![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
75. Urteil vom 9. Juni 1967 i.S. Knüsli gegen Schweiz. Eidgenossenschaft. | |
Regeste |
Verkehrsunfälle von Radfahrern im Militärdienst. |
2. Versorgerschaden bei Verlust: |
a) des Ehemannes (Erw. 2); |
b) des Vaters, der dem Sohn bei landwirtschaftlichen Arbeiten mithilft (Erw. 3). |
3. Genugtuungssumme bei Verlust des Ehemannes oder Vaters: |
a) Ausschluss nach dem geltenden Art. 27 MO (Erw. 4); |
b) Voraussetzungen bei allfälliger Haftung nach dem Verantwortlichkeitsgesetz. Verschulden einer Militärperson (Erw. 5); |
c) Voraussetzungen bei Haftung nach dem revidierten Art. 27 Abs. 1 MO (AS 1968 S. 74). Würdigung der besonderen Umstände (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Die Witwe Knüslis und sein Sohn Kurt meldeten dem Bund am 17. Mai 1966 eine Forderung von Fr. 25'000.-- an für Beerdigungskosten, als Ergänzung zur AHV-Witwenrente und als Ersatz für die entgangene Arbeitskraft des Vaters. Der Verunfallte hatte am 6. Mai 1958 sein landwirtschaftliches Heimwesen an den Sohn Kurt verkauft. Gemäss Kaufvertrag räumte dieser den Eltern ein lebenslängliches Wohnrecht mit Anspruch auf Kost und häusliche Pflege ein. Seither hat der Vater im Betriebe des Sohnes mitgearbeitet.
| 2 |
B.- Die Direktion der Eidg. Militärverwaltung anerkannte grundsätzlich die Haftung des Bundes für den Schaden, der Höhe nach aber nur für Fr. 3'000.-- Beerdigungskosten. Sie überwies Knüsli Fr. 3'000.--, welche dieser als Anzahlung entgegennahm.
| 3 |
Mit Schreiben ihres Anwaltes vom 26. Juli 1966 erhoben die Hinterlassenen von Emil Knüsli folgende weitere Ansprüche: Fr. 5'904.-- Versorgerschaden Kurt Knüsli für die entgangene Arbeitsleistung des Vaters, sowie Genugtung von Fr. 8'000.-- für die Witwe und je Fr. 5'000.-- für den Sohn und die (verheiratete) Tochter.
| 4 |
Am 29. August 1966 lehnte die Direktion der Eidg. Militärverwaltung diese Ansprüche ab. Sie begründete diese Stellungnahme damit, die Arbeitsleistung des Vaters Knüsli für ![]() | 5 |
C.- Mit verwaltungsrechtlicher Klage beantragen die Witwe und die beiden Kinder des Emil Knüsli, die Eidgenossenschaft habe ihnen Fr. 22'000.--, allenfalls einen Betrag nach richterlichem Ermessen, nebst Zins zu 5% seit dem 24. März 1966, zu bezahlen.
| 6 |
Die Erben des Verunfallten machen geltend, die Untersuchung gegen Rekrut Ruf sei zu Unrecht eingestellt worden; ein Soldat, der nachts ohne Licht mit dem Velo fahre, sei zu besonderer Vorsicht verpflichtet. An dieser habe es Ruf fehlen lassen. Die Beklagte sei der Ansicht, sie hafte nur nach Art. 27 MO. In Art. 101 Abs. 2 des Beschlusses der Bundesversammlung über die Verwaltung der schweizerischen Armee vom 30. März 1949 sei die Haftung des Bundes nach Spezialgesetzen vorbehalten; insbesondere werde auf das Motorfahrzeuggesetz (MFG) verwiesen, das nun durch das Strassenverkehrsgesetz (SVG) ersetzt sei; dieses gehe somit der Militärorganisation vor. Gemäss Art. 70 SVG hafteten die Radfahrer nach Obligationenrecht (OR); deshalb sei im vorliegenden Fall das OR anwendbar und der Schaden nach den allgemeinen Grundsätzen des Haftpflichtrechtes zu berechnen. Danach umfasse er die Todesfallkosten, den Versorgerschaden und den immateriellen Schaden, d.h. die Genugtuung. Hier seien nur noch die beiden letzteren streitig, da die Todesfallkosten anerkannt und bereits bezahlt seien.
