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58. Auszug aus dem Urteil vom 18. September 1968 i.S. Döbeli gegen Einwohnergemeinde Brugg und Regierungsrat des Kantons Aargau. | |
Regeste |
Festsetzung des jährlichen Gemeindebudgets. | |
Sachverhalt | |
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A.- Das aargauische Gesetz vom 15. Mai 1962 über die ausserordentliche Gemeindeorganisation (AGOG) mit Vollziehungsverordnung (VV) vom 10. September 1964 ermächtigt die Gemeinden, in Abweichung vom Gemeindeorganisationsgesetz vom 26. November 1841 (GOG) die Einwohnergemeindeversammlung durch die Urnenabstimmung zu ersetzen und gewisse Geschäfte einem Gemeindeparlament, dem Einwohnerrat, zu übertragen. Dieser hat mindestens zweimal jährlich zur Behandlung von Voranschlag und Jahresrechnung zusammenzutreten (§ 19 lit. a AGOG). Der Voranschlag ist der Einwohnergemeinde zur Genehmigung vorzulegen (§ 9 lit. c AGOG). Lehnt sie ihn zweimal ab, so sind nach § 38 VV zum AGOG die §§ 125 und 140 GOG sinngemäss anwendbar, welche die Weiterleitung der nicht genehmigten Rechnungen an den Regierungsrat zum Entscheid vorsehen.
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B.- Die Gemeinde Brugg versorgt ihre Einwohner seit Jahrzehnten mit Wasser, Gas und Elektrizität. Diese Versorgungsbetriebe sind heute in den "Industriellen Betrieben Brugg" zusammengefasst und führen eigene Rechnung. Die Elektrizität wurde ursprünglich von einem gemeindeeigenen Werk erzeugt, das seinen Betrieb 1892 aufnahm. Im Jahre 1952, nach Fertigstellung des Werkes Wildegg-Brugg der NOK, wurde das Gemeindewerk stillgelegt. Seither bezieht es den grössten Teil des Stroms vom Aargauischen Elektrizitätswerk (AEW) zum Hochspannungstarif für Wiederverkäufer.
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Auf den 1. Oktober 1965 erhöhte das AEW den Strompreis erheblich. Dies und grosse bauliche Aufgaben der Industriellen Betriebe veranlassten den Gemeinderat von Brugg, durch Beschluss vom 25. September 1965 auch den eigenen Elektrizitätstarif ab 1. Januar 1966 zu erhöhen und gleichzeitig das Tarifsystem demjenigen des AEW anzupassen.
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Gegen diesen Beschluss beschwerte sich der Brugger Stimmbürger ![]() | 5 |
Am 17. Dezember 1965, also vor der Beurteilung der Beschwerde Honeggers, lehnte die Gemeindeversammlung das Budget für 1966 ab und beschloss, für dieses Jahr den Strom nicht zu dem vom Gemeinderat beschlossenen neuen, sondern zum bisherigen Tarif abzugeben.
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Auf den 1. Januar 1966 unterwarf sich die Gemeinde Brugg der ausserordentlichen Gemeindeorganisation und wählte einen Einwohnerrat. Dieser genehmigte am 11. November 1966 mit grossem Mehr den Voranschlag der Industriellen Betriebe für 1967, der im wesentlichen auf dem vom Gemeinderat schon im Vorjahr beschlossenen Tarif beruhte. Dieser Voranschlag wurde indes in der Urnenabstimmung vom 11. Dezember 1966 mit 907 gegen 480 Stimmen verworfen. Der Gemeinderat legte hierauf einen zweiten Voranschlag vor, der einen Rabatt von 5% auf den von ihm beschlossenen Strompreisen vorsah und vom Einwohnerrat mit 41 zu 1 Stimme bei 5 Enthaltungen genehmigt, in der Volksabstimmung aber mit 790 gegen 543 Stimmen wiederum abgelehnt wurde.
