![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
17. Urteil vom 12. Mai 1965 i.S. Kaufhaus Modern AG Wohlen gegen Gemeinderat Wohlen und Regierungsrat des Kantons Aargau. | |
Regeste |
Ladenschluss, Willkür, Handels- und Gewerbefreiheit. Art. 4 und 31 BV. |
2. Gewerbepolizeiliche Massnahmen sind gestützt auf Art. 31 Abs. 2 BV zulässig, dürfen aber den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht verletzen und müssen alle Gewerbegenossen gleich behandeln (Erw. 2 a und b). |
3. Vorschriften, welche die Schliessung der Ladengeschäfte während einer bestimmten Zeitspanne an Werktagen anordnen, um den Ladeninhabern und dem Personal die nötige Freizeit zu verschaffen, sind gewerbepolizeiliche Vorschriften zum Schutze der öffentlichen Gesundheit und als solche mit Art. 31 BV vereinbar. Dies gilt beim heutigen Stand der Dinge grundsätzlich auch dann, wenn angeordnet wird, die Ladengeschäfte während eines ganzen Werktages geschlossen zu halten (Erw. 2 c-g). | |
Sachverhalt | |
1 | |
"Sofern im Einzelfalle ein dringendes Bedürfnis nachgewiesen wird, oder wenn mindestens zwei Drittel der Geschäftsinhaber der Gemeinde es verlangen, kann der Gemeinderat mit Zustimmung der Polizeidirektion den Ladenschluss im Sommer, d.h. vom 1. April bis 30. September, bis längstens 21 Uhr, im Winter, d.h. vom 1. Oktober bis 31. März, bis längstens 20 Uhr hinausschieben oder ihn früher ansetzen.
| 2 |
Der Gemeinderat kann unter den gleichen Voraussetzungen für einzelne Arten von Verkaufsgeschäften eine besondere Ordnung treffen. Eine solche kann sich auch auf einzelne Tage beziehen, wie z.B. Ladenschluss am Samstagnachmittag."
| 3 |
B.- Auf Begehren des Handwerker- und Gewerbevereins hin beschloss der Gemeinderat Wohlen am 8. Juni 1964, dass die Verkaufsgeschäfte am Mittwoch den ganzen Tag geschlossen zu halten seien; für Milchgeschäfte, Bäckereien und Konditoreien wurde eine besondere Ordnung getroffen.
| 4 |
Gegen diesen Beschluss erhob die Kaufhaus Modern AG Wohlen, die in der fraglichen Gemeinde ein Warenhaus betreibt, beim Bezirksamt Bremgarten Beschwerde mit der ![]() | 5 |
Der Gemeinderat Wohlen erhob gegen den Entscheid des Bezirksamtmannes Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Aargau, der am 12. November 1964 die Beschwerde guthiess und zur Begründung ausführte, Vorschriften, welche die Arbeitszeit des Personals und die Öffnungszeiten der Geschäfte regelten, dienten der öffentlichen Gesundheit und seien, da gewerbepolizeilicher Natur, mit Art. 31 BV vereinbar. Mit der in § 2 Abs. 2 LSG gebrauchten Wendung "einzelne Tage" werde ausdrücklich gesagt, dass die Anordnung des Ladenschlusses sich auch auf einzelne ganze Tage beziehen könne. Den Gesetzesmaterialien sei nichts zu entnehmen, was darauf schliessen liesse, dass den Gemeindebehörden eine so weitgehende Kompetenz nicht hätte eingeräumt werden wollen. Von den 109 Inhabern von Ladengeschäften der Gemeinde Wohlen hätten 94, also beträchtlich mehr als die vom Gesetz geforderte Zweidrittelmehrheit, den ganztägigen Ladenschluss am Mittwoch gewünscht. In einer privaten Umfrage des Handwerker- und Gewerbevereins hätten sich zudem von der Ladenkundschaft 3832 Personen für und 469 gegen den ganztägigen Ladenschluss ausgesprochen. Ein ganztägiger und behördlich allgemein verbindlich erklärter Ladenschluss bestehe bereits auch in Brugg für die sogenannten Bedarfsartikelgeschäfte, sowie in Baden, Ennetbaden und Wettingen für die Lebensmittelgeschäfte und Drogerien.
| 6 |
C.- Gegen diesen Beschluss des Regierungsrates hat die Kaufhaus Modern AG Wohlen staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür und Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit eingereicht. Auf die Begründung der Beschwerde wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen hingewiesen.
| 7 |
D.- Der Regierungsrat des Kantons Aargau und der Gemeinderat Wohlen beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
| 8 |
![]() | |
9 | |
Die dieser Auffassung entgegenstehende Auslegung von § 2 LSG durch den Regierungsrat ist indessen keineswegs unhaltbar, denn es lässt sich sehr wohl die Ansicht vertreten, schon der Hinweis auf die Möglichkeit des Ladenschlusses am Samstagnachmittag zeige, dass sich Abs. 2 im Unterschied zu Abs. 1 nicht auf den Abendladenschluss beziehe, und es wäre zudem überflüssig, dem Gemeinderat für eine auf bestimmte Tage beschränkte Ordnung eine Kompetenz einzuräumen, die ihm in Abs. 1 schon in umfassender Weise zugeschieden sei. Fraglich ist deshalb nur, ob es mit Wortlaut und Sinn von § 2 LSG schlechthin unvereinbar sei, wenn der Regierungsrat annahm, diese Vorschrift ermächtige den Gemeinderat zur Anordnung eines ganztägigen, nicht nur eines halbtägigen Ladenschlusses.
| 10 |
Die besondere Ladenschlussordnung, die vom Gemeinderat erlassen werden kann, kann sich auf einzelne Tage beziehen. Dieser Wortlaut von § 2 Abs. 2 LSG lässt sich ohne Willkür so verstehen, dass unter den vom Gesetz erwähnten Voraussetzungen die Schliessung der Geschäfte während eines einzelnen Tages angeordnet werden kann, demnach ein ganztägiger Ladenschluss zulässig ist. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass sich die erwähnte Ordnung zwar auf "einzelne Tage" beziehen kann, der Gesetzgeber aber dieser Regel den Zusatz beigefügt hat: "wie z.B. Ladenschluss am Samstagnachmittag". Der Bezirksamtmann führte in der Begründung seines Entscheides aus, wenn im Gesetz der Ladenschluss am Samstagnachmittag beispielsweise erwähnt sei, so werde damit angedeutet, dass die erwähnte Ordnung nur für einen Halbtag getroffen werden dürfe. Diese Ansicht mag sich vertreten lassen; gleichwohl liegt darin, dass das Gesetz als ![]() | 11 |
Auch mit dem Sinn der gesetzlichen Regelung ist die vom Regierungsrat vertretene Auffassung nicht eindeutig unvereinbar. Das aargauische Ladenschlussgesetz will nach seiner ganzen Konzeption den Gemeindebehörden weitgehende Freiheit gewähren, den Ladenschluss nach den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen selbständig festzulegen. Der Rahmen der Befugnisse des Gemeinderates ist nach der allgemeinen Tendenz des Erlasses weit gespannt. Von daher gesehen erweist sich eine den Geltungsbereich von § 2 Abs. 2 LSG nicht eng begrenzende Auslegung nicht als offenbar sinnwidrig, sofern nur - was nach den bereits angestellten Überlegungen zutrifft - eine solche Interpretation als durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt erachtet werden darf. Die vom Regierungsrat vorgenommene Auslegung lässt zudem die Möglichkeit offen, veränderten Anschauungen im Rahmen des geltenden Gesetzes in weitem Masse Rechnung zu tragen; die Erwägung aber, dem auf eine dauerhafte Ordnung bedachten Gesetzgeber sei daran gelegen, dass sein Werk auch unter veränderten Verhältnissen noch tauge, liegt durchaus im Bereich einer vernünftigen Auslegung. Die Beschwerdeführerin ![]() | 12 |
