![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
27. Urteil vom 17. Oktober 1962 i.S. N. gegen N. und Kantonsgericht Zug. | |
Regeste |
Art. 61 BV. Einrede der abgeurteilten Sache. |
Einrede der abgeurteilten Sache im Ehescheidungsprozess. |
- Abgrenzung zwischen Bundes- und kantonalem Recht. Verhältnis zwischen Berufung und staatsrechtlicher Beschwerde (Erw. 3). |
- Materielle Rechtskraft der Verfügung, mit welcher eine Scheidungsklage wegen Rückzugs abgeschrieben wird, insbesondere wenn der Rückzug erfolgte, bevor die Klage begründet wurde (Erw. 4, 5). | |
Sachverhalt | |
1 | |
a) Am 1. Oktober 1959 reichte der Ehemann beim Bezirksgericht Zürich Klage auf Scheidung der Ehe ein. Am 12. Januar 1960, zwei Tage vor der auf 14. Januar angesetzten Hauptverhandlung, zog er die Klage wieder zurück mit der Erklärung:
| 2 |
"Die Beklagte hat anlässlich der letzten Verhandlung die Zuständigkeit des hiesigen Gerichtes in Zweifel gezogen. Der Kläger hat sich daher entschlossen, die Klage hierorts zurückzuziehen und sie in Stuttgart anhängig zu machen."
| 3 |
4 | |
Mit Beschluss vom 16. Februar 1960 schrieb das Bezirksgericht Zürich "den Prozess als durch Rückzug erledigt" ab. Es nahm an, die Erklärung des Klägers vom 12. Januar 1960 lasse keine andere Deutung zu, als dass er die Klage zurückziehe. Der Prozess müsse daher abgeschrieben werden. Für die Prüfung der Frage, welche Rechtswirkung diesem Rückzug sonst noch zukommen könnte, bestehe infolgedessen weder Anlass noch Möglichkeit.
| 5 |
b) Im März 1960 hob der Ehemann bei dem für G. zuständigen Landgericht Heilbronn Scheidungsklage an, während die Ehefrau in Zürich ein Gesuch um Eheschutzmassnahmen stellte. Der Ehemann bestritt die Zuständigkeit der Zürcher Gerichte wegen der in Heilbronn angehobenen Klage, wurde aber abgewiesen, zuletzt durch Urteil des Bundesgerichtes vom 13. September 1960 mit der Begründung, dass die Ehefrau in Zürich einen selbständigen Wohnsitz habe und dass daher die in Heilbronn angehobene Scheidungsklage nach Art. 3 des schweiz./deutschen Vollstreckungsabkommens in Verbindung mit Art. 7 g Abs. 3 NAG nicht zulässig sei (BGE 86 II 303 ff.). Dieser Entscheid veranlasste den Ehemann, die Klage in Heilbronn am 14. Februar 1961 zurückzuziehen.
| 6 |
c) Am 17. Mai 1962 reichte der Ehemann, der sich inzwischen in Zug niedergelassen hatte, beim dortigen Kantonsgericht Klage ein mit dem Begehren, die Ehe der Parteien nach Art. 138, eventuell Art. 142 ZGB zu scheiden. Die Ehefrau bestritt mit Eingabe vom 18. Juni 1962 die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Richters, und erhob wegen der in Zürich angehobenen und wieder zurückgezogenen Klage die Einrede der abgeurteilten Sache.
| 7 |
Das Kantonsgericht Zug führte ein Beweisverfahren über die Zuständigkeitsfrage durch und wies dann mit Beschluss vom 6. Juli 1962 die Einreden der örtlichen Unzuständigkeit und der abgeurteilten Sache ab, die letztere im wesentlichen aus folgenden Erwägungen: Mit der ![]() | 8 |
B.- Mit des staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Frau N., den Beschluss des Kantonsgerichts Zug vom 6. Juli 1962 aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuweisen. Sie macht Verletzung des Art. 61 BV geltend ![]() | 9 |
C.- Das Kantonsgericht Zug und der Beschwerdegegner N. beantragen die Abweisung der Beschwerde.
