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67. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. November 1961 i.S. Sandoz A.-G. gegen Eidgen. Amt für geistiges Eigentum und Imperial Chemical Industries Ltd. | |
Regeste |
Patentrecht, Anmeldungsdatum. |
Aktivlegitimation des Konkurrenten, Art. 103 Abs. 1 OG (Erw. 1a). Passivlegitimation des Patentbewerbers, Art. 93/107 OG (Erw. 1b). |
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, Art. 99 Ziff. I lit. a OG, Art. 59 Abs. 6 PatG (Erw. 2). |
Beginn des Fristenlaufs für die Beschwerde des Dritten, Art. 107 OG (Erw. 3). |
Einfluss der nachträglichen Änderung des Patentanspruchs auf das Anmeldungsdatum; Begriff des "Anhaltspunktes" im Sinne des Art. 58 Abs. 2 PatG (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
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Die Imperial Chemical Industries Ltd, London (ICI), reichte am 3. September 1957 beim Eidgen. Amt für geistiges ![]() | 2 |
Die Beschwerdeführerin Sandoz AG, eine Konkurrentin der ICI, hatte mit dieser im Jahre 1959 Verhandlungen über die Patentlage auf dem Gebiete der Pyrimidin-Farbstoffe geführt und dabei Kenntnis von der ursprünglichen Fassung der Erfindungsbeschreibung im Patentgesuch der ICI erhalten. Sie konnte daher nach Erscheinen der Patentschrift Nr. 352 759 feststellen, dass der Patentanspruch im oben genannten Sinne erweitert und dass diese Erweiterung vom Amt ohne Verschiebung des Anmeldungsdatums zugelassen worden war. Die Sandoz A.-G. hatte selbst am 28. Mai 1958 ein Patentgesuch eingereicht, das die Herstellung von Reaktivfarbstoffen durch Umsetzen von Tetrahalogenpyrimidinen zum Gegenstand hat. Sie erachtete sich durch das der ICI mit dem ursprünglichen Anmeldungsdatum erteilte Patent in ihren Rechten verletzt, da nach ihrer Meinung das Amt auf Grund von Art. 58 Abs. 2 PatG verpflichtet gewesen wäre, das Anmeldungsdatum auf jenen Tag zu verschieben, an welchem die sachliche Erweiterung des Patentanspruchs erfolgt war. Dieses Datum vermochte die Beschwerdeführerin ![]() | 3 |
Am 29. Mai 1961, innert 30 Tagen seit der Veröffentlichung des Patents Nr. 352 759 der ICI, reichte die Sandoz A.-G. Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein, mit der sie beantragte, beim genannten Patent sei als Anmeldungsdatum statt des 3. September 1957 das Datum anzugeben, an welchem die ICI die Änderung des Patentanspruchs vorgenommen hatte. Zur Begründung brachte sie vor, die vorgenommene Änderung führe zu einer wesentlichen Erweiterung des Geltungsbereiches der Erfindung, da damit ein umfassenderer Oberbegriff eingeführt werde, was auf die Beanspruchung einer neuen Erfindung hinauslaufe. Diese Erweiterung wäre nach Art. 58 Abs. 2 PatG nur bei entsprechender Verschiebung des Anmeldungsdatums zulässig gewesen, da die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen keine Anhaltspunkte für die vorgenommene Änderung des Patentanspruchs enthalten hätten.
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Das Amt beantragte Abweisung der Beschwerde. Es erklärte, gemäss seiner ständigen Praxis sei die Ersetzung spezifizierter Angaben durch Oberbegriffe ohne Verschiebung des Anmeldungsdatums zulässig; denn die unter den Oberbegriff fallende Spezifikation stelle einen Anhaltspunkt im Sinne des Art. 58 Abs. 2 PatG dar, da die den Oberbegriff definierenden Merkmale notwendigerweise auch bei der Spezifikation vorhanden und somit durch diese offenbart seien: was aber offenbart sei, erfülle zweifellos das Erfordernis von "Anhaltspunkten".
