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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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17. Urteil vom 20. März 1963 i.S. Gemeinde Speicher gegen Hohl und Regierungsrat des Kantons Appenzell A. Rh. | |
Regeste |
Gemeindeautonomie. |
Die Gemeindeautonomie ist nur verletzt, wenn sich eine kantonale Behörde eine Zuständigkeit anmasst, die nach kantonalem Verfassungs- oder Gesetzesrecht der Gemeinde zusteht, nicht aber dann, wenn sie bei der ihr zustehenden Überprüfung eines gemeinderätlichen Entscheids das in Betracht fallende Recht unrichtig oder willkürlich auslegt oder anwendet (Erw. 2). |
Sind die Gemeinden des Kantons Appenzell A.Rh. inbezug auf die Rechtsetzung und Rechtsanwendung im Gebiet des Bauwesens autonom? (Erw. 2). | |
Sachverhalt | |
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Die Gemeinde Speicher hat am 18. Mai 1947 ein Baureglement erlassen, das vom Regierungsrat am 15. September 1947 genehmigt worden ist und in Art. 9 bestimmt, dass der Gemeinderat über Gebiete, für welche er die Aufstellung oder Abänderung eines Überbauungsplanes ![]() | 2 |
B.- Die Gemeinde Speicher bemüht sich seit Jahren, die vom Höhenweg sich bietende Rundsicht zu schützen, und hat unter anderm dazu beigetragen, dass einige südlich des Weges gelegene Grundstücke mit einer Bauverbotsdienstbarkeit belastet wurden, darunter auch die Paul Hohl gehörende Parzelle Nr. 860. Hohl möchte nun dort ein Einfamilienhaus mit Garage erstellen und liess sich dafür vom Eigentümer der benachbarten und nicht mit dem Bauverbot belasteten Parzelle Nr. 467 die Abtretung eines 532 m2 haltenden Abschnitts versprechen. Am 1. März 1962 ersuchte Hohl den Gemeinderat Speicher um die Bewilligung, auf diesem Abschnitt gemäss vorgelegten Plänen ein (das Niveau des Höhenweges um 4 m überragendes) Haus zu errichten. Der Gemeinderat beschloss am 2. März 1962, die Baubewilligung gemäss Plänen und Situation zu erteilen unter der Bedingung, dass der höchste Punkt der Baute nicht höher als das Strassenniveau zu stehen komme. Hohl focht diese Bedingung durch Rekurs beim Regierungsrat an. Dieser hob die Bedingung mit Entscheid vom 16. Mai 1962 auf, da sie zwar im öffentlichen Interesse liege, aber weder im kantonalen Recht noch im Gemeindebaureglement eine gesetzliche Grundlage habe.
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Nachdem Hohl mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 15. Juni 1962 den als Hausplatz vorgesehenen, mit seiner Parzelle Nr. 860 vereinigten Absehnitt von Parzelle Nr. 467 gekauft hatte, ersuchte sein Architekt am 19. Juni 1962 nochmals um Erteilung der Baubewilligung.
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Inzwischen hatte der Gemeinderat am 7. Juni 1962 auf Grund von Art. 9 des Gemeindebaureglementes beschlossen, über die Parzellen Nr. 467, 622 und 884 die Bausperre zu verhängen. Gegen diesen den Grundeigentümern sowie Hohl am 12. bzw. 17. Juli 1962 eröffneten Beschluss rekurrierte ![]() | 5 |
Mit Entscheid vom 20. November 1962 hat der Regierungsrat in Gutheissung des Rekurses Hohls dessen "bereits bewilligtes Projekt für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf der Parzelle Nr. 860 von der vom Gemeinderat Speicher verhängten Bausperre ausgenommen". Zur Begründung führte er aus: Das Bauprojekt des Rekurrenten sei am 2. März/16. Mai 1962 rechtskräftig bewilligt worden. Ein Widerruf der Baubewilligung wäre nur möglich, wenn seit ihrer Erteilung neue erhebliche Umstände eingetreten wären. Das behaupte der Gemeinderat aber nicht. Da er die Revision des Gemeindebaureglements schon am 1. Dezember 1961 beschlossen habe, hätte er die Bausperre schon bei der Einreichung des Baugesuchs Hohls anordnen können, falls sie sich als nötig erwiesen hätte. Er habe dies nicht getan und die Baubewilligung unter einer (vom Regierungsrat wieder aufgehobenen) Bedingung erteilt. Die Bausperre bezwecke, die vom Regierungsrat als rechtswidrig erklärte Bedingung doch noch durchzusetzen und rechtskräftige Entscheide zu umgehen. Ein solches Vorgehen könne nicht geschützt werden.
