BGE 87 I 411 | |||
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68. Urteil vom 8. Dezember 1961 i.S. Strasser gegen SBB. | |
Regeste |
Besoldung des Bundesbeamten. |
2. Vor dem 1. Januar 1959 (Inkrafttreten der neuen Beamtenordnung) durfte eine Invalidenrente der SUVA auf die Besoldung des Beamten, der trotz des Unfalles weiterhin seine Stelle uneingeschränkt versehen konnte, nicht angerechnet werden (Erw. 3). |
3. Verzinsung der nachgeforderten Lohnbeträge (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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Am 3. November 1944 erlitt er einen ausserbetrieblichen Unfall (Armbruch). Nach der Heilung, vom Mai 1945 an, versah er den Dienst wieder uneingeschränkt. Trotzdem wurde die ihm von der SUVA für den bleibenden Nachteil gewährte Rente, die zuletzt (ab 1. Juni 1948) Fr. 35.- monatlich betrug, zunächst auf seine Besoldung angerechnet.
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B.- Mit Schreiben vom 29. Januar 1960 an die Kreisdirektion III der SBB stellte der Kläger unter Hinweis auf BGE 83 I 63 ff. und BGE 85 I 180 ff. das Begehren, es seien ihm die an der Besoldung abgezogenen Rentenbeträge nachzuzahlen. Die Personalabteilung der Generaldirektion der SBB antwortete, dass ihm nach Art. 52 der neuen BO II vom 10. November 1959 die Rente mit Wirkung ab 1. Januar 1959 überlassen werden könne. Mit Schreiben vom 20. Februar und 21. März 1960 an diese Stelle verlangte der Kläger die Nachzahlung auch der bis 31. Dezember 1958 angerechneten Rentenbeträge (insgesamt Fr. 6'755.-- samt Zins). Die Personalabteilung lehnte dieses Begehren ab. Die Generaldirektion, vom Kläger durch Schreiben vom 9. Mai 1960 um Stellungnahme gemäss Art. 64 BO II ersucht, bestätigte diesen Bescheid am 28. Juli 1960.
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C.- Mit Klageschrift vom 29. Mai 1961 beantragt Rudolf Strasser, die SBB seien zu verpflichten, ihm die an seinem Lohn in der Zeit vom Februar 1955 bis und mit Dezember 1958 durch Anrechnung der SUVA-Rente abgezogenen Beträge von insgesamt Fr. 1'645.-- samt 3% Zins ab 29. Januar 1960 nachzuzahlen. In der Begründung beruft er sich erneut auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Die Nachforderung für die Zeit vor dem Februar 1955 hat er wegen Verjährung fallen lassen.
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D.- Die SBB schliessen auf Abweisung der Klage. Sie machen geltend, der Kläger könne aus BGE 83 I 63 ff. nichts zu seinen Gunsten ableiten. Die Gründe, aus denen das Gericht dort die Anrechnung einer Militärversicherungsrente an die Beamtenbesoldung abgelehnt habe, träfen hier, wo eine SUVA-Rente in Frage stehe, nicht zu.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit aus dem Bundesbeamtenverhältnis, die gemäss Art. 110 Abs. 1 lit. a OG vom Bundesgericht als einziger Instanz zu beurteilen ist. Die Vorschrift des Art. 64 der BO II vom 10. November 1959, dass Klage beim Bundesgericht erst erhoben werden kann, nachdem die Generaldirektion der SBB zum Anspruch Stellung genommen hat, ist eingehalten worden. Auf die Klage ist einzutreten.
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Art. 63 der neuen BO II ist auch hier zu beachten, obwohl er noch nicht in Kraft war, als die Monatsbesoldungen, welche die vorliegende Klage betrifft, fällig wurden. Es ist allgemein anerkannt und ergibt sich aus dem Zweck der Verjährung, die Rechtssicherheit durch Befristung der Ausübung von Rechten zu wahren, dass eine Ordnung, welche eine Verjährung neu einführt, auch auf Ansprüche anwendbar ist, die vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung entstanden und fällig geworden sind. Immerhin erfordert der Schutz der bestehenden Rechte, dass in solchen Fällen die neue Verjährungsfrist nicht vor dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem sie eingeführt wird, also nicht vor dem Inkrafttreten des neuen Rechtes (BGE 82 I 57 /8). Für die einjährige Frist des Art. 63 Abs. 1 BO II ist dieser Zeitpunkt der 1. Dezember 1959. Im vorliegenden Fall hat sie an diesem Tage zu laufen begonnen, da der Kläger Strasser schon damals von seinem Anspruch, den er insbesondere auf das in BGE 83 I 63 ff. publizierte Urteil des Bundesgerichts vom 8. Februar 1957 stützt, Kenntnis hatte.
