BGE 85 I 1 | |||
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1. Urteil vom 4. Februar 1959 i.S. Corbellini gegen Obergericht des Kantons Solothurn. | |
Regeste |
Armenrecht, Art. 4 BV. |
Bei Bestimmung der Bedürftigkeit der armen Partei kann daher berücksichtigt werden, dass der Ehegatte Vermögen oder Einkommen hat (Änderung der Rechtsprechung). | |
Sachverhalt | |
A.- Wegen der Folgen eines Verkehrsunfalles hat Walter Senn gegen den Beschwerdeführer beim Amtsgericht Olten-Gösgen Klage auf Bezahlung von Fr. 35'000.-- angehoben. Der Beklagte verlangte die unentgeltliche Rechtspflege, wurde aber abgewiesen, zuletzt durch Beschluss des Obergerichtes Solothurn vom 12.11./4.12.1958. Dieser Beschluss wird damit begründet, dass der Beschwerdeführer gemäss dem Zeugnis der Einwohnergemeinde Niedergösgen ein Einkommen von Fr. 7'400.-- und seine Ehefrau ein solches von Fr. 3'850.-- habe. Bei Beurteilung der Bedürftigkeit im Sinne von § 174 des solothurnischen Gebührentarifes könne auch das Einkommen des Ehegatten des Gesuchstellers berücksichtigt werden. Bei einem jährlichen Gesamteinkommen von über Fr. 11'000.-- sei der Gesuchsteller nicht bedürftig. Ob sein Prozessstandpunkt aussichtslos sei, brauche nicht geprüft zu werden.
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B.- Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde beantragt Luciano Corbellini, die Verfügung des Gerichtspräsidenten von Olten-Gösgen und des Obergerichtes aufzuheben und dem Beschwerdeführer den unentgeltlichen Rechtsbeistand im Sinne von § 174 des Gebührentarifes, eventuell das Armenrecht nach Art. 4 BV zu bewilligen, weiter eventuell die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.
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Es wird eine Verletzung (willkürliche Anwendung) von § 174 des Gebührentarifes behauptet und diese darin gesehen, dass bei Bestimmung der Bedürftigkeit das Einkommen der Ehefrau zu demjenigen des Mannes hinzugezählt werde. Der bundesrechtliche Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege sei verletzt, weil der Beschwerdeführer nicht imstande sei, aus seinem Einkommen Gerichts- und Anwaltsvorschüsse zu leisten.
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C.- Das Obergericht verweist auf die Erwägungen seines Beschlusses und verzichtet im übrigen auf Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der Beschluss des Obergerichtes tritt, da ihm bei Beschwerden gegen erstinstanzliche Verfügungen freie Kognitionsbefugnis zusteht, an die Stelle der Verfügung des Gerichtspräsidenten von Olten-Gösgen und ersetzt sie. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nur zulässig gegen den das Armenrecht verweigernden Beschwerdeentscheid. Erwiese sie sich als begründet, so könnte das Urteil wegen der ausschliesslich kassatorischen Funktion von Beschwerden von der Art der vorliegenden nur auf Aufhebung und Rückweisung an den kantonalen Richter lauten, nicht auf Gewährung des Armenrechtes, zumal der kantonale Richter das Gesuch noch nicht daraufhin geprüft hat, ob der Prozessstandpunkt des Gesuchstellers aussichtslos sei, dies aber nachträglich noch tun könnte.
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Wäre hievon auszugehen, würde das Armenrecht also nur gestützt auf kantonales Recht, den § 174 des Gebührentarifs verlangt, so würde sich einzig nach diesem bestimmen, ob der Beschwerdeführer darauf Anspruch habe. Denn der bundesrechtliche, aus Art. 4 BV folgende Anspruch befreit die arme Partei nur davon, dass der Richter die Durchführung des Verfahrens davon abhängig mache, dass sie die Kosten, allfällig auch diejenigen der Gegenpartei, zum voraus erlege; er gibt kein Recht darauf, von den Prozesskosten überhaupt befreit zu werden (BGE 67 I 67). Doch folgt aus Art. 4 BV auch, dass die arme Partei einen nicht aussichtslosen Prozess nicht selbst, ohne Beizug eines amtlichen Vertreters durchführen muss, wenn sie dieses Beistandes zur gehörigen Wahrung ihrer Rechte bedarf. Er ist somit auch verletzt, wenn der Richter es ablehnt, der bedürftigen Partei für diesen Fall einen unentgeltlichen Beistand zu gewähren. Da nicht streitig ist, dass der Beschwerdeführer nicht imstande wäre, den gegen ihn angehobenen Prozess allein, ohne einen Anwalt zu führen, ein solcher ihm aber mit dem angefochtenen Beschluss verweigert wird, steht doch der bundesrechtliche Anspruch auf Armenrecht in Frage. Ob der kantonale Richter bei Auslegung des Begriffes der Bedürftigkeit das Arbeitseinkommen der Ehefrau des Gesuchstellers berücksichtigen durfte, ist somit nach den dafür geltenden Grundsätzen zu ermitteln.
