BGE 87 I 61 | |||
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10. Auszug aus dem Urteil vom 1. Februar 1961 i.S. Schneider AG gegen Imholz sowie Handelsgericht und Kassationsgericht des Kantons Zürich. | |
Regeste |
1. Art. 86 Abs. 2 und 3 OG. Muss die staatsrechtliche Beschwerde auch dann in erster Linie gegen den Entscheid über das ausserordentliche kantonale Rechtsmittel und nicht gegen das ihm zugrunde liegende Sachurteil gerichtet werden, wenn der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft zu werden braucht, der Beschwerdeführer aber gleichwohl vom kantonalen Rechtsmittel Gebrauch gemacht hat? Frage offen gelassen (Erw. 2). |
3. Die Gerichte eines Kantons haben das Recht eines andern Kantons dort, wo es Platz greift, von Amtes wegen anzuwenden (Erw. 4 a). |
4. Einwendungen gegen die Vollstreckung und Anerkennung von Urteilen anderer Kantone (Erw. 5). Die Vereinbarung eines Gerichtsstands schliesst im Zweifel die Klage am Wohnsitz der beklagten Partei nicht aus (Erw. 5 a). | |
Sachverhalt | |
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Die Schneider A. G. in Zürich erhob auf Grund eines Kaufvertrags gegen Imholz Klage auf Zahlung von Fr. 11'480.--. Obschon der Vertrag den Gerichtsstand Zürich vorsieht, reichte die Schneider A. G. die Klage beim Vermittleramt von Altdorf, dem Wohnsitz des Beklagten, ein. Der Vermittlungsvorstand führte zu keiner Einigung. Das Vermittleramt stellte der Klägerin am 15. Mai 1959 den Weisungsschein aus. Dieser vermerkt:
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"Es wird daher das Rechtsbegehren zur Beurteilung an den Präsidenten des Landgerichts Uri zu Handen der zuständigen Gerichtsbehörde gewiesen und dem Kläger auf sein Verlangen dieser Weisungsschein ausgestellt, der binnen sechzig Tagen mit der Klageschrift ... dem Gerichtspräsidenten einzureichen ist, ansonst Prozessabstand angenommen wird gemäss Z.P.O. § 114."
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Die Schneider AG machte vom Weisungsschein keinen Gebrauch. Sie leitete statt dessen anfangs 1960 beim Friedensrichteramt Zürich 4 eine neue Klage über die nämliche Forderung gegen Imholz ein, wobei sie sich auf die Gerichtsstandsabrede des Kaufvertrags berief. In der Folge machte sie die Klage beim Handelsgericht des Kantons Zürich anhängig. Imholz erhob die Einrede der abgeurteilten Sache. Das Handelsgericht hat mit Urteil vom 2. Mai 1960 erkannt, entgegen der in BGE 67 II 70 vertretenen Auffassung übe die Versäumung der Frist zur Einreichung des Weisungsscheins die in § 114 Abs. 2 der Urner ZPO angedrohte Wirkung nur im Kanton Uri aus; der Prozessabstand, der nach der genannten Bestimmung anzunehmen sei, entfalte anderwärts keine Rechtskraft, so dass der Beklagte im Kanton Zürich nicht die Einrede der abgeurteilten Sache erheben könne; andere Einwendungen aber habe er der Klage nicht entgegengestellt; sie sei daher gutzuheissen.
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Imholz hat gegen dieses Urteil kantonale Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Art. 4 und 61 BV erhoben. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat die Nichtigkeitsbeschwerde am 23. September 1960 abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, als Nichtigkeitsgrund komme nur die Verletzung klaren Rechts im Sinne von § 344 Ziff. 9 der Zürcher ZPO in Frage; eine solche liege hier. nicht vor, da sich die Ansicht des Handelsgerichts, auch wenn sie BGE 67 II 70 widerspreche, vertreten lasse.