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Die Verjährung der vermögensrechtlichen Ansprüche des Beamten gegenüber dem Bund aus dem Dienstverhältnis kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unterbrochen werden, obwohl Vorschriften darüber fehlen. Eine Unterbrechung wird dann angenommen, wenn der Beamte den Anspruch in geeigneter Weise, bei der zuständigen Behörde (Verwaltungsstelle, Bundesgericht), geltend macht (BGE 85 I 184 Erw. 3 und dort zitierte Urteile).
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Danach hat der Kläger Strasser die einjährige Frist des Art. 63 Abs. 1 BO II, wenn nicht schon durch die Eingabe vom 29. Januar 1960 an die Kreisdirektion III der SBB, so doch auf jeden Fall durch die Eingaben vom 20. Februar, 21. März und 9. Mai 1960 unterbrochen, mit denen er seinen Anspruch der Generaldirektion der SBB - der für die Stellungnahme dazu zuständigen Instanz (Art. 64 BO II) - unterbreitet hat. Mit der ihm am 28. Juli 1960 eröffneten Stellungnahme dieser Behörde hat die einjährige Frist von neuem begonnen (vgl. Art. 138 OR). Diese neue Frist hat der Kläger eingehalten; denn er hat die Klage, mit der er den Anspruch weiterverfolgt hat, dem Bundesgericht Ende Mai 1961 eingereicht.
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Die fünfjährige Frist des Art. 63 Abs. 1 BO II hat jeweilen im Zeitpunkt der Fälligkeit der einzelnen Monatslöhne, welche Gegenstand der Klage sind, zu laufen begonnen. Ob sie schon durch das Schreiben des Klägers vom 29. Januar 1960 an die Kreisdirektion unterbrochen worden ist, kann wiederum offen gelassen werden. Auf alle Fälle muss den nachfolgenden Eingaben des Klägers an die Generaldirektion unterbrechende Wirkung zugeschrieben werden. Dies gilt auch für die Eingabe vom 20. Februar 1960; denn bereits mit ihr hat der Kläger die Angelegenheit der zur Stellungnahme gemäss Art. 64 BO II zuständigen Verwaltungsinstanz unterbreitet. Die fünfjährige Frist ist somit für alle noch in Frage stehenden Monatsbesoldungen unterbrochen worden, auch für die erste, den Lohn des Monats Februar 1955; war doch jeweils der 24. jedes Monates Zahltag.
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a) Sie machen geltend, das zitierte Urteil Müller betreffe eine Militärversicherungsrente, welche lediglich wegen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität ausgerichtet werde (Art. 23 Abs. 1 und Art. 25 BG über die Militärversicherung von 1949). Die dort angestellten Erwägungen träfen auf den vorliegenden Fall, wo es sich um eine ausschliesslich wegen Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit gewährte Rente der SUVA handle (Art. 76 ff. KUVG), nicht zu. Hier sei vielmehr noch immer der in der früheren Rechtsprechung (BGE 62 I 42;BGE 78 I 182) anerkannte Grundsatz massgebend, dass der Bundesbeamte sich Leistungen einer Fürsorgeeinrichtung des Bundes auf die Besoldung anrechnen lassen müsse.
