BGE 91 I 98 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
17. Urteil vom 12. Mai 1965 i.S. Kaufhaus Modern AG Wohlen gegen Gemeinderat Wohlen und Regierungsrat des Kantons Aargau. | |
Regeste |
Ladenschluss, Willkür, Handels- und Gewerbefreiheit. Art. 4 und 31 BV. |
2. Gewerbepolizeiliche Massnahmen sind gestützt auf Art. 31 Abs. 2 BV zulässig, dürfen aber den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht verletzen und müssen alle Gewerbegenossen gleich behandeln (Erw. 2 a und b). |
3. Vorschriften, welche die Schliessung der Ladengeschäfte während einer bestimmten Zeitspanne an Werktagen anordnen, um den Ladeninhabern und dem Personal die nötige Freizeit zu verschaffen, sind gewerbepolizeiliche Vorschriften zum Schutze der öffentlichen Gesundheit und als solche mit Art. 31 BV vereinbar. Dies gilt beim heutigen Stand der Dinge grundsätzlich auch dann, wenn angeordnet wird, die Ladengeschäfte während eines ganzen Werktages geschlossen zu halten (Erw. 2 c-g). | |
Sachverhalt | |
1 | |
"Sofern im Einzelfalle ein dringendes Bedürfnis nachgewiesen wird, oder wenn mindestens zwei Drittel der Geschäftsinhaber der Gemeinde es verlangen, kann der Gemeinderat mit Zustimmung der Polizeidirektion den Ladenschluss im Sommer, d.h. vom 1. April bis 30. September, bis längstens 21 Uhr, im Winter, d.h. vom 1. Oktober bis 31. März, bis längstens 20 Uhr hinausschieben oder ihn früher ansetzen.
| 2 |
Der Gemeinderat kann unter den gleichen Voraussetzungen für einzelne Arten von Verkaufsgeschäften eine besondere Ordnung treffen. Eine solche kann sich auch auf einzelne Tage beziehen, wie z.B. Ladenschluss am Samstagnachmittag."
| 3 |
B.- Auf Begehren des Handwerker- und Gewerbevereins hin beschloss der Gemeinderat Wohlen am 8. Juni 1964, dass die Verkaufsgeschäfte am Mittwoch den ganzen Tag geschlossen zu halten seien; für Milchgeschäfte, Bäckereien und Konditoreien wurde eine besondere Ordnung getroffen.
| 4 |
Gegen diesen Beschluss erhob die Kaufhaus Modern AG Wohlen, die in der fraglichen Gemeinde ein Warenhaus betreibt, beim Bezirksamt Bremgarten Beschwerde mit der Begründung, der Beschluss des Gemeinderates finde im aargauischen Ladenschlussgesetz keine genügende Grundlage und verletze die Handels- und Gewerbefreiheit. Der Bezirksamtmann hiess die Beschwerde am 21. August 1964 gut. Er hielt dafür, § 2 Abs. 2 LSG erlaube es der Gemeindebehörde nicht, die Schliessung der Verkaufsgeschäfte während eines ganzen Werktages anzuordnen. Der angefochtene Beschluss laufe praktisch auf die zwangsweise Einführung der Fünftagewoche hinaus, wofür weder eine gesetzliche Grundlage noch eine Notwendigkeit bestehe.
