BGE 88 I 48 | |||
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9. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Februar 1962 i.S. F. gegen Standeskommission von Appenzell I. Rh. | |
Regeste |
Scheidung schweizerischer Ehegatten im Ausland, Art. 7 g Abs. 3 NAG. | |
Sachverhalt | |
A.- Die Schweizerin Klara M. von Appenzell heiratete 1955 in Alexandria einen ägyptischen Offizier, behielt jedoch das Schweizerbürgerrecht bei. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor. Von 1959 an wurde der Ehemann wiederholt für längere Zeit zur Ausbildung nach Moskau abkommandiert, während sich die Ehefrau mit dem Kinde zu ihren Eltern in die Schweiz begab. Vor einer neuen Abreise nach Moskau hielt sich der Mann im Oktober 1960 eine Woche mit der Frau bei deren Eltern im Kanton Zürich auf. Während dieses Zusammenseins kamen die Eheleute überein, dass der Mann in Moskau die Scheidung durchführe. Am 31. Oktober 1960 vollzog Oberst F. in Moskau vor dem 1. Sekretär und Konsularbeamten der Botschaft der VAR und zwei Leutnants als Zeugen die "Scheidung" gemäss dem Recht seines Landes, worüber der Beamte eine Bescheinigung ausstellte. Einige Tage vor diesem Akt hatte sich die Ehefrau in Zürich niedergelassen. Im April 1961 schickte die Einwohnerkontrolle der Stadt Zürich eine Bestätigung des hiesigen Generalkonsulats der VAR über die rechtskräftig erfolgte Scheidung an das Zivilstandsamt der Heimatgemeinde der Frau, Appenzell. Dieses ersuchte das Eidg. Amt für das Zivilstandswesen um Mitteilung, ob die Scheidung rechtsgültig sei und in den Registern eingetragen werden könne. Das Eidg. Amt übermittelte die Akten der Standeskommission des Kantons Appenzell I. Rh. (als kantonale Aufsichtsbehörde über das Zilvilstandswesen) zur Prüfung der Frage der Eintragung gemäss Art. 137 ZStV.
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Die Standeskommission hat die Eintragung abgelehnt, weil die Ehefrau zur Zeit des Scheidungsaktes von Moskau bereits wieder einen eigenen Wohnsitz in Zürich gehabt habe und weil die nach muselmanischem Recht vorgenommene einseitige Auflösung der Ehe der schweizerischen Rechtsauffassung widerspreche.
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B.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss Art. 99 I lit. c OG beantragt Frau F.-M. Eintragung der Scheidung. Sie führt aus, sie habe am 30. Oktober 1960 in der Schweiz noch nicht Wohnsitz gehabt, sondern noch denjenigen des Ehemannes in Ägypten geteilt. Sie sei mit der Scheidung einverstanden gewesen und habe an der Ehe keinerlei Interesse mehr. Würde die Scheidung in der Schweiz nicht anerkannt und eingetragen, so müsste sie in Zürich ein neues Scheidungsverfahren einleiten.
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C.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragt in seiner Vernehmlassung (gemäss Art. 108 Abs. 2 OG) Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Es kann indessen dahingestellt bleiben, ob diese Umstände ausreichen, um für Ende Oktober 1960 einen schweizerischen Wohnsitz der Beschwerdeführerin anzunehmen, der auch schon als ihr Scheidungsgerichtsstand genügt hätte. Selbst wenn die Beschwerdeführerin noch in Ägypten Wohnsitz gehabt hätte, fehlt es an andern Voraussetzungen zur Anerkennung. Art. 7 g Abs. 3 NAG setzt voraus, dass die Scheidung durch ein (zuständiges) Gericht ausgesprochen worden sei. Nach der Praxis ist dabei "Gericht" im weiteren Sinne von "Behörde" zu verstehen. Wenn die lex fori eine Verwaltungsbehörde für die Scheidung zuständig erklärt, so ist die von ihr ausgesprochene der gerichtlichen Scheidung gleichzuhalten. Das Gleiche gilt für Konsulargerichte bezw. -Behörden (vgl. Kommentare zu Art. 7 g NAG: STAUFFER, N. 4, BECK, N. 130 und dortige Zitate). Dabei ist jedoch vorausgesetzt, dass der zuständigen Behörde eine entscheidende Mitwirkung zukomme, also die Befugnis einer Prüfung der materiellrechtlichen Grundlagen der Scheidung und die