BGE 87 I 451 | |||
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73. Auszug aus dem Urteil vom 20. September 1961 i.S. Kunz gegen Staatsrat des Kantons Freiburg. | |
Regeste |
Art. 3, 5, 31 Abs. 2 BV; Filmreklame. |
2. Die Kantone können für gewerbepolizeiliche Einschränkungen (statt der bundesrechtlich vorgeschriebenen materiellen) eine formelle gesetzliche Grundlage verlangen (Erw. 4). |
3. Räumlicher Geltungsbereich kantonaler gewerbepolizeilicher Einschränkungen, namentlich von Vorschriften über die Reklame. Ein Kanton, der die öffentliche Vorführung eines Films untersagt hat, kann verbieten, dass auf seinem Gebiet für auswärtigen Vorführungen des Streifens Reklame gemacht wird (Erw. 5). | |
Sachverhalt | |
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A.- Das freiburgische Gesetz betreffend Kino und Theater (KThG) vom 1. Februar 1949 bestimmt in Art. 10:
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Die zugehörige Ausführungsverordnung (VVO) vom 2. Mai besagt in Art. 40:
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Das in Art. 10 des Gesetzes vorgesehene ... Verbot erstreckt sich nicht bloss auf die Vorstellung in ihrer Gesamtheit, sondern auch auf die einzelnen Teile ... sowie auch auf alle Bestandteile der Reklame zu Gunsten der Vorstelhmg, gleichgültig in welcher Form diese erfolgen mag.
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Gemäss Art. 13 KThG sind Widerhandlungen gegen dieses Gesetz und die Vollziehungsverordnung vom Oberamtmann mit Bussen bis zu Fr. 500.-- zu ahnden.
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B.- Die Polizeidirektion des Kantons Freiburg hat die Vorführung des Films "Nous irons à l'Ile du Levant" ("Wir fahren zum Naturisten-Paradies") mit Verfügung vom 20. Juli 1960 verboten. Der Hersteller des Films, Werner Kunz in Zürich, liess den (im Kanton Waadt zugelassenen) Streifen am 21. November 1960 in einem Saal der an der Grenze des Kantons Freiburg gelegenen waadtländischen Gemeinde Payerne vorführen. Drei Tage zuvor liess er in den Haushaltungen der Stadt Freiburg ein Flugblatt verteilen, das auf die Vorstellung hinwies und hervorhob, dass der Film im Kanton Freiburg verboten ist. Im weiteren gab es die günstigste Zugsverbindung zwischen Freiburg und Payerne zum Besuch der Vorstellung bekannt.
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Der Oberamtmann des Bezirkes Saane verurteilte Kunz wegen dieser Werbung gestützt auf Art. 9, 10 und 13 KThG sowie auf Art. 40 VVO zu einer Busse von Fr. 400.--. Einen Rekurs, den Kunz dagegen erhob, hat der Staatsrat des Kantons Freiburg abgewiesen. In den Erwägungen des Entscheides wird ausgeführt, die angefochtene Strafverfügung richte sich nicht gegen die aufwaadtländischem Boden veranstaltete Filmvorstellung, sondern gegen die Reklame, die auf freiburgischem Gebiet für die Vorführung des dort verbotenen Streifens entfaltet worden sei. Diese Auskündung werde in örtlicher wie in sachlicher Hinsicht von der freiburgischen Filmgesetzgebung erfasst. Die strafbare Handlung, das Verteilen der Flugblätter, sei in diesem Kanton ausgeführt worden, während auf den Kanton Zürich blosse Vorbereitungshandlungen entfielen.
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C.- Kunz führt dagegen staatsrechtliche Beschwerde, namentlich wegen Verletzung von Art. 31 BV und Art. 7 KV. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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4. Art. 31 BV begnügt sich damit, für gewerbepoligeiliche Einschränkungen und Sanktionen eine materielle zesetzliche Grundlage zu verlangen. Den Kantonen bleibt es unbenommen, zurückhaltender zu sein und vorzusehen, dass gewerbepolizeiliche Anordnungen, insbesondere aber die auf deren Übertretung ausgesetzten Strafen, einer formellen gesetzlichen Grundlage bedürfen. Gemäss Art. 7 der freiburgischen Staatsverfassung darf eine Strafe "nur durch eine kompetente Behörde auf Grund einer Gesetzesbestimmung und nur in der gesetzlich vorgeschriebenen Form" auferlegt werden. Sollte unter der danach erforderlichen "Gesetzesbestimmung" ein Gesetz im formellen Sinne zu verstehen sein, so wäre diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt, da die angefochtene Strafe sich auf Art. 13 KThG, also auf eine Gesetzesvorschrift, stützt, die für "Widerhandlungen gegen dieses Gesetz oder dessen Vollziehungsverordnung" vom Oberamtmann auszufällende Bussen androht.