| 5 |
Der Gemeinderat Wohlen erhob gegen den Entscheid des Bezirksamtmannes Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Aargau, der am 12. November 1964 die Beschwerde guthiess und zur Begründung ausführte, Vorschriften, welche die Arbeitszeit des Personals und die Öffnungszeiten der Geschäfte regelten, dienten der öffentlichen Gesundheit und seien, da gewerbepolizeilicher Natur, mit Art. 31 BV vereinbar. Mit der in § 2 Abs. 2 LSG gebrauchten Wendung "einzelne Tage" werde ausdrücklich gesagt, dass die Anordnung des Ladenschlusses sich auch auf einzelne ganze Tage beziehen könne. Den Gesetzesmaterialien sei nichts zu entnehmen, was darauf schliessen liesse, dass den Gemeindebehörden eine so weitgehende Kompetenz nicht hätte eingeräumt werden wollen. Von den 109 Inhabern von Ladengeschäften der Gemeinde Wohlen hätten 94, also beträchtlich mehr als die vom Gesetz geforderte Zweidrittelmehrheit, den ganztägigen Ladenschluss am Mittwoch gewünscht. In einer privaten Umfrage des Handwerker- und Gewerbevereins hätten sich zudem von der Ladenkundschaft 3832 Personen für und 469 gegen den ganztägigen Ladenschluss ausgesprochen. Ein ganztägiger und behördlich allgemein verbindlich erklärter Ladenschluss bestehe bereits auch in Brugg für die sogenannten Bedarfsartikelgeschäfte, sowie in Baden, Ennetbaden und Wettingen für die Lebensmittelgeschäfte und Drogerien.
| 6 |
C.- Gegen diesen Beschluss des Regierungsrates hat die Kaufhaus Modern AG Wohlen staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür und Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit eingereicht. Auf die Begründung der Beschwerde wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen hingewiesen.
| 7 |
D.- Der Regierungsrat des Kantons Aargau und der Gemeinderat Wohlen beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
| 8 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
9 | |
Die dieser Auffassung entgegenstehende Auslegung von § 2 LSG durch den Regierungsrat ist indessen keineswegs unhaltbar, denn es lässt sich sehr wohl die Ansicht vertreten, schon der Hinweis auf die Möglichkeit des Ladenschlusses am Samstagnachmittag zeige, dass sich Abs. 2 im Unterschied zu Abs. 1 nicht auf den Abendladenschluss beziehe, und es wäre zudem überflüssig, dem Gemeinderat für eine auf bestimmte Tage beschränkte Ordnung eine Kompetenz einzuräumen, die ihm in Abs. 1 schon in umfassender Weise zugeschieden sei. Fraglich ist deshalb nur, ob es mit Wortlaut und Sinn von § 2 LSG schlechthin unvereinbar sei, wenn der Regierungsrat annahm, diese Vorschrift ermächtige den Gemeinderat zur Anordnung eines ganztägigen, nicht nur eines halbtägigen Ladenschlusses.
| 10 |
Die besondere Ladenschlussordnung, die vom Gemeinderat erlassen werden kann, kann sich auf einzelne Tage beziehen. Dieser Wortlaut von § 2 Abs. 2 LSG lässt sich ohne Willkür so verstehen, dass unter den vom Gesetz erwähnten Voraussetzungen die Schliessung der Geschäfte während eines einzelnen Tages angeordnet werden kann, demnach ein ganztägiger Ladenschluss zulässig ist. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass sich die erwähnte Ordnung zwar auf "einzelne Tage" beziehen kann, der Gesetzgeber aber dieser Regel den Zusatz beigefügt hat: "wie z.B. Ladenschluss am Samstagnachmittag". Der Bezirksamtmann führte in der Begründung seines Entscheides aus, wenn im Gesetz der Ladenschluss am Samstagnachmittag beispielsweise erwähnt sei, so werde damit angedeutet, dass die erwähnte Ordnung nur für einen Halbtag getroffen werden dürfe. Diese Ansicht mag sich vertreten lassen; gleichwohl liegt darin, dass das Gesetz als Beispiel den Samstagnachmittag nennt, nicht mehr als eine ganz unbestimmte Andeutung. Auf jeden Fall wird damit keineswegs in klarer Weise der Begriff des "einzelnen Tages" in dem Sinne eingeschränkt, dass entsprechend dem Beispiel des Samstagnachmittages die Schliessung der Verkaufsgeschäfte nur für einen bestimmten Halbtag verfügt werden dürfte. Im Gegenteil lässt sich mit dem Regierungsrat überlegen, dass es dem Gesetzgeber leicht gefallen wäre, die Möglichkeit einer besonderen Regelung eindeutig auf einen einzelnen Halbtag zu begrenzen, wenn das seinem Willen entsprochen hätte. Der Hinweis auf den Samstagnachmittag kann deshalb in haltbarer Auslegung des Gesetzes als blosse Exemplifikation betrachtet werden, die über die Tragweite der allgemeinen Norm nichts aussagt, diese aber mindestens so klar einschränkt, dass unter dem Gesichtspunkte des Willkürverbotes die Annahme unzulässig wäre, die beispielsweise Nennung des Samstagnachmittages setze dem Anwendungsbereich von § 2 Abs. 2 LSG keine Schranke. Die Auslegung, die der Regierungsrat dieser Vorschrift zuteil werden liess, steht somit nicht in offensichtlichem Widerspruch zu ihrem Wortlaut.
| 11 |
Auch mit dem Sinn der gesetzlichen Regelung ist die vom Regierungsrat vertretene Auffassung nicht eindeutig unvereinbar. Das aargauische Ladenschlussgesetz will nach seiner ganzen Konzeption den Gemeindebehörden weitgehende Freiheit gewähren, den Ladenschluss nach den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen selbständig festzulegen. Der Rahmen der Befugnisse des Gemeinderates ist nach der allgemeinen Tendenz des Erlasses weit gespannt. Von daher gesehen erweist sich eine den Geltungsbereich von § 2 Abs. 2 LSG nicht eng begrenzende Auslegung nicht als offenbar sinnwidrig, sofern nur - was nach den bereits angestellten Überlegungen zutrifft - eine solche Interpretation als durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt erachtet werden darf. Die vom Regierungsrat vorgenommene Auslegung lässt zudem die Möglichkeit offen, veränderten Anschauungen im Rahmen des geltenden Gesetzes in weitem Masse Rechnung zu tragen; die Erwägung aber, dem auf eine dauerhafte Ordnung bedachten Gesetzgeber sei daran gelegen, dass sein Werk auch unter veränderten Verhältnissen noch tauge, liegt durchaus im Bereich einer vernünftigen Auslegung. Die Beschwerdeführerin wendet ein, in der parlamentarischen Beratung des Gesetzes habe die Frage, wieweit den Gemeindebehörden gestattet werden solle, den Abend-Ladenschluss um kurze Zeit hinauszuschieben oder vorzuverlegen, zu längerer Diskussion Anlass gegeben; wenn schon darüber lange diskutiert worden sei, sei der Schluss erlaubt, dass der Gesetzgeber weit davon entfernt gewesen sei, an einen ganztägigen Ladenschluss zu denken. Damit lässt sich die Willkürrüge nicht begründen. Die Tatsache, dass die Ansichten mit Bezug auf die Kompetenz der Gemeindebehörden zur Verschiebung des normalen Abend-Ladenschlusses auseinandergingen, lässt nicht zwingend darauf schliessen, dass die gesetzgebende Behörde dem Gemeinderat die Befugnis versagen wollte, die Verkaufsgeschäfte einen ganzen Tag schliessen zu lassen. Es handelt sich um verschiedene Fragen, und es liess sich bei der Gesetzesberatung in vernünftiger Argumentation der Standpunkt vertreten, den Gemeinden sei wohl die Befugnis zu ganztägiger Schliessung der Geschäfte zuzuweisen, nicht aber die Befugnis, die abendliche Schliessungszeit gegenüber der normalen (19.00 Uhr) wesentlich zu verschieben. Aus den Gesetzesmaterialien könnte nur dann ein für den Standpunkt der Beschwerdeführerin erhebliches Argument hergeleitet werden, wenn in den Beratungen klar die Meinung zum Ausdruck gebracht worden wäre, die Befugnis zu ganztägiger Schliessung der Geschäfte sei den Gemeindebehörden zu versagen, oder wenn allenfalls sogar der Hinweis auf die Möglichkeit des Ladenschlusses am Samstagnachmittag in der Diskussion ernstlich bekämpft worden wäre. An einem solchen Nachweis fehlt es. Selbst wenn aber der Gesetzgeber im Jahre 1940 dem Gemeinderat nur die Befugnis hätte übertragen wollen, die Verkaufgeschäfte halbtägig, nicht ganztägig schliessen zu lassen, wäre dies nicht unbedingt massgebend. Was der historische Gesetzgeber gewollt hat, ist für die Rechtsanwendung nicht von vorneherein entscheidend, weil eine Norm mit der Zeit infolge veränderter Verhältnisse eine andere Bedeutung erlangen kann, als sie ihr am Anfange zugeschrieben wurde (BGE 88 I 157 mit Verweisungen).