Befugnis der Gutheissung oder Abweisung des Scheidungsbegehrens, sodass im Falle der Gutheissung die Scheidung von der Behörde ausgesprochen ist, ihre konstitutive Kraft von deren behördlicher Autorität bezieht. Das Eherecht der VAR für Ägypten kennt die Auflösung der Ehe durch Verstossung und durch "Scheidung zufolge gegenseitigen Einverständnisses" (BERGMANN, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, S. 48, 56). Die Verstossung kann eine widerrufliche (radjii) oder unwiderrufliche (baïn) sein; unwiderruflich und endgültig ist sie dann, wenn sie dreimal erfolgt oder wenn beim ersten Mal bestimmte Formeln verwendet werden (Art. 226 des ägypt. Gesetzbuches über das Personenrecht und die Erbfolge... von 1875). Die widerrufliche Verstossung wird jedoch mit dem Ende des 10. Tages nach der Wartezeit (Ende der 3. Menstruation der Frau) endgültig (baïn; Art. 241 des Gesetzbuches; BERGMANN S. 51). Die Wendung in der Übersetzung des "Certificat de divorce" von Moskau "Le divorce demandé est susceptible d'être annulé ou renouvelé" zeigt, dass es sich um eine Verstossung - vorerst radjii - handelte, die gemäss Art. 241 baïn wurde. Die Verstossung wird durch einseitige Erklärung des Ehemannes ausgesprochen. Der Konsularbeamte der VAR in Moskau hat einfach die Erklärung des Ehemannes entgegengenommen und darüber unter Beizug von zwei Zeugen das "Certificat de divorce" erstellt, wonach die Scheidung erfolgt sei. Es hat mithin weder ein kontradiktorisches Scheidungsverfahren stattgefunden, in dem die Ehefrau sich hätte verteidigen können, noch wurde geprüft, ob ein Scheidungsgrund (nach ägyptischem Recht) vorlag, noch hat eine Behörde ein Urteil gefällt und die Scheidung ausgesprochen. (Übrigens verhält es sich bei der "Scheidung durch gegenseitiges Einverständnis" gemäss Art. 273 ff. des Gesetzbuches nicht anders, bezüglich deren Art. 278 Abs. 2 sagt: "Sie kann gültig durch den Mann ausgesprochen werden, ohne dass es einer gerichtlichen Handlung bedarf"; BERGMANN, S. 56).
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Nach ständiger Rechtsprechung darf die Anerkennung gemäss Art. 7 g Abs. 3 NAG auf solche Eheauflösung durch einseitige Verstossung nicht ausgedehnt werden (BECK, zu Art. 7 g N. 131 und dortige Hinweise). Die Verstossung ohne jedes Recht der Verteidigung vor einer erkennenden Behörde ist mit den Grundprinzipien der schweizerischen Rechtsordnung unvereinbar (vgl. BGE 74 II 56 f., 85 I 47). Dass in casu die Beschwerdeführerin den Vorbehalt des schweizerischen ordre public nicht anruft, sondern im Gegenteil die Anerkennung der Eheauflösung verlangt, kann dieser Beurteilung nicht entgegenstehen. Die Verstossung widerspricht schon rein begrifflich der in Art. 7 g Abs. 3 NAG genannten doppelten Voraussetzung, dass die Scheidung durch ein Gericht, d.h. eine erkennende Behörde ausgesprochen, also nicht bloss vor einer lediglich registrierenden Amtsperson durch eine Partei erklärt worden sei. Die gegenteilige Auffassung lässt sich auch nicht aus der allgemeinen ratio legis dieser Bestimmung ableiten. Indem sie bestimmt, dass eine im Ausland ausgesprochene Scheidung dort domizilierter Schweizer auch dann anerkannt wird, wenn die Scheidung nach schweizerischem Recht nicht begründet gewesen wäre, bringt sie den Gedanken zum Ausdruck, dass unsere eherechtlichen Auffassungen gegenüber ausländischen Scheidungsurteilen im Interesse einer liberalen Handhabung des internat. Privatrechts weitgehend zurückzutreten haben (vgl. STAUFFER, a.a.O., N. 7). Diese Zurückhaltung bezieht sich indessen auf die materiellrechtlichen Scheidungsgründe nach ausländischem Recht. In casu weiss man von einem "Scheidungs" - Grund überhaupt nichts; es ist die Institution der willkürlichen Verstossung als solche sowie das bezügliche Verfahren, die sich nicht unter Art. 7 g Abs. 3 NAG subsumieren lassen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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