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Im Anschluss an diesen Entscheid hat Imholz eine zweite staatsrechtliche Beschwerde "gegen das Urteil des Handelsgerichts vom 2. Mai 1960" eingereicht. Er nimmt darin erneut zu den Erwägungen des Sachurteils Stellung und wirft nebenhin dem Kassationsgericht Willkür vor.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer demnach schon das Sachurteil des Handelsgerichts beim Staatsgerichtshof wegen Verletzung des Art. 61 BV anfechten, wie er es in seiner ersten staatsrechtlichen Beschwerde getan hat. Er hat zudem von der ihm nach Art. 86 Abs. 3 OG zustehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde zu erheben. Im Anschluss an die Abweisung dieses ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittels hat er eine zweite staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, deren Begründung indes, jedenfalls soweit sie sich gegen den Entscheid des Kassationsgerichts wendet, den Anforderungen des Art. 90 Abs. 1 OG nicht entspricht. Das könnte dem Beschwerdeführer jedoch nur schaden, wenn die Anhandnahme der staatsrechtlichen Beschwerde gegen das Sachurteil von der gültigen Anfechtung des Rechtsmittelentscheids abhängig wäre.
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Falls die Ausgestaltung des kantonalen ausserordentlichen Rechtsmittels es gestattet, die Rügen zu prüfen, die im bundesgerichtlichen Verfahren angebracht werden können, ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV, wie das Bundesgericht in BGE 81 I 148 und BGE 84 I 234 Erw. 1 erkannt hat, in erster Linie gegen den Rechtsmittelentscheid zu richten; in diese Anfechtung kann auch das Sachurteil einbezogen werden; beschränkt sich der Beschwerdeführer dagegen auf die Anfechtung des Sachurteils, ohne auch den Rechtsmittelentscheid darin einzubeziehen, so kann auf die Beschwerde überhaupt nicht eingetreten werden. Das Bundesgericht hat auf diese Weise der Vorschrift Nachachtung verschafft, dass die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV erst gegen den Entscheid der letzten kantonalen Instanz zulässig ist. Wo der kantonale Instanzenzug, wie bei der Beschwerde wegen Verletzung des Art 61 BV, nicht erschöpft zu werden braucht, erscheint es daher nicht ohne weiteres als gegeben, dass sich die staatsrechtliche Beschwerde (unter dem erwähnten Vorbehalt) gleichfalls in erster Linie gegen den Rechtsmittelentscheid und nicht gegen das Sachurteil wenden müsste. Die Frage kann hier jedoch offen bleiben. Während das Bundesgericht auf Beschwerde wegen Verletzung des Art. 61 BV hin grundsätzlich frei darüber befindet, ob ein ausserkantonales Urteil zu vollstrecken sei (BGE 78 I 112 Erw. 2 mit Verweisungen), hatte das Kassationsgericht nur zu prüfen, ob eine klare gesetzliche Bestimmung verletzt worden sei (§ 344 Ziff. 9 der Zürcher ZPO). Da die Rügen, die mit der staatsrechtlichen Beschwerde erhoben werden können, im kantonalen Rechtsmittelverfahren nicht anzubringen waren, entfällt die Voraussetzung, unter der die staatsrechtliche Beschwerde nach der durch BGE 81 I 148 und BGE 84 I 234 Erw. 1 eingeleiteten Rechtsprechung an den Rechtsmittelentscheid angeknüpft werden muss. Selbst wenn diese Rechtsprechung auch auf Beschwerden Anwendung finden sollte, die vor Durchführung der kantonalen Rechtsmittel erhoben werden können, brauchte sich der Beschwerdeführer somit im vorliegenden Fall nicht gegen den Rechtsmittelentscheid zu wenden. Die Mängel der Beschwerde, die im Anschluss an den Entscheid des Kassationsgerichts eingereicht worden ist, stehen darum der Anhandnahme der das Sachurteil des Handelsgerichts betreffenden Beschwerde nicht entgegen. Ist das Sachurteil als verfassungswidrig aufzuheben, so wird damit dem Rechtsmittelentscheid des Kassationsgerichts der Gegenstand entzogen und er fällt dahin, ohne dass er besonders angefochten werden müsste (BIRCHMEIER, Handbuch, S. 348 lit. c).