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Die ICI beantragte in ihrer Vernehmlassung Nichteintreten auf die Beschwerde, weil die vorliegende Streitigkeit auf dem Wege der Patentnichtigkeitsklage ausgetragen werden müsse. Eventuell beantragte sie Abweisung der Beschwerde, da die ursprüngliche Fassung des Patentgesuchs Anhaltspunkte für die nachträgliche Änderung enthalten habe und daher das ursprüngliche Anmeldungsdatum beibehalten werden könne. Subeventuell stellte sie ![]() | 6 |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde dahin gut, dass als Anmeldungsdatum des Patents Nr. 352 759 der 9. Dezember 1960 einzutragen sei.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Zur Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach Art. 103 Abs. 1 OG berechtigt, "wer in dem angefochtenen Entscheid als Partei beteiligt war oder durch ihn in seinen Rechten verletzt worden ist". Die erste Voraussetzung trifft auf die Sandoz A.-G. nicht zu; sie war nicht Partei des Patenterteilungsverfahrens, das sich ausschliesslich zwischen dem Amt und der Anmelderin ICI abspielte. Dagegen ist die andere Voraussetzung, nämlich die Verletzung der Beschwerdeführerin in ihren Rechten, gegeben. Der Streit geht um den für den Erfindungsschutz massgebenden Zeitpunkt der Patentanmeldung. Ist für das Streitpatent der ICI das ursprüngliche Anmeldungsdatum des 3. September 1957 gültig, so kommt ihm die Priorität zu vor dem am 28. Mai 1958 angemeldeten Patent der Beschwerdeführerin. Gilt dagegen für das Patent der ICI als Anmeldedatum der 9. Dezember 1960, an welchem die Änderung des Patentanspruches vorgenommen wurde, so geniesst die Patentanmeldung der Beschwerdeführerin die Priorität. Sofern es materiell unrichtig war, trotz der vorgenommenen Änderung des Patentanspruches das ursprüngliche Anmeldedatum zu belassen, wurde daher die Beschwerdeführerin in ihren subjektiven Rechten dadurch verletzt, dass das Amt das ursprüngliche Datum als massgebend erklärte und eintrug. Diese Möglichkeit einer Verletzung der Sandoz A.-G. in ihren subjektiven Rechten genügt aber für sich allein, um ihr die Beschwerdelegitimation im Sinne des Art. 103 ![]() | 9 |
b) Anderseits muss der ICI zweifellos die Passivlegitimation, d.h. die Stellung einer Beschwerdebeklagten, eingeräumt werden. Gemäss Art. 93 OG, auf den Art. 107 OG verweist, wird die Beschwerde sowohl der Behörde, von welcher der Entscheid ausgegangen ist (hier das Amt), als auch "der Gegenpartei und allfällig weiteren Beteiligten" zur Vernehmlassung mitgeteilt. Da die ICI im vorinstanzlichen Verfahren, d.h. im Patenterteilungsverfahren als Partei beteiligt war, ist sie als Gegenpartei im Sinne des Art. 93 OG zu betrachten. Andernfalls wäre sie zum mindesten als "weitere Beteiligte" anzusehen; denn auf Grund des Entscheides des Amtes steht ihr ein Prioritätsrecht zu, dessen sie bei Gutheissung der Beschwerde verlustig ginge. Damit würde in ihre Rechte eingegriffen, was selbstverständlich nicht geschehen darf, ohne dass sie angehört wird.
