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62. Urteil vom 22. Dezember 1965 i.S. Sacher gegen Obergericht des Kantons Aargau. | |
Regeste |
Verlust des Schweizerbürgerrechts bei Geburt im Ausland. Übergangsrecht. Art. 57 Abs. 3 BüG. |
2. Dagegen erstreckte sich dieser Verlust nicht auf seine bei Inkrafttreten des BüG noch unmündigen Kinder; für diese gilt die Verwirkungsbestimmung des Art. 10 BüG, wonach das Schweizerbürgerrecht mangels Meldung oder Erklärung mit der Vollendung des 22. Lebensjahres verloren geht (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
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Hermann Otto, geb. 11. November 1938
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Hans Bernhard, geb. 22. Mai 1941
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Maria Elisabeth, geb. 3. Juli 1942
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Gabriele Ruth, geb. 3. Juni 1945
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Georg Christian, geb. 17. August 1949.
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Am 8. April 1964 siedelte Friedrich Otto Sacher mit der Ehefrau und den drei jüngsten Kindern nach Schwyz über und trat am dortigen Kollegium eine Stelle als Lehrer für Mathematik und Physik an.
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Am 29. September 1964 ersuchte er die Justizdirektion des Kantons Aargau, ihn, seine Ehefrau und seine Kinder als Schweizerbürger anzuerkennen, wurde aber abgewiesen.
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Darauf reichten Friedrich Otto Sacher, seine Ehefrau und seine fünf Kinder beim Obergericht des Kantons Aargau Klage ein mit dem Antrag auf Feststellung, dass sie im Besitze des Ortsbürgerrechts der Gemeinde Zuzgen und damit auch der aargauischen Staatsbürgerschaft sowie des Schweizerbürgerrechts seien.
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Das Obergericht wies die Klage mit Urteil vom 11. Juni 1965 ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Der 1912 geborene Friedrich Otto Sacher habe sich erst nach dem 31. Dezember 1953 bei einer schweizerischen Behörde gemeldet und deshalb gemäss Art. 57 Abs. 3 BüG das Schweizerbürgerrecht Ende 1953 verloren. Dass er, wie ohne weiteres zu glauben sei, die Bestimmungen des BüG bis zum Jahre 1963 nicht gekannt habe, stelle keinen Hinderungsgrund im Sinne von Art. 10 Abs. 4 BüG dar; diese Bestimmung sei nur anwendbar, wenn jemand die Meldung oder Erklärung abgeben wollte, hieran aber gegen seinen Willen aus irgendeinem Grunde verhindert worden sei. Habe er aber das Schweizerbürgerrecht verwirkt, so gelte dies auch für seine Ehefrau, die eine gebürtige Ausländerin und nur durch Heirat Schweizerin geworden sei. Das BüG sage zwar nichts über die Erstreckung der Verwirkung auf die Ehefrau, doch ergebe sich diese Erstreckung aus Sinn und Geist der Art. 10 und 57 BüG klar; die gegenteilige Auslegung würde zu unsinnigen Ergebnissen ![]() | 11 |
B.- Mit der verwaltungsgerichtlichen Beschwerde stellen Friedrich Otto Sacher, seine Ehefrau und seine fünf Kinder den Antrag, es sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 11. Juni 1965 aufzuheben und festzustellen, dass die Beschwerdeführer das Ortsbürgerrecht der Gemeinde Zuzgen und damit die aargauische Staatsbürgerschaft sowie das Schweizerbürgerrecht besitzen. Sie werfen dem Obergericht Verletzung der Art. 10 und 57 BüG vor. Die Beschwerdebegründung ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
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C.- Das Obergericht des Kantons Aargau hat, unter Festhalten an den Ausführungen des angefochtenen Entscheids, auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde verzichtet.
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Das EJPD beantragt Gutheissung der Beschwerde in bezug auf Maria Elisabeth, Gabriele Ruth und Georg Christian Sacher und Abweisung in bezug auf die übrigen Beschwerdeführer.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Auf Grund der mit der Klage eingereichten Urkunden steht fest, dass der Kläger Friedrich Otto Sacher in direkter ![]() | 15 |
2. Die BV von 1874 (Art. 44 Abs. 1), wie schon diejenige von 1848 (Art. 43 Abs. 1), gewährleistete die Unverlierbarkeit des Schweizerbürgerrechts, indem sie den Kantonen verbot, einen Kantonsbürger des Bürgerrechts verlustig zu erklären. Der aus der Revision von 1928 hervorgegangene neue Art. 44 BV enthält dieses Verbot nicht mehr und bestimmt, dass die Bedingungen nicht nur für die Erteilung, sondern auch für den Verlust des Schweizerbürgerrechts durch die Bundesgesetzgebung aufgestellt werden (Abs. 2). Damit wurde dem Bund die Kompetenz eingeräumt, den Verlust des Schweizerbürgerrechts insbesondere auch anzuordnen für Personen, die im Ausland wohnen, eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen und keine inneren Beziehungen mehr zur Schweiz haben (BURCKHARDT, Kommentar zur BV, S. 385). Von dieser Möglichkeit wurde beim Erlass des BüG in zweifacher Hinsicht Gebrauch gemacht. Gemäss Art. 10 Abs. 1 BüG verwirkt das im Ausland geborene Kind eines ebenfalls im Ausland geborenen Schweizerbürgers, das noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzt, das Schweizerbürgerrecht mit der Vollendung des 22. Lebensjahres, wenn es bis dahin nicht einer schweizerischen Behörde gemeldet worden ist oder selber eine auf Beibehaltung des Schweizerbürgerrechts gerichtete Erklärung abgegeben hat. Da diese Bestimmung, wie das BüG überhaupt, keine rückwirkende Kraft hat (Art. 57 Abs. 1 BüG), hätten schweizerisch-ausländische Doppelbürger, die der Schweiz völlig entfremdet sind, jedoch beim Inkrafttreten des BüG schon 22 Jahre alt waren, bis zu ihrem Ableben das Schweizerbürgerrecht behalten, und auch ihre nach dem Inkrafttreten geborenen Kinder wären, unter Vorbehalt der Verwirkung ![]() | 16 |
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Nach dem auch im Rahmen der Übergangsbestimmung von Art. 57 Abs. 3 anwendbaren Abs. 4 des Art. 10 BüG kann derjenige, der gegen seinen Willen die Meldung oder Erklärung nach Abs. 1 nicht rechtzeitig abgeben konnte, sie gültig noch innerhalb eines Jahres nach Wegfall des Hinderungsgrundes abgeben. Schon der Wortlaut dieser Bestimmung steht der in der Beschwerde vertretenen Auslegung entgegen. "Gegen seinen Willen" unterlässt die Meldung oder Erklärung nur, wer den Willen, sie abzugeben, hatte, und das setzt voraus, dass er die Möglichkeit, auf diese Weise sein Schweizerbürgerrecht zu erhalten, kannte. Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte. Der bundesrätliche Entwurf des BüG enthielt noch keine dem Abs. 4 des Art. 10 entsprechende Bestimmung. Sie wurde von der Kommission des Nationalrates aufgenommen, wobei der zunächst vorgeschlagene Ausdruck "mit Gewalt verhindert" durch die Worte "gegen seinen Willen" ersetzt wurde, um die Anwendung nicht auf den Fall des physischen Zwangs zu beschränken (Protokoll der Sitzung vom 10. September 1951 S. 26/7). Im Nationalrat erklärten beide Berichterstatter, dieser Zusatz trage dem Umstand Rechnung, dass ein Schweizer in den totalitären Verhältnissen der heutigen Zeit durch moralischen, physischen oder materiellen Zwang gehindert sein könnte, seine ![]() | 18 |
Friedrich Otto Sacher hat somit sein Schweizerbürgerrecht Ende 1953 verloren. Seine Erklärung vom 28. November 1963 vermag hieran nichts mehr zu ändern, und seine Beschwerde ist unbegründet.
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6. Soweit sich die Meldung vom 28. November 1963 auf Maria Elisabeth, Gabriele Ruth und Georg Christian Sacher ![]() | 22 |
a) Nach Auffassung des Vorinstanz setzt Art. 10 Abs. 1 BüG voraus, dass der unmittelbare Vorfahre des Ansprechers im Zeitpunkt, in dem dieser gemeldet wird oder selber die Meldung oder Erklärung abgibt, noch Schweizerbürger sei, was hier nicht zugetroffen habe. Dieser Auslegung kann nicht beigepflichtet werden. Der Ausdruck "das im Ausland geborene Kind eines Schweizerbürgers" bezieht sich offensichtlich darauf, dass das Kind sein Schweizerbürgerrecht durch Abstammung erworben hat, d.h. dass der Vater (oder in gewissen Fällen die Mutter; vgl. Art. 1 lit. b, 5 Abs. 1 und 10 Abs. 2 BüG) zur Zeit der Geburt das Schweizerbürgerrecht besessen hat. Wenn er es in der Folge verloren hat, so schliesst jener Wortlaut an sich nicht aus, dass die Kinder das durch Abstammung erworbene Schweizerbürgerrecht beibehalten können. Das steht ausser Zweifel bei Kindern, die im Zeitpunkt, wo der Vater das Schweizerbürgerrecht verliert, schon volljährig waren und deshalb durch diesen Verlust nicht berührt werden konnten. Ernstlich fragen kann sich nur, wie es sich verhält, wenn die Kinder in diesem Zeitpunkt noch unmündig waren, wie es hier bei den drei jüngeren Kindern der Fall war.
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b) Das führt zur Frage, ob die Verwirkung des Schweizerbürgerrechts nur denjenigen, bei dem die Voraussetzungen dafür vorliegen, trifft oder sich auch auf seine minderjährigen Kinder erstreckt. Diese Frage kann sich sowohl im Rahmen des hier anwendbaren Art. 57 Abs. 3 BüG stellen wie auch im Rahmen des Art. 10, letzteres dann, wenn ein Schweizer (oder in gewissen Fällen eine Schweizerin) vor Vollendung des 22. Lebensjahres Vater (bzw. Mutter) geworden und für ihn bis dahin keine Meldung oder Erklärung im Sinne des Art. 10 abgegeben worden ist. Hier ist nur zu prüfen, ob sich die in der Übergangsbestimmung von Art. 57 Abs. 3 BüG angeordnete Verwirkung auch auf unmündige Kinder erstreckt.
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Das Bundesgericht hat dies bereits im nicht veröffentlichten Urteil vom 17. September 1964 i.S. EJPD c. Sciarone verneint. Von dieser nun auch vom EJPD als richtig anerkannten Auffassung abzuweichen, besteht kein Anlass. Art. 57 Abs. 3 BüG ![]() ![]() | 25 |
c) Geht man davon aus, dass die drei jüngeren Kinder Sacher das Schweizerbürgerrecht Ende 1953, als ihr Vater es gemäss Art. 57 Abs. 3 BüG verwirkte, nicht verloren haben, so besitzen sie es noch heute, da sie von ihrem Vater mit Schreiben vom 28. November 1963 dem EJPD im Sinne von Art. 10 Abs. 1 BüG gemeldet worden sind. Dass Maria Elisabeth Sacher damals schon volljährig war, ist bedeutungslos. Nach Art. 10 Abs. 3 BüG kann es nicht zweifelhaft sein, dass ein Vater die nach Abs. 1 erforderliche Meldung auch für ein volljähriges Kind abgeben kann, zumal die in Abs. 3 enthaltene Aufzählung dessen, was als genügende Meldung anzuerkennen ist, nicht abschliessend ist, wie sich aus dem Ausdruck "namentlich" klar ergibt (vgl. auch die Botschaft zum BüG, BBl 1951 II 693, sowie StenBull. NatR 1951 S. 802). Sollte die schweizerische Behörde, bei der eine mündige Person durch einen Dritten ![]() | 26 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde der Ehegatten Friedrich Otto und Ruth Elisabeth Sacher-Schneider, des Hermann Otto Sacher und des Hans Bernhard Sacher wird abgewiesen. Die Beschwerde der Maria Elisabeth Sacher, der Gabriele Ruth Sacher und des Georg Christian Sacher wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 11. Juni 1965 insoweit, als er sich auf diese drei Beschwerdeführer bezieht, aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführer Maria Elisabeth Sacher, Gabriele Ruth Sacher und Georg Christian Sacher das Schweizerbürgerrecht und die Bürgerrechte des Kantons Aargau und der Gemeinde Zuzgen besitzen.
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