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3. Gemäss Art. 64 Abs. 1 und 2 BV steht dem Bund die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts zu. Die Organisation der Gerichte, das gerichtliche Verfahren und die Rechtsprechung sind jedoch nach Art. 64 Abs. 3 BV "wie bis anhin" den Kantonen verblieben. Die Gerichtsbarkeit der einzelnen Kantone gegeneinander abzugrenzen, kann nur die Aufgabe von Normen sein, die dem kantonalen Recht vorgehen (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 57; vgl. auch BGE 41 I 198). Die Verfassung und die Gesetzgebung des Bundes enthalten eine Reihe von Normen über die Abgrenzung der kantonalen Gebietshoheiten in verschiedenen Bereichen. Mit Bezug auf die Justizhoheit der Kantone in Zivilsachen fallen hierbei neben der Gerichtsstandsgarantie des Art. 59 BV die Gerichtstandsbestimmungen des Bundeszivilrechts in Betracht.
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Mit der Abgrenzung der Gerichtshoheiten der Kantone kann es indes nicht sein Bewenden haben; es gilt auch, diese Ordnung aufrecht zu erhalten. Aufgabe des Bundes als des Garanten der kantonalen Gebietshoheit (Art. 5 BV), der Gleichheit der Kantone und des Rechtsfriedens zwischen den Bundesgliedern ist es, dafür zu sorgen, dass die Gerichtsbarkeit, die ein Kanton innerhalb der Grenzen seiner Zuständigkeit ausübt, in den andern Kantonen Beachtung finde. In diesem Sinne schreibt Art. 61 BV vor, dass die rechtskräftigen Zivilurteile, die in einem Kanton gefällt worden sind, in der ganzen Schweiz vollzogen werden müssen. Damit wird gleichzeitig ein Teil der Rechtshilfe geordnet, welche die Kantone einander als Bundesglieder schulden.
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a) Der genannte Verfassungssatz wird durch Art. 80 und 81 SchKG nach bestimmten Richtungen hin gesetzlich ausgeführt; er erschöpft sich jedoch nicht in diesen Vorschriften, die nur die Vollstreckung regeln und sich bloss auf Urteile beziehen, die auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung gerichtet sind (Art. 38 Abs. 1 SchKG). Obwohl auch Art. 61 BV selber lediglich die Vollstreckung erwähnt, ist sein Anwendungsbereich ein weiterer. Sein wirklicher Sinn geht dahin, der Gerichtsbarkeit des zuständigen Kantons ganz allgemein in der ganzen Schweiz Nachachtung zu verschaffen. Das heisst, dass nicht nur die Leistungsurteile des betreffenden Kantons in der ganzen Schweiz zu vollstrecken sind, sondern dass auch die übrigen rechtskräftigen Zivilentscheidungen in den andern Kantonen Anerkennung finden sollen. Indem Art. 61 BV den Kantonen die bedeutsamste Folge dieser Anerkennung, die Vollstreckung, ausdrücklich zur Pflicht macht, verhält er sie auch, die Entscheidungen ausserkantonaler Gerichte in allen andern Beziehungen, so insbesondere hinsichtlich der Einrede der abgeurteilten Sache, grundsätzlich in gleicher Weise zu beachten wie die Entscheidungen der eigenen Gerichte (BGE 30 I 682, BGE 71 I 26 Erw. 4; GULDENER, Internationales und interkantonales Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 84 § 8 Ziff. I). Art. 61 BV hat demnach nicht nur die Vollstreckung, sondern auch die Anerkennung rechtskräftiger ausserkantonaler Zivilurteile zum Gegenstand.
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b) Ein Akt der kantonalen Gerichtsbarkeit, dem in der ganzen Schweiz Anerkennung zukommt, liegt nicht nur in einem Urteil, das auf Grund eigener Rechtsfindung des befassten Gerichts ergangen ist, sondern auch in einer Schlussnahme, die sich auf eine Parteierklärung (Klageanerkennung, Klagerückzug oder Vergleich) stützt (vgl. BGE 74 I 134 Erw. 2; BURCKHARDT, Komm. 3 Aufl., S. 574 lit. b; FLEINER/GIACOMETTI, S. 862). Art. 80 Abs. 2 SchKG stellt denn auch den gerichtlichen Vergleich und die gerichtliche Schuldanerkennung ausdrücklich den Urteilen gleich. Dabei begründet es keinen Unterschied, ob es zur Beendigung des Prozesses eines gerichtlichen Urteils bedarf, das gestützt auf die Parteierklärung auszufällen ist (Abschreibungsverfügung), oder ob die Beendigung unmittelbar auf Grund der Parteierklärung und ohne Zutun des Gerichts eintritt (vgl. GULDENER, Schw. Zivilprozessrecht, S. 291 Ziff. 9, S. 298 Ziff. 4). Zwar ist die betreffende Erklärung einer Partei oder den Parteien und nicht dem Staate zuzurechnen; doch stellen die Wirkungen, die das Prozessrecht damit verbindet, einen Ausfluss der kantonalen Gerichtsbarkeit dar, der von den andern Kantonen zu beachten ist. Ob über die Beendigung des Prozesses eine Urkunde ausgestellt werde, ist lediglich von beweisrechtlicher Bedeutung, entscheidet dagegen nicht darüber, ob die Beendigung vollstreckbar bzw. anerkennungsfähig sei oder nicht.
