BGE 94 I 42 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
7. Auszug aus dem Urteil vom 24. Januar 1968 i.S. Schweizerische Volksbank gegen Uri und Luzern. | |
Regeste |
Interkantonale Vermögenssteuerausscheidung bei Bankunternehmen. | |
Sachverhalt | |
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Die Agentur Altdorf nimmt mehr Geld entgegen, als sie selber verwenden kann. Sie gibt den Überschuss an die Niederlassung Luzern ab. Dort wird er verwaltet und verwendet. Die Bilanz der Agentur Altdorf per 1. Januar 1965 enthält unter den Aktiven ein in der genannten Weise entstandenes Guthaben gegenüber der Niederlassung Luzern; in deren Bilanz vom gleichen Zeitpunkt ist eine entsprechende Schuld gegenüber der Agentur Altdorf aufgeführt. Die Geschäftsstelle Luzern vergütet der Agentur Altdorf für das ihr überlassene Geld einen Zins, der zum mittleren Satz zwischen demjenigen für ausgeliehene und demjenigen für entgegengenommene Kundengelder berechnet wird.
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B.- Die SVB hat in ihrer Steuererklärung für die Jahre 1966 und 1967 das auf die beiden Betriebsstätten Altdorf und Luzern entfallende steuerbare Kapital nach bisheriger bundesgerichtlicher Praxis (BGE 64 I 253 ff.) ausgeschieden. Danach sollte der Kanton Uri 1/4, der Kanton Luzern 3/4 der Gelder besteuern, die in Altdorf entgegengenommen und in Luzern verwendet wurden. Nach dieser Berechnung unterlägen 0'373% der Gesamtaktiven der SVB oder Fr. 892'000.-- der urnerischen Kapitalsteuer.
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Die Steuerkommission des Kantons Uri fand sich mit dieser Verteilung nicht ab. Sie zählte das ganze Guthaben, das die Agentur Altdorf bei der Niederlassung Luzern hatte, zu den massgeblichen Aktiven für die Urner Quote. So kam sie auf einen Anteil von 0'488% der Gesamtaktiven oder ein steuerbares Kapital von Fr. 1'167'000.--. Diese Veranlagung ist in der Einschätzungsverfügung vom 30. Juni 1966 für die Steuerperiode 1966/67 enthalten. Die SVB erhob gegen sie Einsprache, welche die kantonale Steuerkommission Uri am 5. Mai 1967 abwies. In diesem Entscheid wurde auch die zu verteilende Kapitalsumme gemäss Einschätzung des Kantons Bern erhöht. Die Quote von 0'488 ergab jetzt einen in Uri steuerbaren Kapitalanteil von Fr. 1'380'000.--.
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C.- Die SVB führt staatsrechtliche Beschwerde gegen die Kantone Uri und Luzern wegen Verletzung von Art. 46 Abs. 2 BV. Sie beantragt festzustellen, dass in der Bemessung ihres im Kanton Uri steuerbaren Kapitalanteils von Fr. 1'380'000.-- eine unzulässige Doppelbesteuerung liege. Die Beschwerdeführerin verlangt Herabsetzung auf Fr. 1'055'000.--. Eventuell habe das Bundesgericht zwischen den Kantonen Uri und Luzern eine neue, von der bisherigen Praxis (BGE 64 I 253 ff.) abweichende Vermögensausscheidung vorzunehmen.
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D.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen Luzern richtet. Eventuell sei die Kapitalquote für sämtliche Niederlassungen der Beschwerdeführerin neu festzusetzen.
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E.- Der Regierungsrat des Kantons Uri stellt ebenfalls den Antrag, die Beschwerde abzuweisen. Er räumt ein, dass der Einspracheentscheid im Widerspruch stehe zu BGE 64 I 253 ff. Eine Abkehr von der bisherigen Praxis begründet er im wesentlichen wie folgt: Seit Jahren zeige sich bei der Agentur Altdorf das Bestreben, die hereingenommenen Gelder übergeordneten Sitzen zuzuweisen. Wenn BGE 64 I 253 ff. der aufbringenden Stelle nur 1/4 ihrer Guthaben als Kapitalanteil zurechne, so deshalb, weil damals nach dem Gutachten von Dr. Henggeler der anlegenden Tätigkeit gegenüber der blossen Annahme von Geldern ein entscheidendes Übergewicht zugekommen sei. Gerade das aber habe sich seither geändert. Sowohl die Aufnahme der angebotenen Mittel als auch deren Ausleihe gehörten notwendigerweise zum Bankgeschäft. Das Wesentliche des Bankbetriebes sei gerade die Gleichzeitigkeit und die gegenseitige Bedingtheit der beiden Funktionen. Die Geldausleihe sei weder wichtiger als die Entgegennahme von Geldern, noch komme ihr betrieblich ein Übergewicht zu. Um Gelder zu günstigen Bedingungen in genügender Menge und Stetigkeit anvertraut zu erhalten sowie um ihren Marktanteil zu wahren, müsse die Bank im Gegenteil zahlreiche Arten von Dienstleistungen anbieten. Gegenüber der Zeit des genannten Bundesgerichtsentscheides lägen die Verhältnisse heute geradezu umgekehrt.