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a) Bei der Entscheidung dieser Frage ist davon auszugehen, dass sich der Streit um das massgebende Anmeldungsdatum dreht; insbesondere ist umstritten, ob es richtig gewesen sei, dass das Amt als Datum der Patentanmeldung im Patentregister und auf der veröffentlichten Patentschrift den 3. September 1957 verurkundete. Die Eintragung des Anmeldedatums (und gegebenenfalls des Prioritätslandes und -datums) im Patenregister gemäss Art. 60 Abs. 1 PatG stellt aber (gleich wie die übrigen in dieser Bestimmung genannten Eintragungen) grundsätzlich eine blosse Registrierungshandlung des Amtes ![]() | 12 |
b) Die Beschwerdebeklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, der Streit zwischen dem Patentinhaber und Dritten über das Anmeldedatum sei nicht im Beschwerdeverfahren zu entscheiden, sondern unterstehe der Beurteilung durch den ordentlichen Richter; sie beantragt demgemäss, die Beschwerde sei "als unzulässig abzuweisen", d.h. es sei auf sie nicht einzutreten. Ebenso äussert das Amt Zweifel darüber, ob Dritte sich zur Bestreitung eines von ihm angenommenen Anmeldedatums der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bedienen können. Die zur Stützung dieser Ansicht vorgetragenen Argumente halten jedoch der Prüfung nicht stand.
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Der Einwand, Art. 59 PatG stehe unter dem Titel "Prüfungsverfahren", zu dem die Patenterteilung nicht gehöre, ist aber auch noch aus folgender Überlegung abzulehnen: Nach Art. 59 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 3 PatG erfolgt eine (durch Beschwerde anfechtbare) Zurückweisung des Patentgesuches unter anderm auch, wenn die Anmeldungsgebühr gemäss Art. 41 PatG nicht bezahlt wird, also offenbar vor Aufnahme des eigentlichen Prüfungsverfahrens. Daraus erhellt, dass der systematischen Einordnung des Art. 59 Abs. 6 PatG nicht jene Bedeutung zukommt, die ihr die Beschwerdebeklagte und das Amt beilegen wollen. Zu beachten ist ferner, dass nach Art. 59 Abs. 6 PatG der Verwaltungsgerichtsbeschwerde "insbesondere die Zurückweisung des Patentgesuches" ![]() | 15 |
Zu Unrecht glaubt die Beschwerdebeklagte schliesslich, sich für ihren Standpunkt aufBGE 62 I 165ff. berufen zu können. Im genannten Falle richtete sich die Beschwerde gegen die Weigerung des eidgen. Justiz- und Polizeidepartementes, auf Antrag eines Konkurrenten eines Markeninhabers die Löschung einer eingetragenen Marke anzuordnen. Das Bundesgericht erklärte die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als unzulässig, weil auf privaten Interessen beruhende Löschungsansprüche nicht mit Beschwerde, sondern mit der Löschungsklage geltend zu machen seien; denn diese sei der Rechtsbehelf, der Dritten zur Verfügung stehe, um eine in ihre private Rechtssphäre eingreifende Marke anzufechten. Das gilt an sich allerdings sinngemäss auch für das Patentrecht, d.h., die Löschung eines eingetragenen Patentes kann nicht mittels eines dahingehenden Begehrens beim Amt, sondern nur durch Zivilklage gemäss Art. 26, 29 und 38 PatG betrieben werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um ein Begehren auf Löschung eines Patentes, sondern lediglich um die Berichtigung des vom Amt angenommenen Anmeldedatums. AusBGE 62 I 165ff. lässt sich daher für den vorliegenden Fall nichts ableiten.
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Nach Art. 107 OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde "innert 30 Tagen vom Eingang der schriftlichen Ausfertigung des Entscheides an" einzureichen. Der vorliegende Fall weist nun die Besonderheit auf, dass der ![]() | 18 |
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Dieser Antrag ist unzulässig. Ein einmal erteiltes Patent kann nur durch den ordentlichen Richter "annulliert", d.h. nichtig erklärt werden. Dem Amt fehlt die Befugnis hiezu, und folglich kann auch die Beschwerdeinstanz es nicht dazu "verhalten".