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C.- Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates hat die Gemeinde Speicher staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie wirft dem Regierungsrat Verletzung der in Art. 72 KV allgemein und in Art. 74 Ziff. 8 für das Bauwesen gewährleisteten Gemeindeautonomie vor. Da die streitige ![]() | 7 |
D.- Der Regierungsrat des Kantons Appenzell A.Rh. verweist auf den angefochtenen Entscheid und bestreitet die Beschwerdelegitimation der Gemeinde Speicher. Der Beschwerdegegner Jakob Hohl beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Die Gemeindeautonomie bedeutet die Zuständigkeit der Gemeinde zur selbständigen Erfüllung gewisser ![]() | 10 |
a) Die Beschwerdeführerin geht davon aus, dass die Befugnis zur Rechtsetzung auf dem Gebiete des Bauwesens den Gemeinden nicht durch ein kantonales Gesetz delegiert worden sei, sondern unmittelbar auf Grund der KV zustehe. In der Tat nennt Art. 74 KV bei den "Obliegenheiten und Befugnissen" der Einwohner-Gemeindeversammlungen auch die "Aufstellung von Baureglementen im Rahmen der hierüber erlassenen Gesetze" (Ziff. 8). Daraus folgt aber nicht ohne weiteres, dass der Erlass von Baureglementen zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinde gehöre, da Art. 74 KV auch Befugnisse erwähnt, die zweifellos zum übertragenen Wirkungskreis gehören, wie der "Erlass von Ausführungsreglementen in den von der Gesetzgebung vorgesehenen Fällen" (Ziff. 10). Dazu kommt, dass die Gemeindebaureglemente, im Gegensatz zu den Verordnungen und Reglementen über andere Gebiete der Gemeindeverwaltung (Ziff. 7), nach Art. 74 Abs. 2 KV der Genehmigung des Regierungsrates unterliegen und dass diese Genehmigung nach Art. 98 Abs. 3 EG/ZGB Gültigkeitserfordernis ist. Was insbesondere die Sicherung von Landschaften und Aussichtspunkten betrifft, so wird die Aufstellung von Vorschriften hierüber in Art. 98 Abs. 1 EG/ZGB dem Kanton übertragen und in Abs. 2 bei der Umschreibung des Inhalts der Gemeindebaureglemente nicht erwähnt. Ob und inwieweit die Gemeinden auf dem Gebiete des Bauwesens inbezug auf die Rechtsetzung autonom sind, braucht indes vorliegend nicht entschieden zu werden, da der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid weder eine von der Beschwerdeführerin erlassene Bestimmung eines Baureglements aufgehoben ![]() | 11 |
b) Über den Umfang der Autonomie in diesem Bereich enthält die Beschwerde keine näheren Ausführungen. Die Beschwerdeführerin scheint davon auszugehen, dass aus der von ihr beanspruchten Autonomie inbezug auf die Rechtsetzung ohne weiteres die Autonomie inbezug auf die Anwendung des von ihr autonom gesetzten Rechtes folge. Das ist jedoch nicht der Fall. Es ist durchaus möglich, dass die Autonomie der Gemeinden auf einem Gebiete inbezug auf die Rechtsetzung weiter ist als inbezug auf die Rechtsanwendung (vgl. inbezug auf die Autonomie der bündnerischen Gemeinde auf dem Gebiete des Steuerwesens das nicht veröffentl. Urteil vom 4. Oktober 1961 i.S. Gemeinde Poschiavo Erw. 2), wenn auch das Gegenteil häufiger sein mag (vgl. GIACOMETTI, a.a.O. S. 80 Anm. 31). Ob und inwieweit die Gemeinden im Kanton Appenzell A.Rh. auf dem Gebiete des Bauwesens autonom sind, beurteilt sich daher für den Bereich der Rechtsanwendung unabhängig vom Umfang ihrer Rechtsetzungsautonomie auf diesem Gebiete.
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Nach Art. 82 KV sowie Art. 16 EG/ZGB (vgl. auch Art. 52 Ziff. 9 KV) kann gegen alle Verfügungen und Beschlüsse der Gemeindebehörden an den Regierungsrat rekurriert werden. Dafür, dass mit diesem Rekurs lediglich gerügt werden könnte, die angefochtenen Verfügungen verstiessen gegen kantonales oder eidgenössisches Recht, nicht auch, dass sie auf einer unrichtigen Auslegung und Anwendung von Gemeindereglementen beruhten, enthalten die genannten Bestimmungen keine Anhaltspunkte, noch wird von der Beschwerdeführerin behauptet, die Überprüfungsbefugnis des Regierungsrates sei in diesem Sinne beschränkt. Die Beschwerdeführerin ![]() | 13 |
Die Beschwerdeführerin scheint mit IMBODEN (Gemeindeautonomie und Rechtsstaat, Festgabe für Giacometti 1953 S. 103) der Auffassung zu sein, dass die Gemeindeautonomie auch verletzt sei, wenn eine kantonale Behörde bei der Anwendung von Gemeinderecht dieses unrichtig auslege. Diese Auffassung beruht indessen auf einer Verkennung des Wesens der Gemeindeautonomie als eines Problems der Zuständigkeit und Befugnisse der Gemeinde und ist bereits in BGE 83 I 123 Erw. 3 mit eingehender Begründung, auf die hier verwiesen wird, widerlegt worden. Die Gemeindeautonomie ist, wie dort dargelegt wurde, nur verletzt, wenn sich eine kantonale Behörde eine ![]() | 14 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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