BGE 88 I 37 | |||
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7. Urteil vom 6. Juni 1962 i.S. H. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft. | |
Regeste |
1. Auslieferung; Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit. Beim Entscheid darüber, ob die verfolgte Tat im ersuchenden und im ersuchten Staat strafbar sei, hat der Auslieferungsrichter von der Darstellung des Sachverhalts auszugehen, die in den zur Begründung des Auslieferungsbegehrens vorgelegten Urkunden enthalten ist (Erw. 1). | |
Sachverhalt | |
A.- Das Amtsgericht Hechingen hat am 6. Februar 1962 gegen H. einen Haftbefehl erlassen. Es legt ihm zur Last, er habe dem Weingrosshändler R. in Sch. (Württemberg) in der Zeit vom 16. März bis 28. Oktober 1961 "Weinbrand" und "Weindest-illat" zum Preis von mindestens 500'000 DM geliefert. Der Kaufpreis sei nach den Angaben R.s bis auf einen Restbetrag von 70'000 DM bezahlt worden. H. und der mit ihm zusammenarbeitende Trinkbranntweinhersteller X. hätten indes keine Eingänge an echtem Weinbrand oder Weindest-illat gehabt, die ihre Lieferungen auch nur annähernd decken würden. Auch stehe fest, dass nicht aus Traubenwein hergestellter hochprozentiger Sprit durch H.s Hände gegangen und teilweise von ihm übernommen worden sei. Es sei daher anzunehmen, dass die an R. gelieferte Ware nicht oder allenfalls nur zu einem geringen Bruchteil aus Traubenwein gewonnen worden sei, im übrigen aber aus anderem Sprit bestanden habe, dem Essenzen und Typagen beigemischt worden seien. H. habe R. und andere Abnehmer über die Beschaffenheit und den Ursprung der gelieferten Ware getäuscht, indem er diese als Weinbrand bzw. Weindest-illat angeboten, verkauft und berechnet habe und er den Abnehmern ausserdem mündlich und schriftlich bestätigt habe, dass es sich um verkehrsfähigen echten Weinbrand handle. Er habe damit R. in den Irrtum versetzt, der angebotene "Weinbrand" sei echt im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 des Weingesetzes und deshalb als Weinbrand verkehrsfähig und zu verkaufen; aus dem angebotenen "Weindest-illat" lasse sich ein echter und verkehrsfähiger Weinbrand in gesetzlich zulässiger Weise herstellen. Durch diese Irreführung habe er R. zur Abnahme der Ware und zur Leistung der bisherigen Zahlungen bewogen. R. sei insofern geschädigt, als er für minderwertige Ware einen Preis bezahlt habe, der für Weinbrand bzw. Weindest-illat gefordert werden könne, und als er mit Ersatzanspüchen der Kunden rechnen müsse, denen er die gelieferte Ware als Weinbrand bzw. Weindest-illat weiterverkauft habe. H. habe in der Absicht gehandelt, sich einen Preis bezahlen zu lassen, der für Weinbrand bzw. Weindest-illat angemessen wäre, den Verkaufswert der gelieferten Ware jedoch erheblich übersteige. Es bestehe deshalb der dringende Verdacht, dass H. sich des Betruges im Sinne des § 263 dStGB schuldig gemacht habe.
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Gestützt auf diesen Haftbefehl ersuchte das Justizministerium Baden-Württemberg das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement um die Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen H.
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B.- H. hat gegen die Auslieferung Einsprache erhoben.
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Sein Vertreter wendet ein, der im Haftbefehl umschriebene Sachverhalt würde nach schweizerischem Recht, wenn überhaupt, nur den Tatbestand der Warenfälschung oder des Inverkehrbringens gefälschter Waren im Sinne von Art. 153 bzw. 154 StGB erfüllen, nicht aber denjenigen des Betruges. Art. 148 StGB fasse den Begriff des Betruges enger als das deutsche Recht, indem er insbesondere voraussetze, dass die absichtliche Täuschung mit Arglist ausgeführt worden sei. Die einfache Falschdeklaration stelle kein arglistiges Handeln dar; um dieses Tatbestandselement zu erfüllen, müsse der Täter vielmehr weitere Vorkehrungen treffen, um den Geschädigten irrezuführen. Der Haftbefehl werfe H. nichts dergleichen vor; namentlich werde ihm nicht zur Last gelegt, er habe die Abnehmer arglistig von einer Prüfung der Ware abgehalten.
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C.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat die Akten samt Schlussbericht dem Bundesgericht unterbreitet, damit es über die Auslieferung entscheide.