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c) Entgegen der Auffassung des Handelsgerichts ist dem Klagerückzug der Fall gleichzusetzen, da ein Versäumnis des Klägers nach dem kantonalen Prozessrecht die Klageverwirkung nach sich zieht. Als Akt der kantonalen Gerichtsbarkeit fällt hier wie dort nicht das Verhalten der Partei, sondern die daran geknüpfte Rechtsfolge in Betracht. Diese Rechtsfolge aber ist in beiden Fällen dieselbe: der Verlust des Rechts, die Klage zu erneuern. Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, ist vom Standpunkt des Bundeszivilrechts aus nichts dagegen einzuwenden, dass das Prozessrecht einen Anspruch dahinfallen lässt, wenn der Kläger eine Frist versäumt, die zur Fortsetzung des einmal angehobenen Verfahrens dient (BGE 67 II 73 mit Verweisungen). Das Handelsgericht hat sich dieser Feststellung angeschlossen. Es weicht nur insofern von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ab, als es die Wirkungen des Prozessabstands auf das Gebiet des Kantons beschränkt wissen will, worin sich der Prozess abgespielt hat. Dem kann nicht gefolgt werden. Wird der eingeklagte materielle Anspruch als Gegenstand des Prozesses betrachtet, wie das in BGE 67 II 74 geschehen ist, dann ist es von vornherein klar, dass der einmal untergegangene Anspruch nicht andernorts wiederaufleben und neu eingeklagt werden kann. Zum selben Ergebnis führt es, wenn das Klagerecht als publizistischer Anspruch gegen den Staat vom materiellen Anspruch abgehoben wird, und wenn die Klageverwirkung mit TROLLER (Von den Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, S. 20) als rein prozessrechtliches Institut aufgefasst wird. Wohl ergibt sich bei dieser Betrachtungsweise, dass sich die Klageverwirkung zunächst und soweit das kantonale Recht in Frage steht, nur auf dem Gebiet des Kantons auswirkt, der sie vorschreibt; weil aber Art. 61 BV der Gerichtsbarkeit, die ein Kanton innerhalb der Grenzen seiner Zuständigkeit ausübt, in der ganzen Schweiz Nachachtung verschafft, entfaltet die Klageverwirkung, die der Kanton kraft seiner Gerichtshoheit eintreten lässt, von Bundesverfassungs wegen ihre Wirkungen auch in den andern Kantonen (vgl. GULDENER, Schw. Zivilprozessrecht, S. 67 A. 53).
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Zusammengefasst ist festzustellen, dass die Klageverwirkung einem Zivilurteil im Sinne des Art. 61 BV gleichkommt, das nach Eintritt der Rechtskraft grundsätzlich in der ganzen Schweiz anzuerkennen ist.
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a) Als Ausfluss der Rechtshilfe, welche die Kantone einander zu leisten haben, haben die Gerichte eines Kantons das Recht eines andern Kantons dort, wo es Platz greift, vom Amtes wegen anzuwenden. Dieser Grundsatz, den Art. 2 Abs. 2 NAG mit Bezug auf das Zivilrecht eines andern Kantons ausdrücklich festhält, gilt auch für den Richter, der sich über die Vollstreckung oder Anerkennung eines ausserkantonalen Urteils auszusprechen hat und der dabei über Vorfragen zu befinden hat, die nach dem Prozessrecht des Urteilskantons zu entscheiden sind. Der Richter hat dieses Recht nach der in jenem Kanton massgebenden Rechtsprechung und Lehrmeinung auszulegen (NIEDERER, Allg. Lehren des internationalen Privatrechts, 3. Aufl. S. 343 Ziff IV), von denen er nicht ohne Not abweichen darf. Die selben Einschränkungen treffen das Bundesgericht, wenn es auf Beschwerde wegen Verletzung des Art. 61 BV hin die Auslegung zu überprüfen hat, die dem Recht des Urteilskantons nach dessen Rechtsprechung zuteil wird.