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Darauf unterbreitete der Gemeinderat die Angelegenheit dem Regierungsrat. Dieser erhob am 12. Juli 1967 den in der Volksabstimmung verworfenen zweiten Voranschlag unverändert zum Beschluss. Den Erwägungen dieses Entscheids ist zu entnehmen: Wenn der Voranschlag von den Stimmberechtigten einer Gemeinde zweimal verworfen werde, habe der Regierungsrat als Oberaufsichtsbehörde einzuschreiten und im Sinne einer Ersatzvornahme das Budget anstelle des hiezu zuständigen Gemeindeorgans festzusetzen. Dabei falle hier einerseits in Betracht, dass der Einwohnerrat den Voranschlag des Gemeinderates mit grossem Mehr genehmigt habe; anderseits seien die Gründe zu berücksichtigen, die das Stimmvolk zur Ablehnung der Voranschläge bewogen haben. Die Opposition habe sich hauptsächlich gegen die Erhöhung des Stromtarifs und die Übernahme des Berechnungssystems des AEW gerichtet. Nun ![]() | 8 |
C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt der in Brugg stimmberechtigte Ernst Döbeli den Antrag, der Beschluss des Regierungsrates vom 12. Juli 1967 sei aufzuheben. Er beruft sich auf Art. 85 lit. a OG und erhebt folgende Rügen:
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a) Der Gemeinderat sei entgegen der Annahme des Regierungsrates nicht zuständig gewesen, den Stromtarif zu ändern; dazu sei einzig das Volk zuständig.
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b) Indem der Regierungsrat den vom Volk eindeutig abgelehnten Voranschlag bestätigte, habe er den Volkswillen missachtet. - Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Der Voranschlag für die Industriellen Betriebe Brugg wurde der Volksabstimmung unterbreitet, nach der Verwerfung vom Gemeinderat überarbeitet und darauf ein zweites Mal zur Abstimmung gebracht. Nachdem ihn die Stimmberechtigten wiederum abgelehnt hatten, setzte der Regierungsrat als Oberaufsichtsbehörde den Voranschlag anstelle der Gemeindeorgane fest. Dieses Vorgehen wird in formeller Hinsicht vom Beschwerdeführer mit Recht nicht beanstandet, sondern entspricht vielmehr den geltenden kantonalen Verfahrensvorschriften, die unter Lit. A des Sachverhalts angeführt sind. Streitig ist einzig, ob der ![]() | 12 |
a) Der Voranschlag ist nach schweizerischer Rechtsauffassung ein blosser Haushaltsplan und enthält keine Rechtsnormen. Insbesondere schafft er keine Rechtsgrundlage für die Erhebung der darin als Einnahmen vorgesehenen Steuern und öffentlichen Abgaben. Diese müssen auf einem besonderen Rechtstitel beruhen (vgl.BGE 72 I 280/Bl; NAWIAWSKY, Rechtliche Bedeutung und rechtliche Wirkung des Voranschlags, ZBl 46/1945 S. 167 ff. Ziff. 27 und 33; IMBODEN, Unmittelbare Demokratie und öffentliche Finanzen, in Festgabe für Eugen Grossmann S. 112/13). Es erhebt sich daher die Frage, ob die vorliegende Beschwerde nicht schon deshalb abzuweisen ist, weil der damit angefochtene Voranschlag an den die Zuständigkeit zur Festsetzung der Strompreise regelnden Vorschriften nichts zu ändern vermochte. Die Frage ist zu verneinen. Alle Beteiligten sind darüber einig, dass die Industriellen Betriebe, nachdem der Regierungsrat den Voranschlag des Gemeinderates zum Beschluss erhoben hat, den Strombezügern nach Massgabe des vom Gemeinderat erlassenen neuen Tarifs Rechnung stellen dürfen, wie auch, dass der Regierungsrat mit der Festsetzung eines den Wünschen des Beschwerdeführers und seiner Gesinnungsfreunde entsprechenden Voranschlags als Oberaufsichtsbehörde über die Gemeindeverwaltung auch jenen Tarif als unanwendbar erklärt und einen andern vorgeschrieben hätte.
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b) Der Regierungsrat geht im angefochtenen Beschluss von der schon in seinem Beschwerdeentscheid vom 21. Juni 1966 getroffenen Feststellung aus, dass die Zuständigkeit zur Tarifgestaltung beim Gemeinderat liege, und er schliesst hieraus, dass der vom Gemeinderat aufgestellte Tarif für die den Voranschlag festsetzenden Instanzen verbindlich sei, und zwar grundsätzlich auch für den Regierungsrat, der den Voranschlag im Falle zweimaliger Verwerfung durch die Stimmberechtigten festzusetzen hat. Auch der Beschwerdeführer stellt die Frage der Zuständigkeit zur Tarifgestaltung in den Vordergrund. Sie ist daher vorweg zu prüfen.
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Das kantonale Recht enthält keine Vorschriften über die Zuständigkeit zur Festsetzung der Tarife kommunaler Versorgungsbetriebe. Die Regelung ist den Gemeinden überlassen, die sie nicht einheitlich getroffen haben. Die Verordnungen über die Organisation und Verwaltung des Elektrizitätswerks Brugg von ![]() ![]() | 15 |
c) Aus § 38 der VV zum AGOG und den danach sinngemäss anwendbaren §§ 125 und 140 GOG ergibt sich, dass der Voranschlag einer Gemeinde nach zweimaliger Ablehnung durch die Stimmberechtigten unter Angabe der Verwerfungsgründe sofort dem Bezirksamt zuzustellen und von diesem ohne Verzug zum Entscheid an den Regierungsrat weiterzuleiten ist. Nach welchen Gesichtspunkten dieser zu entscheiden, den Voranschlag festzusetzen hat, ist wederjenen noch andern Vorschriften zu entnehmen. Da der Voranschlag vom Gemeinderat aufzustellen und vom Einwohnerrat zu behandeln ist und dem Regierungsrat die Verwerfungsgründe anzugeben sind, ist es selbstverständlich, dass er die in der Beratung jener Behörden wie auch die im Abstimmungskampf vertretenen Meinungen in Betracht zu ziehen hat. Dagegen ist er grundsätzlich weder an die Auffassung der Behörden noch an die im Abstimmungskampf mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gekommenen Verwerfungsgründe gebunden. Eine Ordnung, die im Falle des Versagens der Gemeindeorgane dem Regierungsrat den Entscheid, d.h. die Festsetzung des Voranschlags überträgt, kann wohl nur bedeuten, dass der Regierungsrat den Voranschlag nach eigenem pflichtgemässen Ermessen festzusetzen hat. Seine Auffassung, dass ihm nur die Rechtskontrolle zustehe, wird der Sach- und Rechtslage nicht gerecht; die Beschränkung auf die Rechtskontrolle ist nur sinnvoll, wo es, wie in dem vom Regierungsrat angerufenen Entscheid AGVE 1947 S. 176, um die Überprüfung eines von den Stimmberechtigten angenommenen Voranschlags geht, nicht aber, wo dieser verworfen wurde und daher vom Regierungsrat festzusetzen ist. Es fragt sich somit, ob der Regierungsrat damit, dass er den vom Gemeinderat und Einwohnerrat gebilligten Voranschlag zum Beschluss erhoben hat, den Rahmen seines pflichtgemässen Ermessens überschritten habe. Ist dies nicht der Fall, dann hat er auch die politischen Rechte der Stimmbürger nicht verletzt, da eine Ordnung, nach welcher der Regierungsrat anstelle der Gemeindeorgane das ihm richtig scheinende vorzukehren hat, notwendig zur Folge hat, dass der von ihm festgesetzte Voranschlag gegebenenfalls nicht dem Willen der Mehrheit der Stimmberechtigten entspricht.
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Der Regierungsrat hat angenommen, dass der Erlass der Tarife in die Zuständigkeit des Gemeinderates falle und der Regierungsrat daher sowenig wie die Gesamtheit der Stimmberechtigten befugt sei, den gemeinderätlichen Tarif bei der Festsetzung des Voranschlags zu ändern. Mag diese Auffassung auch nicht unanfechtbar sein, so bestehen nach dem Gesagten doch zumindest ernsthafte Zweifel an der Zuständigkeit der Stimmberechtigten zur Aufstellung und Abänderung von Tarifen. Ob schon diese Zweifel dem Regierungsrat das Recht gaben, sich an den vom Gemeinderat einstimmig und vom Einwohnerrat mit grosser Mehrheit gebilligten Voranschlag zu halten, kann dahingestellt bleiben, da dafür noch weitere Gründe vorlagen. So ergab sich aus dem vom Gemeinderat eingeholten Gutachten, dass der streitige Tarif im Verhältnis zum Finanzbedarf des Werkes keineswegs übersetzt war. Dazu kam, dass die Festsetzung ![]() | 18 |
Bei dieser Sachlage hat der Regierungsrat sein Ermessen nicht überschritten und die politischen Rechte der Stimmbürger nicht verletzt, wenn er zum Schlusse kam, die Tarifgestaltung sei eine Frage, die nicht im Rahmen des Budgets gelöst werden könne, und einen Voranschlag festsetzte, der auf dem Tarif des Gemeinderates beruht.
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