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51. Auszug aus dem Urteil vom 16. Dezember 1964 i.S. Affolter und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Luzern. | |
Regeste |
Eigentumsgarantie; Natur- und Heimatschutz; rechtliches Gehör. |
2. Sind die betroffenen Grundeigentümer vor Erlass eines Landschaftsschutzplanes anzuhören? (Frage offen gelassen; Erw. 2). |
3. Freie Prüfung der gesetzlichen Grundlagen weitreichender Landschaftsschutzmassnahmen (Erw. 3). Begriff der schützenswerten "Landschaft" (Erw. 3 a) und der "Verunstaltung" (Erw. 3 b). Verhältnismässigkeit von Landschaftsschutzmassnahmen (Erw. 3 c). | |
Sachverhalt | |
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Im Laufe der Jahre erwies sich die Verordnung als ungenügend. Die kantonale Seeuferschutz-Kommission, die dem kantonalen Baudepartement und dem Regierungsrat in Seeuferschutz- und Bewilligungsfragen beratend und begutachtend zur Seite steht, wurde 1962 beauftragt, den Entwurf zu einer neuen Verordnung auszuarbeiten. Andererseits schlossen sich gegen 150 Eigentümer von Grundstücken am Sempachersee sowie die Einwohnergemeinderäte von vier Seeufergemeinden zur "Interessengemeinschaft Sempachersee" zusammen. Die kantonale Seeuferschutz-Kommission nahm am 30. Mai 1963 mit den Einwohnergemeinderäten der sieben am See gelegenen Gemeinden Eich, Neuenkirch, Nottwil, Oberkirch, Schenkon, Sempach und Sursee Fühlung. Sie holte zudem die Stellungnahme des Ornithologischen Vereins Sursee und Umgebung, des Luzerner Naturschutzbundes sowie der Naturforschenden Gesellschaft Luzern ein und trat mit der Interessengememschaft Sempachersee in Verbindung.
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Aus den Erwägungen: | |
1. ...b) Die Beschwerde wird auch im Namen der Einwohnergemeinden Oberkirch und Schenkon erhoben, die durch ihre Gemeinderäte vertreten sind. Die Einwohnergemeinde Oberkirch ist Eigentümerin der im Gemeindebann Sursee gelegenen Parzelle Nr. 544, die Einwohnergemeinde Schenkon der auf ihrem Gemeindegebiet liegenden Parzelle Nr. 372; beide Grundstücke fallen in die Sperrzone. Der Regierungsrat spricht den Gemeinden das Beschwerderecht ab. Soweit nicht ihre Autonomie oder ihr Bestand in Frage stehen (was hier nicht behauptet wird), ist die Gemeinde nur insofern zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde berechtigt, als der angefochtene Erlass oder Entscheid sie in gleicher Weise wie einen Privaten trifft (BGE 87 I 214 Erw. 2 mit Verweisungen; BGE 88 I 108; BGE 89 I 111 Erw. 1, 206 Erw. 1). Das ist, wie das Bundesgericht mit Urteil vom 25. Juni 1958 i.S. Birrwil (Erw. 3) erkannt hat, insbesondere dann der Fall, wenn der betreffende Erlass oder Entscheid in Rechte eingreift, die der Gemeinde als Grundeigentümerin zustehen. Dieser Schluss kann nicht in Zweifel gezogen werden, soweit die Gemeinde als Eigentümerin von Grundstücken auftritt, die zu ihrem Finanzvermögen gehören. Es fragt sich dagegen, ob der Gemeinde auch insofern das Beschwerderecht zuzuerkennen sei, als sie sich für die Rechte an einem Grundstück wehrt, das Verwaltungsvermögen darstellt oder eine öffentliche Sache im Gemeingebrauch ist. Die Frage kann indes offen bleiben, und es braucht demgemäss nicht untersucht zu werden, wie der Fall hier liege, da die Einwohnergemeinden Oberkirch und Schenkon keine andern Rügen erhoben haben als die übrigen Beschwerdeführer, auf deren Einwendungen ohnehin einzutreten ist. Es kann denn auch dahingestellt ![]() | 5 |