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Es ist anerkannt, dass die eheliche Beitragspflicht nicht bloss den Lebensunterhalt des andern Gatten, sondern darüber hinaus auch andere Bedürfnisse, insbesondere den Rechtsschutz umfasst (BGE 66 II 71,BGE 67 I 69,BGE 72 I 148und dort zitierte Literatur). Im letztgenannten Urteil wurde freilich angenommen, die Beistandspflicht beschränke sich, was den Rechtsschutz betrifft, auf die Wahrung persönlicher Rechte. Der Ehegatte habe dem andern zwar die Kosten des Scheidungsprozesses oder anderer in die persönlichen Verhältnisse eingreifender Prozesse zur Verfügung zu stellen, nicht dagegen die Kosten vermögensrechtlicher Streitigkeiten, soweit sich diese Pflicht nicht aus güterrechtlichen Gründen ergebe.
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Diese etwas enge Umschreibung der ehelichen Beistandspflicht, die im neueren Schrifttum abgelehnt wird (LEMP, Komm. zu Art. 159 N. 32), bedarf der Lockerung. Die Pflicht des Ehegatten, das Wohl der Gemeinschaft zu wahren, trifft beide Gatten in gleicher Weise und soll bei der Anwendung aller Normen über die persönlichen Wirkungen der Ehe und das eheliche Güterrecht wegleitend sein. Auch der ungünstige Ausgang eines vermögensrechtlichen Prozesses kann die wirtschaftliche Existenz und damit das Wohl der Gemeinschaft berühren. Das wird in besonderem Masse der Fall sein, wenn der Ehemann im Prozesse als Beklagter erscheint und der ihm gegenüber geltend gemachte Anspruch nicht unbedeutend ist, er also im Falle des Prozessverlustes allenfalls eine Lohnpfändung zu gewärtigen hat. In solchen Fällen kann, vorausgesetzt natürrlich, dass der Prozess nicht aussichtslos ist, auch der Ehefrau ein gewisses Opfer zugemutet werden. Wenn von ihr kein definitiver Beitrag verlangt werden kann, kann sie doch verpflichtet werden, aus dem Vermögen oder Vermögensertrag einen Vorschuss zu leisten, unter Vorbehalt endgültiger Auseinandersetzung unter den Ehegatten. Das gilt auch für das Sondergut, für welches Art. 192 ZGB eine Beitragspflicht statuiert und in Abs. 2 ausdrücklich vorsieht, dass das aus Arbeit entstandene, soweit erforderlich, für die Bedürfnisse des Haushaltes verwendet werden soll. Das bedeutet nicht bloss, dass ein Beitrag bei Erschöpfung der Mittel des Ehemannes zu leisten ist, sondern verpflichtet die Ehefrau zu einem Beitrag, soweit sie nicht etwa sonstwie das ihrige beiträgt. Der Arbeitserwerb der Frau wird damit, sofern die Beitragspflicht daraus nicht sogar grundsätzlich weitergeht als diejenige aus dem sonstigen Sondergut, diesem jedenfalls gleichgestellt; nicht bloss für den eigentlichen Haushaltsaufwand, sondern auch für einen aussergewöhnlichen Aufwand kann sie geltend gemacht werden (BGE 73 II 98). In der Betreibung gegen den Ehemann ist der Arbeitserwerb der Ehefrau bei Berechnung des massgebenden Lohnes und des Existenzminimums ebenfalls zu berücksichtigen, und es kommt nichts darauf an, ob die Betreibung eine für die Kosten des Haushaltes begründete oder irgend eine andere Schuld des Mannes zum Gegenstand hat (BGE 63 III 110,BGE 65 III 26, FAVRE, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht S. 170 Ziff. 3). Dann rechtfertigt es sich auch, dem Arbeitseinkommen der Frau schon bei Feststellung der Schuld, Abklärung der Bedürftigkeit für den Prozess Rechnung zu tragen. Wenn es so ist, dass die Ehefrau daraus für den auf sie entfallenden Betrag der Haushaltskosten selbst aufzukommen vermag, der Ehemann also nur seinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten müsste, so dürfte seine Bedürftigkeit verneint werden, wenn das ihm aus seinem Einkommen Verbleibende genügt, um die verlangte oder erforderliche Sicherheit zu leisten.
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Im Einzelfall ist deshalb abzuklären, einmal, wie gross die Sicherheit ist, welche vom Ehemann im Prozessverfahren für Gerichts- und eventuell Anwaltskosten zu erbringen ist, und sodann, ob die Ehegatten ausser ihren Pflichten für die Kosten des gemeinsamen Haushaltes andere fällige Verpflichtungen zu erfüllen haben, was danach beide für den Haushalt zu leisten vermögen und ob, was verbleibt, genügt, um die Sicherheit, allfällig in Raten zu erbringen.
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Die danach zu würdigenden Fragen haben im angefochtenen Entscheid keine hinreichende Abklärung erhalten. Es ist zwar davon die Rede, dass aus der Armutsbescheinigung der Gemeinde nicht ersichtlich sei, weshalb vom Gesamteinkommen von Fr. 11'250.-- ein Betrag von Fr. 1'600.-- für Versicherungsprämien soll abgezogen werden können. Eine Abklärung ist aber nicht erfolgt und die Parteien haben sich darüber auch in diesem Verfahren nicht geäussert. Es ist Sache des zum Entscheid über das Armenrechtsgesuch zuständigen Richters, zu prüfen, wie es sich damit und wie im einzelnen mit den Beitragspflichten der Ehegatten für den Haushalt und mit ihren persönlichen Verbindlichkeiten verhält, und ob sie die Schlussfolgerung erlauben, der Beschwerdeführer sei imstande, die Kosten seines Anwalts, dessen voraussichtliche Forderung nicht festgestellt ist, und nötigenfalls noch gewisse gerichtliche Kosten, wenn auch nur ratenweise vorzuschiessen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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