Damit ist dargetan, dass der angefochtene Entscheid des Regierungsrates § 2 LSG nicht offensichtlich schwer verletzt (BGE 90 I 139). Die Beschwerdeführerin bezeichnet denn auch zwar allgemein die Rechtsanwendung als willkürlich, ohne ![]() | 13 |
14 | |
a) Art. 31 BV, der die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet, behält in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe und deren Besteuerung vor, fügt aber bei, dass diese ihrerseits den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen dürfen. Dieser Zusatz bedeutet, dass wirtschaftspolitische Massnahmen, die zugunsten gewisser Erwerbszweige und Betriebsarten in die freie Konkurrenz eingreifen, ausgeschlossen und nur gewerbepolizeiliche Massnahmen zulässig sind, welche die Ausübung von Handel und Gewerbe aus polizeilichen Gründen - zum Schutze der öffentlichen Ordnung, von Ruhe, Sicherheit, Gesundheit, Sittlichkeit und Treu und Glauben im Geschäftsverkehr - beschränken. Diese gewerbepolizeilichen Einschränkungen müssen einerseits alle Gewerbegenossen gleich behandeln (Grundsatz der Rechtsgleichheit) und dürfen anderseits nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist, durch den sie gedeckt sind (Grundsatz der Verhältnismässigkeit). Wahren sie diese Grundsätze nicht, so verstossen sie gegen Art. 31 BV (BGE 86 I 272 mit Verweisungen, BGE 87 I 448 lit. b und 453 Erw. 3, BGE 88 I 236 Erw. 3, BGE 89 I 30 Erw. 2, nicht veröffentlichter Entscheid vom 14. November 1964 in Sachen Billeter). Das Bundesgericht hat in ständiger ![]() | 15 |
b) In den Motiven einzelner bundesgerichtlicher Urteile wurde etwa ausgeführt, es sei vor Art. 31 BV zulässig, die Ladengeschäfte "an einem Werktag" schliessen zu lassen; es ist auch die Rede von der Pflicht zur Gewährung eines "freien Wochentags oder -halbtags" (BGE 86 I 275, BGE 89 I 31). Solche Formulierungen könnten zur Annahme verleiten, das Bundesgericht habe bereits darüber befinden müssen, ob es unter dem Gesichtspunkte der Handels- und Gewerbefreiheit zulässig sei, einen Ladenschluss für einen ganzen Werktag anzuordnen. Tatsächlich hatte sich jedoch der Staatsgerichtshof bis anhin nur mit solchen kantonalen Entscheiden zu befassen, die den Ladenschluss an einem halben Werktag anordneten. Die Anordnung des "Wirtesonntags" durch eine kantonale Behörde (BGE 86 I 272) bildet nur scheinbar eine Ausnahme, denn hier handelte es sich darum, den Angestellten einen freien Tag je Woche zu gewähren, während für das Ladenpersonal im allgemeinen der Sonntag ohnehin arbeitsfrei ist. Soweit die Ordnung des Ladenschlusses in Frage steht, hatte das Bundesgericht bis jetzt nur darüber zu befinden, ob es im Rahmen des gewerbepolizeilichen Zweckes bleibe, wenn eine kantonale Behörde die Schliessung der Verkaufsgeschäfte an einem Halbtag anordnet. Im vorliegenden Falle stellt sich demnach erstmals die Frage, ob es durch diesen Zweck noch gedeckt sei, wenn angeordnet wird, die Ladengeschäfte während eines ganzen Werktages geschlossen zu halten.
| 16 |
c) Was zum Schutze der öffentlichen Gesundheit notwendig ist, lässt sich nicht ein für allemal abschliessend bestimmen. Die Anschauungen darüber wandeln sich im Laufe der Zeit, und mit ihrem Wandel verändert sich auch der materielle ![]() ![]() | 17 |
d) Im Zusammenhang mit dem Einwand der Beschwerdeführerin, die angefochtene Ladenschlussordnung sei nicht im Hinblick auf die Gesundheit der Arbeitnehmer erlassen worden, sondern um die Stellung der Inhaber von Ladengeschäften auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, ist daran zu erinnern, dass eine gewerbepolizeiliche Vorschrift auch wirtschaftspolitische Folgen haben kann. "Sind für ein bestimmtes Gewerbe nur gewerbepolizeiliche Einschränkungen zulässig, so ist eine gewerbepolizeiliche Vorschrift nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil sie auch gewisse wirtschaftspolitische Auswirkungen hat. Die Vorschrift darf aber nicht wegen dieser wirtschaftspolitischen Auswirkung erlassen werden; letztere darf nur die unvermeidbare Begleiterscheinung der polizeilichen Einschränkung sein, und sie darf nicht so intensiv sein, dass dadurch die Folgen der polizeilichen Vorschriften - das Opfer an Freiheit - in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum Wert des zu schützenden polizeilichen Gutes stehen" (MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit S. 103). Die Tatsache, dass die von der kantonalen Behörde getroffene Massnahme eine wirtschaftspolitische Wirkung in der Weise entfaltet, dass es beim heutigen Mangel an Arbeitskräften den Inhabern von Ladengeschäften erleichtert wird, in Konkurrenz mit andern Arbeitgeberkategorien Personal zu finden, wenn die Fünftagewoche auch für das Ladenpersonal gewährleistet ist, beraubt demnach an sich die Massnahme ihres gewerbepolizeilichen Charakters nicht. Das wäre erst der Fall, wenn die kantonale Behörde die umstrittene Massnahme gerade und in erster Linie um der genannten wirtschaftspolitischen Auswirkung willen beschlossen hätte. Das kann nicht angenommen werden. Wohl hat der Gemeinderat in der Begründung seiner Beschwerde an den Regierungsrat auf das wirtschaftspolitische Anliegen des Handwerker- und Gewerbevereins hingewiesen, doch lag das Hauptgewicht der Argumentation auf den diesem Hinweis folgenden Ausführungen: "Diese Ordnung liegt im ![]() | 18 |
e) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist es zulässig, die Schliessung allen Geschäften eines Gewerbezweiges und damit auch Betrieben vorzuschreiben, die keine oder aber so viele Angestellten beschäftigen, dass diesen ohne Stillegung der Geschäftstätigkeit abwechslungsweise die nötige Freizeit gewährt werden könnte. Es soll damit vermieden werden, dass unter den konkurrierenden Gewerbegenossen ungleiche Bedingungen geschaffen werden, was gegen die Rechtsgleichheit verstossen würde (BGE 86 I 274 ff. mit Verweisungen). Das Argument der Beschwerdeführerin, ihrem Personal seien bereits zwei freie Halbtage in der Woche eingeräumt, da die Angestellten abwechslungsweise alle vier Wochen in den Genuss eines ganzen arbeitsfreien Werktages kämen, ist im Lichte dieser bundesgerichtlichen Praxis unbehelflich. Es liefe dem Grundsatz der Rechtsgleichheit zuwider, wenn das Geschäft der Beschwerdeführerin des zahlreichen Personals wegen nicht zu schliessen gezwungen wäre, während der Inhaber eines Betriebes, dem wegen der geringen Zahl von Arbeitnehmern die Möglichkeit der Auswechslung des Personals verschlossen ist, seinen Angestellten die nötige Freizeit nur unter Schliessung des Geschäftes gewähren könnte.
| 19 |
f) Die Beschwerde macht geltend, für Warenhäuser sei neben dem Samstag der Mittwochnachmittag erwiesenermassen die beste Verkaufszeit der Woche. Damit will offenbar behauptet ![]() | 20 |
g) Schliesslich bringt die Beschwerdeführerin vor, die vom Gemeinderat Wohlen eingeführte Ordnung trage den Bedürfnissen der Konsumenten in keiner Weise Rechnung, dadiesewährend des Schliessungstages in Wohlen überhaupt keine Einkäufe mehr tätigen könnten. Dass während der Schliessungszeit nicht eingekauft werden kann, ist die Folge einer jeden Ladenschlussordnung, und ausserdem schliesst der Umstand, dass sich in einer Umfrage 3832 Personen für und nur 469 gegen einen ganztägigen Ladenschluss ausgesprochen haben, die Annahme aus, dass die beanstandete Massnahme die Interessen der Konsumenten in ungebührlicher Weise verletze.
| 21 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 22 |
23 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |