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3. Urteil vom 1. März 1961 i.S. X. gegen Solothurn, Kanton und Regierungsrat. | |
Regeste |
Art. 4 BV und Art. 81 Lit. A Ziff. 1 solothurn. KV. | |
Sachverhalt | |
1 | |
"Die Übernehmer von Erbschaften, Vermächtnissen und Schenkungen auf Todesfall - mit Ausnahme der Nachkommen in gerade absteigender Linie und der Adoptivkinder - haben vom Betrag der ihnen zufallenden reinen Habschaft an Handänderungsgebühr in der Regel zu bezahlen:
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a) die Ehegatten für diejenigen Teile, wofür sie als Erben angesehen werden, 2%;
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b) die Eltern, Grosseltern usw., die Geschwister und deren Nachkommen für jeden Grad der Verwandtschaft 1%, also die Eltern 1%, die Geschwister 2% usf.;
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c) die übrigen Erben, nämlich der Eltern Geschwister 6%, im vierten Grad 7%, in weiteren Verwandtschaftsgraden 8 %;
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d) die durch Testament berufenen Erben und Vermächtnisnehmer 8 %.
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Wenn ein durch Testament Bedachter zugleich Intestaterbe ist, so hat er die Gebühr von 8 % nur für jene Teile zu bezahlen, wozu er nicht durch das Gesetz selbst als Erbberechtigt gerufen ist."
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Am 23. Oktober 1887 ist der soloth. KV ein Art. 81 beigefügt worden, der zur Herstellung des Gleichgewichts in der Staatsrechnung verschiedene Gesetzesänderungen vorsieht und unter lit. A Ziff. 1 bestimmt:
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"Die Übernehmer von Erbschaften, Vermächtnissen und Schenkungen auf Todesfall, mit Ausnahme der Nachkommen in gerade absteigender Linie und der Adoptivkinder, haben vom Betrag der ihnen zufallenden reinen Habschaft an Handänderungsgebühr zu den bestehenden gesetzlichen Ansätzen einen Zuschlag von 50 % zu entrichten."
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Schliesslich hat der soloth. Regierungsrat am 26. Oktober 1894 eine an die Amtsschreiber gerichtete Weisung über die Anwendung des GHE erlassen, deren Ziff. 3 lautet:
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"Wenn ein Erblasser zu Gunsten einzelner Nachkommen in absteigender Linie oder von Adoptivkindern testatorische Verfügungen trifft, so sind die testatorischen Zuwendungen nicht steuerfrei, sondern die bedachten Erben haben von denselben die Erbschaftsgebühr als Testamentserben (§ 1 lit. d) zu bezahlen."
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B.- Die in Solothurn gestorbene Frau Y. hinterliess als gesetzliche Erben vier Kinder. Durch Testament hatte sie ihre Tochter Frau X. auf den Pflichtteil gesetzt und für den Rest des gesetzlichen Erbteils derselben, d.h. für 1/16 des Nachlasses, deren drei Söhne, die heutigen Beschwerdeführer, zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt.
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Die Amtsschreiberei Solothurn berechnete das reine Nachlassvermögen mit Einschluss der Vorempfänge auf Fr. 2'196,370.05 und den Anteil jedes Beschwerdeführers auf Fr. 45'757.70 und setzte die von jedem von ihnen zu entrichtende Testamentssteuer auf 24% = Fr. 10'981.80 fest, indem sie vom Ansatz von 8% in § 1 lit. d GHE ausging und je 8% gemäss § 3 GHE sowie Art. 81 lit. A Ziff. 1 KV hinzuschlug.
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Gegen diese Veranlagung rekurrierten die Beschwerdeführer, indem sie vor allem geltend machten, dass sie ![]() | 15 |
Der Regierungsrat hiess den Rekurs mit Beschluss vom 2. Dezember 1960 dahin teilweise gut, dass er das reine Nachlassvermögen auf Fr. 1'977,540.05 und die Vermächtnisse der drei Beschwerdeführer auf je Fr. 41'198.75 berechnete und demgemäss die jedem Beschwerdeführer auferlegte Testamentssteuer von 24% auf Fr. 9'887.70 herabsetzte. Zur Frage, ob die Beschwerdeführer als Enkelkinder der Erblasserin steuerpflichtig seien, führen die Erwägungen aus: Die beanstandete Besteuerung beruhe auf einer jahrzehntealten Praxis, die in einer Weisung des Regierungsrates vom 26. Oktober 1894 letztmals schriftlich fixiert und vom Bundesgericht im Urteil vom 12. Oktober 1929 i.S. Weber als nicht willkürlich bezeichnet worden sei. Ähnliche Erwägungen habe das Bundesgericht im Urteil vom 31. Oktober 1946 i.S. Pfluger angestellt. Da die Erwägungen des Urteils Weber den Beschwerdeführern bekannt seien, könne auf deren Wiedergabe verzichtet werden.
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C.- Gegen diesen Beschluss führen die Brüder X staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Sie berufen sich auf Art. 4 BV und auf Art. 81 lit. A Ziff. 1 KV sowie auf Art. 62 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 Ziff. 1, 31 Ziff. 1 und 38 Ziff. 1 KV und machen zur Begründung im wesentlichen geltend: Nach § 1 GHE und Art. 81 KV seien die Nachkommen in gerade absteigender Linie von der Erbschaftssteuer befreit. Die gegenteilige Auslegung dieser Bestimmungen durch den Regierungsrat verstosse gegen den absolut klaren Wortlaut und ![]() | 17 |
D.- Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt die Abweisung der Beschwerde und führt aus: Die Beschwerde sei trölerisch, da die aufgeworfenen Fragen vom Bundesgericht in den Urteilen Weber und Pfluger bereits entschieden und die dagegen erhobenen Einwände dort eindeutig widerlegt worden seien. Ein Gewohnheitsrecht nehme der Regierungsrat nicht für sich in Anspruch; die Berufung auf die jahrzehntealte Praxis habe nur auf die Dauer der von den Beschwerdeführern angefochtenen Gesetzesauslegung hinweisen wollen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Beschwerdeführer werfen dem Regierungsrat eine mit dem klaren Wortlaut unvereinbare und deshalb willkürrliche Auslegung des § 1 GHE vor. Ausserdem behaupten sie, der Regierungsrat habe Art. 81 lit. A Ziff. 1 KV sowie Art. 62 Abs. 1 in Verbindung mit den Ziff. 1 der Art. 17, 31 und 38 KV verletzt. Art. 81 KV bestimmt nicht nur, dass zu den Steuersätzen des GHE ein Zuschlag von 50% zu entrichten ist, sondern hat auch die in § 1 GHE enthaltene Umschreibung der Steuersubjekte und Steuerobjekte wörtlich übernommen. Durch diese Aufnahme in die Verfassung ist die gesetzliche Steuerbefreiung für Nachkommen in gerade absteigender ![]() | 19 |
2. Art. 81 lit. A Ziff. 1 KV und § 1 GHE sehen für Nachkommen in gerade absteigender Linie eine Befreiung von der (im folgenden kurz "Erbschaftssteuer" genannten) Handänderungsgebühr auf Erbschaften vor. Der Regierungsrat hat in ständiger Praxis angenommen, diese Steuerbefreiung gelte für Nachlassvermögen, welches ![]() | 20 |
3. Ausgangspunkt und in erster Linie massgebend für die Bestimmung des Sinnes eines Rechtssatzes ist dessen Wortlaut, der entweder klar ist oder der Auslegung bedarf (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZGB). Auch der zunächst klar scheinende Wortlaut ist freilich auslegungsbedürftig, soweit er Ausdrücke verwendet, die nicht völlig eindeutig und unmissverständlich sind. Der Regierungsrat hat mit Recht weder in den früheren Fällen noch vorliegend behauptet, der Wortlaut von Art. 81 lit. A Ziff. 1 KV und § 1 GHE sei unklar oder verwende zweideutige Ausdrücke. Mit den Ausdrücken "Übernehmer von Erbschaften, Vermächtnissen und Schenkungen auf Todesfall" in Verbindung mit der Aufzählung in § 1 lit. a-d GHE wird der Kreis der Steuerpflichtigen klar umschrieben. Ebenso ist die Bezeichnung "Nachkommen in gerade absteigender Linie" für die (neben den Adoptivkindern) von der Steuer befreiten Personen völlig klar. Dafür, dass diese Befreiung nur im Umfang des gesetzlichen Erbteils gelten soll, bietet der Wortlaut keinen Anhaltspunkt. Wenn Art. 81 lit. A Ziff. 1 KV und § 1 GHE die "Übernehmer von Erbschaften, Vermächtnissen und Schenkungen auf Todesfall" als Steuerpflichtige nennen und unmittelbar anschliessend die "Nachkommen in gerade absteigender Linie" ohne jede Einschränkung von der ![]() | 21 |
Die Auslegung eines Rechtssatzes gegen den ihm vom Gesetzgeber verliehenen klaren Wortlaut ist der rechtsanwendenden Behörde grundsätzlich verwehrt. Sie darf - von dem hier nicht in Betracht kommenden Redaktionsversehen abgesehen (Urteil vom 20. September 1950 i.S. Wackernagel) - vom klaren Wortlaut nur dann ohne Verletzung von Art. 4 BV abweichen, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus ihrer Entstehungsgeschichte, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Gesetzesbestimmungen ergeben (vgl. BGE 80 II 316).
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a) Das Bundesgericht hat im Urteil Weber ausgeführt, auf Grund der Gesetzesberatung im Kantonsrat könne man "sehr wohl" annehmen, die Steuerfreiheit für Nachkommen gelte bloss für den Erbschaftserwerb, den das (Zivil-) Gesetz für den Fall, dass der Erblasser nicht anders verfügt habe, selbst vorsehe. Diese Annahme erweist sich indes als unzutreffend. Der regierungsrätliche Entwurf vom März 1848 hatte für Nachkommen eine Erbschaftssteuer von 1/2% vorgesehen. Diese bereits von der Kommission abgelehnte Besteuerung wurde im Kantonsrat als "Belästigung" und als "grober Eingriff in die ![]() | 23 |
b) Dass nur die gänzliche Befreiung der Nachkommen dem wirklichen Sinn von § 1 GHE (und Art. 81 lit. A Ziff. 1 KV) entspricht, ergibt sich auch abgesehen von der Entstehungsgeschichte aus dem Grundgedanken und Zweck der Regelung. § 1 GHE sieht Steuersätze von 1 bis 8% vor, wobei der Satz mit dem Verwandtschaftsgrad steigt und für die entferntesten Verwandten sowie für Nichtverwandte 8% beträgt. Es ist nicht einzusehen, wieso Nachkommen in gerade absteigender Linie, die das Gesetz ausdrücklich von der Steuerpflicht befreit, den für entfernteste Verwandte und Nichtverwandte vorgesehenen höchsten Steuersatz von 8% (mit Zuschlägen 16 bzw. 24%) zu entrichten haben sollten für Nachlassvermögen, das ihnen nicht auch kraft Gesetzes zufällt, wie es der Fall ist, wenn Grosseltern den verfügbaren Teil ihres Vermögens testamentarisch ganz oder teilweise direkt ihren Enkeln zuwenden. Die Annahme, dass Nachkommen in diesen und ähnlichen Fällen gerade den höchsten, für Nichtverwandte vorgesehenen Steuersatz zu entrichten haben, widerspricht dem Grundgedanken der Regelung: Steuerbefreiung für Nachkommen und Abstufung der Steuersätze nach dem Verwandtschaftsgrade, so sehr, dass sie sich ohne eine Stütze im Wortlaut des Gesetzes nicht halten lässt. An einer solchen fehlt es aber. Der im Urteil Weber enthaltene Hinweis auf § 1 Abs. 2 GHE ist keineswegs schlüssig. Nach dieser Bestimmung hat ein durch Testament Bedachter, sofern er zugleich gesetzlicher Erbe ist, die Gebühr von 8% nur für das zu bezahlen, ![]() | 24 |
c) Dem im Urteil Weber noch erwähnten Umstand, dass die Auslegung des Regierungsrates einer seit Jahrzehnten feststehenden Praxis entspricht, käme nur Bedeutung zu, wenn sich dadurch ein Gewohnheitsrecht entwickelt hätte (vgl. BGE 84 I 97, BGE 85 I 88). Der Regierungsrat behauptet jedoch kein solches, sondern erklärt in der Beschwerdeantwort vielmehr ausdrücklich, er nehme kein Gewohnheitsrecht für sich in Anspruch.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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