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45. Auszug aus dem Urteil vom 21. Dezember 1966 i.S. S. gegen Vormundschaftsbehörde des Kreises Fünf Dörfer und Kleiner Rat des Kantons Graubünden | |
Regeste |
Art. 4 BV; Beweisabnahme im Verwaltungsverfahren. | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
3. Der Beschwerdeführer beantragte in der Beschwerde an den Kleinen Rat, es seien seine Ehefrau und seine Kinder sowie sein früherer Arbeitgeber, der Vormund und einzelne in Trimmis wohnhafte Gewährsleute als Zeugen über sein Verhalten zu vernehmen. Im Auftrage des Kleinen Rates vernahm der Sekretär des kantonalen Justiz- und Polizeidepartementes telephonisch die Ehefrau des Beschwerdeführers, seinen früheren Arbeitgeber, den Trinkerfürsorger, den Präsidenten der Vormundschaftsbehörde des Kreises Fünf Dörfer, den Aktuar des Bezirksgerichtsausschusses Unterlandquart und alt Landammann J. in Trimmis zur Sache; er besprach sich ferner mit dem Vormund des Beschwerdeführers. Das Ergebnis seiner ![]() | 2 |
a) Nach dem Gebot des rechtlichen Gehörs hat die Behörde die (vom Prozessrecht vorgesehenen) Beweise, die ihr frist- und formgerecht angeboten worden sind, abzunehmen, soweit sie sich auf für die Entscheidung erhebliche feststellungsbedürftige Tatsachen beziehen und sie nicht von vornherein als ungeeignet erscheinen, der Behörde die Kenntnis der betreffenden Tatsachen zu vermitteln (BGE 73 I 199Erw. 1,BGE 78 IV 146/47). Mit welchen Mitteln ein Beweis erbracht werden kann und welche Formen bei der Beweisabnahme zu beachten sind, ergibt sich, soweit nicht unmittelbar aus Art. 4 BV fliessende Grundsätze Platz greifen, aus dem kantonalen Prozessrecht (vgl.BGE 71 IV 43/44). Laut Art. 25 der grossrätlichen Verordnung über das Verfahren in Verwaltungsstreitsachen vor dem Kleinen Rat (VVV) vom 1. Dezember 1942 bedient sich die Rekursbehörde zur Feststellung der für die Beurteilung wesentlichen Tatsachen "ordentlicherweise" der amtlichen Erhebung, des Sachverständigengutachtens, des Augenscheins, der Urkunde (Abs. 1) und des Parteiverhörs (Abs. 2). Reichen diese Beweismittel nicht aus, so können "auf Antrag oder von Amtes wegen" Zeugen vernommen werden (Abs. 3). Die Zeugen werden vom antragstellenden Departement oder in dessen Auftrag auf Grund besonderer Anweisungen durch ein Kreisamt verhört (Abs. 4 Satz 1). Die Parteien können auf Weisung des Departementes dazu vorgeladen werden (Abs. 4 Satz 2).
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b) Art. 25 VVV nennt unter den Mitteln zur Tatbestandsfeststellung in Verwaltungsstreitverfahren an erster Stelle die "amtliche Erhebung". Die schweizerische Verwaltungspraxis versteht hierunter die schriftliche oder mündliche, in Ausnahmefällen aber auch telephonische Anfrage an eine Behörde, ein einzelnes Behördenmitglied, einen Beamten oder eine sonstige Person, die amtliche Funktionen ausübt oder wegen ihrer Stellung im Beruf oder in der Öffentlichkeit das Vertrauen der untersuchenden Behörde geniesst (vgl. ZR 54 Nr. 10). Das ![]() | 4 |
c) Die Ehefrau des Beschwerdeführers und dessen früherer Arbeitgeber nehmen keine Stellung ein, die es erlaubt hätte, beweisbildende Auskünfte von ihnen auf dem Wege der "amtlichen Erhebung" einzuholen. Sie mussten vielmehr als Zeugen vernommen werden. In welcher Form Zeugen zu verhören sind, besagt Art. 25 VVV nicht; insbesondere wird darin nicht auf die einschlägigen Vorschriften der ZPO (Art. 196 ff.) oder der StPO (Art. 87, 89, 90, 105, 106, 113) verwiesen. Aus dem Fehlen einer solchen Verweisung ist zu schliessen, dass das Zeugenverhör im Verwaltungsstreitverfahren sich nicht bis ins Einzelne an die Formvorschriften des bündnerischen Zivil- oder Strafprozesses zu halten hat. Andererseits muss die Vernehmung dem Wesen der Sache nach doch gewissen Grundbedingungen entsprechen, die das kantonale Recht im Interesse der Rechtssicherheit und zum Schutze des Zeugen aufgestellt hat. Dazu gehört in erster Linie die persönliche Anwesenheit des Zeugen, die in den Vorschriften der ZPO und der StPO über die Ladung, das Erscheinen und die Befragung der Zeugen als selbstverständlich vorausgesetzt wird (vgl. Art. 201, 207 ZPO; Art. 106 StPO); denn nur, wenn der Zeuge der untersuchenden Amtsperson gegenübersteht (nicht dagegen bei bloss telephonischer Anhörung), lässt sich überprüfen, ob nicht die Gegenwart Dritter oder andere Umstände den Zeugen in der freien Aussage hemmen, und nur im persönlichen Kontakt lassen sich die Eindrücke gewinnen, ohne die sich die Glaubwürdigkeit eines Zeugen in der Regel schwerlich einschätzen ![]() | 5 |
d) Das Fehlen gültiger Aussagen der Ehefrau des Beschwerdeführers und seines früheren Arbeitgebers hätte allerdings nur dann die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zur Folge, wenn es bei der Beurteilung der Streitsache massgebend auf ihre Angaben ankäme. Das dürfte nicht zutreffen, da die subjektiv gefärbten Eindrücke von Familienangehörigen wenig zur Abklärung der Versorgungsbedürftigkeit eines Alkoholikers beitragen und die Gründe der Entlassung, worüber der frühere Arbeitgeber zu berichten hatte, im Gesamtzusammenhang kaum ins Gewicht fielen.
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Das Beweisverfahren leidet indessen an einem andern Mangel, der zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt: In einem Verwaltungsverfahren, das einen Eingriff in die persönliche Freiheit zum Gegenstand hat, hat der Betroffene gleich wie im Zivil- und Strafprozess schon unmittelbar auf Grund des Art. 4 BV einen Anspruch darauf, vom Ergebnis des Beweisverfahrens Kenntnis zu nehmen und dazu Stellung zu beziehen (vgl. BGE 92 I 187 mit Verweisungen). Zu diesem Behufe sind ihm die Akten, die zur Stützung der behördlichen Anordnung dienen sollen, zu öffnen, sofern nicht die Rücksicht auf die Gesundheit der Partei (vgl. Art. 374 Abs. 2 ZGB) oder ein besonderes Geheimhaltungsinteresse des Staates oder Dritter ausnahmsweise der Einsicht in einzelne Aktenstücke oder Teile derselben entgegenstehen (vgl. BGE 83 I 155 Erw. 5 mit Verweisungen; IMBODEN, Schw. Verwaltungsrechtsprechung, 2. Aufl. Nr. 90). Im vorliegenden Fall hat das instruierende Departement dem Vertreter des Beschwerdeführers nicht eröffnet, dass Beweisabnahmen stattgefunden hatten, und es hat ihn nicht zur Stellungnahme eingeladen. Dass der Vertreter des Beschwerdeführers kein dahin gehendes Gesuch stellte, kann ihm nicht entgegengehalten werden; denn da er von der vorgenommenen ![]() | 7 |
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