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6. Urteil vom 21. Januar 1959 i.S. Hoepffner gegen Wollner und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. | |
Regeste |
1. Umfang der Prozessvollmacht des Anwaltes (Erw. 3). |
a) Der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates bezieht sich nicht nur auf den Inhalt der Entscheidung, sondern grundsätzlich auch auf das Verfahren, in dem sie ergangen ist (Erw. 4 a, b). |
b) Ein deutscher Entscheid, durch den eine Partei in einem von einem vollmachtlosen Vertreter ohne ihr Wissen geführten Zivilprozess zur Bezahlung von Kosten verurteilt worden ist, verstösst gegen die schweizerische öffentliche Ordnung und ist in der Schweiz auch dann nicht zu vollstrecken, wenn die Partei es unterlassen hat, die Entscheidung mit den nach deutschem Recht zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln anzufechten (Erw. 4 c). | |
Sachverhalt | |
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Am 19. März 1956 reichte Dr. P. Barber, Rechtsanwalt in Hamburg, beim dortigen Landgericht im Namen Wollners gegen Kostial, Hoepffner und drei Banken Klage ein mit dem Begehren, die Beklagten gesamthaft zur Zahlung von DM 100'000.-- nebst Zinsen zu verurteilen, wobei er zum Nachweis seiner Vertretungsmacht die am 28. Oktober 1953 ausgestellte Vollmacht Wollners an Dr. W. und eine darauf beruhende Substitutionsvollmacht von Dr. W. vorlegte. Die Beklagten verlangten eine Sicherheitsleistung für ihre Prozesskosten, die vom Landgericht auf DM 50'000.-- angesetzt wurde. Da diese Kaution nicht geleistet wurde, erklärte das Landgericht Hamburg am 6. März 1957 die Klage für "zurückgenommen" und auferlegte dem Kläger Wollner die Verfahrenskosten, nachdem es durch Beschluss vom 13. Februar 1957 die vom Kläger dem Beklagten Hoepffner zu erstattenden Kosten auf DM 1'400.82 festgesetzt hatte.
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B.- Gestützt auf diese beiden in Rechtskraft erwachsenen Entscheide leitete Hoepffner am 4. Mai 1957 in Basel Betreibung gegen Wollner ein für Fr. 1466.65 und stellte nach erhobenem Rechtsvorschlag unter Berufung auf die Haager Zivilprozessübereinkunft von 1905 und auf das schweiz./deutsche Vollstreckungsabkommen von 1929 das Begehren um definitive Rechtsöffnung. Wollner wandte ein, diese Staatsverträge seien auf den Kostenentscheid ![]() | 3 |
Das Dreiergericht des Kantons Basel-Stadt wies das Rechtsöffnungsbegehren ab, da die Vollstreckung weder nach der Haager Zivilprozessübereinkunft noch nach dem Vollstreckungsabkommen möglich sei.
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Hiegegen führte Hoepffner Beschwerde. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt nahm an, dass das Vollstreckungsabkommen anwendbar sei, und hiess die Beschwerde am 19. August 1957 dahin gut, dass es die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an das Dreiergericht zurückwies und dabei ausführte: Sollte die Klage in Hamburg ohne Ermächtigung Wollners erhoben worden sein, so wäre die Rechtsöffnung zu verweigern, da Wollner dann gar nicht als Prozesspartei gelten könnte. Dass ein Zivilurteil nur inter partes Verpflichtungen erzeugen könne, sei ein fundamentaler Grundsatz unseres Zivilprozessrechts. Einem dagegen verstossenden Entscheid müsste daher die Vollstreckung in der Schweiz schon aus Gründen des ordre public (Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens) die Vollstreckung verweigert werden.
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Das Dreiergericht kam zum Schluss, die Klage in Hamburg sei in der Tat ohne Ermächtigung Wollners erhoben worden, und es wies daher das Rechtsöffnungsbegehren erneut ab. Hoepffner erhob hiegegen wiederum Beschwerde, wurde aber vom Appellationsgericht durch Urteil vom 23. September 1958 abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Dr. Barber in Hamburg habe sich durch eine Substitutionsvollmacht legitimiert, die sich auf die am 28. Oktober 1953 ausgestellte Vollmacht Wollners an Rechtsanwalt Dr. W. bezogen habe. Es sei klar, dass diese "in Sachen Hypothekar- und Commerzbank AG in Zürich betr. Forderung" erteilte Vollmacht für den Inlandgebrauch bestimmt gewesen sei und nur zu Rechtshandlungen hinsichtlich einer Forderung Wollners gegen diese Bank berechtigt habe, wie denn eine Prozessvollmacht (und um eine solche habe es sich gehandelt) regelmässig den Namen des Gegners ![]() | 6 |
C.- Gegen dieses ihm am 13. Oktober 1958 eröffnete Urteil hat Walter Hoepffner am 12. November 1958 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er bezeichnet das Urteil als tatsachenwidrig und willkürrlich, weil sich aus den Akten ergebe, dass Wollner die Prozessführung in seinem Namen in Hamburg gekannt und gebilligt habe. Ausserdem verletze das Urteil das schweiz./deutsche Vollstreckungsabkommen. Die im Hamburger Prozess eingelegte Vollmacht habe nach dem dafür massgebenden deutschen Rechte genügt. Zudem wäre eine mangelhafte Vollmacht kein Grund zur Verweigerung der Vollstreckung des rechtskräftig gewordenen Entscheids, da der Vorbehalt des ordre public in Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens sich nur auf den Inhalt der Entscheidung, nicht auf das Verfahren beziehe.
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D.- Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt und der Beschwerdegegner Arthur Wollner beantragen die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Die in Betreibung gesetzte Forderung, für welche definitive Rechtsöffnung verlangt wird, beruht auf Kostenentscheiden ![]() | 11 |
3. Die Substitutionsvollmacht, auf Grund deren im Namen Wollners in Hamburg am 19. März 1956 Klage erhoben worden ist, bezog sich auf eine Prozessvollmacht, die er am 28. Oktober 1953 an Rechtsanwalt Dr. W. in Zürich "in Sachen Hypothekar- und Commerzbank AG Zürich betreffend Forderung" erteilt hatte. Das Appellationsgericht hat angenommen, dass Wollner damit nur zum Vorgehen in der Schweiz gegen diese Bank, nicht zur Prozessführung in Hamburg gegen andere Personen ermächtigt habe. Diese Auslegung der Vollmacht erscheint nach schweizerischem wie nach deutschem Recht als zutreffend. Wenn zu verlangen ist, dass der Gegenstand der Prozessvollmacht sich in sachlicher und persönlicher Beziehung aus der Urkunde deutlich ergebe (LEUCH, N. 1. zu Art. 84 bern. ZPO), so heisst das gleichzeitig, dass der Vertreter nur zum Vorgehen gegen die in der Vollmacht genannten Personen ermächtigt ist. Auch nach deutschem Recht wird der Umfang der Prozessvollmacht durch die Beziehung auf einen bestimmten Rechtsstreit, d.h. auf ![]() | 12 |
Trotz Fehlens einer genügenden schriftlichen Vollmacht müsste Wollner die Prozessführung in seinem Namen freilich gegen sich gelten lassen, wenn er mit ihr einverstanden gewesen wäre. Der Beschwerdeführer hat jedoch in der staatsrechtlichen Beschwerde nichts vorgebracht, was auf ein solches, und sei es auch nur stillschweigendes, Einverständnis schliessen liesse. Aus der (vom Beschwerdegegner vorgelegten) Korrespondenz Wollners mit Dr. W. in Zürich ergibt sich dagegen klar, dass Wollner seine Zustimmung zur Prozessführung in Hamburg von der Übernahme und Sicherstellung der Prozesskosten durch Dr. Hoffmann abhängig gemacht und, offenbar wegen Nichterfüllung dieser Bedingung, drei ihm am 11. und 20. Januar 1956 zur Unterzeichnung zugestellte Prozessvollmachten an Dr. Barber in Hamburg nicht abgesandt, sondern zurückbehalten hat. Der Einwand des Beschwerdeführers, die Einreichung der schriftlich begründeten Klage in Hamburg sei ohne Rücksprache des Anwalts mit Wollner undenkbar, ist schon deshalb nicht schlüssig, weil es sich einfach um die Erneuerung der bereits 1953 durch die Hypothekar- und Commerzbank AG erhobenen Klage handelte.
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Ist demnach davon auszugehen, dass die im Namen ![]() | 14 |
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a) Das Bundesgericht hat die ordre public-Klausel, die in allen von der Schweiz abgeschlossenen Vollstreckungsabkommen enthalten ist, bisher nur auf den Inhalt der Entscheidung angewandt. Ob sie darüber hinaus auch angerufen werden könne bei Mängeln, die dem Verfahren vor dem ausländischen Gericht, gemessen an der inländischen Rechtsordnung, anhaften, wurde stets als fraglich bezeichnet und offen gelassen (BGE 57 I 435,BGE 62 I 145, 63 1 301,BGE 72 I 275, BGE 84 I 46 Erw. 3). Es besteht indessen kein zureichender Grund, den Anwendungsbereich der Vorbehaltsklausel im Gebiete der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile auf materiellrechtliche Mängel zu beschränken, wenn ihr auch, wie das Bundesgericht in letzter Zeit wiederholt erklärt hat, in diesem Gebiete engere Grenzen gezogen sind als im Gebiete der direkten Gesetzesanwendung (BGE 84 I 123 und dort angeführte Urteile). Der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung ist seinem Wesen nach ganz allgemeiner Natur und greift immer dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde. Das kann auch dann der Fall sein, wenn die Entscheidung zwar inhaltlich nicht zu beanstanden ist, aber durch unlautere Machenschaften erschlichen worden ist ![]() | 16 |
b) Nach Art. 4 Abs. 1 des schweiz./deutschen Abkommens ist die Anerkennung eines im andern Staat ergangenen Urteils zu versagen, wenn "durch die Entscheidung ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung gelangen soll, dem im Gebiet des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolgbarkeit oder Klagbarkeit versagt ist". Es ist zuzugeben, dass diese Umschreibung das materielle Rechtsverhältnis im Auge hat und dass sich daher die Auffassung vertreten lässt, Verfahrensmängel würden davon nicht erfasst. Diese wörtliche Auslegung wird jedoch in der Literatur (GULDENER a.a.O. S. 148, JELLINEK a.a.O. S. 191, KALLMANN, ![]() | 17 |
c) Zu dieser Verurteilung ist es offenbar deshalb gekommen, weil das Landgericht Hamburg, wie bereits in Erw. 3 ausgeführt wurde, nicht von Amtes wegen zu prüfen hatte und daher auch nicht geprüft hat, ob der Anwalt, der im Namen Wollners Klage erhob, hiezu bevollmächtigt war. Die Unterlassung dieser Prüfung ist aus dem Gesichtspunkt der schweizerischen öffentlichen Ordnung nicht zu beanstanden, bestimmen doch einzelne kantonale Zivilprozessordnungen sogar, dass die Rechtsanwälte als Inhaber einer allgemeinen Prozessvollmacht der Partei, für die sie handeln, gelten bzw. ohne Nachweis der Vollmacht für sie handeln können (St. Gallen Art. 118 Abs. 2, Solothurn Art. 5 Ziff. 1). Dagegen kann der Kostenentscheid, der infolge jener Unterlassung gegen Wollner ergangen ist, in der Schweiz nicht anerkannt werden. Es ist ein allgemeiner Grundsatz des schweizerischen Zivilprozessrechts, dass derjenige nicht verurteilt werden kann, der am Verfahren gar nicht beteiligt war, weil er weder je selber vorgeladen noch richtig vertreten war (inbezug auf die Vertretung: STAUFFER, Die Verträge der Schweiz mit Österreich und der Tschechoslowakei S. 49, BURCKHARDT Komm. der BV S. 576, JAEGER N. 19 a.E. zu Art. 81 SchKG, wo es als selbstverständlich bezeichnet wird, dass ![]() | 18 |
Die Prozessführung durch einen vollmachtlosen Vertreter ohne Wissen und Willen der Partei stellt übrigens auch nach deutschem Recht einen schweren Mangel dar. Das ergibt sich daraus, dass die nicht vertretene Partei, auf deren Namen das Urteil ergangen ist, dieses auch noch nach Eintritt der Rechtskraft mit der Nichtigkeitsklage gemäss § 579 Ziff. 4 DZPO anfechten kann (STEIN-JONAS-SCHÖNKE Bem. IV zu § 88 und Bem. II 4 zu § 579 DZPO). Von diesem Rechtsmittel hat Wollner freilich keinen Gebrauch gemacht. Das steht jedoch der Anwendung von Art. 4 Abs. 1 des Abkommens nicht entgegen. Die Verweigerung der Vollstreckung eines ausländischen Urteils wegen Verstosses gegen den schweizerischen ordre public setzt nicht voraus, dass der Verurteilte im Ausland die gegen das Urteil zur Verfügung stehenden ordentlichen ![]() | 19 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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