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Die Bundesanwaltschaft beantragt, die Einsprache abzuweisen und die Auslieferung H.s wegen Betruges zu bewilligen, sie aber an den Vorbehalt zu knüpfen, dass H. nicht wegen allfälliger Zuwiderhandlung gegen das deutsche Lebensmittelgesetz oder gegen deutsche Fiskal- oder Zollvorschriften in Untersuchung gezogen werde, und dass ein solcher Umstand bei der Strafzumessung im Verfahren wegen Betruges nicht strafschärfend berücksichtigt werde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Auslieferung von Personen, die wegen strafbarer Handlungen verurteilt worden sind oder verfolgt werden, wird im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz durch den Auslieferungsvertrag vom 24. Januar 1874 (BS Bd. 12 S. 85 ff.) geregelt. Dieser führt in Art. 1 die strafbaren Handlungen auf, derentwegen die Auslieferung zu bewilligen ist. Die Aufzählung ist in der Folge durch Gegenrechtserklärungen ergänzt worden, die eine Reihe weiterer Straftaten zu Auslieferungsdelikten erhoben haben (vgl. die Zusammenstellung in der Bekanntmachung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 8. Januar 1927; BBl 1927 I S. 39/40).
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Wie das Auslieferungsgesetz (Art. 3 Abs. 1), so bestimmt die Mehrzahl der von der Schweiz geschlossenen Auslieferungsverträge ausdrücklich, dass die Auslieferung nur für Handlungen und Unterlassungen bewilligt wird, die nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates strafbar sind (BGE 87 I 199 /200). Der schweizerischdeutsche Auslieferungsvertrag erwähnt das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit in Art. 1 Abs. 1 Ziff. 9, 12 und 13 für einzelne Auslieferungsdelikte, ebenso im letzten Absatz für den Versuch. In diesen Klauseln wird ein Grundsatz verdeutlicht, der stillschweigend auch hinsichtlich der übrigen Auslieferungsdelikte vorausgesetzt wird und den ganzen Auslieferungsvertrag beherrscht. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts ist daher im Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland in allen Fällen am Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit festzuhalten (BGE 42 I 218 Erw. 2, BGE 54 I 342 Erw. 1; SCHULTZ, Auslieferungsrecht, S. 316/17 und die dort in A. 38 genannten Urteile). Das bedeutet, dass die Auslieferung nur zu gewähren ist, wenn die Tatbestandsmerkmale der in Art. 1 des Auslieferungsvertrags und in den Gegenrechtserklärungen aufgeführten Delikte nach beiden Rechten gegeben sind.
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Der Auslieferungsrichter hat indes nicht zu untersuchen, ob die betreffenden Tatbestandsmerkmale tatsächlich erfüllt seien oder nicht; denn die materielle Beurteilung bleibt dem Sachrichter überlassen. Der Auslieferungsrichter hat lediglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Auslieferung gegeben seien, das heisst ob die verfolgte Tat ein Auslieferungsdelikt darstelle und sie beidseitig strafbar sei, und ob allenfalls ein Grund vorliege, der die Auslieferung ausschliesst. Hinsichtlich des Hergangs der Tat und der Schuld des Angeschuldigten ist der Auslieferungsrichter an die zur Begründung des Auslieferungsbegehrens vorgelegten Urkunden gebunden: Er hat von der Darstellung des Sachverhalts im ausländischen Urteil, im Haftbefehl oder anderen Urkunden auszugehen, worauf das Auslieferungsbegehren sich stützt. Ob dieser Sachverhalt bewiesen sei und ob der Einsprecher die ihm gemachten Vorhalte ganz oder teilweise bestreite, ist unerheblich; der Auslieferungsrichter hat, die Berichtigung offensichtlicher Irrtümer vorbehalten, auf den Sachverhalt abzustellen, der dem Auszuliefernden in den das Auslieferungsgesuch begründenden Urkunden vorgeworfen wird (SCHULTZ, a.a.O., S. 232, 238 A. 91).
