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7. Urteil vom 6. Juni 1962 i.S. H. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft. | |
Regeste |
1. Auslieferung; Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit. Beim Entscheid darüber, ob die verfolgte Tat im ersuchenden und im ersuchten Staat strafbar sei, hat der Auslieferungsrichter von der Darstellung des Sachverhalts auszugehen, die in den zur Begründung des Auslieferungsbegehrens vorgelegten Urkunden enthalten ist (Erw. 1). | |
Sachverhalt | |
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Gestützt auf diesen Haftbefehl ersuchte das Justizministerium Baden-Württemberg das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement um die Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen H.
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B.- H. hat gegen die Auslieferung Einsprache erhoben.
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C.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat die Akten samt Schlussbericht dem Bundesgericht unterbreitet, damit es über die Auslieferung entscheide.
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Die Bundesanwaltschaft beantragt, die Einsprache abzuweisen und die Auslieferung H.s wegen Betruges zu bewilligen, sie aber an den Vorbehalt zu knüpfen, dass H. nicht wegen allfälliger Zuwiderhandlung gegen das deutsche Lebensmittelgesetz oder gegen deutsche Fiskal- oder Zollvorschriften in Untersuchung gezogen werde, und dass ein solcher Umstand bei der Strafzumessung im Verfahren wegen Betruges nicht strafschärfend berücksichtigt werde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Auslieferung von Personen, die wegen strafbarer Handlungen verurteilt worden sind oder verfolgt werden, wird im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz durch den Auslieferungsvertrag vom 24. Januar 1874 (BS Bd. 12 S. 85 ff.) geregelt. Dieser führt in Art. 1 die strafbaren Handlungen auf, derentwegen die Auslieferung zu bewilligen ist. Die Aufzählung ist in der Folge durch Gegenrechtserklärungen ergänzt worden, die eine Reihe weiterer Straftaten zu ![]() | 7 |
Wie das Auslieferungsgesetz (Art. 3 Abs. 1), so bestimmt die Mehrzahl der von der Schweiz geschlossenen Auslieferungsverträge ausdrücklich, dass die Auslieferung nur für Handlungen und Unterlassungen bewilligt wird, die nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates strafbar sind (BGE 87 I 199 /200). Der schweizerischdeutsche Auslieferungsvertrag erwähnt das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit in Art. 1 Abs. 1 Ziff. 9, 12 und 13 für einzelne Auslieferungsdelikte, ebenso im letzten Absatz für den Versuch. In diesen Klauseln wird ein Grundsatz verdeutlicht, der stillschweigend auch hinsichtlich der übrigen Auslieferungsdelikte vorausgesetzt wird und den ganzen Auslieferungsvertrag beherrscht. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts ist daher im Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland in allen Fällen am Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit festzuhalten (BGE 42 I 218 Erw. 2, BGE 54 I 342 Erw. 1; SCHULTZ, Auslieferungsrecht, S. 316/17 und die dort in A. 38 genannten Urteile). Das bedeutet, dass die Auslieferung nur zu gewähren ist, wenn die Tatbestandsmerkmale der in Art. 1 des Auslieferungsvertrags und in den Gegenrechtserklärungen aufgeführten Delikte nach beiden Rechten gegeben sind.
