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16. Urteil vom 3. Mai 1961 i.S. Kraftwerke Linth-Limmern AG gegen Aebli und Glarus, Zivilgerichtspräsident und Obergericht. | |
Regeste |
Staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV. Voraussetzungen nach Art. 87 OG. Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges (Erw. 1 und 3). |
Verhältnis des bundesrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör zu den kantonalen Verfahrensvorschriften (Erw. 4). Rechtsnatur und Wirkungen des glarnerischen Rechtbots (Erw. 5). Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (und des kantonalen Zivilprozessrechts?) durch Erlass eines Spezialrechtbots (Verbot gegen bestimmte Personen, § 288 Abs. 2 glar. ZPO) auf einseitiges Begehren einer Partei ohne Anhörung der Gegenpartei (Erw. 6 und 7). Formelle Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Erw. 8). | |
Sachverhalt | |
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Die in der Folge gegründete KLL beanspruchte für vorübergehende und dauernde Anlagen sowie für die Ablagerung von Schutt auch Land auf der oberhalb von Tierfehd gelegenen, dem Hans Äbli gehörenden Alp Baumgarten. Da eine Einigung hierüber nicht zustande kam, rief die KLL die in Art. 5 der Konzession vorgesehene Expertenkommission an. Vor dieser unterzeichneten Äbli und die KLL am 2. Februar 1959 eine Übereinkunft, in welcher Äbli der KLL das Recht zur sofortigen Inanspruchnahme des Landes für die Installation und den Betrieb der Baustelle im "Schwamm" einräumte und sich bereit erklärte, ![]() | 2 |
Am 1. November 1960 erliess der Zivilgerichtspräsident des Kantons Glarus auf Begehren Äblis und ohne vorherige Anhörung der KLL folgendes
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"Spezialrechtbot. Hans Aebli-Trümpy, Käserei, Bilten, als Eigentümer der Baumgartenalp,
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verbietet hiermit den
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Kraftwerken Linth-Limmern AG, Linthal
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im Gebiet der Baumgartenalp, namentlich auch des dazu gehörenden "Schwamm", irgendwelche Arbeiten auszuführen oder ausführen zu lassen, Veränderungen an der Liegenschaft vorzunehmen oder vornehmen zu lassen, überhaupt irgendwelche Servituten auszuüben, einzig vorbehalten die im Vertrag vom 20. August 1957 über den Zugangsstollen Limmern vorgese henen Rechte.
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Nichtbeachtung des Rechtbotes kann mit Fr. 20.- bis Fr. 500.-- gebüsst werden (§ 279 Ziff. 2 ZPO)."
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B.- Gegen dieses Rechtbot reichte die KLL gleichzietig beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV (Verweigerung des rechtlichen Gehörs) und beim Obergericht des Kantons Glarus eine Nichtigkeitsbeschwerde gemäss § 328 glarn. ZPO ein. Mit letzterer machte sie in erster Linie geltend, das rechtliche Gehör, auf das sie nach § 281 ZPO und Art. 4 BV Anspruch habe, sei ihr dadurch verweigert worden, dass der Zivilgerichtspräsident sie vor Erlass seiner Verfügung nicht angehört und diese nicht begründet habe (§ 328 lit. a ZPO); ferner warf sie dem Zivilgerichtspräsidenten aktenwidrige tatsächliche Annahmen (§ 328 lit. c ZPO) sowie Verletzung klaren Rechts (§ 328 lit. d ZPO) vor.
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C.- Gegen diesen Entscheid des Obergerichts hat die KLL beim Bundesgericht eine zweite staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, diesen Entscheid sowie das Spezialrechtbot des Zivilgerichtspräsidenten vom 1. November 1960 aufzuheben. Sie beanstandet in erster Linie, dass ihr der Zivilgerichtspräsident das rechtliche Gehör verweigert habe. Ferner macht sie weitere Verletzungen von Bestimmungen der BV und der KV geltend. Die Begründung der Beschwerde ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
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D.- Der Beschwerdegegner Hans Äbli beantragt Nichteintreten auf beide Beschwerden, eventuell Abweisung derselben. Der Zivilgerichtspräsident des Kantons Glarus schliesst auf Abweisung. Auf die Ausführungen in ihren Vernehmlassungen wird in den Erwägungen zurückgekommen. Das Obergericht des Kantons Glarus beantragt ebenfalls die Abweisung der Beschwerden und verzichtet auf eigene Gegenbemerkungen.
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4. Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Zivilprozess wird zunächst grundsätzlich durch die kantonalen Normen über das Verfahren und die Zuständigkeit umschrieben, deren Auslegung und Anwendung das Bundesgericht, soweit es sich um kantonales Gesetzesrecht handelt, nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür und rechtsungleichen Behandlung überprüfen kann. Wo sich der kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden, ![]() | 16 |
5. Das Rechtbot ist eine aus früheren Jahrhunderten stammende Einrichtung, die um 1900 in verschiedener Ausgestaltung noch in mehreren Kantonen der Ost- und Innerschweiz bestand (vgl. FRITZSCHE, Das Rechtsbot, Diss. Zürich 1905) und heute nur noch in den Kantonen Glarus und Appenzell I. Rh. erhalten ist. Was insbesondere das glarnerische Rechtbot betrifft, so ist seine Rechtsnatur umstritten. Während der Umstand, dass dagegen Nichtigkeitsbeschwerde erhoben werden kann, das Rechtbot als richterliche Verfügung erscheinen lässt, wird es vom Obergericht als eine von einer Privatperson auf Grund einer Delegation richterlicher Gewalt erlassene amtliche Verfügung und von HAURI (Das glarn. Rechtbot, Diss. Zürich 1944 S. 14 und 41) als eine mit richterlicher Gewalt ausgerüstete Verfügung einer Privatperson bezeichnet. Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben. Fest steht jedenfalls, dass das Rechtbot erst auf Grund einer richterlichen Anordnung Geltung erlangt. Unbestritten ist auch, dass es mit der Eröffnung (Veröffentlichung im Amtsblatt bezw. Zustellung an den Empfänger) sofort rechtskräftig und vollstreckbar wird, dass diese Wirkung erst dahinfällt, wenn es auf dem Wege des ordentlichen Prozesses aufgehoben oder wenn eine richterliche Weisung gemäss § 93 Ziff. 3 ZPO erlassen wird, und dass derjenige, der das Rechtbot übertritt, sich selbst dann strafbar macht, wenn es in der Folge auf Nichtigkeitsbeschwerde hin aufgehoben wird. Und schliesslich ist nicht zweifelhaft, dass das Rechtbot dem Schutze privater Rechte dient und die einstweilige Regelung eines Zustandes inbezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis darstellt. Es fragt sich, ob eine solche Massnahme auf einseitiges Begehren ohne vorherige Anhörung des Betroffenen erlassen werden darf. Diese Frage braucht nur für das hier streitige Spezialrechtbot oder "Verbot gegen ![]() | 17 |
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"Stellt sich das Gesuch sofort als unbegründet dar, so weist es der Gerichtspräsident ab; erscheint es begründet, so erlässt er sofort die geeignete Verfügung.
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Richtet sich das Begehren gegen eine bestimmte Person, so kann der Gerichtspräsident eine Parteiverhandlung anordnen unter der Androhung, dass bei unentschuldigtem Ausbleiben das Begehren geschützt würde."
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7. Das Rechtbot stellt eine zivilprozessuale Massnahme dar, die sich nach ihrer Natur und nach ihren Wirkungen (vgl. oben Erw. 5) durchaus mit den einstweiligen oder vorsorglichen Verfügungen vergleichen lässt, wie sie wohl alle schweizerischen Zivilprozessordnungen kennen. Eine solche Massnahme, durch welche einem behaupteten privaten Rechte mit sofortiger Wirkung und unter Strafandrohung richterlicher Schutz verliehen wird, darf nicht auf einseitiges Begehren des Gesuchstellers ohne Anhörung des Betroffenen erlassen werden. Das aus Art. 4 BV folgende Gebot für den Richter, die Parteien gleichmässig anzuhören, gilt nicht nur für den ordentlichen Zivilprozess, in dem endgültig über ein streitiges Privatrechtsverhältnis zu entscheiden ist, sondern grundsätzlich auch für das Verfahren, in dem ein privates Recht mit sofortiger Wirkung vorläufig geschützt wird; nur in Fällen besonderer Dringlichkeit, beim Erlass sogenannter superprovisorischer, lediglich bis zum Erlass der eigentlichen provisorischen Verfügung geltender Massnahmen darf von der vorgängigen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht 2. Auflage S. 388 Ziff. IV; ZIEGLER, Die vorsorgliche Massnahme in der ![]() | 22 |
Die Berufung der glarnerischen Gerichte aufBGE 67 I 10und das dort über das Rechtbot des Kantons Appenzell A.Rh. Ausgeführte geht fehl. Einmal ging es dort nicht um die Frage des rechtlichen Gehörs, sodern um die vollstreckungsrechtlichen Wirkungen des unbestrittenen Rechtbotes. Das appenzellische Rechtbot ist sodann, wie der Zahlungsbefehl des SchKG, lediglich eine amtliche Aufforderung und kann durch blosse Erhebung eines Rechtsvorschlags unwirksam gemacht werden (BGE 26 I 304), während das glarnerische Rechtbot ein sofort wirksames und unter Strafe gestelltes Verbot enthält und bis zur Aufhebung in Kraft bleibt. Angesichts dieser Wirkungen erscheint eine Anhörung des Betroffenen vor Erlass des Rechtbots als unerlässlich, wobei sich von selbst versteht, dass der Richter dem Betroffenen nicht bloss Gelegenheit zu geben hat, sich zu äussern, sondern verpflichtet ist, seine Vorbringen zu prüfen (GULDENER a.a.O. S. 153 Ziff. 7).
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Der Einwand, mit dem Erfordernis vorgängiger richterlicher Überprüfung werde das althergebrachte und tief im Rechtsbewusstsein des Volkes verwurzelte Institut des Rechtbotes "unmöglich" gemacht, ist unbehelflich. Es ist nicht einzusehen, weshalb § 281 ZPO sich nicht auch auf das Rechtbot anwenden lassen und der Richter vor Erlass desselben nicht sollte prüfen können, ob das "Gesuch begründet erscheine", d.h. der Gesuchsteller seine Berechtigung glaubhaft gemacht habe. Selbst wenn dies aber auf Schwierigkeiten stossen sollte, so vermöchte es eine Verletzung des unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden Anspruchs auf volles rechtliches Gehör im Zivilprozess nicht zu rechtfertigen, und eine solche Verletzung liegt vor, wenn eine dem Schutz privater Rechte dienende zivilprozessuale Massnahme mit so weittragenden Wirkungen, wie sie das Rechtbot hat, ohne vorherige Anhörung des Betroffenen erlassen wird. InBGE 24 I 569wurde ausgeführt, dass schon eine vom Richter in amtlicher Form erteilte Warnung oder Rüge auf blosse Beleidigungsklage hin ohne Verhör des Beschuldigten mit Art. 4 BV unvereinbar sei. Umsomehr ist es ein richterliches Verbot, das sofort rechtskräftig wird und dessen Übertretung Strafe nach sich zieht.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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