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5. Aus der durch Art. 3 und 5 BV gebotenen Rücksichtnahme auf die Polizeihoheit der andern Bundesglieder folgt, dass die gewerbepolizeilichen Vorschriften, welche die Kantone gemäss Art. 31 Abs. 2 BV erlassen, nur für das Kantonsgebiet gelten (vgl. BGE 53 I 210): sie dürfen lediglich eine Gewerbsausübung erfassen, die das Kantonsgebiet in irgend einer erheblichen Weise berührt, sei es, dass die Tätigkeit hier vor sich geht, sei es, dass sie mit Auswirkungen auf das Kantonsgebiet übergreift, hinsichtlich derer das Gewerbe der polizeilichen Regelung unterstellt werden kann (BGE 65 I 87 Erw. 2 mit Verweisungen). Wird diese räumliche Schranke missachtet, so wird ausser den Art. 3 und 5 BV auch die Gewährleistung der Handels- und Gewerbefreiheit verletzt (vgl. BGE 65 I 89 /90): um vor Art. 31 BV standzuhalten, bedürfen gewerbepolizeiliche Anordnungen einer materiellen gesetzlichen Grundlage; kantonale Erlasse sind jedoch nur innerhalb der Grenzen ihrer räumlichen Wirksamkeit geeignet, die gesetzliche Grundlage für eine polizeiliche Massnahme abzugeben. Der aus Art. 31 BV fliessende Grundsatz der Verhältnismässigkeit staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsleben kann es ausserdem notwendig machen, den territorialen Geltungsbereich des kantonalen Gewerbepolizeirechts zusätzlich einzuschränken, so wenn die ausnahmelose Anwendung dieses Rechts auf Gewerbetreibende aus andern Kantonen zu ungerechtfertigten Härten führen würde (MARTI, a.a.O., S. 112).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts können die Kantone grundsätzlich jede geschäftliche Werbung, die auf ihrem Gebiet entfaltet wird, ihrem Polizeirecht unterstellen. Soweit es deren Schutzzweck erfordert, können sie die betreffenden Vorschriften dabei im Regelfall auch auf Geschäftsempfehlungen anwenden, die im Kanton für ausserkantonale Unternehmungen angebracht werden. So gelten die Anforderungen, die ein Kanton aus aesthetischen Gründen (Heimatschutz) oder um der öffentlichen Sittlichkeit willen an Form und Inhalt der Reklame stellt, uneingeschränkt auch für die Werbung ausserkantonaler Unternehmungen. Weniger umfassend ist der Anwendungsbereich jener Vorschriften, welche die Reklame für bestimmte Gruppen von Gewerbetreibenden oder für gewisse Veranstaltungen aus polizeilichen Gründen einschränken oder verbieten. Aus der Rechtsprechung ergibt sich dafür folgendes:
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Wenn ein Geschäft in einem andern Kanton als dem des Sitzes seinen Ausverkauf auskündet, dann darf dieser Kanton, wie das Bundesgericht in BGE 46 I 213 Erw. 2 und BGE 52 I 310 ff. erkannt hat, die Reklame nicht davon abhängig machen, dass auch bei ihm eine Ausverkaufsbewilligung eingeholt werde (vgl. jetzt Art. 4 der bundesrätlichen Verordnung über Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen vom 16. April 1947). Das Bundesgericht hat es ferner nicht zugelassen, dass einem ausserkantonalen Liegenschaftshändler die Ausschreibung eines ausserkantonalen Grundstücks nur dann gestattet wird, wenn er die Gewerbebewilligung des Kantons besitzt, in dem das Inserat erscheinen soll (BGE 59 I 2). Wohl standen hier wie dort auch die Interessen des Kantons im Spiel, in dem die Reklame entfaltet wurde; doch waren diese Interessen nicht so bedeutungsvoll und ausserdem nicht so stark gefährdet, dass sich Abwehrmassnahmen gerechtfertigt hätten, die praktisch zu einem (mit dem Sinn und Geist der Art. 31 und 45 BV nicht vereinbaren) Ausschluss der ausserkantonalen Unternehmungen vom innerkantonalen Markt führen würden.
