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49. Auszug aus dem Urteil vom 16. Dezember 1964 i.S. Süess gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Aargau. | |
Regeste |
Spielapparate. |
2. Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung. Art. 39 lit. b aarg. KV verleiht dem Regierungsrat kein Rechtsverordnungsrecht (Erw. 3). |
3. Willkürliche Anwendung der aarg. Verordnung über die gewerbsmässige Verwendung von Spielautomaten (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- Süess stellte 1962 in Wirtschaften in Oberentfelden und Beinwil am See sogenannte Flipper-Automaten auf. Es handelt sich um Spielgeräte der in BGE 78 I 80 beschriebenen Art, die den Spieler bei Erreichen einer bestimmten Punktzahl zu einem oder mehreren Freispielen zulassen. Das Bezirksgericht Aarau erblickte darin eine Übertretung des § 1 Abs. 2 der Automaten-Verordnung; es verurteilte Süess deswegen zu einer Busse von Fr. 40.-. Süess zog den Entscheid an das Obergericht des Kantons Aargau weiter, wobei er geltend machte, die Verordnung entbehre der gesetzlichen Grundlage und sei daher nicht anwendbar; jedenfalls aber könne die Vermittlung eines Freispieles nicht als Geld- oder Sachgewinn im Sinne von § 1 Abs. 2 der Verordnung betrachtet werden. Das Obergericht hat am 4. September 1964 diese Einwendungen mehrheitlich als unbegründet erklärt und die Berufung abgewiesen.
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C.- Süess führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 31 BV sowie der Gewaltentrennung mit dem Antrag, er sei in Aufhebung des Urteils des Obergerichts freizusprechen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Das Bundesgericht hat in BGE 78 I 83 ff. erkannt, dass der Betrieb von Spielautomaten der hier in Frage ![]() | 5 |
3. Nach dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung müssen die der Freiheit des Bürgers gezogenen Schranken und die darauf gesetzten Strafen wie jedes Verwaltungshandeln auf gesetzlicher Grundlage beruhen, das heisst sich auf eine generell-abstrakte Norm stützen, die ihrerseits materiell und formell verfassungsmässig ist (BGE 89 I 470 mit Verweisungen). Das angefochtene Urteil ist in Anwendung des § 1 Abs. 2 der regierungsrätlichen Automaten-Verordnung ergangen. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass diese Verordnung die gesetzliche Grundlage für die ausgesprochene Strafe abgeben könne, da sie selber verfassungswidrig sei. Diese Rüge ist zulässig. Mangels Anfechtung der Verordnung innert der Beschwerdefrist des Art. 89 OG kann der Erlass als solcher zwar nicht mehr aufgehoben werden. Das hindert das Bundesgericht aber nicht, in jedem einzelnen Anwendungsfall vorfrageweise zu prüfen, ob die angewendete Bestimmung die Verfassung ![]() | 6 |
Der Einwand, § 1 Abs. 2 der Automaten-Verordnung verstosse gegen Art. 31 BV, geht nach dem in Erw. 2 Gesagten fehl. Der Beschwerdeführer verneint jedoch nicht nur die materielle, sondern auch die formelle Verfassungsmässigkeit der angewendeten Bestimmung, indem er geltend macht, dieser fehle die gesetzliche Grundlage. Die genannte Verordnung stützt sich laut Ingress auf "Art. 39, lit. b, der Staatsverfassung, das Gesetz über den Markt- und Hausierverkehr vom 12. März 1879, den § 1, lit. m, des Dekretes betreffend die vom Staate zu beziehenden Gebühren vom 22. März 1921 sowie das Gesetz betreffend die Einführung des Schweizerischen Strafgesetzbuches im Kanton Aargau vom 21. Juli 1941". Das Bundesgericht hat in BGE 83 I 114 ff. festgestellt, dass der Regierungsrat gestützt auf Art. 39 lit. b KV wohl Vollziehungs- und Notverordnungen erlassen kann, nicht aber Rechtsverordnungen. Die Automaten-Verordnung ist ihrem Inhalte und ihrer Entstehung nach keine Notverordnung; es kann sich dabei nur um eine Vollziehungsverordnung handeln. Das Gebühren-Dekret und das EG StGB enthalten keine Bestimmungen, deren Vollziehung der § 1 Abs. 2 der Automaten-Verordnung dienen könnte. Ob das Gesetz über den Markt- und Hausierverkehr den Regierungsrat zum Erlass dieser Vorschrift ermächtige, ist zweifelhaft. Die Frage kann jedoch offen bleiben. Wie sich im Folgenden ergeben wird, ist die Annahme, der vorliegende Sachverhalt erfülle den Tatbestand des § 1 Abs. 2 der Automaten-Verordnung, willkürlich. Der angefochtene Entscheid ist daher selbst dann verfassungswidrig, wenn die angewendete Verordnungsbestimmung in Ausführung des Gesetzes über den Markt- und Hausierverkehr erlassen wurde und damit als solche rechtmässig ist.
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4. § 1 Abs. 2 der Automaten-Verordnung verbietet, Spielapparate, "bei denen ein Geld- oder Sachgewinn in ![]() | 8 |
Als der Regierungsrat am 17. August 1956 die Automaten-Verordnung erliess, stand das Bundesgesetz über die Spielbanken vom 5. Oktober 1929 schon mehr als 25 Jahre in Kraft. Bei der Anwendung dieses Gesetzes hatten sich Schwierigkeiten daraus ergeben, dass Art. 2 Abs. 2 nur von Spielen um "Geldgewinne" spricht, während es sich in der Praxis zeigte, dass Spielautomaten, die dem erfolgreichen Spieler statt Geld geldwerte Gebrauchsgegenstände verabfolgen, die gleiche Wirkung auf das Publikum ausüben. Das Bundesgericht hat in ausdehnender Auslegung des Art. 2 Abs. 2 Gegenstände, die für den Gewinner wesentlich dieselbe Bedeutung haben wie Geld, den Geldgewinnen gleichgestellt (BGE 64 I 119 /20). Es hatte sich sodann darüber auszusprechen, ob dieser erweiterte Gewinnbegriff auch die Abgabe von Freispielen erfasse. In der Erwägung, dass es dem Spieler dabei meistens lediglich um eine Verlängerung der Spieldauer gehe, hat das Bundesgericht diese Folgerung für den Regelfall abgelehnt und nur ausnahmsweise bejaht, wenn bestimmte Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Gewinner die zum Freispiel berechtigenden Marken (oder Bälle) in nennenswertem Umfang als Zahlungsmittel benützten oder gegen Geld umwechselten (BGE 64 I 121, BGE 78 I 83 Erw. 3).
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Der Regierungsrat dürfte sich bei Erlass der Automaten-Verordnung auf diese Rechtsprechung gestützt haben; ![]() | 10 |
Die Mehrheit des Obergerichts glaubt, die Freispiele, welche die Automaten des Beschwerdeführers in Aussicht stellen, als materiellen Gewinn bezeichnen zu können, weil der Gewinner sich auf diese Weise den Einsatz für das nächste Spiel ersparen könne und er um die Ersparnis bereichert sei, und weil er die Möglichkeit habe, das Anrecht auf das Freispiel einem Dritten zu verkaufen. Diese Überlegungen verkennen die Einstellung und die Gewohnheiten der Benützer derartiger Apparate. Der Spieler, der ein Freispiel gewinnt, wird in der Regel nicht weniger Geld für sein Vergnügen ausgeben, als er es ohnedies getan hätte; er wird lediglich das Spiel etwas länger ausdehnen. Es kann deshalb im Ernste nicht davon die Rede sein, dass der Gewinn eines ![]() | 11 |
Da es an konkreten Anhaltspunkten für Missbräuche der erwähnten Art fehlt, geht es unter den gegebenen Verhältnissen nicht an, der Gewinn eines oder mehrerer Freispiele als Sachgewinn zu bezeichnen. Es ist daher willkürlich, den § 1 Abs. 2 der Automaten-Verordnung auf die Gegenstand der Untersuchung bildenden Handlungen des Beschwerdeführers anzuwenden. Der angefochtene Entscheid ist insofern verfassungswidrig und deshalb aufzuheben. Unter dem Vorbehalte einer Überprüfung der Verfassungsmässigkeit des § 1 Abs. 2 der Automaten-Verordnung (vgl. Erw. 3) ist es den kantonalen Behörden jedoch unbenommen, erneut gegen den Beschwerdeführer vorzugehen, wenn sich Anzeichen dafür ergeben, dass es unter den Gewinnern von Freispielen zu einem Handel mit Anrechten kommt.
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