| 12 |
Damit ist dargetan, dass der angefochtene Entscheid des Regierungsrates § 2 LSG nicht offensichtlich schwer verletzt (BGE 90 I 139). Die Beschwerdeführerin bezeichnet denn auch zwar allgemein die Rechtsanwendung als willkürlich, ohne aber näher auszuführen, worin diese Willkür erblickt wird; sie lässt es dabei bewenden, der Rechtsauffassung des Regierungsrates ihre eigene gegenüberzustellen.
| 13 |
14 | |
a) Art. 31 BV, der die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet, behält in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe und deren Besteuerung vor, fügt aber bei, dass diese ihrerseits den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen dürfen. Dieser Zusatz bedeutet, dass wirtschaftspolitische Massnahmen, die zugunsten gewisser Erwerbszweige und Betriebsarten in die freie Konkurrenz eingreifen, ausgeschlossen und nur gewerbepolizeiliche Massnahmen zulässig sind, welche die Ausübung von Handel und Gewerbe aus polizeilichen Gründen - zum Schutze der öffentlichen Ordnung, von Ruhe, Sicherheit, Gesundheit, Sittlichkeit und Treu und Glauben im Geschäftsverkehr - beschränken. Diese gewerbepolizeilichen Einschränkungen müssen einerseits alle Gewerbegenossen gleich behandeln (Grundsatz der Rechtsgleichheit) und dürfen anderseits nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist, durch den sie gedeckt sind (Grundsatz der Verhältnismässigkeit). Wahren sie diese Grundsätze nicht, so verstossen sie gegen Art. 31 BV (BGE 86 I 272 mit Verweisungen, BGE 87 I 448 lit. b und 453 Erw. 3, BGE 88 I 236 Erw. 3, BGE 89 I 30 Erw. 2, nicht veröffentlichter Entscheid vom 14. November 1964 in Sachen Billeter). Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Vorschriften, welche die Schliessung der Ladengeschäfte während einer bestimmten Zeitspanne an Werktagen anordnen, um den Ladeninhabern und dem Personal die nötige Freizeit zu verschaffen, gewerbepolizeiliche Vorschriften zum Schutze der öffentlichen Gesundheit und als solche mit Art. 31 BV vereinbar seien (BGE 73 I 100Erw. 2, BGE 86 I 274 Erw. 1, BGE 88 I 236, BGE 89 I 31). Dabei hat das Gericht mit einlässlicher Begründung dargetan, dass die gegen diese Rechtsprechung gerichtete, von der Beschwerdeführerin erwähnte Kritik nicht stichhaltig ist (BGE 86 I 275 /276). Ein Anlass, von der bisherigen Praxis abzuweichen, besteht deshalb nicht.