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Das Bundesgericht hat andererseits in BGE 70 I 73 Erw. 2 zugelassen, dass ein Kanton, der die Ausführung des Arztberufs einer staatlichen Kontrolle unterwirft und von einem Befähigungsausweis abhängig macht, den in einem andern Kanton ohne Prüfung und Überwachung frei praktizierenden Heilkundigen die Empfehlung ihres Geschäftsbetriebes in der auf seinem Gebiet erscheinenden Tagespresse untersagt. Der Staatsgerichtshof hat dazu ausgeführt, der betreffende Kanton habe in seiner Sanitätsgesetzgebung die Ausübung der Heilkunde unter Kontrolle gestellt und an die Erfüllung bestimmter Mindestanforderungen geknüpft, um die Gesundheit der Bevölkerung vor Gefahren zu schützen, die sich aus der Heiltätigkeit Unberufener ergeben können; diese Ordnung könnte ihren Zweck nicht erreichen, wenn der Kanton es dulden müsste, dass Personen, die ohne jede staatliche Überwachung einer Heiltätigkeit nachgehen, ihren Geschäftsbetrieb auf Kantonsgebiet anpreisen und die Einwohner dazu verleiten, sich in einer freien unbeaufsichtigten Praxis behandeln zu lassen.
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Mit Bezug auf die Reklame des Lichtspielgewerbes liegen die Verhältnisse gleich wie im letztgenannten Urteil und nicht wie in den ersterwähnten Entscheiden. Aufgabe der kantonalen Filmzensur ist der Schutz der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit (Art. 10 KThG). Zu diesem Behufe sucht die Zensur Filme oder Filmteile von der Bevölkerung fernzuhalten, die vermöge der dargestellten Vorgänge oder der Art der Darstellung geeignet sind, den innern oder äussern Frieden zu stören, das sittliche oder religiöse Empfinden zu verletzen, eine verrohende Wirkung auszuüben oder zu Verbrechen aufzureizen (Art. 39 VVO; vgl. auch BGE 87 I 282 Erw. 3). Wohl kann der Kanton die Einwohner nicht daran hindern, die von seiner Zensur verbotenen Filme jenseits der Kantonsgrenze anzusehen, falls sich dort Gelegenheit dazu bietet. Die meisten Kantonseinwohner werden jedoch erst dann auf den Gedanken kommen, eine solche Vorstellung zu besuchen, wenn im Kanton selber darauf hingewiesen wird. Die Bekämpfung dieser Werbung stellt damit ein taugliches Mittel zur Erreichung des Zweckes dar, den die Zensur anstrebt. Könnte der Kanton diese Reklame nicht abwehren, dann wäre angesichts der günstigen Verkehrsverbindungen zwischen den Ortschaften der einzelnen Stände die Wirksamkeit der kantonalen Zensur ernstlich in Frage gestellt. Wenn die kantonalen Behörden zum Schluss gelangen, ein Film gefährde die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit, und sie deshalb die Vorführung des Streifens auf Kantonsgebiet verbieten, dann müssen sie demnach auch dafür sorgen können, dass diese Gefahr nicht wesentliche Teile der Bevölkerung von aussen her doch noch erreiche.
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Die Art. 3, 5 und 31 BV verwehren es einem Kanton, der einen Film verboten hat, somit nicht, gegen die Werbung einzuschreiten, die auf Kantonsgebiet für auswärtige Vorführungen dieses Streifens entfaltet wird. Dabei braucht der Kanton sich nicht an die Personen zu halten, welche die Geschäftsempfehlung auf seinem Gebiet verbreiten; er kann vielmehr auch denjenigen zur Rechenschaft ziehen, der diesseits oder jenseits der Grenze den Auftrag dazu erteilt hat. Nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen ist der Auftraggeber als mittelbarer Täter so zu behandeln, wie wenn er die vom Beauftragten begangenen Handlungen selber vorgenommen hätte; auch soweit die Handlungen ihm zugerechnet werden, gelten sie deshalb als dort ausgeführt, wo die als Werkzeuge benutzten Dritten für ihn tätig geworden sind (vgl. BGE 85 IV 203 mit Verweisungen).
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Ob die Zensur des auswärtigen Vorführungsorts den im Kanton verbotenen Film zugelassen habe, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Zwar hat das Bundesgericht in BGE 52 I 311 f. und BGE 70 I 74 /75 darauf hingewiesen, dass die Interessen des Kantons, in dem die Werbung entfaltet wird, im allgemeinen genügend geschützt sind, wenn der sich anpreisenden Unternehmung am Ort ihrer Niederlassung die erforderliche Polizeibewilligung erteilt worden ist. Es hat dabei indes den Fall vorbehalten, dass eine Veranstaltung nach dem Polizeirecht der beteiligten Kantone verschieden behandelt wird. Das aber trifft für die Zensur zu. Die Meinungen darüber, wann die öffentliche Ordnung und besonders die guten Sitten gefährdet seien und wie diese Rechtsgüter zu schützen seien, hangen weitgehend von den örtlichen Gegebenheiten und den vorherrschenden politischen und religiösen Anschauungen ab, so dass der Entscheid des einen Kantons für den andern nicht massgebend zu sein braucht (BGE 87 I 119).
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