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b) Ob ein anerkennungsfähiger Justizakt im Sinne des Art. 61 BV vorliege, hängt im vorliegenden Fall von der Auslegung des § 114 Abs. 2 der Urner ZPO ab. Danach ist Prozessabstand anzunehmen, wenn es der Kläger unterlässt, einen Weisungsschein zu verlangen oder diesen binnen sechzig Tagen beim zuständigen Gerichtspräsidenten zur Einleitung der Klage einzureichen. Die urnerische Rechtsprechung fasst diese Versäumnisfolge als Klageverwirkung auf, welche die nochmalige Klageerhebung ausschliesst und damit zur rechtskräftigen Erledigung des eingeklagten Anspruchs führt. Der Staatsgerichtshof hat diese Auffassung im nicht veröffentlichten Urteil vom 14. Februar 1941 i.S. Gisler, auf dem auch BGE 67 II 73 fusst, als nicht willkürlich bezeichnet. Auf diesen Entscheid zurückzukommen, besteht kein Anlass, da sich das Handelsgericht der darin geschützten urnerischen Rechtsprechung angeschlossen hat, ohne dass die Parteien daran Anstoss genommen hätten.
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In BGE 67 II 75 ist allerdings darauf hingewiesen worden, dass es dem Kläger nicht schade, wenn er das Verfahren nach Durchführung des Vermittlungsvorstandes nicht fortsetze, weil die Klage an einem prozessualen Mangel leide; das Versäumnis der in § 114 Abs. 2 ZPO gesetzten Frist ziehe diesfalls nicht die Verwirkung der Klage nach sich. Um die in der genannten Vorschrift aufgestellte Vermutung des Prozessabstands zu widerlegen, wird der Kläger indes in einem solchen Fall ausdrücklich einen entsprechenden Vorbehalt anzubringen haben. Die Beschwerdegegnerin hat keine derartige Erklärung abgegeben; sie hätte auch keinen Anlass gehabt, die Klage angebrachterweise zurückzuziehen. Zwar macht sie geltend, sie habe das Verfahren nicht fortsetzen können, weil sie die Klage beim örtlich unzuständigen Richter erhoben habe. Das trifft jedoch, wie in Erw. 5 lit a zu zeigen sein wird, nicht zu. Dass sie den Vermittlungsvorstand "lediglich als nochmalige ernstliche Mahnung des Beschwerdeführers" verlangt habe, ist durch nichts bewiesen; wäre dem so, dann wäre das zudem in diesem Zusammenhang ohne Belang. Die Rechtswirkungen einer Prozesshandlung treten unbekümmert darum ein, ob sie gewollt seien oder nicht (GULDENER, Schw. Zivilprozessrecht, S. 208 Ziff. III); wenn die Beschwerdegegnerin beim Friedensrichteramt Altdorf gegen den Beschwerdeführer Klage erhob, so trafen sie deshalb selbst dann die dem Kläger obliegenden prozessualen Pflichten, falls sie nicht im Ernste an die Durchführung des Prozesses dachte. Die Verletzung dieser Pflichten zog die im Gesetze vorgesehenen Folgen nach sich. Die Säumnis der Beschwerdegegnerin führte demgemäss nach der urnerischen Rechtsprechung auf Grund des § 114 Abs. 2 ZPO zur rechtskräftigen Verwirkung der Klage.
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5. Das heisst indes noch nicht, dass diese Rechtsfolge ohne weiteres in den andern Kantonen zu vollziehen bzw. anzuerkennen sei. Wie dargelegt, gewährleistet Art. 61 BV den rechtskräftigen Zivilurteilen eines Kantons nur insoweit die ausserkantonale Anerkennung, als dieser sich bei der Ausübung der Gerichtsbarkeit innerhalb der Schranken seiner Zuständigkeit gehalten hat. Solche Schranken bestehen namentlich in zwei Richtungen: sie ergeben sich aus den Regeln, welche die Gerichtshoheit der Kantone gegeneinander abgrenzen, und aus gewissen unmittelbar aus Art. 4 BV fliessenden prozessualen Grundrechten (rechtliches Gehör, Gleichheit der Parteien im Verfahren), denen die Kantone bei der Ausgestaltung des Prozessgangs Rechnung zu tragen haben. Sind diese Schranken missachtet worden, so besteht nach Art. 61 BV kein Anspruch auf Vollstreckung des Urteils ausserhalb des Kantons, dessen Gerichte das Urteil gefällt haben, was der Urteilsschuldner im Vollstreckungsverfahren einwendungsweise geltend machen kann. Das SchKG hat diese sich aus der Verfassung ergebenden Grundsätze gesetzlich ausgeführt; es hat dabei die Verteidigungsrechte des Urteilsschuldners weiter verstärkt. Wird die Vollstreckung eines ausserkantonalen Urteils verlangt, so kann der Betriebene gemäss Art 81 Abs. 2 SchKG die Zuständigkeit des Gerichts bestreiten, welches das Urteil gefällt hat; er kann ferner einwenden, er sei nicht regelrecht vorgeladen worden oder nicht gesetzlich vertreten gewesen; soll ein ausserkantonaler Schiedsspruch vollstreckt werden, so kann er nach der Rechtsprechung ausserdem die Unabhängigkeit des Schiedsgerichts bemängeln (BGE 76 I 92 Erw. 3, BGE 80 I 340 Erw. 3, BGE 81 I 327 Erw. 3). Entsprechende Einwendungen stehen der belasteten Partei gegenüber einem ausserkantonalen rechtskräftigen Justizakt zu, der durch die Erhebung der Einrede der abgeurteilten Sache zur Anerkennung gebracht werden soll.
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a) Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin ist der Prozessabstand, der in dem in Altdorf eingeleiteten Verfahren eingetreten ist, schon deswegen ausserhalb des Kantons unbeachtlich, weil die Urner Gerichte infolge der Vereinbarung des Gerichtsstands Zürich zur Beurteilung der Klage unzuständig gewesen seien. Dieser Einwand ist unbegründet. Die Vereinbarung eines Gerichtsstands schliesst im Zweifel die Klage am ordentlichen Gerichtsstand des Wohnsitzes der beklagten Partei nicht aus, entspricht es doch im allgemeinen deren Interesse, an ihrem Wohnsitz eingeklagt zu werden (GULDENER, Schw. Zivilprozessrecht, S. 94 Ziff. III/2, A. 88). Die Beschwerdegegnerin hat nicht dargetan, dass sich aus dem Wortlaut der Gerichtsstandsabrede des Kaufvertrags, dem Zusammenhang, in dem sie steht, oder den Umständen, unter denen sie getroffen wurde, der Wille der Vertragsschliessenden ergäbe, dem vereinbarten Gerichtsstand einen ausschliesslichen Charakter zuzuerkennen.
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b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt ein Urteil im Sinne von Art. 80 f. SchKG (und Art. 61 BV) nur vor, wenn das Gericht seine Entscheidung in einem Verfahren getroffen hat, das beiden Parteien Gelegenheit bot, sich über das streitige Begehren auszusprechen (BGE 67 I 9 Erw. 2). Der Prozessabstand, den der Beschwerdeführer in der Einrede der abgeurteilten Sache angerufen hat, ist in einem Zivilprozess eingetreten, in dem sich beide Seiten Gehör verschaffen konnten.
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6. Das Handelsgericht des Kantons Zürich hatte mithin keinen Grund, dem Prozessabstand, der in dem im Kanton Uri eingeleiteten Verfahren eingetreten ist, die Anerkennung zu versagen. Die Verwerfung der Einrede der abgeurteilten Sache verstösst deshalb gegen Art. 61 BV. Das Urteil des Handelsgerichts ist, weil insofern verfassungswidrig, aufzuheben. Damit fällt auch der Entscheid des Kassationsgerichts dahin (vgl. Erw. 2 am Ende).
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