| 7 |
Nach Art. 45 Abs. 3 OR sei bei Tötung eines Menschen für den Versorgerschaden Ersatz zu leisten. Art. 28 (recte 27) Abs. 2 MO beschränke diesen Anspruch auf die unterstützungsberechtigten Angehörigen. Zu diesen seien die Ehefrau und der Sohn des getöteten Knüsli zu zählen. Unterstützungsbedürftig sei jemand schon dann, wenn eine Beeinträchtigung der bisherigen standesgemässen Lebensweise eintrete; das treffe hier zu. Die Witwe erhalte von der AHV noch eine monatliche Rente von Fr. 192.--, gegenüber der bisherigen Ehepaarrente von monatlich Fr. 307.--. Es sei eine Tatsache, dass zwei Personen zusammen billiger leben könnten als eine allein. Deshalb bedeute die Reduktion der AHV-Rente, dass die Witwe ![]() | 8 |
Dem Sohne fehle die bisherige Mitarbeit des Vaters; insbesondere könne er die Felder nicht mehr gleich bewirtschaften, weshalb die Einnahmen sinken würden. Die Auffassung der Beklagten, das sei ein indirekter Schaden, sei unrichtig. Richtig sei dagegen, dass die Mithilfe des Vaters bei der Festsetzung des Entgeltes für das Wohnrecht mit Kost- und Unterhaltsanspruch (Fr. 5'000.-- gemäss Kaufvertrag vom 6. Mai 1958) berücksichtigt worden sei. Gerade deshalb sei dem Sohn durch den Wegfall jener Mithilfe ein Schaden (von Fr. 5'904.--) entstanden, der ihm als Versorgerschaden ersetzt werden müsse.
| 9 |
Da das SVG als Spezialgesetz dem Art. 27 MO vorgehe und gemäss Art. 70 SVG der Radfahrer nach OR hafte, komme Art. 47 OR zur Anwendung, der bei Tötung eines Menschen eine Genugtuung vorsehe. Ein Verschulden des Schädigers sei danach nicht erforderlich. Vom plötzlichen Tod Knüslis seien die Witwe, der Sohn und die Tochter tief betroffen. Die in Dübendorf verheiratete Tochter habe den Vater oft besucht. Trotzdem werde ihr Genugtuungsanspruch von Fr. 5'000.-- auf Fr. 3'000.-- herabgesetzt. Die Genugtuungen seien demnach auf gesamthaft Fr. 16'000.-- festzusetzen.
| 10 |
Versorgerschaden und Genugtuungsansprüche beliefen sich somit zusammen auf Fr. 25'926.70 (Fr. 4'022.70 + Fr. 5'904.-- + Fr. 16'000.--). Doch würden nur Fr. 22'000.-- nebst Zins eingeklagt, weil seinerzeit total (die Beerdigungskosten inbegriffen) Fr. 25'000.-- verlangt und hieran Fr. 3'000.-- bezahlt worden seien.
| 11 |
D.- Für die Eidgenossenschaft beantragt das Eidg. Militärdepartement, die Klage sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Nichteintreten wird beantragt, soweit die Kläger ihre Ansprüche auf andere Haftpflichtbestimmungen als Art. 27 MO stützen.
| 12 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die vorliegende Klage ist auf Ersatz des Schadens gerichtet und zwar mit Einschluss der Genugtuung. Der Schaden, wie ihn die Kläger verstehen, ist durch die Tötung einer Zivilperson infolge einer militärischen Übung verursacht worden. Deshalb ist darauf Art. 27 MO nebst den ihn ergänzenden Bestimmungen von Art. 101-107 des Beschlusses der ![]() | 13 |
Die Kläger machen aber geltend, da Art. 101 Abs. 2 BVA die Haftung des Bundes nach Spezialgesetzen vorbehalte und gemäss Art. 70 SVG die Radfahrer nach dem Obligationenrecht haften, sei im vorliegenden Falle das OR anzuwenden. Soweit sie damit sagen wollen, dieses trete hier an die Stelle von Art. 27 MO und schliesse dessen Anwendung aus, kann ihnen nicht gefolgt werden. Der Vorbehalt in Art. 101 Abs. 2 BVA ist beschränkt auf die Haftung des Bundes nach Spezialgesetzen; er bezweckt, den Bund wegen gewisser Betriebsgefahren zugunsten der Geschädigten weitergehend haften zu lassen. Das gilt insbesondere für das dort ausdrücklich erwähnte MFG, an dessen Stelle das SVG getreten ist. Dieses erklärt in Art. 70 Abs. 1, dass die Radfahrer nach OR haften. Die Radfahrer unterstehen somit dem allgemeinen Recht und nicht einer Haftung nach Spezialgesetzen; von ihnen verursachte Unfälle fallen deshalb nicht unter den Vorbehalt von Art. 101 Abs. 2 BVA. Wenn die Voraussetzungen von Art. 27 MO erfüllt sind, ist dieser darauf anzuwenden. Das hat seinen guten Grund darin, dass die MO wegen der mit militärischen Übungen verbundenen Gefahren zum Schutze der Betroffenen die Kausalhaftung des Bundes eingeführt hat; dieser weitreichende Schutz würde versagen, wenn bei Verursachung des Schadens durch Radfahrer statt dessen das Obligationenrecht anwendbar wäre, das nur die Haftung aus Verschulden vorsieht. Wo neben Art. 27 MO nicht eine Spezialhaftpflicht, sondern die allgemeine des OR in Frage kommt, ist nicht diese, sondern Art. 27 MO anzuwenden (vgl. dazu insbesondere die Ausführungen von OFTINGER, Haftpflichtrecht, Bd. II/2, S. 865/66 über das Verhältnis der Art. 27 ff. MO zum SVG).