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Das kantonale Recht enthält keine Bestimmungen über die Anhörung der betroffenen Grundeigentümer im Falle des Erlasses von Heimatschutzvorschriften und zugehörigen Zonenplänen. Es kann sich deshalb nur fragen, ob der Regierungsrat unmittelbar auf Grund des Art. 4 BV zu einer Anhörung der Beteiligten verpflichtet gewesen sei. Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 11. September 1963 i.S. Basler Terraingesellschaft AG (abgedruckt in ZBl 1964 S. 216 ff.) erkannt, dass die Anhörungspflicht dem Grundsatze nach wohl in Verwaltungssachen, nicht aber mit Bezug auf die materielle Rechtssetzung im Sinne des Erlasses genereller und abstrakter Normen Platz greift. Es hat es dabei offen gelassen, ob ein Zonenplan ein allgemein verbindlicher Erlass oder eine Summe von Einzelverfügungen sei, sondern hat ungeachtet der Zuordnung des Planes zu der einen oder andern Gruppe mit Rücksicht auf die fehlende Abstraktheit des dort geprüften städtischen Bebauungsplanes geschlossen, dass der betroffene Grundeigentümer einen Anspruch darauf habe, im Planfestsetzungsverfahren angehört zu werden. Der hier angefochtene regionale Landschaftsschutzplan fasst grosse Landstriche zu einer Einheit zusammen; er trifft wesentlich weniger Abstufungen und ist damit auch entsprechend abstrakter als der vorerwähnte städtische ![]() | 7 |
Die als Sachbearbeiterin des Regierungsrates amtende kantonale Seeuferschutz-Kommission unterbreitete den Entwurf der Verordnung und des Zonenplanes im Massstab 1: 5000 am 30. Mai 1963 den Gemeinderäten der Seeufergemeinden zur Stellungnahme. Die beschwerdeführenden Einwohnergemeinden Oberkirch und Schenkon brachten mit Eingaben vom 27. und 28. Juni 1963 ihre Einwendungen vor. Die Seeuferschutz-Kommission trat darüber hinaus mit der Interessengemeinschaft Sempachersee in Verbindung und gab ihr den Verordnungsentwurf bekannt. Der Vorstand der Vereinigung bezog in einer Besprechung vom 19. Dezember 1963 sowie in Eingaben vom 28. Dezember 1963 und 12. Mai 1964 zur Vorlage Stellung. Die erstgenannte Eingabe setzte sich eingehend mit den einzelnen Bestimmungen des Entwurfes und insbesondere auch mit dem hier streitigen § 4 auseinander. Eine der wichtigsten Einwendungen des Vorstandes richtete sich dagegen, dass in der Sperrzone nur "dem öffentlichen Interesse dienende" Anlagen zugelassen werden sollten. Dieser Beanstandung wurde durch Streichung des bemängelten Zusatzes Rechnung getragen. Da die Interessengemeinschaft die Einwohnergemeinden Oberkirch und Schenkon zu ihren Mitgliedern zählt, denen der Zonen-. plan ausgehändigt worden war, war ihr auch der Plan zugänglich. Aus den Eingaben des Vorstandes geht denn auch hervor, dass er über die Tragweite der Vorlage genau im Bilde war. Die in der Interessengemeinschaft vereinigten Grundeigentümer können demnach nicht geltend machen, sie hätten keine Gelegenheit gehabt, sich über den Inhalt ![]() | 8 |
Die Beschwerde weist freilich darauf hin, dass nicht alle Beschwerdeführer Mitglieder der Interessengemeinschaft sind; eine "verschwindend kleine Ausnahme" soll ausserhalb ihrer Reihen stehen. Um den Anforderungen des Art. 90 Abs. 1 lit. b OG zu genügen, hätte die Beschwerdeschrift sich näher über diesen Punkt auszusprechen gehabt. Das ist nicht geschehen. Der betreffende Vorbehalt kann deshalb nicht gehört werden.
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Die Beschwerdeführer bestreiten, dass § 4 der Schutzverordnung über eine gesetzliche Grundlage verfüge. Angesichts der Tragweite der angefochtenen Bestimmung, die ausgedehnte Gebiete mit einem Bauverbot belegt, ist das Bundesgericht in der Prüfung dieser Frage grundsätzlich frei (BGE 89 I 467 /68). Im Ingress der Verordnung beruft sich der Regierungsrat auf Art. 702 ZGB, § 99 EG ZGB, § 9 des kantonalen Gesetzes betreffend die Fischerei sowie §§ 49 und 50 des kantonalen Gesetzes über Jagd und ![]() | 11 |
a) Nach § 99 Abs. 1 EG ZGB ist der Regierungsrat berechtigt, "auf dem Verordnungswege zum Schutz und zur Erhaltung von historischen und Kunstdenkmälern, Altertümern, Naturdenkmälern, Alpenpflanzen und andern seltenen Pflanzen, zur Sicherung der Landschaften, Ortschaftsbilder und Aussichtspunkte vor Verunstaltung und zum Schutze von Heilquellen die nötigen Verfügungen zu treffen und Strafbestimmungen aufzustellen". Der Begriff der "Landschaft" ist weiter als der des "Landschaftsbildes", den Art. 96 Abs. 2 des schaffhausischen EG ZGB verwendet und von dem BGE 89 I 471 handelt. Die Berufung auf jenes Urteil geht daher in dieser Hinsicht fehl. Während als "Landschaftsbild" im Sinne des schaffhausischen Rechts nur ein zusammenhängendes, einen einheitlichen Anblick bietendes Objekt von verhältnismässig begrenztem Umfang (wie etwa ein See- oder Flussufer, ein Weiher mit Umgelände, eine Berg- oder Hügelkuppe) gilt, ist unter einer "Landschaft" ein Gebiet zu verstehen, das eine gewisse Ausdehnung aufweisen kann, dabei aber infolge bestimmter Eigenarten gleichwohl eine Einheit bildet (ZBl 1964 S. 159). In diesem Sinne hat das Bundesgericht in Anwendung der entsprechenden Begriffe des zürcherischen (§ 182 Abs. 2) und des st. gallischen (Art. 123) EG ZGB unter anderem den Greifensee, den Pfäffikersee und den Obersee mit Umgebung als "Landschaft" bezeichnet, welche Objekte sich flächenmässig durchaus mit dem Sempachersee und seinen Ufern vergleichen lassen. Aus ![]() | 12 |
b) § 99 Abs. 1 EG ZGB spricht von einer Sicherung der Landschaft "vor Verunstaltung". Als Verunstaltung gilt nach der Rechtsprechung ein Gegensatz zum Bestehenden, der erheblich stört (BGE 82 I 108, ZBl 1964 S. 537). Die Beschwerdeführer bestreiten, dass jedes Haus, das in der Sperrzone errichtet werde, notwendigerweise und ungeachtet seiner Grösse, Farbe und baulichen Ausgestaltung die Landschaft verunstalte. Sie schliessen, dass sich das in § 4 Abs. 1 der Verordnung ausgesprochene Verbot aller baulichen Anlagen in der Sperrzone daher nicht auf § 99 EG ZGB stützen lasse. Der Regierungsrat hält dem entgegen, bei einer Zulassung einzelner der Landschaft gut angepasster Wohn- oder Ferienhäuser müssten aus Gründen der rechtsgleichen Behandlung auch andere derartige Bauten bewilligt werden; das hätte über kurz oder lang eine Anhäufung von Bauten zur Folge, welche der Landschaft den Reiz der Ursprünglichkeit nehmen und darüber hinaus die angestammte Pflanzenwelt (insbesondere den das Landschaftsbild kennzeichnenden Schilfgürtel) gefährden würde. Diese Betrachtungsweise ist, wie das Bundesgericht wiederholt erkannt hat, nicht willkürlich; sie hält darüber hinaus auch einer freien ![]() | 13 |
c) Im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit polizeilicher Eingriffe ermächtigt § 99 Abs. 1 EG ZGB den Regierungsrat nur zum Erlass der "nötigen" Verfügungen zur Sicherung der Landschaft; diese dürfen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um den Zweck zu erreichen, durch den sie gedeckt sind (vgl. ZBl 1959 S. 104 c). Nach Ansicht der Beschwerdeführer hätte es zur Sicherung der Landschaft vor Verunstaltung genügt, wenn der Regierungsrat es beim Bewilligungssystem der alten Schutzverordnung hätte bewenden lassen; es hätte dazu nicht des in § 4 Abs. 1 der neuen Verordnung eingeführten allgemeinen Verbots baulicher Anlagen in der Sperrzone bedurft. Diese Einwendung ist unbegründet. Das Bundesgericht hat in dem von den Beschwerdeführern angerufenen Urteil BGE 89 I 463 b erkannt, dass eine Bestimmung, die, wie die alte Schutzverordnung, der Behörde einen sehr ausgedehnten Spielraum des Ermessens einräumt, diese nicht von der Einhaltung der das betreffende Gebiet beschlagenden allgemeinen Rechtsgrundsätze (wie des Verbots der Willkür und der rechtsungleichen Behandlung, des Gebots von Treu und Glauben und des Grundsatzes der Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit der Verwaltungsakte) entbindet. Wenn die Behörde unter der Herrschaft des Bewilligungssystems eine Baute zuliesse, so hätte sie um der Rechtsgleichheit willen alle weiteren unter gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen eingereichten Bewilligungsgesuche gutzuheissen, was zu der erwähnten Anhäufung von Gebäuden führen würde. Um diese den Bestrebungen des Landschaftsschutzes zuwiderlaufende Folge zu vermeiden, bliebe der Behörde nichts anderes übrig, als von Anfang an jede Bewilligung zu versagen. Die Bewilligungspraxis würde dergestalt ![]() | 14 |
§ 4 der Schutzverordnung ist im übrigen insofern vom Grundsatz der Verhältnismässigkeit geprägt, als er das in Abs. 1 ausgesprochene Verbot in Abs. 2 mit einem Erlaubnisvorbehalt verbindet. Danach können in der Sperrzone bestimmte bauliche Anlagen (nicht aber Wohn- und Ferienhäuser) bewilligt werden, sofern sie die Fischerei nicht beeinträchtigen und das Landschaftsbild nicht stören. Es handelt sich zur Hauptsache um Anlagen, die ihrem Wesen und ihrer Bestimmung nach sich leicht in die Landschaft einpassen lassen (wie landwirtschaftliche Anlagen, bauliche Anlagen zum Schutze des Ufers, Fischereianlagen), oder deren Zahl aus Gründen des Bedarfs von vornherein beschränkt ist (Quai-, Hafen- und Badeanlagen, Camping- und Rastplätze), so dass nicht mit einer untragbaren Anhäufung solcher Einrichtungen zu rechnen ist (vgl. erwähntes Urteil i.S. Jucker, Erw. 6). Abs. 2 ergänzt auf diese Weise Abs. 1, ohne dazu in Widerspruch zu stehen. Ein weiteres Zugeständnis an den Grundsatz der Verhältnismässigkeit liegt in der allgemeinen Härteklausel des § 12 der Schutzverordnung. Danach kann der Regierungsrat dann, wenn ausserordentliche Verhältnisse vorliegen und die Anwendung der Zonenvorschriften nicht zumutbar wäre, nach Anhörung des zuständigen Gemeinderates und der Seeuferschutz-Kommission Ausnahmen bewilligen, soweit dadurch das Ufer- und Landschaftsbild nicht gestört wird. Trotz seiner unbestimmten Fassung räumt § 12 der Schutzverordnung damit dem Ermessen der Behörde keinen weiteren Spielraum ein, als es bei dem von den Beschwerdeführern befürworteten Bewilligungssystem der Fall wäre. Hier wie dort ist die Handhabung des behördlichen Ermessens an die auf diesem Gebiete massgebenden allgemeinen ![]() | 15 |
d) Nach § 99 Abs. 2 EG ZGB sind die Gemeinden nur insoweit berechtigt, Heimatschutzbestimmungen zu erlassen, als der Regierungsrat erklärt, von seinem Verordnungsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen. Das Gesetz räumt dem Regierungsrat auf diesem Gebiet somit den Vortritt ein. Wenn es dem Regierungsrat mit dem Schutz des Sempachersees und seiner Ufer ernst war, so konnte er nicht zugunsten der Gemeinden auf die Ausübung seiner Befugnisse verzichten. Das Gebiet des Sempachersees ist eine Einheit; es war daher folgerichtig, zu seinem Schutze einheitliche Bestimmungen zu erlassen. Dass sich die sieben Seeufergemeinden über eine einheitliche Regelung hätten verständigen können, ist umso unwahrscheinlicher, als sie auch der Schutzverordnung gegenüber verschieden Stellung genommen haben...
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