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"Enthält weder die ursprüngliche Beschreibung noch ein anderes, dem Amt gleichzeitig eingereichtes Schriftstück Anhaltspunkte für diese Änderungen (scil. des Patentanspruchs oder der Unteransprüche), so gilt als Anmeldungsdatum des Patentgesuches der Zeitpunkt, in welchem die Änderungen oder Anhaltspunkte dafür dem Amt für geistiges Eigentum zu diesem Patentgesuch schriftlich mitgeteilt worden sind; das ursprüngliche Anmeldungsdatum verliert in diesem Falle jede gesetzliche Wirkung."
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a) Diese Bestimmung ist im Zusammenhang mit dem übrigen Gesetzesinhalt auszulegen. Danach ist Erfindungsschutz nur zugunsten einer patentierten Erfindung gegeben, also eigentlich erst vom Momente der Patenterteilung ![]() ![]() ![]() | 24 |
b) Die im vorliegenden Fall zu entscheidende Frage geht dahin, ob der von der ICI angemeldete Patentanspruch in seiner ursprünglichen Formulierung bereits Anhaltspunkte für den am 9. Dezember 1960 vorgenommenen Übergang von den Dihalogen- bezw. Trihalogenverbindungen zu den Polyhalogenverbindungen enthalten habe. Das ist entgegen der Meinung des Amtes und der Beschwerdebeklagten zu verneinen. Von Polyhalogenverbindungen steht in der ersten Formulierung des Patentanspruchs nichts. Das Verfahren mit solchen fiel daher nicht in den damals beanspruchten Schutzbereich und konnte darum auch nicht eines Prioritätsschutzes teilhaftig werden.
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Das Amt vertritt nun die Auffassung, der ursprüngliche Anspruch habe Anhaltspunkte für die vorgenommene Änderung enthalten, weil es sich bei dem abgeänderten Ausdruck "Polyhalogenverbindungen" um den Oberbegriff zu den ursprünglich genannten Trihalogen- bezw. Dihalogenverbindungen handle. Im Unterbegriff seien aber gemäss ständiger Praxis des Amtes stets Anhaltspunkte für einen Oberbegriff enthalten.
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Es mag sein, dass diese Auffassung des Amtes in gewissen Fällen zutrifft. Dagegen kann sie nicht im Sinne einer ![]() | 27 |
Sofern im vorliegenden Fall gemäss der Darstellung des Amtes die Begriffe "Dihalogenverbindungen" und "Trihalogenverbindungen" unter den Oberbegriff "Polyhalogenverbindungen" fallen sollten, trifft dies unzweifelhaft auch zu auf die Tetrahalogenverbindungen, von denen das von der Beschwerdeführerin zum Patent angemeldete Verfahren ausgeht. Der Oberbegriff "Polyhalogenverbindungen" umfasst also mehr Unterbegriffe, als im ursprünglichen Patentanspruch enthalten waren, der lediglich von den Dihalogen- bezw. Trihalogenverbindungen spricht. Der umfassende Oberbegriff erschöpft sich somit nicht in den in der ursprünglichen Fassung des Patentanspruchs enthaltenen Unterbegriffen; er kann daher nicht einfach an deren Stelle treten; denn damit fände unzweifelhaft eine Erweiterung des Schutzgebietes gegenüber der ersten Formulierung statt. Eine solche ist aber ohne Verschiebung des Anmeldedatums nicht zulässig.
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Das Amt hat danach zu Unrecht dem Patent Nr. 352 759 das Anmeldungsdatum des 3. September 1957 zu Grunde gelegt; sein in diesem Punkt getroffener Entscheid ist daher aufzuheben. Massgeblich ist nach Art. 58 Abs. 2 PatG das Datum der Änderung, d.h. der 9. Dezember 1960. Dies kann gemäss Art. 109 Abs. 2 OG durch die Beschwerdeinstanz selbst so entschieden werden.
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