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Das Urteil Müller hat jedoch nicht den Sinn, den ihm die SBB beilegen. In seìner Erwägung 3 wird ausgeführt, dass es darauf ankomme, ob der Beamte das Amt, für das er besoldet wird, trotz des Unfalls wie früher uneingeschränkt versehe oder ob er durch den Unfall in der Fähigkeit zu diesem Dienst beeinträchtigt sei. Solange er seinerseits die volle Leistung erbringe, habe er mangels einer entgegenstehenden gesetzlichen Vorschrift Anspruch auf den vollen Lohn, dürfe dieser also nicht um Leistungen von Fürsorgeeinrichtungen des Bundes gekürzt werden. Danach ist es unerheblich, von welcher Fürsorgeeinrichtung und aus welchem Grunde solche Leistungen gewährt werden. Daran ändert es nichts, dass in der genannten Erwägung gesagt wird, der Grundsatz der Anrechenbarkeit, der in den dort erwähnten Sondervorschriften zum Ausdruck komme, dürfe nicht ausgedehnt werden auf Fälle, "wo der Beamte die Aufgabe, für die er besoldet wird, nach wie vor unvermindert erfüllt und daher Leistungen einer Fürsorgeeinrichtung des Bundes wegen Beeinträchtigung der Fähigkeit zu diesem Dienst nicht beanspruchen kann, sondern solche Leistungen aus anderen Gründen, insbesondere wegen Schädigung der körperlichen Integrität, erhält". Das heisst nicht, dass die SUVA-Rente, die allerdings wegen Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ausgerichtet wird, im Unterschied zu einer Militärversicherungsrente, die lediglich wegen Schädigung der körperlichen Integrität gewährt wird, selbst dann auf die Besoldung soll angerechnet werden können, wenn der Beamte seinen Dienst nach wie vor uneingeschränkt versieht. Die Meinung ist vielmehr, dass die Anrechnung auch dann zu unterbleiben habe, wenn der Beamte zwar eine Rente wegen einer angenommenen Verminderung der Erwerbsfähigkeit erhält, aber doch in der bisherigen dienstlichen Stellung belassen wird und die ihm dort zugewiesene Aufgabe weiterhin ohne Einschränkung erfüllt.
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b) Sodann wenden die SBB ein, es sei auch sachlich nicht richtig, im vorliegenden Fall die Anrechnung der Rente auszuschliessen, mit der Begründung: "Zwischen der Fürsorgeleistung des Bundes und der Beamtenstellung des Klägers besteht - im Gegensatz zur Militärversicherung - ein enger rechtlicher Zusammenhang." Die Prämien für Nichtbetriebsunfälle habe zum grössten Teil der Arbeitgeber des Klägers aufgebracht. Es wäre unter diesen Umständen unbillig, wenn der Kläger einerseits gegenüber der SUVA die Leistung einer Rente für teilweise Erwerbsunfähigkeit und anderseits gleichzeitig gegenüber dem Arbeitgeber die Ausrichtung der vollen Besoldung beanspruchen könnte. Würde die Rente nicht angerechnet, so wäre der Kläger ungerechtfertigt bereichert. Der Schutz der Klage wäre auch deshalb unbillig, weil die Anrechnung den SBB erlaubt habe, das von ihnen durch die bedingungslose Weiterbeschäftigung des Klägers übernommene erhebliche Risiko zu tragen.
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Entscheidend ist jedoch die dem Urteil Müller zugrunde liegende Erwägung, dass ein Beamter, der einen Unfall erlitten hat und deshalb eine Rente einer Fürsorgeeinrichtung des Bundes empfängt, aber nach wie vor sein Amt uneingeschränkt versieht, auch den Anspruch auf die volle, ungekürzte Besoldung behalten soll, wenn und solange das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht. Ein triftiger Grund, diese Erwägung für den hier gegebenen Fall als unmassgeblich zu betrachten, besteht nicht. Die Ausführungen der SBB vermögen eine andere Auffassung nicht zu rechtfertigen.
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Auf den von den SBB hervorgehobenen Zusammenhang zwischen der Beamtenstellung des Klägers und der ihm von der SUVA gewährten Rente kann es nicht ankommen. Gewiss erhält der Kläger diese Rente deshalb, weil er als Beamter der SBB bei der SUVA - auch gegen Nichtbetriebsunfälle - versichert war. Indessen können unter Umständen auch Militärversicherungsrenten ihren Grund darin haben, dass der Empfänger Bundesbeamter ist oder war (vgl. Art. 1 Militärversicherungsgesetz). Abgesehen hievon ist zu beachten, dass die Kosten der Militärversicherung ausschliesslich vom Bund - und die Prämien für die Versicherung der SBB-Beamten gegen Betriebsunfälle bei der SUVA ausschliesslich von den SBB - getragen werden, während der Kläger immerhin die Prämien für die Versicherung bei der SUVA gegen Nichtbetriebsunfall zu einem - wenn auch kleinen - Teil selbst aufzubringen hatte. Mit dem Hinweis der SBB darauf, dass im übrigen sie die Prämien für diese Versicherung des Klägers bezahlt haben, lässt sich daher der Standpunkt, dass die vorliegende Streitigkeit anders als der Fall Müller zu beurteilen sei, nicht begründen.
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Wohl mag es mitunter als unbillig erscheinen, dass ein Bundesbeamter gleichzeitig von der SUVA - oder auch von der Militärversicherung - eine Rente wegen Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und vom Arbeitgeber, der ihn trotz der Folgen des Unfalls bedingungslos in der bisherigen Stellung weiterbeschäftigt und damit ein gewisses Risiko eingeht, den vollen Lohn erhält. Umgekehrt kann aber unter Umständen eine Unbilligkeit auch darin erblickt werden, dass der Arbeitgeber die volle Arbeitsleistung des durch den Unfall bleibend geschädigten Beamten entgegennimmt und zugleich dessen Rente für sich beansprucht; wird es doch nicht selten vorkommen, dass der Arbeitgeber damit ein Mehrfaches der von ihm für den Beamten aufgewendeten Prämiensumme erhält. Wenn im vorliegenden Fall die Kumulation der Rente und der Besoldung unbillig ist, wie die SBB geltend machen, so ist dies die Folge der gesetzlichen Ordnung, die vor dem 1. Januar 1959 massgebend war. Von einer ungerechtfertigten Bereicherung des Klägers kann deshalb keine Rede sein.
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Dadurch, dass der Gesetzgeber die seit dem 1. Januar 1959 geltende neue Ordnung eingeführt hat, welche die Anrechnung der Rente auf die Besoldung auch im Falle der bedingungslosen Weiterbeschäftigung des verunfallten Beamten in der bisherigen Stellung ermöglicht, hat er anerkannt, dass in diesem Falle die Anrechnung nur zulässig ist, wenn eine positive Vorschrift dies gestattet.
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Bei der Neuordnung, zu der gerade das Urteil Müller Anlass gegeben hat, ist auf die "verschiedenartigsten Zusammenhänge" Rücksicht genommen worden, "so auf die Art der Schädigung und damit verbundene finanzielle Nachteile, auf die tatsächliche Beeinträchtigung im Erwerb und nicht zuletzt auf das Aufbringen der Versicherungsprämien" (BBl 1958 I S. 856; BGE 87 I 322). Damit ist den Einwänden, welche die SBB im vorliegenden Fall vorbringen, in einem gewissen Umfange Rechnung getragen worden. Aber wie schon in der früheren gesetzlichen Ordnung - soweit eine solche bestanden hat -, so werden auch im neuen Art. 45 BtG und in den darauf beruhenden Ausführungsbestimmungen des Bundesrates die Leistungen der Militärversicherung und der SUVA bezüglich der Anrechnung auf die Besoldung grundsätzlich gleich behandelt. Die für die Rentenberechtigung massgebenden Gesichtspunkte der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und der Schädigung der körperlichen Integrität des Verunfallten lassen sich denn auch praktisch nicht immer vollständig trennen. So wurde im Falle Müller eine dauernde "Invalidität bzw. Schädigung der körperlichen Integrität" angenommen (BGE 83 I 64 oben).
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Die Auffassung der SBB, dass hinsichtlich der Anrechnung auf die Besoldung ein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer Militärversicherungsrente, wie sie der Zollbeamte Müller bezieht, und der wegen Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ausgerichteten SUVA-Rente zu machen sei, findet somit auch im Gesetz keine Stütze.
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c) Vergeblich berufen die SBB sich auf ein Rundschreiben ihrer Generaldirektion vom 15. Juni 1960, das seinerseits auf ein Rundschreiben des eidg. Finanz- und Zolldepartementes vom 16. Mai 1960 Bezug nimmt. Soweit die dort aufgestellten Richtlinien mit dem Urteil Müller nicht übereinstimmen, kann aus ihnen für den Standpunkt der SBB nichts hergeleitet werden.
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4. Der Anspruch des Klägers auf Verzinsung ist ebenfalls begründet. Sein Schreiben vom 29. Januar 1960 an die Kreisdirektion III der SBB kann als Mahnung betrachtet werden, so dass die Zinsen von diesem Zeitpunkt an geschuldet sind. Der Zinssatz ist gemäss Antrag des Klägers auf 3% festzulegen (BGE 85 I 184 Erw. 4).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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