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9. Urteil vom 1. März 1961 i.S. Roth gegen Koller und Bezirksgericht St. Gallen. | |
Regeste |
Verzicht auf den durch Art. 59 BV gewährleisteten Gerichtsstand des Wohnortes durch |
2. vorbehaltlose Einlassung auf den Rechtsstreit: Wer sich am ausserhalb seines Wohnortes gelegenen Ort, wo sich ein Beweisobjekt befindet, auf ein Verfahren zur Sicherstellung gefährdeter Beweise einlässt, verzichtet damit für die später gegen ihn erhobene Forderungsklage nicht auf die Garantie des Art. 59 BV (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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Josef Koller wohnt in St. Gallen. Im Jahre 1954 liess er dort ein Einfamilienhaus erstellen. Als sich das Flachdach des Terrassenvorbaus als nicht wasserdicht erwies, beauftragte er Roth mit der Erstellung einer Isolierung zum Preis von Fr. 3280.50 auf Grund einer Offerte vom 14. September 1955, worin Roth sich verpflichtete, während 10 Jahren jeden auftretenden Schaden zu beseitigen; ferner heisst es in der Offerte: "Zahlungsbedingungen SIA".
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Im Jahre 1958 traten in den Zimmern unter der Terrasse Feuchtigkeitsschäden auf. Roth nahm gewisse Ausbesserungen vor, vermochte jedoch die Schäden nicht zu beheben und behauptete schliesslich, diese seien nicht auf Mängel seiner Isolierung, sondern auf andere Ursachen zurückzuführen. Darauf stellte Koller mit Eingabe vom 31. August 1959 beim Bezirksgerichtspräsidium St. Gallen gestützt auf Art. 399 ff. ZPO das Gesuch um Anordnung "einer vorsorglichen Expertise zur Feststellung des Tatbestandes, der Ursachen der Mängel und eventuell der zur Behebung dieser Mängel erforderlichen Vorkehrungen". Roth war mit der Durchführung einer solchen Expertise einverstanden und machte Vorschläge über die Person des Experten und die an ihn zu stellenden Fragen. Der vom Gericht ernannte Experte stellte verschiedene Mängel der von Roth erstellten Isolierung fest und empfahl, diese von einer Spezialfirma durch eine neue Isolierung ersetzen zu lassen. Koller folgte diesem Rat und verlangte von Roth Ersatz der Kosten der Erneuerungsarbeiten. Roth erklärte indessen, er anerkenne die Expertise nicht und lehne alle Ansprüche Kollers ab.
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Am 23. März 1960 reichte Koller beim Vermittleramt St. Gallen eine Forderungsklage gegen Roth ein. Auf die Vorladung zum Vermittlungsvorstand hin teilte Roth dem Vermittleramt sowie Koller unter Berufung auf Art. 59 BV mit, dass er den St. Galler Richter nicht anerkenne ![]() | 4 |
Das Bezirksgericht St. Gallen stellte diese Klage am 25. Mai 1960 Roth zu und setzte ihm Frist zur Einreichung einer Antwort.
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B.- Am 24. Juni 1960 hat Hans Roth staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 59 BV erhoben. Er ersucht um Aufhebung der Zustellungsverfügung des Bezirksgerichts St. Gallen vom 25. Mai 1960.
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C.- Das Bezirksgericht St. Gallen hat sich nicht vernehmen lassen. Der Beschwerdegegner Josef Koller beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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3. Die vom SIA aufgestellten, als "Normalien" bezeichneten "Allgemeinen Bedingungen für Bauarbeiten" bestimmen in Art. 33 unter dem Titel "Streitigkeiten: Sofern keine andere Vereinbarung (z.B. Schiedsgericht) getroffen wird, unterwerfen sich beide Parteien den ordentlichen Gerichten am Orte der Bauausführung". Auf Grund dieser Bestimmung müsste sich der Beschwerdeführer ![]() | 10 |
a) Der Werkvertrag zwischen den Parteien wurde auf Grund der schriftlichen Offerte des Beschwerdeführers vom 14. September 1955 offenbar mündlich abgeschlossen. Dass dabei über den Gerichtsstand gesprochen und eine Vereinbarung getroffen worden sei, behauptet der Beschwerdegegner nicht. Die Offerte des Beschwerdeführers aber verweist nur für die Zahlungsbedingungen auf die Normalien des SIA, was keinen Sinn gehabt hätte, wenn die gesamten Normalien Vertragsinhalt gewesen wären. Art. 33 derselben war daher nicht Inhalt des Werkvertrages zwischen den Parteien. Übrigens ist fraglich, ob ein in einem Werkvertrag enthaltener allgemeiner Hinweis auf die Normalien des SIA als gültiger Verzicht auf die Garantie des Wohnsitzrichters gelten könnte. Ein solcher Verzicht liegt in einer Vereinbarung nur, wenn diese unmissverständlich ist und darin der Wille, sich einem andern als dem Richter des Wohnortes zu unterwerfen, klar und deutlich zum Ausdruck kommt (BGE 84 I 36 und dort angeführte frühere Urteile, BGE 85 I 150). Das trifft beim blossen Hinweis auf allgemeine Vertrags- und Geschäftsbedingungen eines bestimmten Berufszweiges nicht ohne weiteres zu, weshalb das Bundesgericht im nicht veröffentlichten Urteil vom 24. März 1948 i.S. Tobler angenommen hat, in der Ausführung einer die Klausel "Konditionen gemäss SIA-Bestimmungen" enthaltenden Bestellung von Baumaterial liege kein gültiger Verzicht auf die Garantie des Art. 59 BV.
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b) Prorogationsverträge sind nur für die Vertragspartner und, sofern sie nicht rein persönlichen Charakter haben, für ihre Rechtsnachfolger verbindlich; Dritte können sich im allgemeinen nicht darauf berufen (BGE 22 S. 939 ![]() ![]() | 12 |
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Die Frage, ob eine die Garantie des Art. 59 BV ausschliessende Einlassung vorliege, beurteilt sich unabhängig vom kantonalen Prozessrecht nach eidgenössischem Recht, d.h. nach der bundesgerichtlichen Praxis zu Art. 59 BV (BGE 67 I 108 mit Zitaten, BGE 68 I 163). Nach dieser Praxis liegt eine solche Einlassung dann vor, wenn der Beklagte dem Gericht gegenüber unzweideutig den Willen bekundet hat, vorbehaltlos zur Hauptsache zu verhandeln (BGE 46 I 248, BGE 52 I 134, BGE 57 I 23, BGE 67 I 108, BGE 68 I 162; dass in den beiden letzten Urteilen nicht mehr von einer "unzweideutigen" Willenskundgebung die Rede ist, ist bedeutungslos und stellt keine Praxisänderung dar, da im ersten Falle eine solche Kundgebung offensichtlich vorlag, während sich im zweiten eine andere Frage stellte).
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Daraus, dass nach der Praxis nur der Wille, zur Hauptsache zu verhandeln, beachtlich ist, folgt, dass jede Handlung oder Unterlassung des Beklagten vor der Erhebung der Klage unerheblich ist (BURCKHARDT a.a.O. S. 562, HAAS a.a.O. S. 51/52). Etwas anderes ist auch in den vom Beschwerdegegner angerufenen Urteilen BGE 68 I 151 ff. und BGE 69 I 85 ff. nicht gesagt. Das Bundesgericht ![]() | 15 |
Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass Art. 399 st. gall. ZPO für die Beweissicherung vor Anhängigmachung des Rechtsstreits nicht wie andere ![]() | 16 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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