| 15 |
b) In den Motiven einzelner bundesgerichtlicher Urteile wurde etwa ausgeführt, es sei vor Art. 31 BV zulässig, die Ladengeschäfte "an einem Werktag" schliessen zu lassen; es ist auch die Rede von der Pflicht zur Gewährung eines "freien Wochentags oder -halbtags" (BGE 86 I 275, BGE 89 I 31). Solche Formulierungen könnten zur Annahme verleiten, das Bundesgericht habe bereits darüber befinden müssen, ob es unter dem Gesichtspunkte der Handels- und Gewerbefreiheit zulässig sei, einen Ladenschluss für einen ganzen Werktag anzuordnen. Tatsächlich hatte sich jedoch der Staatsgerichtshof bis anhin nur mit solchen kantonalen Entscheiden zu befassen, die den Ladenschluss an einem halben Werktag anordneten. Die Anordnung des "Wirtesonntags" durch eine kantonale Behörde (BGE 86 I 272) bildet nur scheinbar eine Ausnahme, denn hier handelte es sich darum, den Angestellten einen freien Tag je Woche zu gewähren, während für das Ladenpersonal im allgemeinen der Sonntag ohnehin arbeitsfrei ist. Soweit die Ordnung des Ladenschlusses in Frage steht, hatte das Bundesgericht bis jetzt nur darüber zu befinden, ob es im Rahmen des gewerbepolizeilichen Zweckes bleibe, wenn eine kantonale Behörde die Schliessung der Verkaufsgeschäfte an einem Halbtag anordnet. Im vorliegenden Falle stellt sich demnach erstmals die Frage, ob es durch diesen Zweck noch gedeckt sei, wenn angeordnet wird, die Ladengeschäfte während eines ganzen Werktages geschlossen zu halten.
| 16 |
c) Was zum Schutze der öffentlichen Gesundheit notwendig ist, lässt sich nicht ein für allemal abschliessend bestimmen. Die Anschauungen darüber wandeln sich im Laufe der Zeit, und mit ihrem Wandel verändert sich auch der materielle Gehalt des gewerbepolizeilichen Zweckes. Mochte es vor Jahrzehnten zum Schutze der Gesundheit des Ladenpersonals noch als hinlänglich erscheinen, wenn die Verkaufsgeschäfte den ganzen Sonntag und an Werktagen nicht erst zu später Abendstunde geschlossen wurden, so hat sich mit der Zeit immer mehr die Anschauung verbreitet, die Arbeitnehmer hätten einen Anspruch darauf, dass ihnen nicht nur ein angemessener Feierabend, sondern neben dem Sonntag auch ein freier Wochenhalbtag gewährt werde (nicht veröffentlichter Entscheid des Bundesgerichtes vom 9. Mai 1951 in Sachen Keller). Die Entwicklung ist dabei nicht stehen geblieben, setzt sich doch in neuerer Zeit zusehends die Auffassung durch, es sei bei der Hast des heutigen Lebens den Arbeitnehmern im Interesse der allgemeinen Gesundheit ein ganzer Werktag zur Erholung einzuräumen. Bereits im Jahre 1960 wurde in der Botschaft zum Gesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel auf die "wachsende Verbreitung der Fünftagewoche" hingewiesen (BBl 1960 II 915). Im Rahmen dieser Entwicklung haben auch seither zahlreiche private und öffentliche Betriebe die Fünftagewoche eingeführt. Die Möglichkeit, dem Ladenpersonal einen freien Werktag zu gewähren, indem die Schliessung der Ladengeschäfte während eines ganzen Werktages angeordnet wird, haben allerdings bis heute erst einzelne Kantone geschaffen. Richtig ist auch, dass das Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel vom 13. März 1964 noch nicht in Kraft getreten ist und in Art. 21 den Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit wöchentlich auf mehr als fünf Tage verteilt ist, bloss jede Woche einen freien Halbtag gewährleistet. Indessen ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei um eine Minimalvorschrift handelt und dass wohl auch hier "die gesetzliche Fixierung der tatsächlichen Entwicklung nicht vorgreift, sondern ihr nachfolgt" (BBl 1960 II 968). Selbst wenn sich jedoch daraus gewisse Zweifel ergeben könnten, ob der Anspruch auf einen arbeitsfreien Werktag bereits allgemeiner Anschauung entspricht, vermöchte das an der Beurteilung nichts zu ändern. Beim Entscheid über die Frage, wie weit eine gewerbepolizeiliche Schranke reichen darf, steht den kantonalen Behörden ein gewisser Ermessensspielraum zu, da es im hier fraglichen Bereich ihre Aufgabe ist, den Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten (BGE 87 I 190). Beim heutigen Stand der Dinge kann nicht gesagt werden, die aargauische Behörde habe sich nicht an diese Grenze ihres Ermessens gehalten, wenn sie annahm, nach jetziger Auffassung sei zum Schutze der Gesundheit des Ladenpersonals ein freier Werktag vonnöten. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet ist deshalb die umstrittene Massnahme durch den gewerbepolizeilichen Zweck gedeckt.
