkundung verstosse nicht gegen grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung; der ordre public stehe daher der Vollstreckung des Urteils und des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts Stuttgart nicht entgegen.
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Das Bundesgericht schützt die Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
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Mit dieser Vorschrift soll der Herrschaftsbereich des in der gesamten Rechtsordnung verankerten Vorbehalts der Unvereinbarkeit des fremden mit dem einheimischen Recht auf dem Gebiete der Vollstreckung von Urteilen des andern Vertragsstaates genauer abgegrenzt werden. Dieser Vorbehalt des ordre public hat allgemein zu verhindern, dass ausländisches Recht im Inland Beachtung findet, das mit der eigenen Rechtsordnung unvereinbar ist, das ihrem Sinn und Geist widerspricht. Zu diesem Behufe ermöglicht er es, einzelne Vorschriften des kollisionsrechtlich an sich anwendbaren fremden Rechts ausnahmsweise nicht anzuwenden und, wenn nötig, durch Bestimmungen des einheimischen Rechts zu ersetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts greift dieser Vorbehalt immer dann Platz, wenn sonst das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzt würde (BGE 64 II 97 /98, BGE 76 I 129, BGE 81 I 145 Erw. 5, BGE 84 I 50 a), wenn grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden (BGE 76 I 129, BGE 78 II 250 c, BGE 81 I 145 Erw. 5), wenn das schweizerische Rechtsdenken zwingend den Vorrang gegenüber dem anwendbaren (oder angewendeten) ausländischen Recht erheischt (BGE 78 II 251).
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Mit der unbestimmten Fassung dieser Umschreibungen hat das Bundesgericht zum Ausdruck gebracht, dass es kaum möglich ist, den ordre public in allgemein gültiger Weise zu definieren (BGE 64 II 97 Erw. 5). Ob die Vorbehaltsklausel einzugreifen habe, kann vielmehr nur aus den Gegebenheiten des Einzelfalles heraus entschieden werden. Der Richter hat dabei festzustellen, ob ein einheimischer Rechtsgrundsatz auf dem Spiele stehe, der des Schutzes bedürfe, und ob der an sich anzuwendende fremde Rechtssatz derzu schützenden einheimischen Rechtsauffassung widerspreche. Beides kann der Richter nur beurteilen, wenn er in die Rangordnung der Werte eindringt, die dem eigenen - geschriebenen und ungeschriebenen - Recht zugrunde liegt und bis in die einzelnen Rechtsinstitute hinein ihre Ausprägung findet. Da sich diese Rangordnung nicht als ein einheitliches und geschlossenes Ganzes darbietet, sieht sich der Richter letztlich auf sein eigenes Wertbewusstsein, sein "Rechtsgefühl" verwiesen (MARTI, Der Vorbehalt des eigenen Rechtes im internationalen Privatrecht der Schweiz, S. 92; NIEDERER, Einführung in die allgemeinen Lehren des internationalen Privatrechts, S. 287).
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Als Ausnahmevorschrift ist die Vorbehaltsklausel einschränkend auszulegen. Das Bundesgericht hat von ihr denn auch stets nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht (BGE 64 II 97 Erw. 5). Nach seiner Rechtsprechung sind dem Vorbehalt des ordre public zudem mit Bezug auf die Vollstreckung ausländischer Urteile engere Grenzen gezogen als im Gebiete der direkten Gesetzesanwendung (BGE 78 II 251, BGE 81 I 145 Erw. 5, BGE 84 I 49, 52, 61). Diese besondere Zurückhaltung rechtfertigt sich namentlich auch bei der Handhabung von Art. 4 Abs. 1 des schweizerisch-deutschen Vollstreckungsabkommens, sollte dessen "enge Fassung" doch nach dem Willen der Vertragsschliessenden "der Gefahr einer übermässigen Ausdehnung des ordre public-Vorbehaltes" vorbeugen (vgl. die Botschaft des Bundesrates, BBl 1929 III S. 536).
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3. Das Landgericht Stuttgart hat im Urteil, dessen Vollstreckung verlangt wird, den Beschwerdegegner auf Grund seiner Bürgschaft (und nicht der nachträglichen Schuldanerkennung) zur Zahlung verpflichtet. Es hat das Rechtsverhältnis nach deutschem Recht beurteilt. Gemäss § 766 BGB genügt zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages die einfache schriftliche Form, in der die vorliegende Bürgschaftserklärung gehalten ist. Ein zahlenmässig bestimmter Höchstbetrag der Haftung ist nach deutschem Recht in der Bürgschaftsurkunde nicht anzugeben; er hat hier jedoch Aufnahme gefunden. Die Bürgschaftserklärung des Beschwerdegegners widerspricht somit nur insofern den Formerfordernissen des schweizerischen Rechts (Art. 493 OR), als sie nicht öffentlich beurkundet worden ist. Im Gegensatz zu dem in BGE 64 II 349 ff. behandelten Fall steht hier mithin nicht in Frage, ob ein Bürgschaftsvertrag der (einfachen) Schriftform bedürfe und den Höchstbetrag der Haftung anzugeben habe, um in der Schweiz anerkannt zu werden. Es ist demnach allein zu prüfen, ob die Vorschrift der öffentlichen Beurkundung bestimmter Bürgschaftserklärungen einen Bestandteil der schweizerischen öffentlichen Ordnung bilde. Die genannte Vorschrift ist, wie die weitern Formerfordernisse des Art. 493 OR, zwingender Natur (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 44 zu Art. 493 OR; GIOVANOLI, N. 10 und 11 zu Art. 493 OR; BECK, Das neue Bürgschaftsrecht, N. 14 zu Art. 493 OR; GUHL, Das neue Bürgschaftsrecht, S. 25). Das heisst indes nicht, dass sie schon deshalb dem schweizerischen ordre public zugehöre. Ob eine im Ausland eingegangene Bürgschaft um dieser öffentlichen Ordnung willen in der Schweiz nur beachtet werden könne, wenn der Vertrag in den Fällen, in denen Art. 493 OR dies vorsieht, öffentlich beurkundet ist, entscheidet sich vielmehr nach den in Erw. 2 dargelegten Grundsätzen.
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Zweck der in Frage stehenden Formvorschrift ist es, dem Bürgen die Tragweite seiner Verpflichtung vor Augen zu führen und ihn von übereilten Bürgschaftsversprechen abzuhalten (BGE 64 II 350, BGE 65 II 237; Botschaft des Bundesrates zur Revision des Bürgschaftsrechts, BBl 1939 II S. 846 und 857; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3 der Vorbemerkungen zu Art. 492-512 OR, N. 14 zu Art. 493 OR; GIOVANOLI, N. 33 zu Art. 493 OR; BECK, a.a.O., N. 1 und 8 zu Art. 493 OR; GUHL, a.a.O., S.11). Diese sozialpolitische Zwecksetzung rechtfertigt es nach der Auffassung der meisten Bearbeiter, die Formvorschriften des Art. 493 OR dem schweizerischen ordre public zuzurechnen (vgl. HOMBERGER, Die obligatorischen Verträge im internationalen Privatrecht nach der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts, S. 58 A. 1; BECK, a.a.O., N. 54 der Einleitung; derselbe, Die Bürgschaft im internationalen Privatrecht der Schweiz, ZbJV 71 S. 516; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 33 der Vorbemerkungen zu Art. 492-512 OR, mit der Einschränkung auf Bürgen, die zur Zeit der Eingehung der Bürgschaft ihren Wohnsitz in der Schweiz hatten). Die angeführten Autoren haben aber offensichtlich die direkte Gesetzesanwendung im Auge; sie äussern sich nicht eigens über die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils, das auf Grund einer den schweizerischen Formvorschriften nicht entsprechenden Bürgschaft ergangen ist. Unter diesem besonderen Gesichtswinkel kann, jedenfalls was das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung betrifft, ihrer Ansicht nicht gefolgt werden.
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Bis zur Gesetzesrevision des Jahres 1941 begnügte sich auch das schweizerische Recht in allen Fällen mit der einfachen Schriftlichkeit der Bürgschaftserklärung. Die Verschärfung der Formvorschriften wurde zwar als das "Kernstück" der Vorlage bezeichnet (Sten. Bull. NatR 1940 S. 73; Prot. Kom. NatR I S.11); über deren Notwendigkeit waren die Meinungen jedoch keineswegs einhellig (vgl. die Botschaft des Bundesrates, BBl 1939 II S. 858 f.). Der Gesetzgeber sah sich denn auch auf den Weg der Verständigung und des Ausgleichs verwiesen. So sind lediglich Bürgschaftserklärungen natürlicher Personen öffentlich zu beurkunden, und auch diese nur dann, wenn der Forderungsbetrag die Summe von Fr. 2000.-- übersteigt. Nicht öffentlich zu beurkunden sind die sogen. Kautionsbürgschaften gegenüber der Eidgenossenschaft und den Kantonen (Art. 493 Abs. 3 OR) sowie die Wechselbürgschaften (vgl. BGE 79 II 80). Die schweizerische Rechtsordnung zieht damit dem Schutz des Bürgen vor der unüberlegten Eingehung von Bürgschaften gewisse Grenzen, die sich aus den Anforderungen des Wirtschaftslebens einerseits und dem Wesen des Privatrechts anderseits erklären, das dem Gedanken des Schutzes der Rechtsgenossen vor sich selber zurückhaltend begegnet. Verzichtet ein ausländisches Gesetz auf die öffentliche Beurkundung des Bürgschaftsvertrags, so stellt es mit der Freiheit des Rechtsverkehrs einen Rechtsgrundsatz in den Vordergrund, dem in der einheimischen Rechtsordnung gleichfalls eine zentrale Bedeutung zukommt, und der auch im Bürgschaftsrecht des OR dem Bestreben, den Bürgen zu schützen, Schranken setzt. Eine Umwertung, die das schweizerische Rechtsempfinden in unerträglicher Weise verletzen würde, liegt darin nicht. Es lässt sich daher nicht sagen, durch die Vollstreckung eines ausländischen Urteils, das sich auf eine in einfacher Schriftform gehaltene (statt öffentlich beurkundete) Bürgschaftserklärung stützt, gelange ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung, das gegen den schweizerischen ordre public verstosse. Wird in einem Falle wie dem vorliegenden die Vollstreckung verweigert, so wird damit der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung in einer Weise überspannt, der sich mit dem Sinn und Zweck von Art. 4 Abs. 1 des schweizerischdeutschen Vollstreckungsabkommens nicht vereinbaren lässt und den Staatsvertrag verletzt.
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