| 10 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
11 | |
2. Nach Art. 61 BV sollen die rechtskräftigen Zivilurteile, die in einem Kanton gefällt worden sind, in der ganzen Schweiz vollzogen werden. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass die Kantone die in andern Kantonen ergangenen rechtskräftigen Zivilurteile nicht nur zu vollstrecken, sondern auch in allen andern Beziehungen, so insbesondere hinsichtlich der Einrede der abgeurteilten Sache, grundsätzlich wie die Entscheidungen der eigenen Gerichte zu beachten haben (BGE 71 I 26Erw. 4, BGE 87 I 66 lit. a). Als Zivilurteil gilt dabei nicht nur der Entscheid über einen zwischen den Parteien ![]() | 12 |
3. Das Eintreten auf die Beschwerde kann auch nicht etwa deshalb abgelehnt werden, weil die behauptete Rechtsverletzung jetzt oder im Anschluss an das Endurteil mit der Berufung beim Bundesgericht gerügt werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG). Die Einrede der abgeurteilten Sache untersteht nicht in ihrem ganzen Umfang dem Bundesrecht, sondern grundsätzlich dem kantonalen Recht. Aus dem Bundesprivatrecht folgt zwar nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass in einem Prozess über einen bundesrechtlichen Anspruch ein früheres Urteil nur dann als verbindlich erkannt werden darf, wenn dieser Prozess und das frühere Urteil die gleichen Parteien und den gleichen Streitgegenstand betreffen. Dagegen hindert das Bundesrecht (von Art. 61 BV abgesehen) den kantonalen Richter nicht, einen bundesrechtlichen Anspruch, der bereits Gegenstand eines rechtskräftigen Urteils bildet, in einem Verfahren zwischen den gleichen Parteien neuerdings zu beurteilen. Mit der Berufung kann daher nur geltend gemacht werden, die Einrede der abgeurteilten Sache sei zu Unrecht geschützt worden; dass sie, wie vorliegend behauptet wird, zu Unrecht verworfen worden sei, kann dagegen nur mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden (BGE 75 II 290undBGE 78 II 401ff. sowie die dort ![]() | 13 |
Das hier über die Einrede der abgeurteilten Sache und über das Verhältnis zwischen Berufung und staatsrechtlicher Beschwerde Gesagte gilt grundsätzlich auch für den Ehescheidungsprozess. Zwar ist nach der Rechtsprechung eine neue Klage aus dem gleichen Scheidungsgrund zuzulassen, wenn damit neben den früher beurteilten neue erhebliche Tatsachen geltend gemacht werden, wobei es sich sowohl um erst nach Abschluss des ersten Prozesses eingetretene als auch um schon früher vorhandene und bekannt gewesene, aber in jenem Prozess aus irgendeinem Grunde nicht geltend gemachte Tatsachen handeln kann (BGE 78 II 403Erw. 2 und BGE 85 II 59 Erw. 2). Das ändert jedoch nichts daran, dass mit der Berufung nur geltend gemacht werden kann, das kantonale Gericht habe die Einrede der abgeurteilten Sache zu Unrecht geschützt. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Rüge, das Kantonsgericht habe es zu Unrecht abgelehnt, die vom Bezirksgericht Zürich wegen Klagerückzugs erfolgte Abschreibung des Prozesses unter dem Gesichtspunkt der materiellen Rechtskraft einem jene Klage abweisenden Urteil gleichzustellen, kann daher nur mit der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des Art. 61 BV geltend gemacht werden.
| 14 |
4. Das Kantonsgericht hat diese Gleichstellung in erster Linie deshalb abgelehnt, weil der Beschwerdegegner die Klage in Zürich wegen Zweifeln an der örtlichen Zuständigkeit zurückgezogen habe, um sie sofort an dem von ihm als zuständig erachteten Orte wieder einzureichen. Dass der Kläger mit dem Rückzug nicht auf den Scheidungsanspruch, sondern lediglich auf den zunächst in Anspruch genommenen Gerichtsstand verzichten wollte, kann nach dem Wortlaut und Sinn der Rückzugserklärung nicht zweifelhaft sein. Fragen kann sich nur, ob die Zürcher Gerichte wirklich unzuständig waren, ob der Beschwerdegegner nach Zürcher Prozessrecht befugt war, die ![]() | 15 |
16 | |
Die Einrede der abgeurteilten Sache ist aber auch unbegründet, soweit die in Zug eingereichte Klage mit Tatsachen begründet wird, die vor dem Rückzug der Zürcher Klage vorhanden und bekannt gewesen sind. Solche Tatsachen sind, wie bereits in Erw. 3 ausgeführt, nach der Rechtsprechung der II. Zivilabteilung im späteren Verfahren zu berücksichtigen, wenn sie im früheren Verfahren aus irgendeinem Grunde nicht geltend gemacht worden sind (BGE 78 II 403/4, BGE 85 II 59 /60). Dies trifft aber für alle mit der Zuger Klage geltend gemachten früheren Tatsachen zu, da der Beschwerdegegner die Zürcher Klage vor der Hauptverhandlung, in welcher er das Scheidungsbegehren ![]() | 17 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 18 |
19 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |