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47. Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Juni 1963 i.S. Baumberger gegen Regierungsrat des Kantons Bern. | |
Regeste |
Wann ist ein auf Klage einer schweizerisch/ausländischen Doppelbürgerin in ihrem andern Heimatstaat ergangenes Scheidungsurteil in der Schweiz anzuerkennen? Art. 7 g und 7 h NAG. Ausfüllung von Gesetzeslücken. Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB. Tragweite des Art. 144 ZGB.Hat eine gebürtige Ausländerin bei der Heirat mit einem Schweizerbürger ihre angestammte Staatsangehörigkeit beibehalten, so ist die von ihr in ihrem andern Heimatstaat erlangte Ehescheidung gegen den in der Schweiz wohnhaften Ehemann von den schweizerischen Behörden anzuerkennen, |
- ebenso, wenn sie sich ohne solche Berechtigung in ihrem andern Heimatstaat dauernd niedergelassen hatte und ihr als Bürgerin mit gewöhnlichem Aufenthalt im dortigen Staatsgebiet ein Gerichtsstand für die Scheidungsklage zur Verfügung stand (Erw. 5); |
- dagegen nicht bei tatsächlichem Daueraufenthalt der Ehefrau in der Schweiz (Erw. 5). |
Vorbehalt der öffentlichen Ordnung der Schweiz (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
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B.- Auf Klage der Ehefrau sprach die 1. Zivilkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) am 25. Juni 1962 die Scheidung der Ehe aus. Der Ehemann war im Scheidungsprozess durch einen Anwalt vertreten. Er anerkannte die Zuständigkeit des von der Ehefrau angerufenen Gerichts und widersetzte sich der Scheidung nicht. Das Urteil beruht auf § 48 des deutschen Ehegesetzes.
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C.- Das Amt für den Zivilstandsdienst des Kantons Bern lehnte die Eintragung des rechtskräftig gewordenen deutschen Scheidungsurteils im Familienregister der Heimatgemeinde Koppigen ab. Der von Baumberger eingelegte Rekurs mit dem Antrag, dieEintragung sei anzuordnen, wurde vom Regierungsrat des Kantons Bern mit Entscheid vom 21. Dezember 1962 abgewiesen. Dieser Entscheid beruht auf folgenden Erwägungen: Der Ehemann hatte seinen Wohnsitz während des Scheidungsprozesses in der Schweiz, während die Ehefrau in Deutschland wohnte. Nach Art. 7 g Abs. 3 NAG wird die Scheidung schweizerischer Ehegatten durch ein ausländisches Urteil nur dann anerkannt, wenn beide im Ausland wohnen (wobei aufBGE 56 II 341,BGE 64 II 78und BGE 80 II 97 hingewiesen wird).
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D.- Gegen diesen Entscheid hat Baumberger die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Er hält am Begehren fest, das deutsche Scheidungsurteil sei anzuerkennen und dessen Eintragung in das Familienregister von Koppigen anzuordnen.
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E.- Der Regierungsrat beantragt Abweisung der Beschwerde. Im gleichen Sinne lässt sich das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vernehmen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Der Entscheid des Regierungsrates beruht auf Art. 7 g Abs. 3 NAG, wonach "die Scheidung schweizerischer, im Auslande wohnender Ehegatten durch ein nach dortigem Rechte zuständiges Gericht" anzuerkennen ist. Er verneint, dass man es hier mit "im Auslande wohnenden Ehegatten" zu tun habe, da nach der Rechtsprechung beide Ehegatten im Auslande wohnen müssten, jedoch hier der Ehemann seinen Wohnsitz ständig in der Schweiz hatte. In der Tat verlangt die Rechtsprechung zu Art. 7 g Abs. 3 NAG ausländischen Wohnsitz nicht bloss des klagenden, sondern beider Ehegatten (vgl., ausser den ![]() | 8 |
Der Beschwerdeführer hält dafür, diese Einschränkung des Anwendungsgebietes von Art. 7 g Abs. 3 NAG (die übrigens nicht von allen Autoren gebilligt wird, vgl. STAUFFER, N. 3 zu Art. 7 g NAG) sei jedenfalls dann ungerechtfertigt, wenn der klagende Ehegatte neben der schweizerischen noch eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt und die Klage in seinem andern Heimatstaat, wo er wohnt, angehoben hat. Die erwähnte Rechtsprechung stamme aus einer Zeit, in der weder das schweizerische noch das deutsche Bürgerrechtsgesetz der Ehefrau ein Sonderbürgerrecht zugebilligt haben. Das NAG von 1891 regle die Fälle doppelter Staatsangehörigkeit nicht. Es bestehe eine Gesetzeslücke, die unter Berücksichtigung der Rechtsordnung des andern Heimatstaates auszufüllen sei. Die Ehefrau Baumberger sei in Deutschland nach dortigem Rechte gültig geschieden worden und habe sich seither wieder verheiratet. Dieser Änderung der Rechtsverhältnisse könne die Schweiz ihre Anerkennung nicht versagen.
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Demgegenüber will das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement jene nach der Rechtsprechung für die Anwendung von Art. 7 g Abs. 3 NAG bestehende Schranke auch gegenüber der Scheidung auf Klage eines Doppelbürgers gelten lassen. Für die schweizerischen Behörden gelte der Doppelbürger einfach als Schweizerbürger. Das entspricht der Stellungnahme der Justizabteilung in mehreren Bescheiden (vgl. Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1955 Nr. 62 S. 139 und 1956 Nr. 49 S. 143).
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Zur Frage, ob und in welcher Weise Art. 7 g Abs. 3 NAG bei schweizerisch/ausländischem Doppelbürgerrecht des klagenden Ehegatten anwendbar sei, hat die Rechtsprechung bisher nicht in umfassender Weise Stellung genommen. Von den angeführten Entscheidungen bezieht sich nur BGE 80 II 97 ff. auf solche Doppelbürger. Dabei wurde freilich die nach der Rechtsprechung gegenüber Ehegatten ohne ausländisches Bürgerrecht geltende ![]() | 11 |
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4. Wenn Art. 7 g Abs. 3 NAG nach der erwähnten Rechtsprechung die Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils betreffend "schweizerische, im Auslande wohnende Ehegatten" nur zulässt, falls beide Ehegatten im Auslande wohnen, so ist damit gesagt, bei schweizerischem Wohnsitz des beklagten Ehegatten sei es dem allein im Auslande wohnenden Kläger füglich zuzumuten, den ihm ja nach Abs. 1 daselbst zur Verfügung stehenden Gerichtsstand des (schweizerischen) Heimatortes in Anspruch zu nehmen (vgl. die Begründung hiefür in BGE 56 II 341 unten). Dazu tritt die Erwägung, diese Einschränkung des Anwendungsgebietes von Art. 7 g Abs. 3 NAG werde keine internationalen Zuständigkeitskonflikte mit sich bringen: "... Wird sich doch kaum ein ausländisches Gericht mit dem Scheidungsprozess unter Schweizern (vom Standpunkte des Auslandes aus betrachtet: unter Ausländern) abgeben wollen, wenn von vorneherein feststeht, dass sein Scheidungsurteil in der schweizerischen Heimat doch nicht anerkannt werden wird, und anderseits der heimatliche Gerichtsstand zur Verfügung steht" (ebenda S. 341 oben). Gerade diese Erwägung trifft nun aber nicht zu, wenn der klagende Ehegatte neben der schweizerischen noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzt. Zumal wenn er im andern Heimatstaate wohnt, ist sehr wohl damit zu rechnen, dass dieser einerseits ihm gleichfalls einen Gerichtsstand für die Scheidungsklage zur Verfügung stellt und anderseits ein schweizerisches Urteil ![]() ![]() | 14 |
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Zwar kann bei diesem Sachverhalt Art. 7 g Abs. 3 NAG jedenfalls nicht unmittelbar angewendet werden. Setzt er doch, wie dargetan, ausländischen Wohnsitz mindestens des klagenden Ehegatten schweizerischer Nationalität voraus. Es ist auch kein Zweifel, dass der Wohnsitzgerichtsstand des Art. 144 ZGB einer Ehefrau mit rechtlichem Wohnsitz in der Schweiz auch dann (ohne die für einen ausländischen Ehegatten nach Art. 7 h NAG geltenden Beschränkungen) zur Verfügung steht, wenn sie ausser dem schweizerischen noch ein ausländisches Bürgerrecht besitzt. Sodann gilt Art. 144 ZGB als zwingend, soweit nicht abweichende Bestimmungen des NAG eingreifen (BGE 85 II 299).
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Art. 144 ZGB ist jedoch eine Zuständigkeitsnorm des internen schweizerischen Rechtes. Diese Vorschrift befasst sich nicht mit der Frage, ob und wieweit eine zugleich im Ausland nach der dortigen Rechtsordnung bestehende Ehescheidungsgerichtsbarkeit anzuerkennen sei. Es bleibt eine offene Frage, ob die Anrufung eines ausländischen Ehescheidungsrichters bei schweizerischem Wohnsitz nur ![]() | 17 |
Ist der klagende Ehegatte ausschliesslich Schweizerbürger, so liegt es allerdings nahe, ihn bei schweizerischem Wohnsitz (sei dies ein selbständiger oder unselbständiger) durch Gegenschluss aus Art. 7 g Abs. 3 NAG und mit Hinweis auf die für rein ausländische Ehegatten getroffene Regelung des Art. 7 h NAG an den Wohnsitzgerichtsstand des Art. 144 ZGB als einzig zulässigen zu weisen. Die gleiche Lösung drängt sich auf gegenüber einer schweizerisch/ausländischen Doppelbürgerin, die nicht nur ihren rechtlichen Wohnsitz nach Art. 25 Abs. 1 ZGB in der Schweiz hat, sondern auch tatsächlich mit dem Ehemanne zusammen wohnt oder - bei berechtigtem Getrenntleben nach Art. 170 Abs. 1 ZGB - einen selbständigen Wohnsitz im Gebiete der Schweiz genommen hat. Anders kann sich die Zuständigkeitsfrage auf internationalem Boden jedoch dann stellen, wenn eine schweizerisch/ausländische Doppelbürgerin zwar ihren rechtlichen (abgeleiteten) Wohnsitz nach Art. 25 Abs. 1 ZGB in der Schweiz hat, dagegen tatsächlich dauernd getrennt vom Ehemann in ihrem andern Heimatstaate wohnt und dessen Rechtsordnung, an den Daueraufenthalt anknüpfend, ihr ebenfalls einen Gerichtsstand für die Scheidungsklage zur Verfügung stellt. In diesem Falle rechtfertigt sich bei Beurteilung der internationalen Abgrenzung der Gerichtsbarkeit in Scheidungssachen ![]() | 18 |
Der Wohnsitzbegriff enthält rechtliche Elemente, die in den verschiedenen Rechtsordnungen voneinander abweichen. Deshalb wird in neueren Gesetzen wie auch in internationalen Übereinkommen bisweilen der einfachere Begriff des "gewöhnlichen Aufenthaltsortes" verwendet (vgl. SCHNITZER, Handbuch des IPR, 4. Auflage, I 127/28; SCHNITZER, Wohnsitz und Aufenthalt, Schweiz. Jur. Kart. Nr. 946 Ziff. 7; W. v. STEIGER, Der Wohnsitz als Anknüpfungsbegriff im internationalen Privatrecht, Diss. 1934, S. 108 ff.; W. v. STEIGER, in ZbJV 97/1961 S. 461/62). In der Tat ist es wünschbar, bei der Abgrenzung der staatlichen Gerichtsbarkeiten von einheitlichen, möglichst einfachen Begriffen ausgehen zu können. Grundsätzlich rechtfertigt es sich nun, den "gewöhnlichen Aufenthaltsort" einer Person als einen dem "Wohnsitz", zumal einem unselbständigen, fiktiven Wohnsitz, gleichwertigen Anknüpfungsbegriff für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit gelten zu lassen. Dies auch vom Standpunkte der schweizerischen Rechtsordnung aus, da der "gewöhnliche Aufenthaltsort" ungefähr dem tatsächlichen Wohnsitz selbständiger Personen nach Art. 23 ZGB entspricht. Fraglich ist allerdings, wieweit der Berücksichtigung eines auf solcher Grundlage bestehenden ausländischen Gerichtsstandes das den Artikeln 7 g und 7 h NAG in hohem Masse zu Grunde liegende Heimatprinzip entgegensteht. Unter diesem Gesichtspunkt ist zu beachten, dass die aus Deutschland stammende Ehefrau eines Schweizerbürgers, die durch die Heirat dessen Bürgerrecht erworben, jedoch das angestammte deutsche Bürgerrecht gleichwohl beibehalten hat und dauernd vom Ehemanne getrennt in ihrem angestammten Heimatlande wohnt, einerseits - als Schweizerbürgerin ![]() | 19 |
6. Gründe der öffentlichen Ordnung der Schweiz, die der Anerkennung jenes Urteils im vorliegenden Fall entgegenstünden, sind nicht gegeben. Der Ehefrau des Beschwerdeführers kann nicht rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der deutschen Gerichtsbarkeit vorgehalten werden, was allenfalls unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung zu verpönen wäre (vgl. BGE 84 I 122; MERZ, N. 80 zu Art. 2 ZGB; GULDENER, a.a.O. S. 49). Sie hatte ständig am Ort der Klageanhebung gelebt, so dass der dort befindliche "gewöhnliche Aufenthalt" alle Elemente eines tatsächlichen Wohnsitzes im Sinne von Art. 23 ZGB umfasste. Auf das ausländische Scheidungsverfahren hat der Beklagte sich im übrigen eingelassen, und die Parteien wurden, wie das Urteil festhält, "gemäss § 619 ZPO gehört". Somit wurden keine Verfahrensgrundsätze verletzt, die das inländische (schweizerische) Recht als grundlegend betrachtet (vgl. GULDENER, a.a.O. S. 102). Endlich ist in Analogie zu Art. 7 g Abs. 3 NAG nicht zu beanstanden, dass in materieller Hinsicht ausschliesslich ![]() | 20 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern vom 21. Dezember 1962 aufgehoben und das Zivilstandsamt Koppigen, Kanton Bern, angewiesen, das Ehescheidungsurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 25. Juni 1962 betreffend die Eheleute Baumberger-Batscheider im Familienregister einzutragen.
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