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31. Auszug aus dem Urteil vom 26. Oktober 1966 i.S. F. gegen B. und Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau. | |
Regeste |
Anspruch auf rechtliches Gehör im Zivil- und Strafprozess. | |
Sachverhalt | |
1 | |
F. wurde von der Bezirksgerichtskommission Münchwilen im Zivilprozess der üblen Nachrede schuldig erklärt und zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 14 Tagen sowie zur Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 200.-- an den Kläger verurteilt. Er appellierte hiegegen mit dem Antrag auf Freisprechung. Die Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau ![]() | 2 |
In der gegen diesen Entscheid erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde wirft F. dem Obergericht unter anderm Verweigerung des rechtlichen Gehörs vor.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde aus diesem Grunde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Als Verweigerung des rechtlichen Gehörs rügt der Beschwerdeführer, dass die Rekurskommission auf das psychiatrische Gutachten abgestellt hat, ohne ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Gutachten oder auch nur Kenntnis von dessen Inhalt zu geben.
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Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird zunächst grundsätzlich durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben. Wo dieser kantonale Rechtsschutz sich als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden, also bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz, die dem Bürger in allen Streitsachen ein bestimmtes Mindestmass an Verteidigungsrechten gewährleisten (BGE 87 I 339 Erw. 4 a mit Verweisungen).
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Nach § 253 thurg. ZPO ist ein vom Gericht eingeholtes Gutachten ![]() | 7 |
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör im Zivil- und Strafprozess allgemein und unbedingt (BGE 43 I 165,BGE 46 I 327; FAVRE, Droit constitutionnel suisse S. 251). Die Parteien haben daher Anspruch darauf, an den Beweiserhebungen (Zeugeneinvernahmen, Augenschein usw.) teilzunehmen (BGE 91 I 92 Erw. 2) und in ein vom Gericht eingeholtes oder beigezogenes Gutachten Einsicht zu nehmen (BGE 34 I 13). Indem die Rekurskommission das Gutachten beizog und darauf abstellte, ohne dem Beschwerdeführer von seinem Inhalt Kenntnis zu geben, hat sie ihm somit das rechtliche Gehör verweigert. Sie behauptet in der Beschwerdeantwort freilich, sie sei davon ausgegangen, er sei "vom Ergebnis der nervenärztlichen Untersuchung im wesentlichen unterrichtet" gewesen, vermag aber nicht anzugeben, wann und durch wen er vom Inhalt des Gutachtens oder wenigstens von den Schlussfolgerungen und Anträgen des Experten Kenntnis erhalten hätte. Diese angebliche Orientierung des Beschwerdeführers vermag daher die nach Art. 4 BV gebotene Mitteilung durch den Richter im Prozess nicht zu ersetzen. Ebensowenig durfte diese Mitteilung im Hinblick auf den Geisteszustand des Beschwerdeführers unterbleiben. Wenn die Rekurskommission der Auffassung gewesen sein sollte, der vor ihr noch nicht durch einen Anwalt vertretene Beschwerdeführer sei wegen geistiger Störungen nicht in der Lage, zum Gutachten sachgemäss Stellung zu nehmen, so hätte sie ihn entweder zur Bestellung eines Anwalts auffordern (§ 26 ZPO) oder dafür sorgen sollen, dass ihm die Vormundschaftsbehörde zur gehörigen Wahrung seiner Rechte im Prozess einen Vertreter bestelle (vgl. TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 1964 II S. 344 Anm. 54).
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nach feststehender Rechtsprechung formeller Natur, und es hat seine Missachtung die Aufhebung des angefochtenen Entscheids auch dann zur Folge, wenn der Beschwerdeführer ein materielles Interesse hieran nicht nachzuweisen vermag (BGE 89 I 158 mit Verweisungen). Der Einwand der Rekurskommission, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Meinung des Psychiaters "rechtlich kaum von Bedeutung gewesen" wären, ist daher unbehelflich. Übrigens hätte der Beschwerdeführer bei gehöriger Mitteilung des Gutachtens nicht nur die Voraussetzungen für Massnahmen nach Art. 14 oder 15 StGB bestreiten oder eine Oberexpertise verlangen, sondern auch seine Appellation zurückziehen können mit der Wirkung, dass das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig geworden wäre und dass über die Frage seiner Versorgung in dem in Weinfelden anhängigen Strafverfahren oder in einem Administrativverfahren hätte entschieden werden müssen.
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