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15. Urteil vom 4. Juli 1962 i.S. E. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft. | |
Regeste |
Auslieferung. |
Begriff der gewerbsmässigen Abtreibung (Art. 119 Ziff. 3 StGB). | |
Sachverhalt | |
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B.- Dr. E. hat gegen die Auslieferung Einsprache erhoben. Sein Vertreter wendet unter Berufung auf ein Gutachten von Prof. Hans Schultz in Bern ein, nach schweizerischem Recht sei der Vorwurf der Gewerbsmässigkeit nicht begründet; es liege vielmehr einfache Drittabtreibung vor, deren Verfolgung gemäss Art. 119 Ziff. 1 Abs. 2 StGB in zwei Jahren verjähre. Die dem Einsprecher zur Last gelegten Handlungen seien somit nach schweizerischem Recht verjährt. Das habe gemäss Art. 5 des schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrags zur Folge, dass die Auslieferung nicht stattzufinden habe.
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C.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat die Akten samt Sachbericht dem Bundesgericht unterbreitet, damit es über die Auslieferung entscheide.
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Die Bundesanwaltschaft hat sich im wesentlichen der Betrachtungsweise des Vertreters des Einsprechers angeschlossen; sie beantragt, die Auslieferung sei zu verweigern.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Es fragt sich dagegen, ob die Auslieferung gestützt auf Art. 5 des Auslieferungsvertrags zu verweigern sei. Danach soll die Auslieferung nicht stattfinden, wenn nach ![]() | 7 |
Art. 119 Ziff. 1 Abs. 2 des schweizerischen StGB lässt als Sonderbestimmung die Verfolgung der (einfachen) Abtreibung durch Drittpersonen in zwei Jahren verjähren; die absolute Verjährung tritt somit nach drei Jahren ein (Art. 72 Ziff. 2 Abs 2 letzter Satz StGB). Die Verjährung der qualifizierten Drittabtreibung im Sinne von Art. 119 Ziff. 2 und 3 StGB richtet sich dagegen nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften; sie tritt demgemäss nach zehn und (absolut) nach fünfzehn Jahren ein. Da die Dr. E. zur Last gelegten Handlungen mehr als drei Jahre zurückliegen, kommt es entscheidend darauf an, ob sie unter die Ziff. 1 oder unter die Ziff. 2 bzw. 3 des Art. 119 StGB fielen. Der Haftbefehl beschuldigt Dr. E. nicht, er habe ohne Einwilligung der Schwangeren gehandelt. Der Tatbestand des Art. 119 Ziff. 2 StGB fällt daher in diesem Zusammenhang ausser Betracht. Die Abtreibungen, die Dr. E. zu verantworten hat, hatten keinen tödlichen Ausgang. Art. 119 Ziff. 3 StGB und die damit verbundene ordentliche Verjährungsfrist greifen demnach nur Platz, wenn die im Haftbefehl umschriebenen Handlungen als gewerbsmässig zu bezeichnen sind.
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Der Haftbefehl wirft Dr. E. ausdrücklich vor, er habe sich gewerbsmässig vergangen. Damit wird der Sachverhalt nach deutschem Recht gewürdigt. Der Auslieferungsrichter, der die geltend gemachten Tatumstände nach schweizerischem Recht zu beurteilen hat, wird durch diese Stellungnahme nicht gebunden. Er hat vielmehr zu prüfen, ob die einzelnen tatsächlichen Vorhalte des Strafbefehls ![]() | 9 |
Wie der Kassationshof in zahlreichen Urteilen erkannt hat, entnimmt der Begriff der gewerbsmässigen Begehung strafbarer Handlungen seine Merkmale dem des erlaubten Gewerbes. Gewerbsmässigkeit liegt demgemäss immer dann vor, wenn der Täter mit der dem Gewerbebetrieb eigenen Bereitschaft, um des Erwerbes willen gegenüber unbestimmt vielen zu handeln, die Tat wiederholt, wo immer sich passende Gelegenheit bietet (BGE 70 IV 135;BGE 71 IV 85Erw. 2, 115;BGE 72 IV 109;BGE 74 IV 141Erw. 2;BGE 76 IV 239Erw. 4;BGE 78 IV 154;BGE 79 IV 11, 118; BGE 81 IV 36; BGE 86 IV 10, 207). Nicht erforderlich ist, dass die Absicht, sich durch das Verbrechen Einnahmen zu verschaffen, einziger oder vorherrschender Beweggrund sei; denn ein Gewerbe kann auch aus andern Motiven, wie aus Freude am Beruf, aus Nächstenliebe und dergleichen ausgeübt werden (BGE 72 IV 109;BGE 78 IV 156;BGE 79 IV 13, 119). Die für die Gewerbsmässigkeit kennzeichnende Bereitschaft, gegenüber unbestimmt vielen zu handeln, ist ihrerseits nicht nur dann gegeben, wenn der Täter unterschìedslos gegenüber jedermann handeln will. Wie der Inhaber eines erlaubten Gewerbes seine Kunden ausssuchen kann, so kann sich auch der gewerbsmässig vorgehende Verbrecher an Personen oder Personengruppen halten, die bestimmte von ihm als günstig bewertete Voraussetzungen erfüllen; so kann sich beispielsweise ein Abtreiber veranlasst sehen, nur vertrauenswürdigen Bekannten die Leibesfrucht abzutöten (BGE 79 IV 13mit Verweisungen). Diese Beschränkung in der Wahl der Opfer macht es möglich, dass der Täter während einer gewissen Zeitspanne seinen verbrecherischen Willen nur gegenüber einer einzigen Person verwirklicht, während es ![]() | 10 |
Der Haftbefehl legt Dr. E. viermalige Abtreibung zur Last. Dr. E. soll in allen Fällen im Auftrag B.s gehandelt haben; seine Opfer waren die erste und die zweite Frau des Auftraggebers. Dr. E. stand indes weder zu diesem noch zu den Opfern in näheren Beziehungen. Dass Dr. E. im Herbst 1954 und im Laufe des Jahres 1955, also während längstens eineinviertel Jahren, nicht weniger als drei Eingriffe an Waltraut B. vornahm, zeigt, dass er bei jedem Auftreten einer neuen Schwangerschaft zur Tat bereit war. Dass sich seine Bereitschaft nicht nur auf dieses bestimmte Opfer bezog, erhellt daraus, dass er auch bei Ute B. einen Eingriff vornahm. Wohl kam es erst rund zweiunddreiviertel Jahre nach der letzten Abtreibung an Waltraut B. zum Eingriff bei Ute B. Das lässt sich indes nicht damit erklären, dass Dr. E. Hemmungen gehabt hätte, sich ein neues Opfer zu wählen. Der zeitliche Abstand zwischen dem dritten und dem vierten Fall ist vielmehr offentsichtlich darauf zurückzuführen, dass B. in der Zwischenzeit die Hilfe Dr. E.s nicht benötigte. Für die Eingriffe liess sich Dr. E. laut Haftbefehl 350, 400, 500 und nochmals mindestens 500 DM bezahlen. Da er keine persönlichen Gründe für die Tat hatte, ist zu schliessen, dass er um des Erwerbes willen handelte.
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Zusammengefasst ergibt sich, dass die im Haftbefehl umschriebenen Umstände im Lichte der Rechtsprechung des Kassationshofs geeignet sind, den Vorwurf der Gewerbsmässigkeit zu begründen. Dass Dr. E. nicht auf die ![]() | 12 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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