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Klargelegt werden müsse zudem die Feststellung des erwähnten Gutachtens, wonach das Ausleihgeschäft die Tendenz habe, sich von den unter- in die übergeordneten Geschäftsstellen zu verlagern. Aus ihr folge nicht, dass im Rayon der untergeordneten Stelle weniger Kapital benötigt werde, sondern nur, dass das Ausleihgeschäft räumlich, zeitlich und sachlich leichter von oben gesteuert werden könne als das Geldaufnahmegeschäft. So könne die Zentrale die ertragsgünstigsten Grossgeschäfte an sich ziehen. Nur selten werde ein Anlagekunde von der Hauptfiliale an die Agentur verwiesen, oft aber müsse die Agentur Grosskunden an den grössern Sitz abtreten. Die steuerliche Erfassung der Guthaben gegenüber eigenen Stellen bei der geldgebenden, statt bei der anlegenden Geschäftsstelle folge daher einem objektiveren, viel weniger leicht beeinflussbaren Kriterium.
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F.- In einem zweiten Schriftenwechsel haben alle Beteiligten an ihren Anträgen festgehalten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Kein Streit herrscht darüber, dass der Kanton Uri denjenigen Teil des Reinvermögens der Beschwerdeführerin besteuern darf, der dem Verhältnis ihrer Rayonaktiven zu den Gesamtaktiven entspricht. Es können aber bei der Aufteilung nur Rayonaktiven berücksichtigt werden, die zugleich Aktiven des Gesamtgeschäftes sind. Der Aktivposten, der in den Büchern von Altdorf infolge der Abgabe dort entgegengenommener Gelder an die Niederlassung Luzern verbucht wurde, ist kein Aktivum des Gesamtgeschäftes, sondern lediglich ein fiktives, buchhaltungsmässiges, bilanztechnisches Aktivum, das die internen Beziehungen der beiden Betriebsstätten - und nur sie - betrifft. Entsprechend verhält es sich mit den in den Büchern der Niederlassung Luzern verzeichneten passiven Gegenposten. Schon in BGE 50 I 119 hat das Bundesgericht bei gleicher Sachlage entschieden, die wirklichen Aktiven befänden sich dort, wo das Geld "arbeitet", hier also in der Niederlassung Luzern. Bereits im genannten Urteil wurde eine Teilung zwischen der einnehmenden und der anlegenden Betriebsstätte erwogen. Das Bundesgericht lehnte sie aber damals ab, weil es annahm, dass sich interne Aktiv- und Passivposten im Verlauf weniger Jahre ausgleichen und eine Verteilung zwischen beiden Geschäftsstellen deshalb nur zu einer "unnötigen Komplikation der Steuerausscheidung" führe.
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Diese Rechtsprechung ist in BGE 64 I 253 ff. geändert worden. Damals erkannte das Bundesgericht, die Entwicklung habe die für den früheren Entscheid "ausschlaggebende Annahme" nicht bestätigt. Es wurde ganz allgemein eine "bei den schweizerischen Grossbanken eingetretene Konzentration der Anlagetätigkeit in den Hauptsitzen" registriert und festgestellt, dass "die Mehrheit der Grossbankfilialen durchwegs sehr grosse Guthaben beim Hauptsitz unterhalten". Entsprechend den Ergebnissen des damals eingeholten Gutachtens erklärte das Bundesgericht, die hauptsächliche Tätigkeit einer Bank bestehe in der Anlage der ihr zur Verfügung stehenden Mittel, "weshalb die Aktiven einer interkantonalen Bankunternehmung in erster Linie als mit dem Betrieb örtlich verbunden erscheinen, der sie verwaltet und in dem sie'arbeiten'". Daneben sei aber zu beachten, dass auch die Beschaffung des Geldes - die eine besondere an das Publikum sich richtende Werbetätigkeit und Organisation voraussetze - eine wesentliche Funktion des Bankgewerbes darstelle. Eine Vermögensausscheidung, die ausschliesslich auf die Anlagetätigkeit und nicht auch auf die Geldbeschaffung der verschiedenen Niederlassungen Rücksicht nehme, werde der Eigenart des Bankgeschäftes nicht gerecht. Weil eine konkrete Beziehung der geldbeschaffenden Stelle zu einzelnen Aktiven der verwaltenden Niederlassung selten feststellbar sei, rechtfertige es sich, dass die verwaltende Niederlassung eine ideelle Quote ihrer gesamten Aktiven zugunsten der geldgebenden Stelle freilasse. Das Bundesgericht setzte diesen Anteil pauschal auf einen Viertel des Guthabens der geldgebenden Stelle fest und bemerkte dazu, auf diese Weise dürfte "die überwiegende Bedeutung der Anlagetätigkeit gegenüber der Geldbeschaffung im Bankgewerbe angemessen zum Ausdruck kommen" (a.a.O. 260/61).
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a) Zunächst wird für die gewünschte exklusive Besteuerung überhaupt nichts vorgebracht, es sei denn der Satz, "dass die steuerliche Erfassung der dem Guthaben'Eigene Stellen'entsprechenden Aktiven bei der geldgebenden statt bei der anlegenden Stelle einem objektiveren, viel weniger leicht beeinflussbaren Kriterium folgt". Warum jedoch das Kriterium der Geldentgegennahme objektiver sei als dasjenige der Geldanlage, wird nicht ausgeführt. Die Behauptung, jenes sei weniger leicht beeinflussbar, geht daran vorbei, dass die Schwerpunkte der steuerlichen Belastung richtigerweise den Schwerpunkten der wirtschaftlichen Sachverhalte entsprechen sollten. Wie aber ausser jedem Zweifel steht und vom Regierungsrat des Kantons Uri nicht ausdrücklich bestritten wird, ist neben der Geldentgegennahme die Geldanlage zumindest auch wichtig, bestimmt sie doch Erfolg oder Misserfolg der Geschäftstätigkeit sowie deren Ausmass in entscheidender Weise mit.
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b) Es bleibt zu prüfen, ob den beiden Kriterien ein anderes Gewicht beizulegen sei als bisher, etwa in dem Sinne, dass beide als für den Geschäftserfolg gleichwertig anerkannt würden.
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Auch dafür fehlt es aber an überzeugenden Gründen. Der Hinweis des Urner Regierungsrates auf Gleichzeitigkeit und gegenseitige Bedingtheit beider Funktionen mag zutreffen, entscheidet jedoch nichts. Nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht ist die Anlagetätigkeit wichtiger als das blosse Entgegennehmen von Geldern. Durch dieses allein erwachsen der Bank noch keine Verlustgefahren. Wohl aber steigen solche bei der Geldanlage mit zunehmenden Erträgen. Es ist deshalb eine heikle und verantwortungsvolle Aufgabe der Bankleiter, alles richtig abzuschätzen und die Anlagen so zu bemessen und zu plazieren, dass - bei fortlaufender Liquidität - die Erträge möglichst gross, die Verluste aber möglichst gering sind. Die Tätigkeit der Geldanlage verlangt von den leitenden Bankorganen Wachsamkeit, Vorsicht, Wagemut, Kenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge sowie die Fähigkeit, künftige Entwicklungen abzuschätzen. Sie stellt deshalb an die Verantwortlichen die höchsten Anforderungen, und es muss nicht verwundern, wenn die Entscheide über Geldanlagen umso mehr bei den obersten Bankleitungen gefällt werden, je grösser die Beträge, die Gewinnaussichten und die Verlustgefahren sind.
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Die Kreditgeschäfte werden in aller Regel von den Bankleitungen einzeln und einlässlich geprüft. Demgegenüber vollzieht sich die Entgegennahme von Kundengeldern ohne Mitwirkung der leitenden Organe. Diese stellen dafür lediglich allgemeine Weisungen (über die Zinssätze und dgl.) auf.
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Unter allen diesen Gesichtspunkten erscheint die Tätigkeit der Geldanlage gegenüber der Entgegennahme von Geldern als der bei weitem wichtigere und schwierigere Teil des Bankfaches. An der bisherigen, seit BGE 64 I 253 ff. geübten Praxis ist demnach festzuhalten.
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c) Der Regierungsrat des Kantons Uri tut nicht dar, dass das, was bei den Banken allgemein gilt, für die Beschwerdeführerin und ihre Tätigkeit im Kanton Uri nicht zutreffe. Die Behauptung der Steuerkommission, dass die Beschwerdeführerin ihre Gelder planmässig ausserhalb des Kantons anlege, obwohl der Kreditbedarf dort nicht kleiner sei als anderswo, hat der Regierungsrat mit Recht nicht übernommen. Denn sie ist - ob richtig oder falsch - für den Entscheid unerheblich. Die Frage, wo die Gelder der Bank anzulegen seien, ist nur eine unter andern, die bei der Kreditgewährung zu beachten sind. Besteht keine oder nur eine geringe Nachfrage nach Krediten, kann die Beschwerdeführerin auch keine solchen gewähren. Der Regierungsrat aber behauptet selber nicht, die Beschwerdeführerin pflege Kredite zu verweigern, die bei ihr aus dem Kanton Uri angefordert werden.
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d) Es bedarf keiner nähern Erörterung, dass sich Grundsätze für die interkantonale Steuerausscheidung nicht nach der Finanzkraft der einzelnen Kantone richten können. Eine gerechte Verteilung der finanziellen Mittel unter den Kantonen zu ermöglichen, ist vielmehr Aufgabe des eidgenössischen Finanzausgleichs.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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