| 17 |
d) Im Zusammenhang mit dem Einwand der Beschwerdeführerin, die angefochtene Ladenschlussordnung sei nicht im Hinblick auf die Gesundheit der Arbeitnehmer erlassen worden, sondern um die Stellung der Inhaber von Ladengeschäften auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, ist daran zu erinnern, dass eine gewerbepolizeiliche Vorschrift auch wirtschaftspolitische Folgen haben kann. "Sind für ein bestimmtes Gewerbe nur gewerbepolizeiliche Einschränkungen zulässig, so ist eine gewerbepolizeiliche Vorschrift nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil sie auch gewisse wirtschaftspolitische Auswirkungen hat. Die Vorschrift darf aber nicht wegen dieser wirtschaftspolitischen Auswirkung erlassen werden; letztere darf nur die unvermeidbare Begleiterscheinung der polizeilichen Einschränkung sein, und sie darf nicht so intensiv sein, dass dadurch die Folgen der polizeilichen Vorschriften - das Opfer an Freiheit - in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum Wert des zu schützenden polizeilichen Gutes stehen" (MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit S. 103). Die Tatsache, dass die von der kantonalen Behörde getroffene Massnahme eine wirtschaftspolitische Wirkung in der Weise entfaltet, dass es beim heutigen Mangel an Arbeitskräften den Inhabern von Ladengeschäften erleichtert wird, in Konkurrenz mit andern Arbeitgeberkategorien Personal zu finden, wenn die Fünftagewoche auch für das Ladenpersonal gewährleistet ist, beraubt demnach an sich die Massnahme ihres gewerbepolizeilichen Charakters nicht. Das wäre erst der Fall, wenn die kantonale Behörde die umstrittene Massnahme gerade und in erster Linie um der genannten wirtschaftspolitischen Auswirkung willen beschlossen hätte. Das kann nicht angenommen werden. Wohl hat der Gemeinderat in der Begründung seiner Beschwerde an den Regierungsrat auf das wirtschaftspolitische Anliegen des Handwerker- und Gewerbevereins hingewiesen, doch lag das Hauptgewicht der Argumentation auf den diesem Hinweis folgenden Ausführungen: "Diese Ordnung liegt im Interesse der Geschäftsinhaber und vor allem des Verkaufspersonals. Es handelt sich dabei dem Sinne und Zwecke nach, wie die Polizeidirektion richtig ausführt, einfach darum, die Arbeits- und Präsenzzeit im Interesse der Gesundheit und des Wohlergehens von Geschäftsinhaber und Personal auf ein erträgliches Mass zu reduzieren." Dies lässt erkennen, dass es dem Gemeinderat im wesentlichen um den Gesundheitsschutz zu tun war, und der Regierungsrat hat in seinem Entscheid die angefochtene Massnahme vollends nur im Hinblick auf dieses gewerbepolizeiliche Ziel geschützt. Das Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit ist ausserdem solcher Art, dass sich nicht einwenden liesse, die polizeiliche Einschränkung, welche sich die Ladeninhaber gefallen lassen müssen, stehe zu seinem Wert in keinem angemessenen Verhältnis. Auch unter diesem Gesichtspunkte betrachtet ist demnach die angefochtene Massnahme durch den gewerbepolizeilichen Zweck, den sie verfolgt, gedeckt.
| 18 |
e) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist es zulässig, die Schliessung allen Geschäften eines Gewerbezweiges und damit auch Betrieben vorzuschreiben, die keine oder aber so viele Angestellten beschäftigen, dass diesen ohne Stillegung der Geschäftstätigkeit abwechslungsweise die nötige Freizeit gewährt werden könnte. Es soll damit vermieden werden, dass unter den konkurrierenden Gewerbegenossen ungleiche Bedingungen geschaffen werden, was gegen die Rechtsgleichheit verstossen würde (BGE 86 I 274 ff. mit Verweisungen). Das Argument der Beschwerdeführerin, ihrem Personal seien bereits zwei freie Halbtage in der Woche eingeräumt, da die Angestellten abwechslungsweise alle vier Wochen in den Genuss eines ganzen arbeitsfreien Werktages kämen, ist im Lichte dieser bundesgerichtlichen Praxis unbehelflich. Es liefe dem Grundsatz der Rechtsgleichheit zuwider, wenn das Geschäft der Beschwerdeführerin des zahlreichen Personals wegen nicht zu schliessen gezwungen wäre, während der Inhaber eines Betriebes, dem wegen der geringen Zahl von Arbeitnehmern die Möglichkeit der Auswechslung des Personals verschlossen ist, seinen Angestellten die nötige Freizeit nur unter Schliessung des Geschäftes gewähren könnte.
| 19 |
f) Die Beschwerde macht geltend, für Warenhäuser sei neben dem Samstag der Mittwochnachmittag erwiesenermassen die beste Verkaufszeit der Woche. Damit will offenbar behauptet werden, die beanstandete Massnahme gehe über das hinaus, was zur Erreichung ihres Zweckes erforderlich sei, da das angestrebte Ziel auch zu erreichen wäre, wenn die Verkaufsgeschäfte an einem Tag geschlossen würden, der nach der Erfahrung einen geringeren Durchschnittsumsatz aufweise als der Mittwoch (Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit). Wenn es sich jedoch darum handelt, im Interesse des Personals den Ladenschluss einheitlich an einem bestimmten Werktag vorzuschreiben, wird es im allgemeinen nicht zu vermeiden sein, dass für gewisse Geschäfte mehr Nachteile als für andere entstehen werden, welcher Tag auch gewählt werden mag. Die Beschwerdeführerin hat auf jeden Fall nicht dargetan, dass es ihr nicht möglich und zuzumuten wäre, dem Personal am Mittwoch freizugeben, und ebenso wenig, dass die Bestimmung eines anderen freien Tages nicht auch für andere Geschäfte Unzukömmlichkeiten verursachen würde, die ebenso bedeutend wären wie jene, welche ein Warenhaus infolge der beanstandeten Ordnung auf sich nehmen muss (vgl. unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 17. Dezember 1952 in Sachen Jenny).
| 20 |
g) Schliesslich bringt die Beschwerdeführerin vor, die vom Gemeinderat Wohlen eingeführte Ordnung trage den Bedürfnissen der Konsumenten in keiner Weise Rechnung, dadiesewährend des Schliessungstages in Wohlen überhaupt keine Einkäufe mehr tätigen könnten. Dass während der Schliessungszeit nicht eingekauft werden kann, ist die Folge einer jeden Ladenschlussordnung, und ausserdem schliesst der Umstand, dass sich in einer Umfrage 3832 Personen für und nur 469 gegen einen ganztägigen Ladenschluss ausgesprochen haben, die Annahme aus, dass die beanstandete Massnahme die Interessen der Konsumenten in ungebührlicher Weise verletze.
| 21 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 22 |
23 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |