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61. Auszug aus dem Urteil vom 27. November 1963 i.S. M. gegen Erben V. und Mieterschutzkommission des Kantons St. Gallen. | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 34 VMK. | |
Sachverhalt | |
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In einem an Frau Anna M. gerichteten Schreiben kündigten die Erben V. als Vermieter am 28. Februar 1963 den Mietvertrag. Frau Anna M. erhob dagegen Einsprache, worauf die Vermieter am 9. März 1963 erklärten, sie liessen diese Kündigung fallen. Gleichentags sprachen sie jedoch gegenüber dem getrennt lebenden Ehemann Josef M., der den Mietvertrag abgeschlossen hatte, die Kündigung aus. Eine Durchschrift dieser Erklärung ging an Frau Anna M., die gegen die Kündigung erneut Einsprache erhob. Josef M. enthielt sich einer Stellungnahme.
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Die Mieterschutzkommission der Stadt St. Gallen erklärte die Kündigung auf Begehren der Frau Anna M. unzulässig. In Gutheissung eines Rekurses der Vermieter hat die kantonale Mieterschutzkommission den Entscheid der städtischen Behörde am 2. Oktober 1963 aufgehoben. Sie hat dabei erkannt, Frau Anna M. sei nicht legitimiert, gegen die an den getrennt lebenden Ehemann gerichtete Kündigung Einsprache zu erheben; ihre Behauptung aber, das Mietverhältnis sei im stillschweigenden Einverständnis der Vermieter auf sie übergegangen, werfe obligationenrechtliche Fragen auf, die der Zivilrichter und nicht die Mieterschutzbehörde zu beurteilen habe.
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Frau Anna M. führte gegen den Entscheid der kantonalen Mieterschutzkommission staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Gemäss Art. 34 Abs. 1 der Verordnung über Mietzinse ![]() | 6 |
Richtig ist, dass damit die Ehefrau als tatsächliche Inhaberin der Wohnung nur dann vor den Folgen der Obdachlosigkeit bewahrt wird, wenn der Ehemann als Mieter ihre Interessen wahrnimmt. Gleich wie in dem in BGE 87 I 444 behandelten Falle ist indessen anzunehmen, dass die Notrechtsetzung diesen Nachteil in Kauf genommen hat, um nicht zu tief in die zivilrechtlichen Verhältnisse eingreifen zu müssen, die (vorbehaltlich des Art. 270 OR) durch das Fehlen vertraglicher Beziehungen zwischen dem Vermieter und den Familienangehörigen des Mieters gekennzeichnet sind. Wird eine Kündigung unzulässig erklärt, so gilt nach Art. 37 Abs. 1 VMK der "Vertrag" als "erneuert", das heisst es kommt zu einer Fortsetzung des bestehenden Mietvertragsverhältnisses. Das ist, abweichende vertragliche Abmachungen vorbehalten, nur möglich ![]() | 7 |
Wenn die kantonale Mieterschutzkommission im nämlichen Sinne entschieden hat, so hat sie demnach nicht willkürlich gehandelt. Ebenso wenig kann ihr eine rechtsungleiche Behandlung vorgeworfen werden, weil sie die Legitimationsfrage früher anders beantwortet habe. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit steht einer sachlich begründeten Praxisänderung nicht entgegen (BGE 78 I 101Erw. 5; BGE 80 I 323; BGE 86 I 326; BGE 89 I 296 Erw. 6 a.E., 303 Erw. 6). An einer solchen Begründung hat es die kantonale ![]() | 8 |
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4. Eine andere Frage ist es, ob die Beschwerdegegner, die von den eingetretenen Veränderungen Kenntnis gehabt haben sollen und die Mietzinszahlungen der Beschwerdeführerin entgegennahmen, nicht stillschweigend der Übernahme des Mietvertragsverhältnisses durch sie zugestimmt hätten, so dass sie nunmehr als Mieterin zu betrachten wäre. Die kantonale Mieterschutzkommission hat sich darauf beschränkt, den Entscheid hierüber dem Zivilrichter vorzubehalten. Diese Stellungnahme hält vor Art. 4 BV stand. Der behauptete Mieterwechsel stellt die obligationenrechtliche Gültigkeit der Kündigung in Frage. Hierüber hat grundsätzlich der Zivilrichter zu befinden. Liegt von seiner Seite noch kein Entscheid vor, so ist zwar die Mieterschutzbehörde frei, sich vorfrageweise (und ohne dass ihre Erwägungen den Zivilrichter binden würden) über die obligationenrechtliche Gültigkeit der Kündigung auszusprechen (BGE 88 I 10 f; BIRCHMEIER, Die Mietnotrechtserlasse des Bundes, S. 15/16 mit Verweisungen; COMMENT, ZBJV 84 S. 158 f. mit Verweisungen). Unter den obwaltenden ![]() | 10 |
Die Beschwerdeführerin wird dadurch nicht um die Möglichkeit gebracht, den behaupteten Mieterwechsel geltend zu machen. Der angefochtene Entscheid weist zutreffend darauf hin, dass sie jenen Einwand im Ausweisungsverfahren (und in einem sich allenfalls daran anschliessenden ordentlichen Prozess) vorbringen kann. Heisst der Zivilrichter ihren Standpunkt gut, so werden die Beschwerdegegner sich zu einer neuen, diesmal an die Beschwerdeführerin gerichteten Kündigung veranlasst sehen, die sie mit einer Einsprache beantworten kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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