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Der Auslieferungsrichter hat indes nicht zu untersuchen, ob die betreffenden Tatbestandsmerkmale tatsächlich erfüllt seien oder nicht; denn die materielle Beurteilung bleibt dem Sachrichter überlassen. Der Auslieferungsrichter hat lediglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Auslieferung gegeben seien, das heisst ob die verfolgte Tat ein Auslieferungsdelikt darstelle und sie beidseitig strafbar sei, und ob allenfalls ein Grund vorliege, der die Auslieferung ausschliesst. Hinsichtlich des Hergangs der Tat und der Schuld des Angeschuldigten ist der Auslieferungsrichter ![]() | 9 |
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Fraglich und für die Auslieferung entscheidend ist dagegen, ob der Sachverhalt, der H. im Haftbefehl vorgeworfen wird, auch das Merkmal der über die einfache Irreführung hinausgehenden Arglist enthalte, das zwar nicht nach § 263 des deutschen, wohl aber nach Art. 148 des schweizerischen StGB zum Begriff des Betruges gehört. Nur wenn H. auch dieses Tatbestandsmerkmal zur Last gelegt wird, ist die beidseitige Strafbarkeit gegeben und die Auslieferung zu bewilligen. Der Auslieferungsrichter hat hier demnach vorfrageweise die einfache Lüge von der arglistigen Täuschung im Sinne des Art. 148 StGB abzugrenzen. Der Staatsgerichtshof hat keinen Anlass, hierin von der Rechtsprechung abzuweichen, die der Kassationshof des Bundesgerichts zu dieser strafrechtlichen Frage im allgemeinen und insbesondere zur Klärung des Verhältnisses ![]() | 11 |
"Art. 154 StGB steht... als Sondernorm der Anwendung des Art. 148 StGB nur dann im Wege, wenn die Täuschung in nichts anderem als darin besteht, dass der Veräusserer die nachgemachte, verfälschte oder im Werte verringerte Ware als "echt, unverfälscht oder vollwertig" ausgibt, sie also unrichtig bezeichnet oder den Erwerber einfach durch Schweigen über ihre Beschaffenheit im Irrtum lässt. Falls man hier überhaupt von Arglist der Täuschung sprechen kann, da es dem Erwerber ja oft leicht möglich und auch zum utbar ist, die Ware zu prüfen, handelt es sich jedenfalls um eine Arglist, die ins Mass geht und mit der Strafe des Art. 154 genugend gesühnt wird. Davon unterscheiden sich die Fälle, in denen der Täter es nicht bei einer einfachen Falschdeklaration bewenden lässt, sondern weitergehende arglistige Vorkehren trifft, um den Erwerber irrezuführen, so wenn der Weinhändler z.B. Flaschenweinc unter Etiketten verkauft, welche dem Käufcr vortäuschen, ein anderer, als Lieferant von Qualitätsweinen bekannter Händler habe den Wein in die Flaschen abgezogen. In solchen Fällen ist Art. 148 StGB anzuwenden, und zwar, da diese Bestimmung die Tat nach allen Seiten umfasst, unter Ausschluss der Art. 153 und 154. Wie bereits erwähnt, gilt Art. 148 ferner dann, wenn die falsch deklarierte Ware weder nachgemacht noch verfälscht oder im Wertc verringert ist, also der Tatbestand des Art. 154 nicht erfüllt ist."
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Diese Grundsätze wurden im nicht veröffentlichten Urteil vom 11. Oktober 1955 i.S. Chappuis und Chevalley, Erw. 4, bestätigt und näher ausgeführt.
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3. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hechingen legt H. keine über die Falschdeklaration hinausgehende Täuschungshandlung ![]() | 14 |
Die Bundesanwaltschaft will den Vorwurf der Arglist darin erblicken, dass der Haftbefehl erwähnt, H. habe seinen Abnehmern "ausserdem mündlich und schriftlich bestätigt, dass es sich um verkehrsfähigen echten Weinbrand handle". Das Feilbieten oder sonstige Inverkehrbringen gefälschter Ware "als echt, unverfälscht oder vollwertig" ist jedoch gerade das wichtigste Tatbestandsmerkmal des Art. 154 StGB. Der Vorhalt, H. habe - auf Anfrage oder von sich aus - die Echtheit und Verkehrsfähigkeit der Ware entgegen ihrer wirklichen Beschaffenheit mündlich und schriftlich bestätigt, betrifft eine Handlungsweise, die durchaus in den Rahmen des Art. 154 StGB fällt; es handelt sich dabei nicht um eine darüber hinausgehende arglistige Vorkehrung, welche die Anwendung des Art. 148 StGB zu begründen vermöchte.
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Die Bundesanwaltschaft macht ferner geltend, H. sei sich der Schwierigkeit der Prüfung der gelieferten Spirituosen durch die Abnehmer bewusst gewesen; er habe selber darauf hingewiesen. Dieses Argument kann nicht gehört werden. Da es beim Entscheid über die Auslieferung nicht auf die tatsächlichen Vorgänge, sondern auf den Gegenstand der Anklage bildenden Sachverhalt ankommt, sind ausserhalb desselben liegende Geschehnisse selbst dann für den Auslieferungsrichter unbeachtlich, wenn sie vom Auszuliefernden zugestanden werden. Eine derartige Zugabe liegt hier übrigens entgegen der Meinung der Bundesanwaltschaft nicht vor (wird näher ausgeführt).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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