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Fraglich und für die Auslieferung entscheidend ist dagegen, ob der Sachverhalt, der H. im Haftbefehl vorgeworfen wird, auch das Merkmal der über die einfache Irreführung hinausgehenden Arglist enthalte, das zwar nicht nach § 263 des deutschen, wohl aber nach Art. 148 des schweizerischen StGB zum Begriff des Betruges gehört. Nur wenn H. auch dieses Tatbestandsmerkmal zur Last gelegt wird, ist die beidseitige Strafbarkeit gegeben und die Auslieferung zu bewilligen. Der Auslieferungsrichter hat hier demnach vorfrageweise die einfache Lüge von der arglistigen Täuschung im Sinne des Art. 148 StGB abzugrenzen. Der Staatsgerichtshof hat keinen Anlass, hierin von der Rechtsprechung abzuweichen, die der Kassationshof des Bundesgerichts zu dieser strafrechtlichen Frage im allgemeinen und insbesondere zur Klärung des Verhältnisses zwischen Art. 148 und 154 StGB (Inverkehrbringen gefälschter Waren) entwickelt hat. In zahlreichen Urteilen hat der Kassationshof erkannt, dass der Täter, der einen andern nur durch einfache Lüge täuscht, dann nicht arglistig im Sinne des Art. 148 StGB handelt, wenn der andere die Angabe ohne besondere Mühe überprüfen kann, ihm die Überprüfung zuzumuten ist und der Täter ihn weder absichtlich davon abhält noch nach den Umständen voraussieht, dass der Getäuschte die Überprüfung unterlassen werde (BGE 72 IV 13, 123, 128 und 159; BGE 73 IV 25; BGE 74 IV 151; BGE 77 IV 85). Der Kassationshof hat sich in BGE 72 IV 169 /70 sodann im besonderen mit dem Verhältnis zwischen Betrug und Inverkehrbringen gefälschter Waren befasst und ist dabei zu folgendem Schluss gekommen:
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"Art. 154 StGB steht... als Sondernorm der Anwendung des Art. 148 StGB nur dann im Wege, wenn die Täuschung in nichts anderem als darin besteht, dass der Veräusserer die nachgemachte, verfälschte oder im Werte verringerte Ware als "echt, unverfälscht oder vollwertig" ausgibt, sie also unrichtig bezeichnet oder den Erwerber einfach durch Schweigen über ihre Beschaffenheit im Irrtum lässt. Falls man hier überhaupt von Arglist der Täuschung sprechen kann, da es dem Erwerber ja oft leicht möglich und auch zum utbar ist, die Ware zu prüfen, handelt es sich jedenfalls um eine Arglist, die ins Mass geht und mit der Strafe des Art. 154 genugend gesühnt wird. Davon unterscheiden sich die Fälle, in denen der Täter es nicht bei einer einfachen Falschdeklaration bewenden lässt, sondern weitergehende arglistige Vorkehren trifft, um den Erwerber irrezuführen, so wenn der Weinhändler z.B. Flaschenweinc unter Etiketten verkauft, welche dem Käufcr vortäuschen, ein anderer, als Lieferant von Qualitätsweinen bekannter Händler habe den Wein in die Flaschen abgezogen. In solchen Fällen ist Art. 148 StGB anzuwenden, und zwar, da diese Bestimmung die Tat nach allen Seiten umfasst, unter Ausschluss der Art. 153 und 154. Wie bereits erwähnt, gilt Art. 148 ferner dann, wenn die falsch deklarierte Ware weder nachgemacht noch verfälscht oder im Wertc verringert ist, also der Tatbestand des Art. 154 nicht erfüllt ist."
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Diese Grundsätze wurden im nicht veröffentlichten Urteil vom 11. Oktober 1955 i.S. Chappuis und Chevalley, Erw. 4, bestätigt und näher ausgeführt.
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3. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hechingen legt H. keine über die Falschdeklaration hinausgehende Täuschungshandlung zur Last; insbesondere wird ihm nicht vorgeworfen, er habe besondere Machenschaften zur Unterstützung der durch die einfache Lüge begründeten Täuschung ins Werk gesetzt, er habe die Abnehmer absichtlich von der Prüfung der gelieferten Ware abgehalten oder er habe nach den Umständen voraussehen können, dass die Prüfung unterbleiben werde; auch wird nicht behauptet, die Prüfung wäre dem Abnehmer nicht ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen.
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Die Bundesanwaltschaft will den Vorwurf der Arglist darin erblicken, dass der Haftbefehl erwähnt, H. habe seinen Abnehmern "ausserdem mündlich und schriftlich bestätigt, dass es sich um verkehrsfähigen echten Weinbrand handle". Das Feilbieten oder sonstige Inverkehrbringen gefälschter Ware "als echt, unverfälscht oder vollwertig" ist jedoch gerade das wichtigste Tatbestandsmerkmal des Art. 154 StGB. Der Vorhalt, H. habe - auf Anfrage oder von sich aus - die Echtheit und Verkehrsfähigkeit der Ware entgegen ihrer wirklichen Beschaffenheit mündlich und schriftlich bestätigt, betrifft eine Handlungsweise, die durchaus in den Rahmen des Art. 154 StGB fällt; es handelt sich dabei nicht um eine darüber hinausgehende arglistige Vorkehrung, welche die Anwendung des Art. 148 StGB zu begründen vermöchte.
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Die Bundesanwaltschaft macht ferner geltend, H. sei sich der Schwierigkeit der Prüfung der gelieferten Spirituosen durch die Abnehmer bewusst gewesen; er habe selber darauf hingewiesen. Dieses Argument kann nicht gehört werden. Da es beim Entscheid über die Auslieferung nicht auf die tatsächlichen Vorgänge, sondern auf den Gegenstand der Anklage bildenden Sachverhalt ankommt, sind ausserhalb desselben liegende Geschehnisse selbst dann für den Auslieferungsrichter unbeachtlich, wenn sie vom Auszuliefernden zugestanden werden. Eine derartige Zugabe liegt hier übrigens entgegen der Meinung der Bundesanwaltschaft nicht vor (wird näher ausgeführt).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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