| 14 |
Nur zur Ergänzung der auf einige Grundsätze beschränkten Ordnung in Art. 27-29 MO sind die Begriffe und Regeln des allgemeinen Haftpflichtrechts heranzuziehen, wie sie namentlich in den Art. 42 ff. OR niedergelegt sind. Das und nichts anderes sagt auch OFTINGER an der von den Klägern angerufenen Stelle in Band II/2 S. 847. Er vertritt keineswegs die Ansicht, dass das OR anstelle von Art. 27 ff. MO trete und ![]() | 15 |
16 | |
Man kann sich fragen, ob unter diesen Umständen die Voraussetzungen einer Klage, die beim Bundesgericht aus öffentlichem Recht gegen den Bund erhoben wird, erfüllt seien. Die Beklagte erhebt keine diesbezügliche Einrede; sie scheint ihre Antwort vom 6. Juli 1966 als Stellungnahme im Sinne von Art. 114 OG zu betrachten. Da sich die Beklagte materiell mit der Klage auseinandersetzt, genügt diese Stellungnahme.
| 17 |
Art. 27 Abs. 2 MO beschränkt den Anspruch auf Versorgerschaden auf die "unterstützungsberechtigten Angehörigen", ![]() | 18 |
19 | |
Der Sohn Knüsli macht indessen geltend, entscheidend sei der tatsächliche Verlust, und durch den Tod seines Vaters entgehe ihm die Mitarbeit seines trotz der 79 Jahre noch rüstigen Vaters, die dieser sonst voraussichtlich im Rahmen der Tafel I von Stauffer/Schätzle weiter erbracht hätte. Diese ![]() | 20 |
21 | |
5. Seit dem Erlass des BVA (1949) haben sich die Ansichten im Sinne der Forderung OFTINGERS gewandelt. Davon zeugt die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über ![]() | 22 |
Prüft man die Rechtslage unter dem Gesichtswinkel des Verantwortlichkeitsgesetzes, so ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1, dass für den Zuspruch einer Genugtuung zwei Voraussetzungen gegeben sein müssen, nämlich: die besonderen Umstände und das Verschulden des Beamten. Entfällt eine dieser Bedingungen, kann der immaterielle Schaden nicht ersetzt werden. Dies trifft hier zu, da es am Verschulden irgendeiner Militärperson fehlt.
| 23 |
Nach der Darstellung, die Rekrut Ruf dem Untersuchungsrichter des Divisionsgerichtes 6 abgegeben hat, erblickte er trotz der Nacht auf der übersichtlichen Strasse rechtzeitig den ihm entgegenkommenden Fussgänger. Er habe ein Glockenzeichen gegeben, worauf jener gegen die Mitte der 3,5 m breiten Strasse gegangen sei. Er habe angenommen, der Fussgänger habe ihn bemerkt und gebe ihm die Fahrbahn frei. Er sei daher weitergefahren; im letzten Augenblick sei der Fussgänger nach links geschwenkt, weshalb sie zusammenprallten. Diese Schilderung ist glaubhaft und entspricht einem natürlichen Verlauf. Danach hat Ruf alles getan, was ihm in diesem Augenblick zuzumuten war. Das unvorhersehbare Verhalten Knüslis hat somit den Zusammenstoss herbeigeführt. Er hätte ![]() | 24 |
Das Fahren ohne Licht begründet kein Verschulden des Ruf, da es durch die militärische Übung bedingt war. Es war ihm zwar nicht ausdrücklich befohlen worden; doch hatte ihm sein Postenchef auf die Frage, ob er die Beleuchtung benützen dürfe, geantwortet, es sei besser, wenn es ohne gehe. Das entsprach dem Sinn der Übung, da bei Kriegsmobilmachungen mit feindlichen Fliegern zu rechnen und alles nicht notwendige Licht zu vermeiden ist. Deshalb kann auch Kpl. Aeschlimann kein Verschulden zur Last gelegt werden, weil er jene Weisung gab. Wohl verpflichtete das Fahren ohne Licht Ruf zu erhöhter Vorsicht; doch genügte sein oben geschildertes Verhalten auch dieser Anforderung, da er den Fussgänger sah und aus dessen Verhalten schliessen durfte, dieser habe ihn bemerkt.
| 25 |
Es kann sich somit höchstens fragen, ob die Übungsleitung für die Mobilmachungsübung etwas über die Beleuchtung der Fahrräder von Meldefahrern hätte anordnen müssen. Zur Zeit des Unfalles galt der (seither aufgehobene) Art. 7 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses über Beleuchtung der Fahrräder und Fahrradanhänger vom 29. Oktober 1963, der bestimmte: "Militärfahrräder und ihre Anhänger müssen während der Verwendung bei der Truppe nicht mit Lichtern versehen sein. Das Fahren ohne Licht ist gestattet, wenn die erforderlichen Sicherheitsmassnahmen getroffen sind." Hinsichtlich der "erforderlichen Sicherheitsmassnahmen" bestand im Zeitpunkt des Unfalles lediglich eine Weisung an die Radfahrertruppe vom 1. Oktober 1965. Deren Anhang 5 verfügt, dass in Friedenszeiten beim Fahren in der Dunkelheit jeder Einzelfahrer und der Vorderste der Gruppe eine eingeschaltete Taschenlampe tragen müsse. Da der Bundesrat diese Vorschrift erst mit Wirkung ab 1. Juli 1967 auf alle Radfahrer ausgedehnt hat, kann der Leitung der Mobilmachungsübung der Inf. RS 6 kein Vorwurf gemacht werden, dass sie entsprechende Weisungen unterlassen hat.
| 26 |
6. Aber selbst wenn man davon ausginge, es sei - in Anlehnung an das in der Botschaft erwähnte Militärversicherungsgesetz (vgl. Art. 40 bis) - bereits die vorgesehene gesetzliche Regelung anzuwenden, müsste der Anspruch auf Genugtuung abgewiesen werden. Richtig ist, dass nach Art. 27 ![]() | 27 |
Im Unterschied zu Art. 49 OR und zu Art. 7 EHG führt Art. 47 OR das Verschulden nicht als Tatbestandsmerkmal auf. Die neuere Rechtsprechung hat - entgegen OFTINGER (Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. I, 2. Aufl., S. 262) - dieses Schweigen dahin ausgelegt, dass die Frage nach dem Verschulden gemäss den Regeln über die Haftung an sich zu beantworten sei. Wenn es sich also um eine Verschuldenshaftung handle, so könne eine Genugtuung nur beim Vorliegen eines Fehlers zugesprochen werden. Stehe dagegen eine Kausalhaftung in Frage, könne eine Genugtuung selbst ohne Verschulden zuerkannt werden (GILLIARD F., Vers l'unification du droit de la responsabilité, in ZSR 1967 S. 247/48;BGE 74 II 202, BGE 81 II 512, BGE 88 II 516). Ob diese Auslegung auch im Bereich des auf Kausalhaftung gründenden Militärhaftpflichtrechtes zutreffe, kann indessen offen bleiben, wenn es im vorliegenden Fall an besonderen Umständen fehlt, die es rechtfertigten, den Klägern eine Genugtuung zuzusprechen.
| 28 |
Nach OFTINGER (a.a.O., Bd. I, 2. Aufl., S 263) hat eine konkrete Beurteilung aller Umstände einzutreten. Was die Art und Intensität der Unbill betreffe, so sei eine Genugtuung umso eher angezeigt, je schmerzlicher der Vorfall für den Ansprecher gewesen sei; so z.B. wenn eine Person auf der Strasse, fern von den Angehörigen, gestorben oder umgekehrt vor deren Augen getötet worden sei, oder wenn das Bewusstsein den Ansprecher quäle, dass der Getötete noch habe leiden müssen. Ferner spiele das Verschulden des Haftpflichtigen oder der Person, für welche dieser einstehen müsse, eine bedeutende Rolle; je grösser seine Leichtfertigkeit oder je niedriger seine sich in der schädigenden Tat offenbarende Gesinnung, desto eher sei auf eine Genugtuung zu erkennen.
| 29 |
Geht man hievon aus, so kann der Tod des Verunfallten nicht als Spezialfall betrachtet werden, der sich aus den unfallbedingten Todesfällen heraushebt und ihm ein besonderes ![]() | 30 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 31 |
32 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |