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71. Urteil vom 26. Mai 1965 i.S. Müller gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn. | |
Regeste |
Art. 31 und 33 Abs. 2 BV; Apothekergewerbe. |
2. Die Kantone können für gewerbepolizeiliche Einschränkungen eine formelle gesetzliche Grundlage verlangen (Erw. 3 a). |
3. Die Vorschrift, dass ein "Heilmittelschrank" nur von einer im Kanton gelegenen Apotheke mit Heilmitteln beliefert werden darf, verstösst gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und damit gegen Art. 31 BV (Erw. 3 b, 4). | |
Sachverhalt | |
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"Soweit ein. Bedürfnis besteht, erteilt der Regierungsrat eine Bewilligung zur Abgabe bestimmter den Apotheken und Drogerien vorbehaltener Heilmittel an andere hierzu geeignete Verkaufsstellen (Heilmittelschrankbewilligung)."
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"In Ausführung" dieser Bestimmung hat der Regierungsrat am 24. März 1964 eine Verordnung über die Erteilung von Heilmittelschrankbewilligungen (VHS) erlassen. Diese schreibt in § 6 Abs. 1 vor:
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"Sämtliche Arzneimittel sind aus einer zu wählenden bestimmten Apotheke des Kantons Solothurn zu beziehen. Von anderen Lieferanten dürfen keine Arzneimittel bezogen werden."
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B.- Das Schwesternheim St. Gertrud in Seewen (Kanton Solothurn) und Dr. Moritz Müller, Apotheker in Schinznach-Dorf (Kanton Aargau) ersuchten den Regierungsrat am 14. November 1964, es sei dem Schwesternheim die Führung eines Heilmittelschrankes und Dr. Müller dessen Belieferung zu bewilligen.
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Der Regierungsrat hat am 12. Februar 1965 beschlossen:
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"1. Es wird festgestellt, dass Schwester Gabriela Wild, Schwesternheim St. Gertrud, Seewen, die Voraussetzungen zur Führung eines Heilmittelschrankes erfüllt.
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2. Die Heilmittelschrank-Bewilligung wird Schwester Gabriela Wild erteilt, sobald sie eine Apotheke des Kantons Solothurn als Lieferantin der Arzneimittel bezeichnet hat.
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3. Im übrigen wird das Gesuch abgewiesen."
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In der Begründung wird ausgeführt, Seewen sei mehr als fünf Weg-Kilometer von der nächsten Apotheke oder Drogerie entfernt, ![]() | 10 |
C.- Dr. Müller führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, es seien Ziff. 2 und 3 des Regierungsratsbeschlusses vom 12. Februar 1965 aufzuheben. Er macht im wesentlichen geltend, der Regierungsrat sei nach Art. 12 Ziff. 2 der solothurnischen Kantonsverfassung (KV) nicht zu einer Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit ermächtigt, wie sie § 6 Abs. 1 VHS mit dem Ausschluss ausserkantonaler Apotheken beinhalte. Dieser Ausschluss verstosse ausserdem gegen die in Art. 33 Abs. 2 BV gewährleistete Freizügigkeit der wissenschaftlichen Berufsarten sowie gegen Art. 1 des diesen Verfassungssatz ausführenden Bundesgesetzes betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals. Da § 6 Abs. 1 VHS den Grundsatz der Verhältnismässigkeit missachte, verletze er zudem die Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV).
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D.- Der Regierungsrat schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass der Regierungsrat § 6 Abs. 1 VHS im angefochtenen Beschluss richtig angewendet hat. Er macht vielmehr geltend, diese Bestimmung sei selber verfassungswidrig. Diese Rüge ist zulässig. Das ![]() | 13 |
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Ist die Ausübung eines Berufes mit erhöhten Gefahren für Dritte und die Öffentlichkeit verbunden, deren Erkennung und Vermeidung besondere Fachkenntnisse voraussetzt, so können die Kantone gestützt auf ihre gewerbepolizeilichen Befugnisse für diesen Beruf einen Fähigkeitsausweis einführen. Für die wissenschaftlichen Berufsarten hat die Bundesverfassung dabei nach bestimmten Richtungen hin eine Sonderregelung getroffen. Art. 33 Abs. 1 BV stellt es den Kantonen anheim, die ![]() | 15 |
Von der ihm in Art. 33 Abs. 2 BV eingeräumten Zuständigkeit hat der Bund durch den Erlass des Bundesgesetzes betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals (Freizügigkeitsgesetz) vom 19. Dezember 1877 Gebrauch gemacht, das in Art. 1 lit. a "diejenigen Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker, welche nach Massgabe dieses Gesetzes ein eidgenössisches Diplom erworben haben, ... zur freien Ausübung ihres Berufes im Gebiete der ganzen Eidgenossenschaft befugt" erklärt. Das besagt jedoch lediglich, dass die Kantone vom Inhaber eines solchen Diploms keine weiteren Ausweise über seine wissenschaftliche Befähigung verlangen dürfen; in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 BV gibt Art. 1 lit. a des Freizügigkeitsgesetzes der eidgenössisch diplomierten Medizinalperson einen verfassungsmässigen Anspruch darauf, dass jeder Kanton das Diplom als genügenden wissenschaftlichen Ausweis für den betreffenden Beruf anerkennt (BGE 80 I 153). Weitere Rechte kann der Inhaber eines eidgenössischen Diploms aus diesen Bestimmungen nicht ableiten. Art. 33 Abs. 2 BV und Art. 1 des Freizügigkeitsgesetzes stehen insofern unter dem Vorbehalt des Art. 31 Abs. 2 BV, als sie die Kantone nicht hindern, die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten und insbesondere der Medizinalberufe auf Grund des letztgenannten Verfassungssatzes andern polizeilichen Beschränkungen zu unterwerfen. So können die Kantone die Berufsausübung von einer Bewilligung abhängig machen, die ausser der Vorlegung des eidgenössischen Diploms die Erfüllung weiterer, den Rahmen des Art. 31 Abs. 2 BV einhaltender polizeilicher Anforderungen voraussetzt (vgl.BGE 29 I 280Erw. 2 mit Verweisungen, 32 I ![]() | 16 |
Art. 6 Abs. 1 VHS verstiesse nach dem Gesagten nur dann gegen Art. 33 Abs. 2 BV und Art. 1 des Freizügigkeitsgesetzes, wenn er die ausserkantonalen Apotheker ungeachtet des Vorliegens oder Fehlens eines eidgenössischen Diploms mangels wissenschaftlicher Befähigung von der Belieferung der Heilmittelschränke ausschlösse. Er geht indessen nicht von dieser Erwägung aus, und dem Beschwerdeführer ist die Bewilligung zur Belieferung des Heilmittelschrankes des Schwesternheims St. Gertrud nicht mit der Begründung verweigert worden, das ihm verliehene eidgenössische Diplom sei kein genügender Ausweis. Die Rüge der Verletzung von Art. 33 Abs. 2 BV und Art. 1 des Freizügigkeitsgesetzes geht mithin fehl.
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Der Beschwerdeführer beklagt sich über eine Verletzung der Grundsätze der Gesetzmässigkeit, der Verhältnismässigkeit und in gewissem Sinne auch der Rechtsgleichheit.
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a) Nach dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung müssen die der Freiheit des Bürgers gezogenen Schranken auf gesetzlicher Grundlage beruhen, das heisst sich auf eine generellabstrakte ![]() | 20 |
Die vom Kantonsrat erlassene VHM beschränkt sich in § 6 Abs. 3 darauf, den Regierungsrat zu ermächtigen, "soweit ein Bedürfnis besteht,... eine Bewilligung zur Abgabe bestimmter den Apotheken und Drogerien vorbehaltener Heilmittel an andere hierzu geeignete Verkaufsstellen (Heilmittelschrankbewilligung)" zu erteilen. Die Voraussetzungen für die Erteilung dieser Bewilligung und die daran zu knüpfenden Bedingungen und Auflagen werden in § 6 Abs. 3 VHM nicht oder nur in ganz allgemeiner Weise festgelegt. Hier treten die Vorschriften der VHS ein, die der Regierungsrat "in Ausführung" der erwähnten Bestimmung aufgestellt hat und die er in der Vernehmlassung ausdrücklich als Vollziehungsverordnung bezeichnet. Art. 12 Ziff. 2 Abs. 2 KV schliesst es nicht aus, dass der Regierungsrat auch im Bereiche der Gewerbepolizei von der ihm in Art. 38 Ziff. 1 KV eingeräumten Befugnis zum Erlass solcher Verordnungen Gebrauch macht. Führt § 6 Abs. 1 VHS, um den es hier geht, lediglich eine Regelung aus, die in grundsätzlicher Weise bereits in § 6 Abs. 3 VHM Gestalt angenommen hat (vgl. BGE 85 I 84 /85 mit Verweisungen; VEB 29 S. 61), so vermag er in Verbindung mit dieser vom Kantonsrat ausgegangenen Bestimmung eine Grundlage für Anordnungen gewerbepolizeilicher Natur abzugeben, die den Anforderungen des Art. 12 Ziff. 2 Abs. 2 KV genügt. Ob § 6 Abs. 1 VHS sich in diesem Rahmen halte und damit formell verfassungsmässig sei, kann indessen offen bleiben, da er sich, wie sich im Folgenden ergeben wird, jedenfalls als materiell verfassungswidrig erweist.
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§ 6 Abs. 1 VHS schreibt in Satz 1 vor, dass der Inhaber des Heilmittelschrankes sämtliche (dem Verkauf in Apotheken und Drogerien vorbehaltenen) Arzneien aus einer von ihm zu wählenden bestimmten Apotheke zu beziehen hat und dass diese im Kanton Solothurn gelegen sein muss. Die Verfassungsmässigkeit des ersten Erfordernisses ist hier nicht bestritten, wohl aber die des zweiten. Die Verpflichtung, die Lieferantin der Arzneien aus dem Kreise der Apotheken im Kanton zu wählen, ist zur Gewährleistung einer wirksamen Überwachung des Heilmittelverkehrs in die VHS aufgenommen worden; sie dürfte nach der Vernehmlassung des Regierungsrates auch den Nebenzweck verfolgen, eine enge Verbindung zwischen dem Inhaber des Heilmittelschrankes und dem beliefernden Apotheker zu sichern und es so zu ermöglichen, dass dieser sich persönlich des Heilmittelschrankes annehmen kann und er in der Lage ist, fehlende Arzneien jederzeit rasch nachzuliefern. Beide Zielsetzungen dienen der öffentlichen Gesundheit und sind damit polizeilicher Natur. Die beanstandete Einschränkung erweist sich jedoch von vornherein als ungeeignet, um den an zweiter Stelle genannten Zweck einer engen Verbindung zwischen Apotheke und Heilmittelschrank zu gewährleisten. Manche solothurnische Gemeinde, in der sich ein Bedürfnis nach einem Heilmittelschrank einstellen kann, ist von der nächsten ausserkantonalen Apotheke aus viel einfacher und schneller zu erreichen als von einer Apotheke im Kanton; der Ausschluss ausserkantonaler Apotheken läuft demnach mitunter dem ![]() | 23 |
Die Notwendigkeit einer solchen Überwachung ist klar ausgewiesen, da die Inhaber eines Heilmittelschrankes sich in der Regel im Arzneiwesen nur ungenügend auskennen. Um voll wirksam zu sein, ist diese Überwachung nach drei Richtungen hin vorzunehmen: sie hat die Abgabe der Arzneien durch den Inhaber des Heilmittelschrankes, den Bestand und die Aufbewahrung der Arzneien im Heilmittelschrank sowie die Belieferung desselben durch den hierfür bezeichneten Apotheker zu erfassen. Entgegen den Darlegungen des Regierungsrates im angefochtenen Beschluss und in der Vernehmlassung lässt sich dabei die Belieferung des Heilmittelschrankes auch dann mit ausreichender Sicherheit überwachen, wenn die beliefernde Apotheke in einem andern Kanton liegt. Übernimmt ein ausserkantonaler Apotheker die Belieferung eines Heilmittelschrankes, so übt er damit einen Teil seines Berufes im Kantonsgebiet aus; er untersteht hinsichtlich dieser Tätigkeit der Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Gerichtshoheit des Kantons Solothurn (vgl. BGE 87 I 454 Erw. 5 mit Verweisungen). Kraft dieser Hoheit kann der Kanton die Belieferung eines Heilmittelschrankes durch einen ausserkantonalen Apotheker der Bewilligungspflicht unterstellen; er kann die Erteilung der Bewilligung davon abhängig machen, dass der Bewerber ausser dem eidgenössischen Diplom genügende Ausweise über seine persönliche Vertrauenswürdigkeit beibringt; er kann die Bewilligung ferner mit der Auflage verbinden, über die gelieferten Arzneien laufend oder in bestimmten Zeitabständen unter Beifügung der Belege Bericht zu erstatten, wobei er die Möglichkeit hat, sich bei der Inspektion der Heilmittelschränke, die nach § 41 VHM und § 11 VHS ohnehin stattzufinden hat, von der Richtigkeit der Berichte des Lieferanten zu überzeugen; gegen allfällige Mängel kann er mit den verwaltungsrechtlichen Mitteln der Beschlagnahme widerrechtlich gelieferter Heilmittel (§ 31 VHM) sowie des Bewilligungsentzuges (§ 30 VHM) einschreiten und eine Übertretung von Verordnungsbestimmungen durch den ausserkantonalen Apotheker mit den in § 32 VHM vorgesehenen Strafen ahnden. Entgegen der Ansicht des Regierungsrates kann dabei auch dem § 10 VHS Nachachtung ![]() | 24 |
Der Regierungsrat hat es dergestalt in der Hand, die Belieferung eines Heilmittelschrankes durch einen ausserkantonalen Apotheker soweit überwachen zu lassen, als es die öffentliche Gesundheit erfordert. Zwar wird diese Überwachung unter Umständen mit vermehrten Umtrieben verbunden sein, doch dürften sich die dadurch bedingten Mehraufwendungen in bescheidenem Rahmen halten. Aufkeinen Fall aber geht es an, nur aus derartigen fiskalischen Überlegungen in den freien Wettbewerb zwischen kantonalen und ausserkantonalen Bewerbern um die Belieferung eines Heilmittelschrankes einzugreifen.
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Da der in § 6 Abs. 1 VHS ausgesprochene allgemeine Ausschluss ausserkantonaler Apotheker Art. 31 BV verletzt, hält auch die gestützt auf diese Verordnungsbestimmung ergangene ![]() | 27 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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