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39. Urteil vom 28. Juni 1967 i.S. Schreiber und Mitbeteiligte gegen den Grossen Rat des Kantons St. Gallen. | |
Regeste |
Ausgabenreferendum |
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 4). |
2. Begriff der "Ausgabe" und der "Anlage" (Erw. 5). |
Die Beteiligung des Staates mit bis zu Fr. 2,5 Mio an einer Zentralstelle für elektronische Datenverarbeitung ist eine Ausgabe im Sinne des st. gallischen Ausgabenreferendums (Erw. 6 und 7). | |
Sachverhalt | |
1 | |
"Alle Gesetze sowie diejenigen allgemein verbindlichen Beschlüsse des Grossen Rates, die nicht dringlicher Natur sind oder nicht gemäss Art. 55 ausschliesslich in die Kompetenz des Grossen Rates fallen, unterliegen der Abstimmung des Volkes, wenn 30 Tage nach Erlass des Gesetzes oder Beschlusses 4000 Bürger, deren Stimmberechtigung beglaubigt ist, unterschriftlich die Abstimmung verlangen, oder mindestens der dritte Teil der Mitglieder des Grossen Rates bei Erlass des betreffenden Gesetzes oder Beschlusses dies begehren."
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Gemäss dem Nachtrag vom 20. Januar 1924 "zwecks Ermöglichung des Finanzreferendums" bleibt es der Gesetzgebung vorbehalten, "zu bestimmen, ob und welche Beschlüsse des Grossen Rates von finanzieller Tragweite nach Massgabe von Art. 47 der Kantonsverfassung dem Referendum und ob und welche Gesetze und Beschlüsse des Grossen Rates von finanzieller Tragweite ohne Referendumsbegehren der Volks abstimmung zu unterstellen sind".
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Das Gesetz über den kantonalen Finanzhaushalt und das Finanzreferendum vom 17. Juni 1929 (FG) bestimmt in den Art. 9-11:
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"Art. 9. Beschlüsse des Grossen Rates, welche für den gleichen Gegenstand eine einmalige Gesamtausgabe von wenigstens Fr. 400'000.-- bis höchstens Fr. 800'000.-- oder eine mindestens zehnmal wiederkehrende Jahresausgabe von wenigstens Fr. 50'000.-- bis höchstens Fr. 100'000.-- zur Folge haben, sind der Volksabstimmung zu unterstellen, wenn innert 30 Tagen nach Erlass des Beschlusses 4000 Bürger, deren Stimmberechtigung beglaubigt ist, unterschriftlich die Abstimmung verlangen, oder mindestens der dritte Teil der Mitglieder des Grossen Rates bei Erlass des betreffenden Beschlusses dies begehrt.
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Art. 10. Gesetze und Beschlüsse des Grossen Rates, welche für den gleichen Gegenstand eine Fr. 800'000.-- übersteigende Gesamtausgabe oder eine Fr. 100'000.-- übersteigende, mindestens zehnmal wiederkehrende Jahresausgabe bedingen, sind in jedem Falle der Volksabstimmung zu unterstellen.
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Art. 11. Die vorstehenden Bestimmungen über die Volksbefragung (Art. 9 und 10) finden sinngemäss auch Anwendung auf Gesetze und Beschlüsse, welche die Übernahme anderer finanzieller Verbindlichkeiten durch den Kanton zur Folge haben, sofern für sie nicht eine Verzinsung gesichert erscheint, die der Rendite langfristiger Anleiheobligationen des Bundes entspricht."
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B.- Mit Botschaft vom 19. September 1966 unterbreitete ![]() ![]() | 8 |
Auf Grund eines Rechtsgutachtens von Prof. Geiger von der Hochschule St. Gallen vertritt der Regierungsrat in der Botschaft den Standpunkt, dass die Beteiligung des Staates an der Zentralstelle keine Ausgabe, sondern eine Vermögensanlage sei, da mit einer angemessenen Verzinsung der Kapitalanteile gerechnet werden könne und vorgesehen sei, dieselben binnen zehn Jahren abzuschreiben. Es handle sich daher auch um keine finanzielle Verbindlichkeit im Sinne von Art. 11 FG, so dass weder das fakultative noch das obligatorische Referendum in Frage komme.
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Der Grosse Rat beschloss am 8. Februar 1967 entgegen dem Nichteintretensantrag des Beschwerdeführers Dr. Reber mehrheitlich, auf die Vorlage einzutreten. Im Verlaufe der "Spezialberatung" (materielle Beratung) wurde ein Antrag des Beschwerdeführers Dr. Schreiber, den Beschluss gemäss Art. 10 FG der Volksabstimmung zu unterbreiten, abgelehnt und gestützt auf Art. 55 Ziff. 7 und 8 KV folgendem "Grossratsbeschluss über die Beteiligung des Staates an der Zentralstelle für elektronische Datenverarbeitung öffentlicher Verwaltungen" zugestimmt:
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"1. Der Staat beteiligt sich zusammen mit der Gebäudeversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen und der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen an der Zentralstelle für elektronische Datenverarbeitung öffentlicher Verwaltungen.
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Sein Anteil beträgt bei der Gründung 85 Prozent der gemeinsamen Mittel, jedoch höchstens Fr. 2'500'000.--.
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Die Beteiligung erfolgt unter der Voraussetzung, dass die bereitgestellten Mittel als Vermögensanlage dem Finanzvermögen des Staates erhalten bleiben.
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2. Der Staat übergibt seine Aufträge zur elektronischen Datenverarbeitung der Zentralstelle.
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3. Der Regierungsrat ist ermächtigt, namens des Staates den Gesellschaftsvertrag abzuschliessen sowie Änderungen der Rechtsform und dem Beitritt neuer Partner zuzustimmen.
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Er übt die Beteiligungsrechte des Staates aus und sorgt für die Erfüllung der Verpflichtungen des Staates aus der Beteiligung. Die Zustimmung des Grossen Rates erfolgt unter der Bedingung, dass der Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit nicht ausschliesst, bei nicht voller Auslastung der Anlage durch öffentliche Aufträge auch Aufträge für Private auszuführen."
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C.- Gegen diesen Grossratsbeschluss führen Dr. Heinz Schreiber und sieben Mitbeteiligte Stimmrechtsbeschwerde im ![]() | 17 |
D.- Namens des Grossen Rates stellt der Regierungsrat des Kantons St. Gallen den Antrag, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1./2. - (Legitimation; kassatorische Natur der Beschwerde).
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a) Der als verletzt bezeichnete Nachtrag zu Art. 47 KV gibt den Beschwerdeführern kein verfassungsmässiges Individualrecht, sondern ermächtigt lediglich den kantonalen Gesetzgeber, Beschlüsse des Grossen Rates von finanzieller Tragweite dem fakultativen oder dem obligatorischen Finanzreferendum zu unterstellen. Das ist in den Art. 9-11 FG geschehen. Erst diese Bestimmungen verleihen den Stimmbürgern politische Rechte. Auf die Rüge der Verletzung des Nachtrages zu Art. 47 KV ist somit nicht einzutreten.
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b) Die st. gallische Verfassung regelt das Finanzreferendum nicht selber. Gemäss Nachtrag vom 20. Januar 1924 überlässt sie es vielmehr dem Gesetzgeber, zu bestimmen, ob und welche Beschlüsse des Grossen Rates von finanzieller Tragweite dem fakultativen oder obligatorischen Referendum zu unterwerfen sind. Der Gesetzgeber hat in den Art. 9-11 FG von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Er hat dadurch das im genannten Nachtrag zur KV vorbehaltene Finanzreferendum geordnet und damit ein verfassungsmässiges Stimmrecht des Bürgers nach Umfang und Inhalt umschrieben. Die Regelung im st. gallischen Recht unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Fall, wo sich die Verfassung darauf beschränkt, das ![]() | 22 |
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Die von den Beschwerdeführern als verletzt bezeichneten Art. 10, eventuell Art. 11 FG bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Gesetze und Beschlüsse über Ausgaben und andere finanzielle Verbindlichkeiten dem obligatorischen oder fakultativen Referendum zu unterstellen sind. Sie regeln mithin Inhalt und Umfang des Finanzreferendums. Entgegen der Auffassung des Regierungsrates steht dem Bundesgericht daher im vorliegenden Fall freie Prüfung zu.
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Durch das Institut des Ausgabenreferendums soll dem stimmberechtigten Steuerpflichtigen ein Mitspracherecht eingeräumt werden bei Aufwendungen des Gemeinwesens, die geeignet sind, die steuerliche Belastung zu erhöhen. Ausgehend von diesem Gedanken und von der klassischen Einteilung staatlicher Vermögenswerte in Finanzvermögen (d.h. die Sachen, die dem Gemeinwesen durch ihren Kapital- oder Ertragswert dienen) und Verwaltungsvermögen (d.h. die Sachen, die dem Gemeinwesen durch ihren Gebrauchswert dienen) haben die bundesgerichtliche Praxis und das Schrifttum den Begriff der Ausgabe entwickelt. Im selben Zusammenhang ist auch die das Gegenstück zur "Ausgabe" bildende "Anlage" zu verstehen.
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Schon in BGE 25 I 459 ff. stellte das Bundesgericht klar, dass nicht jeder Kassenausgang und nicht jede Aufwendung staatlicher Mittel als Ausgaben zu betrachten seien, sondern nur diejenigen Finanzgeschäfte des Staates, die als solche den "jährlichen Voranschlag über die laufende Verwaltung belasten und daher geeignet sind, indirekt auf die Steueranlage einen Einfluss auszuüben" (S. 478/9). An dieser Rechtsprechung wurde in BGE 51 I 222 festgehalten. Erläuternd fügte dort der Staatsgerichtshof hinzu, dass als Ausgabe rechthich und wirtschaftlich nur die Entäusserung von Geld oder Geldeswert durch Überführung aus dem Vermögen des Ausgebenden in dasjenige eines Dritten erscheine und nicht schon die blosse Verschiebung solcher Werte von einem zum andern Unternehmen des gleichen Eigentümers. Die bisherige Praxis des Bundesgerichts - sie wurde auch in BGE 89 I 37 ff. übernommen - fand Zustimmung im Schrifttum. So hat GIACOMETTI (Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone S. 532) aus ihr gefolgert, man könne nur dann von einer Ausgabe im Sinne des Ausgabenreferendums sprechen, wenn Mittel, die der Kanton aufgebracht habe, ausgegeben würden, ohne dass dadurch ein realisierbarer Gegenwert, d.h. eine veränderte realisierbare Anlage entstehe, also z.B. wenn ein Stück des Finanzvermögens Verwaltungsvermögen werde. Andere Autoren vertreten gleiche oder ähnliche Auffassungen (vgl. die ![]() | 28 |
b) Wie den vorstehenden Darlegungen zum Begriff der Ausgabe zu entnehmen ist, spricht man von einer "Anlage" dann, wenn einer Aufwendung der genannten Art ein realisierbarer Gegenwert gegenübersteht. Nach E. BLUMENSTEIN (a.a.O. S. 6) gehört zum Begriff der Anlage notwendigerweise die Absicht, vorhandenes eigenes Vermögen in eine bestimmte wirtschaftliche Form zu bringen zum Zwecke seiner Konservierung und zur Sicherung eines angemessenen Ertrages. Die Anlage verlangt, so führt BLUMENSTEIN weiter aus, vor allem einen ausgesprochenen Anlagezweck. Dieser werde von vornherein dadurch ausgeschlossen, dass mit der betreffenden Geldverwendung rein verwaltungsrechtliche Ziele verfolgt würden.
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c) Ob eine Aufwendung staatlicher Mittel als Ausgabe oder als Anlage zu behandeln ist, entscheidet sich deshalb letztlich nach der damit verfolgten Absicht. Worauf diese gerichtet sei, kann naturgemäss nur auf Grund der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Immerhin ist festzustellen, dass die Absicht des Gemeinwesens, eine Vermögensanlage zu machen, lediglich dann bejaht werden darf, wenn sämtliche Merkmale, insbesondere auch der typische Anlagezweck, gegeben sind (vgl. BGE 2 S. 478; BLUMENSTEIN a.a.O. S. 7, LAUR, a.a.O. S. 52/53).
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Sowohl das vom Regierungsrat eingeholte Gutachten als auch die Botschaft zum angefochtenen Grossratsbeschluss bringen deutlich zum Ausdruck, welches Ziel mit der Beteiligung angestrebt wird: es sollen Maschinen angeschafft werden, um den Betrieb der kantonalen Verwaltung rationeller zu gestalten. Somit kann keinem Zweifel unterliegen, dass es dem Kanton mit der geplanten Beteiligung nicht darum geht, Mittel möglichst vorteilhaft anzulegen. Zweck der Aufwendung ist nicht die Vermögensverwaltung, sondern der Erwerb von Sachen, die dem Gemeinwesen durch ihren Gebrauchswert dienen. Mit der Beteiligung an der zu gründenden einfachen Gesellschaft verfolgt der Staat demnach die gleiche Absicht, wie wenn er die Datenverarbeitungsanlage selber anschaffte. Das gibt die kantonale Regierung übrigens auch zu. Nach ihren eigenen Ausführungen in Botschaft und Beschwerdeantwort wurde nämlich die Form der Beteiligung vor allem deshalb gewählt, um insbesondere die st. gallischen Gemeinden und öffentlichen Verwaltungsbetriebe benachbarter Kantone leichter für die Teilnahme zu gewinnen und mit der dadurch erreichten breiten Trägerschaft die Maschine besser ausnützen zu können. Inwiefern bei solchen Beweggründen aber von einer Kapitalanlage gesprochen werden kann, ist nach dem Gesagten nicht erfindlich.
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b) Da die beschlossene Hingabe staatlicher Mittel der Erfüllung einer Aufgabe der öffentlichen Verwaltung dient, kann heute, d.h. im Zeitpunkt der Bereitstellung jener Mittel, nicht gesagt werden, ihr Gegenwert sei realisierbar. Vielmehr könnte der Kanton über die nunmehr festgelegten Vermögenswerte erst dann wieder frei verfügen, wenn sich das gleiche Ziel ![]() | 34 |
c) Fehlt aber nach dem Gesagten der vom Grossen Rat beschlossenen Aufwendung der typische Zweck einer Vermögensanlage und damit auch die Realisierbarkeit, dann kann offen bleiben, ob die umstrittene Beteiligung andere Anlagemerkmale aufweise. Die Frage wäre übrigens zu verneinen. Wie in der Beschwerde zutreffend ausgeführt wird, hat sich der Kanton St. Gallen nicht nur mit 85% an der geplanten Zentralstelle zu beteiligen, er wird auch bei weitem deren grösster Kunde sein. Da die jährlichen Kapitalzinsen und Tilgungsbeträge zusammen mit den kalkulatorischen Abschreibungen und den Betriebskosten in die nach Benutzungsdauer der Maschinen abgestuften Preise eingerechnet werden, erscheint der Einwand der Beschwerdeführer, der Staat bezahle sich die Zinsen und Annuitäten im wesentlichen selber, als begründet.
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Dass sich mit den Datenverarbeitungsmaschinen dereinst Rationalisierungsgewinne erzielen lassen werden, ist zu erwarten. Ihretwegen wird jedoch die genannte Aufwendung nicht zu einer Vermögensanlage. Solche möglichen Einsparungen ändern nichts an der Tatsache, dass der Kanton St. Gallen heute Gelder aufzubringen hat, die, weil zum Erwerb von Sachen des Verwaltungsvermögens bestimmt, dem Finanzvermögen entzogen werden.
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Der angefochtene Grossratsbeschluss, welcher eine einmalige Gesamtausgabe bis zu 2,5 Mio Franken vorsieht, hätte somit gemäss Art. 10 FG dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden sollen. Insoweit dies nicht geschah, ist er verfassungswidrig und muss aufgehoben werden mit der Folge, dass der ![]() | 38 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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